Herman Scheerre

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Herman Scheerre (fl. 1405–1425 in London), auch Herman Lymnour,[1] Herman Skereueyn oder Herman von Köln, war ein Buchmaler deutscher oder niederländischer[2] Herkunft.

Mehrere Archivalien legen nahe, dass Herman Scheerre sich mit seiner Werkstatt vor 1407 in London niederließ. So hat ein Herman Skereueyn einen Mietvertrag für einen Laden in der Paternoster Row in London unterzeichnet haben.[3][4] Er selbst könnte aus einer Familie in Duisburg, nördlich von Köln, stammen. In zwei Testamenten werden ein Herman Lymnor und ein Herman de Colonia erwähnt, woraus auf eine deutsche Herkunft des Buchmalers geschlossen wurde.[5] Ein gewisser Herman aus Köln wird allerdings auch in der Werkstatt von Johan Maelwael genannt, die 1402/03 in Champmol bei Dijon an der Fassung und Vergoldung eines Kalvarienbergs arbeitete.[6] Die Forschung ist sich uneinig, wie die künstlerische Herkunft Herman Scheerres einzuschätzen ist: Nach Quellenlage scheint es einen Maler Herman aus dem Rheinland gegeben zu haben; der Stil der Buchmalereien hingegen lässt sich eher durch eine Nähe zu Melchior Broderlam und Maelwael in Burgund und französischer Buchmalerei erklären, wenngleich die Stufe an Naturalismus der südniederländischen Vorgänger nicht erreicht zu werden scheint.[6]

Signierte Arbeiten

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Verkündigung, Beauchamp/Beaufort-Stundenbuch (um 1401/05). London, British Library, Royal 2 A XVIII, fol. 23v

Das Œuvre der Buchmalerwerkstatt wurde um die Gruppe der Handschriften gebildet, die die Signatur Herman Scheerres tragen. In Manuskript Add. 16998 der British Library steht auf fol. 37 „Hermannus Scheerre me fecit“. Im Kolophon des Chicheley-Breviars begegnet eine Art Motto: „Si quis amat non laborat quod Herman“. Im Beauchamp/Beaufort-Stundenbuch auf fol. 23v steht auf dem Stoff, der vom Betpult Mariens fällt, ganz ähnlich „Omnia levia sunt amanti: Si quis amat non laborat : de daer“, weshalb auch hier – in Verbindung mit stilistischen Argumenten – die Autorschaft Hermans diskutiert wird.[5][7] Zwei weitere Manuskripte ähneln stilistisch dem Chicheley-Breviar, beinhalten die Phrase „omnia levia sunt amanti“ und werden deshalb der Werkstatt zugeordnet: die Bibel von Richard II. (British Library, Royal 1 E IX) und ein Stundenbuch in einer Privatsammlung, das vormals in der Bibliothek Chester Beatty in Dublin aufbewahrt wurde.

Im Psalter und Stundenbuch für den Herzog von Bedford befinden sich in zwei Zeilenfüllern entsprechende Vermerke: „herman your meke servant“ (fol. 124r) und „I am herman youre owne servant“ (fol. 232).

Entstehungshintergründe

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Psalm 6 (1. Bußpsalm), Psalter und Stundenbuch des Herzogs von Bedford. London, British Library, Add. MS. 42131, fol. 37r

Herman Scheerre und seiner Werkstatt wird die Verkündigungsminiatur im Beauchamp/Beaufort-Stundenbuch (London, British Library, Royal 2 A XVIII) auf fol. 23v zugeschrieben (s. o.).[8] Aus stilistischen Gründen und aufgrund der Identifikation der beiden dargestellten Stifter mit John Beaufort, 1. Earl of Somerset und seiner Ehefrau Margaret Holland, Duchess of Clarence (1385–1439), nimmt man für diese Miniatur eine Entstehung um 1401/05 an; weitere Arbeiten im Umfeld der Beauforts sollten folgen.[9][10] Das Stundenbuch gelangte über den Sohn des dargestellten Ehepaares, John Beaufort, 1. Duke of Somerset, an dessen zweite Ehefrau Margaret Beauchamp, Duchess of Somerset, die im Stundenbuch die Geburt ihrer Tochter Margaret Beaufort 1444 vermerkte.[9] Diese Tochter Margaret übernahm das Buch und notierte 1457 wiederum die Geburt ihres Sohns Heinrichs, des späteren ersten Tudor-Königs von England.[9]

Das Stundenbuch nach dem Sarum-Usus in der Bodleian Library (MS. Lat. liturg. f. 2) wurde vermutlich von sechs verschiedenen Miniaturisten ausgeschmückt. Die erste Hand, die die Miniaturen auf fol. 2v, 4v, 10, 104v, 143v, 144v und 146v angefertigt haben soll, wurde mit Herman Scheerre identifiziert.[11][12]

Eine Kombination aus Psalter und Stundenbuch (London, British Library, Add. MS 42131) wurde um 1420/22 für John of Lancaster, 1. Duke of Bedford († 1435), angefertigt, der auch das berühmte Bedford-Stundenbuch (London, British Library, Add. MS 18850) in Auftrag gab.

Das Sanctilogium in Karlsruhe wurde um 1425 dem Brigittenkloster Syon (damals im Pfarrbezirk Isleworth) von Margaret Holland, Duchess of Clarence, geschenkt.[13] Dieselbe hatte mit ihrem Ehemann bereits das Beauchamp/Beaufort-Stundenbuch (um 1401/05) in der Scheerre-Werkstatt in Auftrag gegeben. Später gelangte es in die Bibliothek des Benediktinerklosters St. Georgen im Schwarzwald.

Die Malereien zeichnen sich durch ein starkfarbiges Kolorit aus. Die Gesichter sind den allgemeinen Tendenzen des Weichen Stils entsprechend jugendlich-schönlinig. Die Miniaturen sind zumeist einfach gerahmt und die Hintergründe mit goldenen Ranken verziert.

Zugeschriebene Werke

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Kreuzigungsgruppe (Anfang 15. Jahrhundert). Ehemals Besitz A. Wyndham Payne
  • Bibel Richards II., Ende des 14. Jahrhunderts (London, British Library, Royal 1 E IX)[14][15]
  • Stundenbuch, Ende des 14. Jahrhunderts (Rouen, Bibliothèque Municipale, Ms. 3024)[16][17]
  • Verkündigungsminiatur des Beauchamp/Beaufort-Stundenbuchs, um 1401/05 (London, British Library, Royal 2 A XVIII)[18][9][19]
  • Sammelhandschrift mit Texten von John Gower, Anfang 15. Jahrhundert (Oxford, Bodleian Library, MS. Bodl. 294)[20][21]
  • Kreuzigungsgruppe (Kanonblatt?) aus dem Besitz A. Wyndham Payne, Anfang 15. Jahrhundert (Versteigerung bei Christie’s 1973, Privatbesitz)[22]
  • York-Psalter, Anfang 15. Jahrhundert (Rennes, Bibliothèque Municipale, Ms. 22)
  • Stundenbuch nach dem Sarum-Usus, Anfang 15. Jahrhundert (Oxford, Bodleian Library, MS. Gough Liturg. 6)[23][24]
  • Stundenbuch, um 1405 (Eric G. Miller Collection)[25]
  • Messbuch, um 1405/10 (London, British Library, Add. 16998)
  • Stundenbuch nach dem Sarum-Usus, um 1405/13 (Oxford, Bodleian Library, MS. Lat. liturg. f. 2)[26][27]
  • Chicheley-Breviar, im 1408/14 (London, Lambeth Palace, Ms. 69)[28][29]
  • Neville-Stundenbuch, um 1410 (Gloucestershire, Sammlungen auf Berkeley Castle)
  • Bedford-Psalter und -Stundenbuch, um 1420/22 (London, British Library, Add. 42131)
  • Sanctilogium Angliae, Walliae, Scotiae et Hiberniae, um 1425 (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 12)[13]
  • Margaret Rickert: Herman the Illuminator. In: The Burlington Magazine for Connoisseurs 66 (1935), S. 38–40.
  • Charles L. Kuhn: Herman Scheerre and English Illumination of the Early Fifteenth Century. In: The Art Bulletin 22 (1940), S. 138–156.
  • Margaret Rickert: The so-called Beaufort Hours and York Psalter. In: The Burlington Magazine 104 (1962), S. 238–246.
  • Gereth M. Spriggs: Unnoticed Bodleian Manuscripts, Illuminated by Herman Scheerre and his School. In: The Bodleian Library Record 7 (1964), S. 193–203.
  • Otto Pächt, Jonathan James Graham Alexander: British, Irish, and Icelandic Schools (= Illuminated manuscripts in the Bodleian Library, Oxford. Band 3). Oxford 1973.
  • Gereth M. Spriggs: The Nevill Hours and the School of Herman Scheerre. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 37 (1974), S. 104–130.
  • Sylvia Wright: The Author Portraits in the Bedford Psalter-Hours. Gower, Chaucer and Hoccleve. In: British Library Journal 18 (1992), S. 190–202.
  • Susie Vertongen: Herman Scheerre, the Beaufort Master and the Flemish Miniature Painting. A Reopened Dabate. In: Maurits Smeyers, Bert Cardon (Hrsg.): Flanders in a European Perspective. Manuscript Illumination around 1400. Leuven 1995, S. 251–265.
  • Kathleen L. Scott: Later Gothic Manuscripts 1390–1490. Survey of Manuscripts Illuminated in the British Isles. Harvey Miller, London 1996.
  1. Mittelenglisch für ‚Buchmaler‘ (<enlumineur).
  2. Vgl. Charles L. Kuhn: Herman Scheerre and English Illumination of the Early Fifteenth Century. In: The Art Bulletin 22 (1940), S. 138–156, der eine Herkunft aus Gent vorschlägt, die seiner Meinung nach die Zusammenarbeit mit dem Meister der Beaufortheiligen in Bodleian Library, MS. Lat. liturg. f. 2 erklären könnte.
  3. Vgl. Paul Christianson: A Directory of London Stationers and Book Artisans 1300–1500. Bibliographical Society of America, New York 1990, S. 157–158.
  4. Vgl. Maurits Smeyers: Flemish Miniatures from the 8th to the mid-16th Century. The Medieval World on Parchment. Löwen 1999, S. 187.
  5. a b Vgl. Margaret Rickert: Herman the Illuminator. In: The Burlington Magazine for Connoisseurs 66 (1935), S. 38–40.
  6. a b Vgl. Maurits Smeyers: Flemish Miniatures from the 8th to the mid-16th Century. The Medieval World on Parchment. Löwen 1999, S. 188.
  7. Vgl. George F. Warner, Julius P. Gilson: Catalogue of Western Manuscripts in the Old Royal and King’s Collections. London 1921, Bd. 1, S. 32.
  8. Zum auch an diesem Buch beteiligten Meister der Beaufortheiligen vgl. Katrien Smeyer, Susan Vertongen: De Meester van de Beaufortheiligen en de Brugse miniatuurkunst. In: Jos. M. M. Hermans, Klaas van der Hoek (Hrsg.): Boeken in de late Middeleeuwen (= Boekhistorische reeks. Band 1). Forsten, Groningen 1994, S. 275–284.
  9. a b c d The Beaufort / Beauchamp Hours. In: Medieval manuscripts blog. British Library, 16. August 2011, abgerufen am 7. Juli 2024 (englisch).
  10. Zu den Besitzverhältnissen vgl. auch George F. Warner, Julius P. Gilson: Catalogue of Western Manuscripts in the Old Royal and King’s Collections. London 1921, Bd. 1, S. 32 f.
  11. Vgl. Otto Pächt, Jonathan James Graham Alexander: British, Irish, and Icelandic Schools (= Illuminated manuscripts in the Bodleian Library, Oxford. Band 3). Oxford 1973, S. 795.
  12. Vgl. dagegen Kathleen L. Scott: Later Gothic Manuscripts 1390–1490. Survey of Manuscripts Illuminated in the British Isles. Harvey Miller, London 1996, Nr. 22.
  13. a b Sanctilogium Angliae, Walliae, Scotiae, et Hiberniae, ergänzt durch weitere Heiligenlegenden. In: Sammlungen. Badische Landesbibliothek, abgerufen am 7. Juli 2024.
  14. Vgl. George F. Warner, Julius P. Gilson: Catalogue of Western Manuscripts in the Old Royal and King’s Collections. London 1921, Bd. 1, S. 21 f. ohne eine Zuschreibung an die Werkstatt von Herman Scheerre.
  15. Vgl. Sylvia Wright: The Big Bible Royal 1 E IX in the British Library and Manuscript Illumination in London in the Early Fifteenth Century. Dissertation University of London 1986 [unpubliziert].
  16. Rouen, BM, 3024. In: Initiale. Catalogue de manuscrits enluminés. Abgerufen am 7. Juli 2024 (französisch).
  17. Horae, cum calendario. In: Archives et manuscrits. Bibliothèque nationale de France, abgerufen am 7. Juli 2024 (französisch).
  18. Vgl. George F. Warner, Julius P. Gilson: Catalogue of Western Manuscripts in the Old Royal and King’s Collections. London 1921, Bd. 1, S. 32 f.
  19. S.C. Kaplan, Sarah Wilma Watson: Book: BL Royal MS 2 A XVIII (Beaufort Book of Hours). In: Books of Duchesses. Abgerufen am 7. Juli 2024 (englisch).
  20. MS. Bodl. 294. In: Medieval Manuscripts in Oxford Libraries. Abgerufen am 7. Juli 2024 (englisch).
  21. Vgl. Otto Pächt, Jonathan James Graham Alexander: British, Irish, and Icelandic Schools (= Illuminated manuscripts in the Bodleian Library, Oxford. Band 3). Oxford 1973, S. 813.
  22. The Wyndham Payne Crucifixion. In: Art Fund_. Abgerufen am 7. Juli 2024 (englisch).
  23. MS. Gough Liturg. 6. In: Medieval Manuscripts in Oxford Libraries. Abgerufen am 7. Juli 2024 (englisch).
  24. Vgl. Otto Pächt, Jonathan James Graham Alexander: British, Irish, and Icelandic Schools (= Illuminated manuscripts in the Bodleian Library, Oxford. Band 3). Oxford 1973, S. 812.
  25. Vgl. Charles L. Kuhn: Herman Scheerre and English Illumination of the Early Fifteenth Century. In: The Art Bulletin 22 (1940), S. 138–156, hier S. 144–145.
  26. MS. Lat. liturg. f. 2. In: Medieval Manuscripts in Oxford Libraries. Abgerufen am 7. Juli 2024 (englisch).
  27. Bodleian Library MS. Lat. liturg. f. 2 Volldigitalisat. In: Digital Bodleian. Bodleian Library, abgerufen am 7. Juli 2024 (englisch).
  28. Details und Teildigitalisate über https://images.lambethpalacelibrary.org.uk/luna/servlet abrufbar.
  29. Montague Rhodes James, Claude Jenkins: Nos. 1–97 (= A descriptive Catalogue of the Manuscripts in the Library of Lambeth Palace. Band 1). Cambridge 1930.