Benutzer:Virtualiter/Hamburger Stadtparkverfahren

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Hamburger Stadtparkverfahren

zur Gruppenvergewaltigung 2020 dauert drei Jahre bis es anfängt

In der Corona-Zeit hatte sich die Grünanlage zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt.

In der Nacht vom 19. auf den 20. September 2020 ist im Hamburger Stadtpark ein 15-jähriges Mädchen von zwölf Jugendlichen und Männern zwischen 17 und 21 Jahren vergewaltigt worden. Sie hatte betrunken ihre Freunde aus den Augen verloren und lief gegen 22 Uhr ziellos um die Festwiese. Laut Staatsanwaltschaft traf die 15-Jährige im September 2020 am späten Abend zunächst nahe der Festwiese im Stadtpark auf einen der Angeklagten, der mit ihr ins Gespräch gekommen sei und sie dann in ein Gebüsch geführt habe. Dort seien drei andere Angeklagte hinzugetreten, und es soll zu sexuellen Handlungen gekommen sein, bei denen teilweise auch Gewalt gegenüber der 15-Jährigen angewendet worden sein soll. Einer der vier Männer soll auch noch die Handtasche des Mädchens entwendet haben. Anschließend soll die Schülerin jeweils von anderen Angeklagten noch zwei weitere Male von der Festwiese aus in ein Gebüsch geführt worden sein, wo es zu sexuellen Handlungen gekommen sei.[1] Erst nach zweieinhalb Stunden sei das Mädchen entkommen. Am Ende irrte das Mädchen über die Wege, es war ein Uhr nachts. Bis es auf Passanten im Stadtpark traf, die ihm halfen.


Von mindestens neun Männern wurden Spermaspuren festgestellt. Drei der Beschuldigten werden als „Obachttäter“ geführt, heißt es in der Senatsantwort. Das sind Personen unter 21 Jahren, die besonders gewaltauffällig sind und unter ständiger Beobachtung der Behörden stehen.[2]

November 2021 zeigte ein Instagram-Account die Gesichter von sieben der jungen Männern, die Fotos offenbar von deren Social-Media-Kanälen. "Die Anklageerhebung stehe kurz bevor." verkündete die Staatsanwaltschaft noch.[3] Der sog. Staatsschutz ermittelt. Bis zum folgenden Mai hat wegen der Aufrufe zur Selbstjustiz gegen die Angeklagten und der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte die Staatsanwaltschaft inzwischen 144 weitere Strafverfahren eröffnet.[4]


Bis zum Vorliegen der DNA-Ergebnisse wurden einige der Männer zunächst als Zeugen geführt, anschließend als Beschuldigte und ihnen wurde ein Verteidiger zugeordnet. Einer der Verdächtigen befand sich laut Senat vorübergehend in U-Haft.

Seit Mai 2022 stehen elf Angeklagte vor der Jugendkammer des Landgerichts am Sievekingplatz (Neustadt). Unter anderem wegen aufgeheizter öffentlichen Stimmung findet das Verfahren ohne Publikum statt.[5] Gleich zu Beginn des Verfahrens beriet die Jugendkammer am Dienstag darüber, die Öffentlichkeit auszuschließen. Die Vorsitzende Richterin Anne Meyer-Göring hatte dies angeregt, die Verteidiger stellten daraufhin einen entsprechenden Antrag, dem sich die Staatsanwaltschaft nicht anschloss.

Zehn der Beschuldigten im Alter zwischen 18 und 22 Jahren sollen die Jugendliche im Hamburger Stadtpark vergewaltigt haben. Einem elften Angeklagten werden Beihilfe sowie Herstellung jugendpornografischer Inhalte und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen vorgeworfen. Er soll das Geschehen mit dem Handy gefilmt haben. Diesen Vorwurf erhebt die Staatsanwaltschaft auch gegen einen der zehn Hauptangeklagten, der zudem die Handtasche mit Wertsachen des Mädchens gestohlen haben soll.[6]

Das zuständige LKA vernahm bislang mehr als 40 Zeuginnen und Zeugen. Mehrere von ihnen berichteten über ein Video, das die Tat zeigen soll. Die Staatsanwaltschaft sei nicht im Besitz eines solchen Videos.[7]

Im Mai 2022 heißt es mitmal: "Nach der Tat hatte es geheißen, dass die erste Gruppe den weiteren Männern möglicherweise gesagt habe, dass die Jugendliche noch allein und wehrlos sei. Konkretere Hinweise, dass dies tatsächlich so war, liegen aber offenbar nicht vor. Vielmehr soll die Situation des Mädchens als Gerücht auf der damals spätabends noch recht belebten Festwiese schnell die Runde gemacht haben. Ob es überhaupt eine Verbindung zwischen den Gruppen und teilweise selbst zwischen einzelnen Angeklagten gibt, ist unklar. Ihre Meldeadressen liegen teilweise weit entfernt voneinander, etwa in Lurup und Poppenbüttel. Sechs von ihnen wurden in Hamburg geboren, von den übrigen fünf jeweils einer in Polen, dem Iran, Kuwait, Ägypten und Libyen. Keiner der Angeklagten stand vor der Tat bereits als sogenannter Obachts- oder Intensivtäter im Fokus der Polizei."[8]

Anfang April 2023 wurde der Erste freigesprochen. „Eine Beteiligung des Angeklagten an diesen Taten konnte nicht nachgewiesen werden“, heißt es in der Urteilsbegründung. „Schon die Anwesenheit des [filmenden] Angeklagten während des mutmaßlichen Tatgeschehens war nicht sicher feststellbar.“[9]

Nach Abendblatt-Recherchen muss das Gericht viele Puzzlestücke für ein klares Bild der mutmaßlichen Tatnacht noch finden. Grundlegendste Fragen in dem Verfahren sind teilweise komplett offen. Was geschah tatsächlich am späten Abend des 19. September 2020? Und falls eine Gruppenvergewaltigung bewiesen wird: Welchen Anteil hatten die Angeklagten jeweils daran? "Die Staatsanwaltschaft wirft keinem der elf Beschuldigten vor, die 15-Jährige plötzlich überwältigt zu haben – sie hätten mutmaßlich nicht einmal „gegen den erkennbaren Willen“ des Mädchens gehandelt. " [10]

Wegen Fotos und aufgebrachter Stimmung auf Instagram leitete die Polizei über hundert Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein.

Im sogenannten Stadtparkverfahren fällt am Dienstag, dem 28. November 2023, das Urteil - nach fast 70 Verhandlungstagen und der Vernehmung von fast 100 Zeugen. Mehreren jungen Männern wird vorgeworfen, an einer Gruppenvergewaltigung beteiligt gewesen zu sein. Die Richter stehen vor einer Herausforderung – denn viele Beweise scheint es nicht zu geben. Auch ein Video, das während der Tat entstanden sein soll, konnte nicht ermittelt werden.[11] Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Schlussvortrag für neun Angeklagte die Verhängung von Jugendstrafen zwischen einem Jahr, drei Monaten und drei Jahren beantragt. Drei dieser Beschuldigten, die zwischen 19 und 23 Jahre alt sind, sollen dabei aber eine Strafe auf Bewährung erhalten – und zwei weitere eine sogenannte Vorbewährung. Für den zehnten Angeklagten will die Staatsanwaltschaft einen Freispruch.
Die Verteidigung fordert Freispruch für alle Beschuldigten. Das Gerichtsverfahren findet von Anfang an unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.[12][13]

Tatsächlich hatten alle Verteidiger auf Freispruch plädiert. Ihre Argumentation: Für die Männer sei nicht erkennbar gewesen, dass das betrunkene Mädchen keinen Sex wollte. Die Angeklagten hätten unter den Vorwürfen und dem langen Prozess sehr gelitten. Weil das Verbrechen im Stadtpark aber in Hamburg zu empörten Reaktionen geführt hatte, ließen die Richter für einen Teil ihrer Urteilsbegründung am Dienstag Zuhörer zu.
Deren Anwältinnen und Anwälte hatten auf Freispruch plädiert. Das Argument: die Männer hätten gedacht, dass die 15-Jährige den Sex mit ihnen wollte.[14]

Ihre eigene Migrationserfahrung könne eine Rolle bei der Gruppenvergewaltigung gespielt haben, sagte die Psychiaterin Nahlah Saimeh dem Nachrichtenmagazin Spiegel. Die Herkunft sei dann wichtig zu betrachten, wenn sie die Täter an den Rand der Gesellschaft drückt und eine soziale Integration nicht möglich ist. Das könne durch Schwierigkeiten mit der Sprache, Arbeitslosigkeit oder Probleme mit der Wohnsituation passieren, gepaart mit einem „Gefühlsmix aus Wut, Trauer, Ohnmacht, Depression, Größenfantasien als Kompensationsversuch, das eigene Elend zu bewältigen, und Suchtmittel-Konsum“, erklärte Saimeh. „Ungeordnete, unvorbereitete Migrationserfahrungen und sozio-kulturelle Obdachlosigkeit steigern das Risiko für Suchterkrankungen und auch für Psychosen“. Zugleich steige auch das Risiko, kriminell zu werden. Sex könne laut der Psychiaterin als „Mittel dienen, Frust und Wut abzulassen“. Er wirke in einer Gruppe, die das gleiche Schicksal hat, identitätsstiftend und stärke das Gruppengefühl. Zwar galten die Angeklagten weder als Intensivtäter, noch waren sie vorbestraft, wohl aber waren drei von ihnen wegen ihrer Neigung zur Gewalttätigkeit aufgefallen. Auch das spiele eine Rolle bei der Dynamik der Gruppenvergewaltigung, sagte Saimeh: „Das Opfer wird zu einem reinen Instrument der eigenen sexuellen Befriedigung. Es geht um ein unmittelbares Bedürfnis, Gelegenheit, die innere Überzeugung und das Recht des Stärkeren.“ So gilt sexualisierte Gewalt in der Wissenschaft längst als eine Kriegswaffe: Es geht dabei um Aspekte wie Rache, Demütigung und Demoralisierung, aber auch um Machtverhältnisse und Möglichkeiten, frei von Schuldgefühlen alle Hemmungen fallen zu lassen.[15]

Ein zehnter Angeklagter wurde freigesprochen, wie schon ein ursprünglich elfter Beschuldigter am vergangenen 5. April. Die Jugendstrafen von ein bis zwei Jahren für acht Angeklagte setzte die Kammer zur Bewährung oder der sogenannten Vorbewährung aus. Nur ein 19-Jähriger bekam eine härtere Strafe, und zwar zwei Jahre und neun Monate Haft ohne Bewährung.[16]
Das Gericht verurteilte den jüngsten Angeklagten, einen mittlerweile 19-jährigen Iraner, zu zwei Jahren und neun Monaten Jugendstrafe. Er hatte bei einem Haftrichter über sein Verbrechen ernsthaft gesagt: „Welcher Mann will das nicht?“
Acht weitere Angeklagte (20-23) bekamen Jugendstrafen, die zur Bewährung, bzw. zur Vorbewährung ausgesetzt wurden. In diesen Fällen wird in sechs Monaten entschieden, ob es bei Bewährung bleibt, oder ob der Verurteilte doch in Haft kommt. Ein Angeklagter (23) wurde freigesprochen. Acht der neun Angeklagten haben einen Migrationshintergrund.[17]
Der Sprecher am Hanseatischen Oberlandesgericht erklärt: „Vergeltung und Abschreckung dürfen im Jugendstrafrecht keine Rolle spielen. Es geht darum, künftige Straftaten durch Erziehung zu verhindern.“[18]

Der Hass im Netz gegen die Richterin ist groß – jetzt solidarisieren sich Kollegen. Unter anderem schreibt Heike Hummelmeier, Vorsitzende des Hamburgischen Richtervereins: "In den sozialen Medien finden derzeit nicht hinnehmbare persönliche Angriffe gegen die Vorsitzende Richterin der Kammer statt, die das sogenannte 'Stadtpark-Urteil' gefällt hat." Dabei werde "mehr oder weniger verhüllt zur Gewalt gegen die Richterin aufgerufen und der Wunsch geäußert, sie möge selbst Opfer einer Vergewaltigung werden". Dieses Vorgehen sei "ein gezielter Angriff auf den Rechtsstaat". Der Richterverein äußerte weiter: "Gänzlich unerträglich sind die – zudem von einem migrationsfeindlichen Hintergrund geprägten – Aufrufe zur Gewalt gegen die Richterin." Wer rechtsstaatliche Entscheidungen zum Anlass für eine persönliche Bedrohung der die Entscheidung fällenden Richter nehme, lehne die demokratischen Strukturen und den Rechtsstaat ab und wolle "die Herrschaft der Straße". Der Hamburgische Richterverein verurteile ein derartiges Verhalten auf das Schärfste und stehe solidarisch hinter seiner Kollegin. Er erwarte von allen staatlichen Stellen, solchen Machenschaften entschlossen entgegenzutreten.[19]

Einige der Verurteilten haben Rechtsmittel eingelegt. Über eine Revision muss nun der Bundesgerichtshof entscheiden.[20]

Einzelnachweise

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  1. https://www.mopo.de/hamburg/gruppenvergewaltigung-im-stadtpark-einer-der-angeklagten-freigesprochen/
  2. https://www.merkur.de/deutschland/hamburg-gruppenvergewaltigung-maedchen-15-jaehrige-cdu-politiker-anfrage-senat-antwort-news-91121505.html
  3. https://www.mopo.de/hamburg/online-pranger-nach-gruppen-vergewaltigung-im-stadtpark/
  4. https://www.abendblatt.de/hamburg/article235275747/hamburger-stadtpark-gruppenvergewaltigung-15-jaehrige-elf-maenner-prozess-beginnt.html
  5. https://www.mopo.de/hamburg/gruppenvergewaltigung-im-stadtpark-so-startet-der-prozess/
  6. https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/519254/Gruppenvergewaltigung-in-Hamburg-Nationalitaet-der-Verdaechtigen-wird-verschwiegen-ausser-bei-vier-Deutschen?dicbo=v4-mLeBMkm-1131241744
  7. https://www.merkur.de/deutschland/hamburg-gruppenvergewaltigung-maedchen-15-jaehrige-cdu-politiker-anfrage-senat-antwort-news-91121505.html
  8. https://www.abendblatt.de/hamburg/article235275747/hamburger-stadtpark-gruppenvergewaltigung-15-jaehrige-elf-maenner-prozess-beginnt.html
  9. https://www.mopo.de/hamburg/gruppenvergewaltigung-im-stadtpark-einer-der-angeklagten-freigesprochen/
  10. https://www.abendblatt.de/hamburg/article235275747/hamburger-stadtpark-gruppenvergewaltigung-15-jaehrige-elf-maenner-prozess-beginnt.html
  11. https://www.t-online.de/region/hamburg/id_100288108/hamburg-15-jaehrige-von-mehreren-maennern-grausam-missbraucht-worden.html
  12. https://www.zeit.de/hamburg/2023-11/prozess-hamburg-landgericht-vergewaltigung-stadtpark-freispruch
  13. https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozesse-hamburg-prozess-um-vergewaltigung-im-stadtpark-haft-beantragt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-231115-99-953274
  14. https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/15-Jaehrige-im-Stadtpark-vergewaltigt-Neun-Maenner-verurteilt,stadtpark452.html
  15. https://web.archive.org/web/20231128160513/https://www.mopo.de/hamburg/gruppenvergewaltigung-im-stadtpark-welche-rolle-der-hintergrund-der-taeter-spielt/
  16. https://web.de/magazine/panorama/15-jaehrige-stadtpark-vergewaltigt-angeklagte-verurteilt-38916580
  17. https://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg-aktuell/maedchen-15-missbraucht-9-vergewaltiger-nur-einer-muss-in-haft-86247320.bild.html
  18. https://www.bild.de/regional/hamburg/news-ausland/hamburg-vergeltung-und-abschreckung-duerfen-keine-rolle-spielen-86262014.bild.html
  19. https://www.t-online.de/region/hamburg/id_100292090/stadtpark-verfahren-in-hamburg-richterin-erhaelt-hasskommentare.html
  20. https://www.t-online.de/region/hamburg/id_100297156/stadtparkverfahren-in-hamburg-vergewaltigung-verurteilte-legen-revision-ein.html