Henzi-Verschwörung

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Vorstellung der Hinausführung und Hinrichtung derer gegen-über beschriebenen Conspiranten in Bern., Hinrichtung von Samuel Niklaus Wernier, Samuel Henzi und Emanuel Fueter (1749), möglicherweise Illustration aus der Zeitschrift Der hinkende Bot, Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.XIV.70

Die Henzi-Verschwörung (in Bern auch Burgerlärm genannt) fand 1749 statt und war der Versuch einiger Bürger der Stadt Bern, die Herrschaft der regierenden Patrizierfamilien zu stürzen.

Im 18. Jahrhundert waren nur etwa 80 der etwa 350 Burgerfamilien im Rat der Stadt Bern vertreten. Die Alleinherrschaft weniger Patrizierfamilien, die die lukrativen Staatsämter besetzten, erregte immer mehr den Ärger der nicht-regierenden Burgerfamilien.

Bereits 1710, 1735 und 1744 äusserten sich verschiedene unzufriedene Burgerfamilien kritisch über den Wahlmodus des Grossen Rats. Sie forderten in Denkschriften, dass sich das Patriziat für die Burgerfamilien wieder öffnen und diese an der Regierung beteiligt werden sollten. 1744 reagierte die Patrizierrepublik Bern hart und es kam zu Geldbussen und Verbannungen. Unter den Verbannten waren Samuel Henzi sowie die Brüder Johann Samuel König und Johann Daniel König (1715–1747), Söhne des pietistischen Theologen Samuel König.

Johann Friedrich Küpfer (um 1740)

Am 25. Juni 1749 trafen sich mehrere Handwerker, Kaufleute, Stadtangestellte, Offiziere und Studenten, unter ihnen die Anführer Gabriel Fueter (1714–1785), Spezierer, Stadtleutnant Emanuel Fueter (1703–1749), Drechsler, Samuel Niklaus Wernier (1707–1749), Kaufmann, und Gottfried Kuhn (1709–?), heimlich in der Indiennefärberei von Johann Friedrich Küpfer (1708–1766) im Sulgenbach. Samuel Henzi, Schwager Werniers, verfasste ein Memorial mit dem Titel «Project, der Regierung eine andere Form zu geben».[1] Schwerpunkte waren:

  • Errichtung einer Zunftverfassung
  • Gemeindeversammlung als oberstes Organ
  • Volkswahl der Beamten, beschränkte Amtsdauer
  • Neuorganisation des Kleinen Rats
  • Veröffentlichung der Staatsrechnung
  • Öffnung der Archive
  • Alle Ämter und Stellen in Politik, Verwaltung und Militär sollen allen Bürgern offenstehen
  • Beachtung der geltenden Gesetze durch das Patriziat

Der Ratsherr Johann Anton Tillier wurde am Abend des 2. Juli 1749 durch den Theologiestudenten Friedrich Ulrich (1720–1781) von den Absichten der Gruppe unterrichtet.

Reaktion der Regierung

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Manifest, ansehend Die im Julio 1749. in der Statt Bern Entdeckte Conspiration (1749)
In diesem, Henzistock genannten, Haus traf sich die Gruppe um Henzi. Das Haus wurde 1977 abgebrochen und 1981 beim Schloss Wittigkofen wieder aufgebaut (Foto 2020).[2]

Johann Anton Tillier informierte am 3. Juli den geheimen Rat, der unverzüglich in der ganzen Stadt verdeckt nach den Verschwörern suchen liess.[3] Der geheime Rat beschloss, die Verhaftungen durch jüngere Mitglieder des Grossen Rats, darunter den Grossweibel Friedrich Willading und den Gerichtschreiber Niklaus Gatschet, vornehmen zu lassen.[4] In Stettlen wurden Milizen zusammengezogen, die Mitglieder der Räte wurden aufgefordert, sich zu bewaffnen.[5] Gabriel Fueter und Gottfried Kuhn konnten sich der Verhaftung entziehen. Henzi, Wernier und Emanuel Fueter wurden bereits wenige Tage später zum Tode verurteilt und am 17. Juli 1749 vor dem Oberen Tor enthauptet. Augenzeugen zufolge musste der Scharfrichter Joseph Hotz (1691–1762) allen drei Verurteilten zwei oder drei Hiebe versetzen, bei Fueter ging der erste Hieb in die Schulter.[6] Andere Verschwörer wurden entweder unter Hausarrest gestellt oder verbannt.

1779 gewährte die bernische Regierung den Nachfahren der Arrestierten und Verbannten wieder das Burgerrecht. 1780 liess man diese wieder zurückkehren.

Die bernische Regierung liess ihre Darstellung der Verschwörung samt den ergangenen Urteilen in einer Broschüre unter dem Titel Manifest, ansehend Die im Julio 1749. in der Statt Bern Entdeckte Conspiration drucken und verbreiten.

Die ausländische Presse berichtete ausführlich und teilweise kontrovers über die Henzi-Verschwörung.[7] Gotthold Ephraim Lessing regte sie zu seinem von ihm auf 1749 datierten, 1753 veröffentlichten Dramenfragment Samuel Henzi an. Eine Figur in Der Verdacht von Friedrich Dürrenmatt, der heruntergekommene Schriftsteller Fortschig, erwähnt den «armen Henzi», über den Lessing eine Tragödie schreiben wollte, als Beleg dafür, dass in Bern seit jeher «eine heillose Diktatur ... genistet» habe. Der Historiker Andreas Würgler bezeichnete 2008 «Programm, Planung und Durchführung» der Verschwörung als dilettantisch.[8]

Der Historiker Johann Anton von Tillier (1792–1854) beklagte das Fehlen von Unterlagen zum Burgerlärm in den Archivbeständen der bernischen Regierung.[9] Das Archivinventar von 1826 nennt für den Schrank Nr. 3 an Unterlagen «Cahier wegen der entdeckten Conspiration von 1749, 2 Bände. Ferner: Manual betreffend die 1749 entdeckte conspiration.»[10] Der Historiker und Politiker Bernhard Rudolf Fetscherin[11] stellte 1834 das Fehlen der Akten fest; bei der Übergabe des Staatsarchivs vom Staatsschreiber Albrecht Friedrich May 1837 an seinen Nachfolger Gottlieb Hünerwadel wurde das Fehlen bestätigt.[12] Fetscherin behielt längere Zeit das Turmbuch von 1749[13], welches er nach Aufforderung durch Ulrich Ochsenbein 1849 zurückgab.[14] 1892 konstatierte Heinrich Türler abermals das Fehlen der seit 1837 vermissten Akten.[15] Am 10. Juli 2019 gab das Staatsarchiv des Kantons Bern bekannt, dass das Manual Ansehend die im Julio 1749 in der Statt Bern Entdekte Conspiration, das zwischen Juli und November 1749 geführte handschriftliche geheime Protokoll der Räte zu den Vorgängen, nach 270 Jahren wieder aufgetaucht und in den Besitz des Staatsarchivs übergegangen sei.[16]

  • Urs Hafner: Auf der Suche nach Bürgertugend. Die Verfasstheit der Republik Bern in der Sicht der Opposition von 1749. In: Michael Böhler u. a. (Hrsg.): Republikanische Tugend. Ausbildung eines Schweizer Nationalbewusstseins und Erziehung eines neuen Bürgers. = Contribution à une nouvelle approche des Lumières helvétiques. Actes du 16e colloque de l'Académie Suisse des Sciences Humaines et Sociales (Ascona, Monte Verità, Centro Stefano Franscini) 7 - 11 septembre 1998. Slatkine, Genf u. a. 2000, ISBN 2-05-101828-6, (Travaux sur la Suisse des Lumières 2), S. 283–299.
  • Hans Henzi: Wiedergefundene Manuskripte zum Burgerlärm 1749 aus dem Nachlass von Prof. Rudolf Henzi, 1794-1829. Ein Beitrag zu den Quellenangaben von R. Fetscherin, Ch. Monnard und A. von Tillier. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 13 (1951), S. 40–52. doi:10.5169/seals-242191
  • Hans Henzi: Auf der Spur von Scharfrichtern in und aus Herzogenbuchsee. In: Jahrbuch des Oberaargaus 1968, S. 33–51. digibern
  • Maria Krebs: Henzi und Lessing. Eine historisch-litterarische Studie. Bern 1903 (Neujahrsblatt der Litterarischen Gesellschaft Bern auf das Jahr 1904) (Digitalisat)
  • Gottlieb Kurz: Ein Beitrag zu der Henzi-Verschwörung von 1749. In: Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde, Band 10, Heft 1 (1914), S. 38–43 doi:10.5169/seals-181224
  • Johann Anton von Tillier: Geschichte des eidgenössischen Freistaates Bern von seinem Ursprunge bis zu seinem Untergange im Jahre 1798. Band 5, 1838–1839, S. 182–188. Google books
  • Andreas Würgler: Die «Conspiration de Berne» – ein Medienereignis des 18. Jahrhunderts. In: Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt, Bern 2008, S. 443.
  • Andreas Würgler: Bitten und aufbegehren: Proteste wider die Obrigkeit. In: Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt, Bern 2008, S. 441–444.
  • Andreas Würgler: Unruhen und Öffentlichkeit. Städtische und ländliche Protestbewegungen im 18. Jahrhundert. Bibliotheca-Academica-Verlag, Tübingen 1995, ISBN 3-928471-10-4, (Frühneuzeit-Forschungen 1), (Zugleich: Bern, Univ., Diss., 1994).

Einzelnachweise

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  1. Würgler 2008, S. 444.
  2. Bauinventar Bern (PDF 2017)
  3. von Tillier 1839 5, S. 184.
  4. von Tillier 1839 5, S. 184.
  5. von Tillier 1839 5, S. 187.
  6. von Tillier 1839 5, S. 205; Henzi 1968, S. 33.
  7. Andres Würgler: Verbrechen oder Staats-Reformation? Die Berner «Henzi-Verschwörung» von 1749 als Medienereignis im 18. Jahrhundert. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde. Band 59, Nr. 4, Historischer Verein des Kantons Bern / Vorträge des Wintersemester 1996/97, S. 344–345 (e-periodica.ch [PDF; abgerufen am 2. Juli 2024]).
  8. Würgler 2008, S. 444.
  9. Henzi 1951, S. 41.
  10. Henzi 1951, S. 41.
  11. Fetscherins Sohn Rudolf Friedrich Fetscherin war mit Eugenie Louise Fueter (1833–1900), Ururenkelin des «Verschwörers» Gabriel Fueter (1714–1785) verheiratet.
  12. Henzi 1951, S. 41.
  13. Turmbuch, Band 1749, B IX 493 im Katalog des Staatsarchivs Bern.
  14. Henzi 1951, S. 41.
  15. Henzi 1951, S. 41.
  16. Staatsarchiv des Kantons Bern: Spektakuläres Dokument ist wieder aufgetaucht, Medienmitteilung vom 10. Juli 2019