Benutzer:SkotFederal/Spielwiese

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Gleb Alexandrowitsch Rahr (russisch Глеб Александрович Рар; * 3. Oktober 1922 in Moskau, † 3. März 2006 in Freising) war ein exilrussischer Journalist und Kirchenhistoriker.


Leben und Wirken

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Gleb Rahr entstammte einem baltischen Kaufmannsgeschlecht skandinavischer Herkunft, das dem Stand der Erb-Ehrenbürger des Russischen Reiches angehörte. Sein Vater, Alexander Alexandrowitsch Rahr, kämpfte als Offizier im Ersten Weltkrieg in der III. Grenadier-Artilleriebrigade an der Galizienfront. Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde er als Offizier im ersten Konzentrationslager Moskaus im Andronik-Kloster interniert und kam erst nach mehreren Gefängnisaufenthalten frei. Nach dem Tode seiner erst dreißigjährigen ersten Frau Elisabeth Dufayer dit Gautier im Jahre 1920 nach erst zehnjähriger Ehe heiratete A.A.Rahr 1921 die aus dem alten Kaufmannsgeschlecht Judin stammende Natalija Sergejewna, die Mutter Gleb Rahrs. Ihr Bruder Sergej Judin war ein mit nationalen und internationalen Ehrentiteln und Auszeichnungen dekorierter berühmter Chirurg. 1924 wurde die Familie Rahr nach Estland ausgewiesen, siedelte jedoch noch im Herbst desselben Jahres nach Libau in Kurland (Lettland) um, wo Gleb Rahr aufwuchs und am deutschen Gymnasium das Abitur machte. Nach der Besetzung Lettlands durch die Rote Armee gelang der Familie 1941 mit einem der letzten deutschen Evakuierungsschiffe die Flucht nach Deutschland.

Seit 1942 studierte G.Rahr an der Architekturfakultät der Universität Breslau, wo er auch am Aufbau der örtlichen orthodoxen Kirchengemeinde mitwirkte. In jener Zeit trat er dem „Bund russischer Solidaristen“ (Nazional’no-Trudowoj Sojus – NTS) bei, wozu er zu einem konspirativen Vorstellungsgespräch zu dessen Vorsitzendem W.M.Bajdalakow nach Berlin fuhr. 1930 in Belgrad von Exilrussen zum Kampf für ein freies Russland gegründet, setzte sich diese Organisation während des deutsch-sowjetischen Krieges das schwierige Ziel, gleichzeitig zwei Diktatoren – Stalin und Hitler – zu bekämpfen. Sie unterstützte deshalb die Russische Befreiungsbewegung (ROA) um General A.A.Wlassow und unterhielt enge Verbindungen zum deutschen militärischen Widerstand um Oberst Graf Stauffenberg. Mit den Eheleuten Chorvat organisierte G.Rahr eine NTS-Untergrundgruppe in einem Forschungslager, wo Kriegsgefangene von den Deutschen in Russland beschlagnahmte wissenschaftliche und technische Unterlagen auswerteten. Um den Einfluss des NTS auf die Russische Befreiungsarmee zu unterbinden, verhafteten die Nationalsozialisten im Juni 1944 eine Reihe von NTS-Mitgliedern, so am 14. Juni auch G.Rahr. Nach mehreren Verhören in der Gestapo-Leitstelle in Breslau kam er schließlich in sogenannte „Schutzhaft“ und durchlebte eine qualvolle Zeit in den Konzentrationslagern Groß-Rosen, Sachsenhausen, Schlieben, Buchenwald und Dachau. Dort wurde er am 29.April 1945 von den Amerikanern befreit:

Im Sommer 1945 kam die Familie Rahr in das Flüchtlingslager Mönchehof bei Kassel, in dem sich vorübergehend die Zentrale des NTS befand. Danach zog sie nach Hamburg, wo G.Rahr als Sekretär Bischof Nathanaels (Fürst Lwow), des Bischofs der Russischen Auslandskirche in der Britischen Besatzungszone Deutschlands, arbeitete und diesem auch als Subdiakon diente.

Ab Ende 1947 arbeitete G.Rahr im Exilverlag «Possev» in Frankfurt am Main. 1949–1950 lebte er mit seiner Familie in Casablanca in Französisch-Marokko, wo er in einem Architekturbüro arbeitete und aktiv am kirchlichen Gemeindeleben teilnahm. G.Rahr war zu jener Zeit auch aktiver Pfadfinder (Pfadfindername „Seehund“) und wurde zum Leiter der Afrika-Abteilung der Russischen Pfadfinderorganisation ORJuR ernannt.

Ab 1950 arbeitete G.Rahr für den NTS in Deutschland. Von West-Berlin aus versuchte er antikommunistische Propaganda in der Sowjetzone zu verbreiten. Er nahm an den Vier-Mächte-Konferenzen 1954 in Berlin und Genf sowie an der «Panamerikanischen Konferenz zum Schutze des Kontinents» in Lima teil. Seine besondere Aufmerksamkeit galt der Lage der Kirche und der Gläubigen in Russland. Unter dem Pseudonym Alexej Wetrow schrieb er neben zahlreichen Artikeln 1954 das im Possev-Verlag in russischer Sprache erschienene Buch „Plenennaja Zerkow’“ (Kirche in Gefangenschaft) über die Lage der Kirche in der Sowjetunion.

Am 6.Oktober 1957 heiratete G.Rahr in Brüssel Sofija Orechow, die Tochter des Hauptmanns Wasilij Wasiljewitsch Orechow, der als Veteran des Ersten Weltkrieges und des Russischen Bürgerkrieges, als Aktivist des «Russischen Allgemeinen Kriegerbundes» (ROVS), als Gründer der «Russischen Nationalen Vereinigung» (RNO), v.a. aber als Gründer und Herausgeber der Zeitschrift „Tschasowoj“ (Der Wachtposten), des Verbindungsorgans der russischen Offiziere im Exil, großes Ansehen in der russischen Diaspora weltweit genoss.

Von 1957 bis 1960 arbeitete G.Rahr beim Radiosender des NTS „Freies Russland“ auf Formosa (Taiwan), 1960 bis 1963 leitete er das russischsprachige Programm des Japanischen Rundfunks in Tokio und lehrte an der Fernost-Abteilung der amerikanischen „University of Maryland“ russische Sprache (später lehrte er in Deutschland für die Europa-Abteilung derselben Universität russische Literatur und Geschichte). 1963 bis 1974 arbeitete er wieder für den Possev-Verlag in Frankfurt. In Frankfurt beteiligte er sich 1967-68 als Mitglied des Baukomitees äußerst aktiv am Bau der russischen Kirche des heiligen Nikolaus in Frankfurt-Hausen. Unter anderem oblag ihm dabei die Beschaffung der Glocken, um deren Guß in einer traditionsreichen Werkstatt in Saarburg er sich vor Ort kümmerte. Die Inschriften und Kreuze auf den Glocken wurden nach seinen Zeichnungen gegossen. Auch der große Kronleuchter in der Kirche entstand nach seinen Plänen. 1967 wurde G.Rahr vom Ersthierarchen der Russischen Auslandskirche, Metropolit Filaret (Woskresenskij), zum Subdiakon geweiht.

1972 beteiligte sich G.Rahr in Frankfurt gemeinsam mit Iwan Agrusow u.a. an der Gründung der „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“ (IGfM), deren Anstrengungen mancher politischer und religiöser Gefangene des sowjetischen GULag seine Befreiung verdankt.

1974 bis 1995 arbeitete G.Rahr bei „Radio Liberty“ in München. Hier leitete er die nach der Sowjetunion strahlenden religiösen Sendungen sowie die Radioprogramme „Der baltische Leuchtturm“, „Russland gestern, heute und morgen“ und „Nicht von Brot allein“. Dabei blieb er trotz mancher Widerstände stets seinen Überzeugungen und Prinzipien treu und verteidigte nicht nur die kanonischen orthodoxen Positionen, sondern auch den guten Namen Russlands. Ein treuer Mitstreiter war ihm dabei immer der Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn, mit dem ihn gemeinsame Vorstellungen und Werte verbanden. Für viele Menschen in der Sowjetunion waren die Sendungen G.Rahrs die einzige Möglichkeit, wahrheitsgemäße Informationen über die Lage der Russischen Orthodoxen Kirche zu bekommen.

Neben seiner umfangreichen journalistischen Tätigkeit war Subdiakon Gleb Rahr auch ein bekannter Kirchenaktivist. Über viele Jahre war er Mitglied des Diözesanrates der Deutschen Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland und der Gemeinderäte in Frankfurt und München. Er war einer der wichtigsten Mitarbeiter der „Orthodoxen Sache“ (Prawoslawnoe Delo), einer Organisation, die sich durch Einschmuggeln religiöser Literatur um die Verbreitung des christlichen Glaubens in Russland bemühte, und war Mitbegründer des weltbekannten schweizerischen Instituts „Glaube in der 2. Welt“. Subdiakon Gleb Rahr nahm als Vertreter der Deutschen Diözese am III. Konzil der Russischen Auslandskirche 1974 in New York teil, wo er einen Vortrag über die Lage der Kirche in Russland hielt. Solche Vorträge hielt er über Jahre in nahezu der ganzen Welt. Den Höhepunkt bildeten dabei seine Vortragsreisen während der Feiern zum Millenium der Taufe Russlands 1988, die ihn u.a. nach Nordamerika, Australien, Frankreich, Italien, Spanien und andere europäische Länder führten. Natürlich fehlte er nicht als Redner bei den Feierlichkeiten in den Städten der Deutschen Diözese. Er genoss großen Respekt und Anerkennung in den kirchlichen Kreisen. Mit vielen Bischöfen, Priestern und Aktivisten der Russischen Auslandskirche, später auch des Moskauer Patriarchats, verbanden ihn freundschaftliche Beziehungen.

1983 bis 2004 war Gleb Rahr Vorsitzender der „Bruderschaft des heiligen Fürsten Wladimir e.V. Bratstwo“, des ältesten russischen Vereins in Deutschland, der 1888 von Erzpriester Alexej Malzew bei der kaiserlich-russischen Botschaft in Berlin als Wohltätigkeitsverein gegründet worden war, um notleidende russische Staatsbürger und orthodoxe Christen durch Beschaffung von Arbeit in vereinseigenen Werkstätten in Berlin zu unterstützen, aber auch, um mit Spendengeldern orthodoxe Kirchen in Deutschland zu errichten (Berlin-Tegel 1894, Bad Homburg 1899, Bad Kissingen 1901, Görbersdorf i. Schlesien 1901, Hamburg 1902, Bad Nauheim 1908, Bad Brückenau 1908, Bad Wildungen 1912, Danzig 1913). G.Rahr bemühte sich, dem Verein, der sich in den vergangenen Jahrzehnten fast nur noch um die Verwaltung seiner Kirchen und Wohnhäuser gekümmert hatte, neue Aufgaben und Wege zu erschließen, etwa im karitativen und publizistischen Bereich. Von März 1996 bis September 2002 gab er siebzehn Ausgaben des „Bratstwo-Boten“ heraus, eines Vereinsblattes über das Leben und die Geschichte der Bruderschaft sowie über die allgemeine Lage der russischen orthodoxen Kirche. Darüberhinaus gab er das russischsprachige Bulletin „Mitteilungen der Massenmedien über das kirchliche, gesellschaftliche und politische Leben in Russland und in der Diaspora“ heraus, das sich mit aktuellen Themen der Kirche und Russlands befasste. 1996 unterstützte G.Rahr die Gründung einer Internatsschule für Straßenkinder durch die Diözese des Gebietes Kaliningrad (ehem. Königsberg) in der Stadt Neman (ehemals Ragnit) in Russland. Leider musste dieses Projekt „Neman“ nach der Finanzkrise in Russland 1998 und einem vernichtenden Brand im geplanten Gebäude im Jahre 2000 aufgegeben werden. Die von G.Rahr gesammelten Gelder dienen seither als Grundlage des Wohltätigkeitsfonds der Bruderschaft, mit dem alljährlich kleinere Kinderhilfsprojekte in Russland unterstützt werden.

Als sich seit den Feierlichkeiten zum Millenium der Taufe Russlands 1988 die Kirche in der Heimat von staatlicher Kontrolle zu befreien begann, setzte sich G.Rahr verstärkt für eine Wiedervereinigung der Russischen Kirche im Auslande mit der Mutterkirche, dem Moskauer Patriarchat, ein. 1990 widersetzte er sich vehement der aus seiner Sicht unkanonischen Gründung von Gemeinden der Auslandskirchen auf dem Territorium Russlands, dem kanonischen Territorium des Moskauer Patriarchats. Im August 1991 nahm G.Rahr mit seiner Frau am 1. „Kongreß der Landsleute“ in Moskau teil, wo er von Patriarch Alexej II. empfangen wurde, der über ihn der Führung der Auslandskirche den Vorschlag zu einer Wiedervereinigung überbrachte. Als dieser Vorschlag zurückgewiesen wurde, widmete G.Rahr seine Kraft verstärkt nurmehr direkt der Mutterkirche. Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau wurde 1994/95 mit Unterstützung des einstigen Gefangenen dieses Lagers die russische Auferstehungskapelle zum Gedenken an die orthodoxen Opfer des Nationalsozialismus und jeder Gewaltherrschaft errichtet, was schließlich bald zur Gründung einer Gemeinde des Moskauer Patriarchats in München führte. Auf der zentralen Auferstehungsikone in der Dachauer Kapelle wurde G.Rahr von der Ikonenmalerin indirekt verewigt, indem sie einen der dort abgebildeten Häftlinge G.Rahrs damalige Häftlingsnummer 64923 tragen ließ. In der Kapelle wird seit dem Tode G.Rahrs auch ein kleines Holzkreuz aufbewahrt, welches G.Rahr seinerzeit im Lager selbst gebastelt hatte.

Für seine umfassende Tätigkeit wurde G.Rahr mit einer Reihe von Ehren- und Dankesurkunden der Russischen Kirche im Auslande und des Moskauer Patriarchats ausgezeichnet, so im Jahre 2004 vom Patriarchen Alexej II. Auf persönliche Anordnung des Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin wurde G.Rahr und seiner Frau noch 2001 die russische Staatsbürgerschaft zuerkannt.

Gleb Rahr starb am 3. März 2006 im Alter von 83 Jahren in Freising im Kreis seiner Familie und wurde am 11. März 2006 auf dem russischen Friedhof in Berlin-Tegel beigesetzt. Er hinterlässt seine Frau Sofija und sechs Kinder, die alle auf ihre Weise das Werk des Vaters fortsetzen: Alexander Rahr (geb. 1959) ist Politikwissenschaftler und internationaler Russlandberater; Xenia Rahr-Zabelitch (geb. 1960) ist die Frau von Erzpriester Nikolai Zabelitch, dem Vorsteher der russischen orthodoxen Gemeinde in München und Dachau, wo sie den Kirchenchor leitet und geistliche Benefizkonzerte veranstaltet; Vsevolod Rahr (geb. 1962) ist Journalist; Erzpriester Mihail Rahr (geb. 1963) ist Vorsteher der russischen Kirche in Weimar; Dimitrij Rahr (geb. 1964) ist Übersetzer; Irina Antal-Rahr (geb. 1966) engagiert sich gesellschaftlich im kirchlichen und exilrussischen Milieu, u.a. in der Kinder- und Jugendarbeit.