Benutzer:Saippuakauppias/Die Alpen

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Die Alpen ist ein 1729 erschienenes Gedicht von Albrecht von Haller in 49 zehnzeiligen Alexandrinern.

Anlass des Gedichts war, nach Hallers Auskunft in seiner Vorrede, eine "Alpen-Reise, die ich An. 1728 mit dem jetzigen Herrn Canonico und Professor Geßner in Zürich getan hatte."

Das Gedicht hebt wenig auf Handlung ab, sondern ist eine Mischung aus Beschreibung und moralischen Überlegungen. In letzterem zeigt sich auch noch deutlich der Einfluss der Barockdichter. Haller selbst sieht darin vor allem den des Dichters Lohenstein.

Haller gehört zu den frühen Aufklärern und mit seinen Landsleuten Bodmer und Breitinger zu denjenigen Gelehrten, die dem gebildeten Publikum die Schönheit der Natur nahezubringen gedachten. Damit setzten sie eine neue Denkweise in Gang. Mit zunehmender Beherrschung der Natur konnte man sich mehr für deren Schönheit öffnen und sah nicht mehr nur deren Unberechenbarkeit. Wie schon einige Barockdichter, setzten viele Dichter der Aufklärung die in der Antike erfundene Anakreontik, d.h. Schäferdichtung fort, in der die Natur idealisiert und zum Hintergrund eines Liebesgeschehens wird. Spuren davon finden sich auch in Die Alpen.

Das Gedicht wurde zunächst in zehn Strophen angelegt. An der Erstfassung arbeitete Haller nach eigener Aussage einige Monate. Schwierig erschien ihm wohl nicht zuletzt die jeweilige Anlage der Strophen in zehn Zeilen sowie die von der Dichtung der Zeit am Ende einer Strophe geforderte Steigerung (vgl. barocke Sonette).

Im Gedicht bzw. in Hallers Notizen dazu [1]erschienen einige Pflanzen, die er wie folgt beschreibt:

  • seseli foliis acute multifidis umbella purpurea - Steppenfenchel/Heilwurz
  • gentiana floribus rotatis verticillatis - Enziane
  • der blaue foliis amplexicaulibus floris faucte barbata
  • antirrhinum caule procumbente, foliis verticillatis, floribus - Löwenmäuler
  • astrantia foliis quinquelobatis lobis tripartitis - Sterndolde
  • ledum foliis glabris flore tubuloso - Porst
  • ledum foliis ovatis ciliatis flore tubuloso - Porst
  • silene acaulis - Stengelloses Leimkraut

Interpretationshilfe

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Die Alpen Anmerkung
1
Versuchts, ihr Sterbliche, macht euren Zustand besser,
Braucht, was die Kunst erfand und die Natur euch gab;
Belebt die Blumen-Flur mit steigendem Gewässer,
Teilt nach Korinths Gesetz gehaune Felsen ab; Kanal von Korinth
Umhängt die Marmor-Wand mit persischen Tapeten,
Speist Tunkins Nest aus Gold, trinkt Perlen aus Smaragd, Die berühmten Vogelnester, die in Indien unter den Leckerbissen ganz bekannt sind und die man zuweilen auch in Europa auf vornehmen Tischen sieht, findet man auf einigen Inseln am Ufer von Tunkin.
Schlaft ein beim Saitenspiel, erwachet bei Trompeten,
Räumt Klippen aus der Bahn, schließt Länder ein zur Jagd; Wie Wilhelm der Eroberer
Wird schon, was ihr gewünscht, das Schicksal unterschreiben,
Ihr werdet arm im Glück, im Reichtum elend bleiben!
2 Wann Gold und Ehre sich zu Clives Dienst verbinden,
Keimt doch kein Funken Freud in dem verstörten Sinn.
Der Dinge Wert ist das, was wir davon empfinden;
Vor seiner teuren Last flieht er zum Tode hin.
Was hat ein Fürst bevor, das einem Schäfer fehlet?
Der Zepter ekelt ihm, wie dem sein Hirten-Stab.
Weh ihm, wann ihn der Geiz, wann ihn die Ehrsucht quälet,
Die Schar, die um ihn wacht, hält den Verdruss nicht ab.
Wann aber seinen Sinn gesetzte Stille wieget,
Entschläft der minder sanft, der nicht auf Federn lieget?
3 Beglückte güldne Zeit, Geschenk der ersten Güte,
Oh, dass der Himmel dich so zeitig weggerückt!
Nicht, weil die junge Welt in stetem Frühling blühte
Und nie ein scharfer Nord die Blumen abgepflückt;
Nicht, weil freiwillig Korn die falben Felder deckte
Und Honig mit der Milch in dicken Strömen lief;
Nicht, weil kein kühner Löw die schwachen Hürden schreckte
Und ein verirrtes Lamm bei Wölfen sicher schlief;
Nein, weil der Mensch zum Glück den Überfluss nicht zählte,
Ihm Notdurft Reichtum war und Gold zum Sorgen fehlte!
4 Ihr Schüler der Natur, ihr kennt noch güldne Zeiten!
Nicht zwar ein Dichterreich voll fabelhafter Pracht;
Wer misst den äussern Glanz scheinbarer Eitelkeiten,
Wann Tugend Müh zur Lust und Armut glücklich macht?
Das Schicksal hat euch hier kein Tempe zugesprochen, Tempe
Die Wolken, die ihr trinkt, sind schwer von Reif und Strahl;
Der lange Winter kürzt des Frühlings späte Wochen,
Und ein verewigt Eis umringt das kühle Tal; Gletscher
Doch eurer Sitten Wert hat alles das verbessert,
Der Elemente Neid hat euer Glück vergrössert.
5 Wohl dir, vergnügtes Volk! o danke dem Geschicke,
Das dir der Laster Quell, den Überfluss, versagt;
Dem, den sein Stand vergnügt, dient Armut selbst zum Glücke,
Da Pracht und Üppigkeit der Länder Stütze nagt.
Als Rom die Siege noch bei seinen Schlachten zählte,
War Brei der Helden Speis und Holz der Götter Haus; pulmentum
Als aber ihm das Mass von seinem Reichtum fehlte,
Trat bald der schwächste Feind den feigen Stolz in Graus.
Du aber hüte dich, was Grössers zu begehren.
Solang die Einfalt daurt, wird auch der Wohlstand währen.
6 Zwar die Natur bedeckt dein hartes Land mit Steinen,
Allein dein Pflug geht durch, und deine Saat errinnt;
Sie warf die Alpen auf, dich von der Welt zu zäunen, (Die Natur ...)
Weil sich die Menschen selbst die grössten Plagen sind;
Dein Trank ist reine Flut und Milch die reichsten Speisen,
Doch Lust und Hunger legt auch Eicheln Würze zu;
Der Berge tiefer Schacht gibt dir nur schwirrend Eisen,
Wie sehr wünscht Peru nicht, so arm zu sein als du! Peru besass viele Bodenschätze.
Dann, wo die Freiheit herrscht, wird alle Mühe minder,
Die Felsen selbst beblümt und Boreas gelinder. Der [[|Boreas|Boréas]] war in der griechischen Mythologie der Nordwind.
7 Glückseliger Verlust von schadenvollen Gütern!
Der Reichtum hat kein Gut, das eurer Armut gleicht;
Die Eintracht wohnt bei euch in friedlichen Gemütern,
Weil kein beglänzter Wahn euch Zweitrachtsäpfel reicht;
Die Freude wird hier nicht mit banger Furcht begleitet,
Weil man das Leben liebt und doch den Tod nicht hasst;
Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet,
Die, was ihr nötig, sucht und mehrers hält für Last.
Was Epiktet getan und Seneca geschrieben, E und S = Vertreter der frühen Stoa
Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen üben.
8 Hier herrscht kein Unterschied, den schlauer Stolz erfunden,
Der Tugend untertan und Laster edel macht;
Kein müssiger Verdruss verlängert hier die Stunden,
Die Arbeit füllt den Tag und Ruh besetzt die Nacht;
Hier lässt kein hoher Geist sich von der Ehrsucht blenden,
Des Morgens Sorge frisst des Heutes Freude nie.
Die Freiheit teilt dem Volk, aus milden Mutter-Händen,
Mit immer gleichem Mass Vergnügen, Ruh und Müh.
Kein unzufriedner Sinn zankt sich mit seinem Glücke,
Man isst, man schläft, man liebt und danket dem Geschicke.
9 Zwar die Gelehrtheit feilscht hier nicht papierne Schätze,
Man misst die Strassen nicht zu Rom und zu Athen,
Man bindet die Vernunft an keine Schulgesetze,
Und niemand lehrt die Sonn in ihren Kreisen gehn.
O Witz! des Weisen Tand, wann hast du ihn vergnüget?
Er kennt den Bau der Welt und stirbt sich unbekannt;
Die Wollust wird bei ihm vergällt und nicht besieget,
Sein künstlicher Geschmack beekelt seinen Stand;
Und hier hat die Natur die Lehre, recht zu leben,
Dem Menschen in das Herz und nicht ins Hirn gegeben.
10 Hier macht kein wechselnd Glück die Zeiten unterschieden,
Die Tränen folgen nicht auf kurze Freudigkeit;
Das Leben rinnt dahin in ungestörtem Frieden,
Heut ist wie gestern war und morgen wird wie heut.
Kein ungewohnter Fall bezeichnet hier die Tage,
Kein Unstern malt sie schwarz, kein schwülstig Glücke rot.
Der Jahre Lust und Müh ruhn stets auf gleicher Waage,
Des Lebens Staffeln sind nichts als Geburt und Tod.
Nur hat die Fröhlichkeit bisweilen wenig Stunden
Dem unverdrossnen Volk nicht ohne Müh entwunden. Man sieht leicht, dass dieses Gemälde auf die vollkommene Gleichheit der Alpenleute geht, wo kein Adel und sogar kein Landvogt ist, wo keine möglichen Beförderungen eine Bewegung in den Gemütern erwecken und die Ehrsucht keinen Namen in der Landsprache hat.
11 Wann durch die schwüle Luft gedämpfte Winde streichen
Und ein begeistert Blut in jungen Adern glüht,
So sammlet sich ein Dorf im Schatten breiter Eichen,
Wo Kunst und Anmut sich um Lieb und Lob bemüht.
Hier ringt ein kühnes Paar, vermählt den Ernst dem Spiele,
Umwindet Leib um Leib und schlinget Huft um Huft.
Dort fliegt ein schwerer Stein nach dem gesteckten Ziele,
Von starker Hand beseelt, durch die zertrennte Luft.
Den aber führt die Lust, was Edlers zu beginnen,
Zu einer muntern Schar von jungen Schäferinnen. Diese ganze Beschreibung ist nach dem Leben gemalt. Sie handelt von den sogenannten Bergfesten, die unter den Einwohnern der bernischen Alpen ganz gemein und mit mehr Lust und Pracht begleitet sind, als man einem Ausländer zumuten kann zu glauben. Alle die hier beschriebenen Spiele werden dabei getrieben: das Ringen und das Steinstossen, das dem Werfen des alten Disci ganz gleich kömmt, ist eine Übung der dauerhaften Kräfte dieses Volkes.
12 Dort eilt ein schnelles Blei in das entfernte Weisse, Schiessen
Das blitzt und Luft und Ziel im gleichen jetzt durchbohrt;
Hier rollt ein runder Ball in dem bestimmten Gleise Murmelbahn
Nach dem erwählten Zweck mit langen Sätzen fort.
Dort tanzt ein bunter Ring mit umgeschlungnen Händen Tanzen
In dem zertretnen Gras bei einer Dorf-Schalmei:
Und lehrt sie nicht die Kunst, sich nach dem Takte wenden,
So legt die Fröhlichkeit doch ihnen Flügel bei.
Das graue Alter dort sitzt hin in langen Reihen,
Sich an der Kinder Lust noch einmal zu erfreuen.
13 Denn hier, wo die Natur allein Gesetze gibet,
Umschliesst kein harter Zwang der Liebe holdes Reich.
Was liebenswürdig ist, wird ohne Scheu geliebet,
Verdienst macht alles wert und Liebe macht es gleich.
Die Anmut wird hier auch in Armen schön gefunden,
Man wiegt die Gunst hier nicht für schwere Kisten hin,
Die Ehrsucht teilet nie, was Wert und Huld verbunden,
Die Staatssucht macht sich nicht zur Unglücks-Kupplerin:
Die Liebe brennt hier frei und scheut kein Donnerwetter,
Man liebet für sich selbst und nicht für seine Väter.
14 Sobald ein junger Hirt die sanfte Glut empfunden, Liebe
Die leicht ein schmachtend Aug in muntern Geistern schürt,
So wird des Schäfers Mund von keiner Furcht gebunden,
Ein ungeheuchelt Wort bekennet, was ihn rührt;
Sie hört ihn und, verdient sein Brand ihr Herz zum Lohne,
So sagt sie, was sie fühlt, und tut, wornach sie strebt;
Dann zarte Regung dient den Schönen nicht zum Hohne,
Die aus der Anmut fliesst und durch die Tugend lebt.
Verzüge falscher Zucht, der wahren Keuschheit Affen,
Der Hochmut hat euch nur zu unsrer Qual geschaffen!
15 Die Sehnsucht wird hier nicht mit eitler Pracht belästigt!
Er liebet sie, sie ihn, dies macht den Heirat-Schluss.
Die Eh wird oft durch nichts als beider Treu befestigt,
Für Schwüre dient ein Ja, das Siegel ist ein Kuss.
Die holde Nachtigall grüsst sie von nahen Zweigen,
Die Wollust deckt ihr Bett auf sanft geschwollnes Moos,
Zum Vorhang dient ein Baum, die Einsamkeit zum Zeugen,
Die Liebe führt die Braut in ihres Hirten Schoss.
O dreimal seligs Paar! Euch muss ein Fürst beneiden,
Dann Liebe balsamt Gras und Ekel herrscht auf Seiden.
16 Hier bleibt das Ehbett rein; man dinget keine Hüter,
Weil Keuschheit und Vernunft darum zu Wache stehn;
Ihr Vorwitz spähet nicht auf unerlaubte Güter,
Was man geliebet, bleibt auch beim Besitze schön.
Der keuschen Liebe Hand streut selbst auf Arbeit Rosen,
Wer für sein Liebstes sorgt, findt Reiz in jeder Pflicht,
Und lernt man nicht die Kunst, nach Regeln liebzukosen,
So klingt auch Stammeln süss, ists nur das Herz, das spricht.
Der Eintracht hold Geleit, Gefälligkeit und Scherzen
Belebet ihre Küss' und knüpft das Band der Herzen.
17 Entfernt vom eiteln Tand der mühsamen Geschäfte Tand
Wohnt hier die Seelen-Ruh und flieht der Städte Rauch;
Ihr tätig Leben stärkt der Leiber reife Kräfte,
Der träge Müssiggang schwellt niemals ihren Bauch.
Die Arbeit weckt sie auf und stillet ihr Gemüte,
Die Lust macht sie gering und die Gesundheit leidet;
In ihren Adern fliesst ein unverfälscht Geblüte,
Darin kein erblich Gift von siechen Vätern schleicht,
Das Kummer nicht vergällt, kein fremder Wein befeuret,
Kein geiles Eiter fäult, kein welscher Koch versäuret.
  1. http://web.archive.org/web/20060202223700/http://gutenberg.spiegel.de/haller/gedichte/alpen.htm

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