Benutzer:Wikiedit9/Spielwiese

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Der Begriff des Erlebnisunternehmers formuliert einen Typus von Erwerbstätigen, deren Erwerbsorientierung ( Arbeitsorientierung) vom zentralen Anspruch nach Erlebnissen im Arbeitskontext, das heißt vom Streben nach einer interessanten, abwechslungsreichen und herausfordernden Erwerbsrealität bestimmt wird.


Der Begriff und Typus des Erlebnisunternehmers geht auf den Arbeitswissenschaftler Michael Jung zurück. Dieser Typus von Erwerbstätigen ist (begrifflich) durch die folgenden beiden zentralen Merkmale geprägt:

  • die zentrale Erwerbsorientierung bzw. Leistungsmotivation der Befriedigung von Erlebnisansprüchen in und durch Erwerbsarbeit („Erlebnis-“)
  • einen ausgeprägten unternehmerischen Charakter, im Gegensatz zur klassischen Arbeitnehmer- bzw. Angestellten- oder auch Absicherungs- bzw. Versorgungsmentalität („-unternehmer“)

Bezugnahmen und Abgrenzungen

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Der Erlebnisunternehmer reiht sich begrifflich und thematisch in zwei Kategorien ein:

  • im Hinblick auf den Erwerbskontext in die soziologischen Typisierungen des Arbeitskraftunternehmers durch Pongratz/ Voß sowie den Alterskraftunternehmer bei Lessenich/ Otto. Während Arbeits- bzw. Alterskraftunternehmer jedoch auf einer explizit ökonomischen Grundlage basieren (Zwang zur Vermarktung der Arbeitskraft), ist der Antrieb des Erlebnisunternehmers psychophysischer Natur (Erlebnisbefriedigung)
  • im Hinblick auf die Erlebnisorientierung auf die Erlebnistheorie Gerhard Schulzes („Erlebnisgesellschaft“). Während dort die Erlebnisansprüche von Menschen allerdings weit überwiegend auf deren Freizeit beschränkt bzw. reduziert werden, verwirklicht der Erlebnisunternehmer seine Erlebnisansprüche in seiner Arbeitswelt und durch seine Erwerbstätigkeit.

Erklärungshintergrund

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Grundlage des Modells sind analog zu den obigen Einteilungen die beiden folgenden (konstatierten) soziologischen Umwälzungsprozesse von der Nachkriegs- bzw. Industriegesellschaft hin zur Postindustriellen (Postindustrielle Gesellschaft):

  • Im Hinblick auf die Arbeitswelt einem Wandel der Bedingungen bzw. der Verfasstheit von Erwerbsarbeit von einer Standardisierung- bzw. Bürokratisierung (Bürokratie) hin zur Subjektivierung, Flexibilisierung und Entgrenzung von Arbeit (u. a. bedingt durch den globalisierten Wettbewerb ("Globalisierung") und Konkurrenzdruck)
  • Im Hinblick auf die Orientierungen und Werthaltungen der Menschen einem Wertewandel von Pflicht und Akzeptanzwerten hin zu Postmaterialismus bzw. Selbstverwirklichung bzw. von Existenzsicherung hin zu persönlicher Sinn- und Glückssuche (u. a. bedingt durch materiellen Wohlstand und der Vermehrung der Möglichkeiten ("Multioptionsgesellschaft"), insbesondere im Vergleich zu historischen oder Armutsgesellschaften - vom Überleben zum Erleben)

Der Erlebnisunternehmer ist demnach einerseits das Ergebnis einer flexibilisierten Arbeitsgesellschaft, die unternehmerisch denkende und handelnde Erwerbstätige erfordert bzw. hervorbringt und beruht andererseits auf dem äußerst nachhaltigen Anspruch von Beschäftigten nach einer erlebnisintensiven Arbeitsrealität, die auf einem postmaterialistischen Einstellungswandel basiert.

Zentrale Aussagen

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Der Typus des Erlebnisunternehmers bietet einen Erklärungsansatz auf die Frage nach der Erwerbsorientierung und beruflichen Leistungsmotivation von Beschäftigten, insbesondere vor dem Hintergrund der gegenwärtigen und zukünftigen (postindustriellen) Arbeitsbedingungen. Erlebnis- als Erwerbsorientierung soll erklären, warum:

  • viele Beschäftigte oft bis spät in die Nacht und am Wochenende arbeiten, obwohl sie dazu (offensichtlich) weder vom Chef gezwungen, noch (unmittelbar) kontrolliert werden
  • Erwerbstätigen der Job sehr häufig vor allem Spaß machen muss bzw. interessant und abwechslungsreich sein soll
  • Materielle Bezüge von Erwerbsarbeit (Entlohnung/ Versorgung) für viele eher zweitrangig sind
  • Materielle bzw. zweckrationale Entlohnungs- und Anreizsysteme von Arbeitgebern ein entsprechendes Verhalten der Beschäftigten hervorrufen („Legionäre“)
  • Immer hektischer und mehr denn je gearbeitet wird, obwohl das Wissen um die schädlichen Wirkungen von Stress und Mehrarbeit zunimmt
  • Eine steigende Anzahl von Erwerbstätigen ein freies und flexibles Beschäftigungsarrangement („Ich-AG“) einer Festanstellung („Stempelkarte“) vorzieht
  • Beschäftigte oft nicht mehr klar und eindeutig trennen können (und wollen), was Arbeit (Pflicht, Zwang, Geldverdienen) einerseits und Leben (Freizeit, Hobby, Selbstverwirklichung) andererseits ist
  • Gewerkschaften und Betriebsräte sich immer schwerer tun, solche Beschäftigte für sich zu gewinnen bzw. angemessen zu vertreten

Der Typus des Erlebnisunternehmers bietet einen (alternativen) Erklärungsansatz, warum Erwerbstätige (äußerlich) als Arbeits-, Alterskraft- bzw. Mitunternehmer erscheinen bzw. auftreten: Dem Modell zufolge nicht (primär), weil sie von Arbeitgeber, Markt/ Wettbewerb oder existenziellen Nöten dazu gezwungen werden, sondern weil ihnen eine Arbeitswelt aus Freiheit, Selbstständigkeit, Abwechslung, Spannung, Herauforderung und nicht zuletzt Erfolg erlaubt, ihre Erlebnisansprüche zu befriedigen.

Eigenschaften und Merkmale

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Erlebnisorientierung im Arbeitskontext weist dem Typus des Erlebnisunternehmers zufolge folgende Eigenschaften auf:

  • Erlebnisorientierung hat nichts mit Schonung oder Müßiggang zu tun, sondern entfaltet sich im Gegenteil hierzu gerade in und durch Anstrengung, in einem Wechselverhältnis von Verausgabung (Performanz) und Stimulation (Stress)
  • Erlebnisorientierung ist ein enormes, intrinsisches (nicht von außen angesteuertes) Motivations- bzw. Leistungspotenzial (intrinsische Motivation) jenseits materieller Motive oder Fremdkontrolle. Erlebnisbefriedigung durch Erwerbsarbeit setzt subjektive Potenziale wie Engagement, Kreativität, Leidenschaft und Begeisterung (Innovationen) frei und voraus, was den Erlebnisunternehmer für Arbeit- und Auftraggeber dem Modell zufolge so wertvoll macht
  • Erwerbsarbeit nimmt die absolute Priorität im Leben des Erlebnisunternehmers ein: Freizeit, Hobbys, Familie, Freunde etc. sind deutlich nachrangig in ihrer qualitativen und quantitativen Bedeutung, Freizeiterlebnisse (Abenteuerreisen o. ä.) werden als langweilig, fad und konstruiert erlebt
  • Der Erlebnisunternehmer sucht nach Spannung, Abwechslung und Herausforderungen und wird von einem Pionier- und Entdeckergeist getrieben, der sich aus Neugier und dem Ehrgeiz speist, sich selbst zu beweisen
  • Erwerbsarbeit ist bei diesem Typus weder (notwendiges) Übel der Existenzsicherung, noch Anspruch nach Reichtum, Macht, Position oder Status

Erwerbsarbeit ist für den Erlebnisunternehmer Wettkampf und Spiel, vergleichbar mit Leistungssportlern, die mit Ehrgeiz und Engagement an die Spitze streben, oder auch äußerst ambitionierten Spielern („Monopoly“), die in Markt und Wettbewerb (unbedingt) bestehen bzw. gewinnen wollen.

Gefahren und Risiken

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Neben den Chancen und Vorteilen für die Erwerbstätigen (Erlebnisbefriedigung) und Auftrag- bzw. Arbeitgeber (großes Leistungspotenzial) weist die Erlebnis- als Erwerbsorientierung dem Typus zufolge auch deutliche Gefahren und Risiken auf:

  • Die Erwerbstätigen überfordern sich und brennen durch leidenschaftliches Engagement ohne die Begrenzung fester Arbeitszeiten aus („Burnout-Syndrom“)
  • Erwerbsarbeit kann Suchtcharakter (Arbeitssucht) annehmen („workaholic“)
  • Erlebnisansprüche und ihre -befriedigung verlaufen spiralförmig nach oben (immer neue und höhere Anreize erforderlich)
  • Erlebnisbefriedigung ist ein nicht erzwingbares bzw. nur bedingt planbares (subjektives bzw. psychisches) Phänomen: Trotz erlebnisbegünstigender Arbeitssituationen stellt sich das Erleben nicht zwingend bzw. immer und jederzeit ein (Enttäuschungsrisiko)


Erlebnisansprüche und Verwirklichungsmöglichkeiten

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Der Erlebnisunternehmer wird vom Autor hinsichtlich seiner Reich- und Geltungsweite (Vorkommen) wie folgt abgegrenzt: Dem Modell zufolge sind zwei Merkmalskategorien für sich und zueinander zu erfüllen, um die erlebnisbietende bzw. erlebnisbefriedigende Passung zwischen Mensch und Arbeit herzustellen:

  • Erlebnismöglichkeiten bieten (nur) Tätigkeiten, die individuelle Freiheiten/ Unabhängigkeiten und weitgehende subjektive Möglichkeiten bzw. Handlungsspielräume bieten (unternehmerisches Arbeitsarrangement)
  • Der Typus des Erlebnisunternehmers ist unkonventionell im Denken, Handeln sowie in Erscheinung und Habitus. Flexibilität, Spontaneität, Innovation und Kreativität stehen im Gegensatz zu Eigenschaften wie Anpassungsfähigkeit, Pünktlichkeit, Gehorsam (Arbeitsparadigma der kreativen Improvisation)

Der Typus des Erlebnisunternehmers wird wie folgt charakterisiert: Er ist vornehmlich jüngeren Alters, höherer Qualifikation und von eigenen Vorstellungen und Ansprüchen (Selbst-Bewusstsein) geprägt. Er tritt vor allem in dienstleistungsnahen bzw. zukunftsrelevanten (kreativen/ qualifizierten) Arbeitsbranchen auf. Gleichwohl verbreitet sich der Erlebnisunternehmer nach der Prognose des Autors mit der Zunahme des globalen Wettbewerbs und den damit einhergehenden Umwälzungsprozessen (die er gegenwärtig beispielsweise auch den Mittelstand und die Industrie erfassen sieht).

Der Typus des Erlebnisunternehmers wird an folgenden Anschlüssen entwickelt:

  • im Hinblick auf Management (Managementlehre) und Unternehmenskultur an den Konzepten des „management-by-entertainment“ bzw. einer „fun-economy“. Derartige Strategien wirken auf den Typus des Erlebnisunternehmers allerdings nicht, er empfindet sie als konstruiert und programmatisch
  • Im Hinblick auf die Erwerbsorientierung von Beschäftigten betonen die meisten Befunde die Bedeutung von Arbeit, die Spaß macht und befriedigt (so bspw. auch beim Arbeitskraftunternehmer oder in der Management- bzw. Personalführungsliteratur), arbeiten den Ansatz aber nicht konsequent aus
  • Der wohl populärste Ansatz in dieser Hinsicht ist in Mihaly Csikszentmihalyisflow“ zu sehen. Im Vergleich zum Erlebnisunternehmer (permanentes Primärstreben nach Action/ Stimulanz) handelt es sich aber beim „flow“ eher um einen meditativen Sekundäreffekt der Arbeit
  • Die Bedeutung der emotionalen Ebene der Menschen im Hinblick auf die (berufliche) Leistungsmotivation findet auch im Bereich des Lernens (Erlebnispädagogik), der Führung (emotionales Führen) u. a. immer stärkere Beachtung - insbesondere im Zuge einer schwindenden Wirksamkeit zweckrationaler bzw. kognitiver Motivations- bzw. Anreizkonzepte (materielle bzw. extrinsische Belohnungen ("extrinsische Motivation"))
  • Im Hinblick auf eine (geforderte) unternehmerische Mentalität von Beschäftigten (selbstständig, eigenverantwortlich, innovativ) zu den Konzepten des Arbeitskraftunternehmers (Pongratz/ Voß) und des Mitunternehmers (Wunderer). Warum sich die Erwerbstätigen (freiwillig und so stark) engagieren, erklären diese Ansätze jedoch materiell-existenziell, was die Erlebnistheorie für unzulänglich hält

Die Fundierung des Erlebnisunternehmers basiert auf dem Schluss, dass Spaß und Erlebnisse in und durch Arbeit bislang kaum konsequent thematisiert und aufgegriffen sind, was daran liegen könnte,

  • dass Spaß, Emotionen und Erlebnisse im Arbeitskontext auf verschiedensten Ebenen (Arbeitgeber, öffentliche Meinung) kritisch aufgenommen werden bzw. dahingehende ideologische Vorbehalte oder Unsicherheiten bestehen („kann/ darf Arbeit wirklich Spaß machen?")
  • dass Erlebnisansprüche der Erwerbstätigen von anderen (bereits im Ansatz/ Vorfeld) mit Unlust, Faulheit oder Müßiggang assoziiert bzw. verwechselt werden
  • Erlebnisorientierung im Erwerbskontext schwierig zu handhaben und letztlich nicht unriskant ist (z. B. Erfordernis individueller, flexibler und persönlicher Führung/ Steuerung anstatt starrer finanzieller Prämien)

Der Typus des Erlebnisunternehmers sowie die Erlebnistheorie im Kontext der Erwerbsarbeit ist noch vergleichsweise jung und damit wenig (explizit) aufgegriffen. Umstritten wird wohl weniger das Phänomen als solches, vielmehr aber Relevanz und (empirische) Verbreitung sein. Die Fragen, welche Beschäftigten erlebnisorientiert auftreten, ob es sich um maßgebliche oder lediglich sekundäre Ansprüche handelt, in welchen Branchen oder Tätigkeiten solche Ansprüche verwirklicht werden können, ist wohl offen. Der Autor sieht im Typus des Erlebnisunternehmer gegenwärtig zunächst ein Leitbild, dessen Bedeutung zukünftig weiter qualitativ und quantitativ zunehmen wird. Fraglich scheint allerdings, ob in Zeiten von Bildungsnotstand, Arbeitsmarkt- und Finanzkrisen sowie gesellschaftlichen und politischen Krisen Erwerbsarbeit nicht (wieder) stärker materiellexistenzielle Bedeutung zukommt, als zu Zeiten der industriellen Wohlstandsgesellschaft des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts.

Jung, Michael (2009): “Erlebnisorientierung als Erwerbsorientierung. Subjektivierung und Flexibilisierung von Erwerbsarbeit in der Öffentlichen Verwaltung und der Industrie“ (siehe „Verlagsseite" www.verlagdrkovac.de/3-8300-4547-6.htm).

Jung, Michael (2008): “Kräftemessen aus Leidenschaft: Der Erlebnisunternehmer" in: "Personalmagazin" Ausgabe 11/ 2008, S. 36- 38

„Darstellung des Konzepts"


Kategorie:Soziologie der Arbeit Kategorie:Motivation Kategorie:Management