Benutzer:Peter in s/Baustelle 2

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Unter der 4. Reinigungsstufe versteht man einen zusätzlichen Reinigungsschritt in der Klärtechnik, um Spurenstoffe zu eliminieren.

Problemstellung

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Es werden eine große Zahl von Chemikalien durch den Menschen in das Abwasser abgegeben. Sind diese persistent gelangen sie in die Umwelt. Einige davon haben ökotoxische Eigenschaften. In einigen Fällen ist die Chemikalie selber zwar nicht ökotoxisch, aber deren Abbauprodukte. Dieser Umstand ist bereits seit langem bekannt. Bereits 1976 wurde eine Studie veröffentlicht, in der Salicylsäure und Clofibrinsäure im Auslauf einer Kläranlage in Kansas City nachgewiesen wurden.[1]

Bei aktuellen Untersuchungen der Gewässerqualität in europäischen Flüssen durch das Helmholzzentrum für Umweltforschung wurden 610 Chemikalien, deren Vorkommen oder problematische Wirkung bekannt sind, genauer betrachtet und analysiert, ob und wenn ja in welchen Konzentrationen sie in den Fließgewässern Europas vorkommen. Dabei ergab die Auswertung von 445 Proben aus insgesamt 22 Flüssen: Die Forschenden konnten insgesamt 504 der 610 Chemikalien nachweisen. Insgesamt fanden sie 229 Pestizide und Biozide, 175 pharmazeutische Chemikalien sowie Tenside, Kunststoff- und Gummizusätze, Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) und Korrosionsinhibitoren. In 40 Prozent der Proben wiesen sie bis zu 50 chemische Substanzen nach, in weiteren 41 Prozent zwischen 51 und 100 Chemikalien. In 4 Proben konnten sie sogar mehr als 200 organische Mikroschadstoffe belegen. Mit 241 Chemikalien stellten sie die meisten Substanzen in einer Wasserprobe der Donau fest.[2]

Bis lang ist der die 4. Reinigungsstufe in der EU noch nicht verpflichtend. Im Oktober 2022 legte Die EU-Kommission einen Entwurf zur Überarbeitung kommunalen Abwasserrichtlinie vor.[3] Am 29. Januar 2024 einigten sich der EU-Rat und das EU-Parlament vorläufig auf eine Novellierung der kommunalen Abwasserrichtlinie 91/271/EWG von 1991. Diese wurde im Anschluss im Trilog-Verfahren verhandelt.[4] Am 10. April 2024 verabschiedete das EU-Parlament die novellierte Kommunalabwasserrichtlinie. Sie muss nun noch formell vom EU-Rat angenommen werden um in Kraft zu treten.[3]

Die Novellierung sieht vor, dass neben strengeren Einleitwerten für Stickstoff und Phosphor, persistenten Spurenstoffe zumindest zu Teil abgetrennt werden müssen. Dabei werden mindestens 80% der Investitionen und der Betriebskosten für die 4. Reinigungsstufe nach dem Verursacherprinzip an die Pharma- und Kosmetikindustrie weitergegeben. Außerdem soll der Sektor der kommunalen Abwasserbehandlung bis 2045 energieneutral sein und die Emission von Mikroplastik unterbunden werden.[5][6]

Seit dem 1. Januar 2016 ist in der Schweiz das neue Gewässerschutzgesetz in kraft.[7] Danach sind alle Kläranlagen, die an mehr als 80.000 Einwohner angeschlossen sind verpflichtet eine zusätzliche Reinigungsstufe zur Beseitigung von Spurenstoffen zu istallieren. Für Kläranlagen mit über 24.000 Einwohnern im Einzugsgiet von Seen gilt das selbe. Zusätzlich sind alle Kläranlagen mit mehr als 8000 Einwohnern betroffen, die entweder Einleitung haben von mehr als zehn Prozent Abwasser, das bezüglich organischer Spurenstoffe ungereinigt ist (Verdünnungsverhältnis), oder bei denen besondere hydrogeologische Verhältnisse vorliegen. Welche Kläranlage bis wann auszubauen ist, entscheiden die Kantone. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat die Oberaufsicht über diesen Kläranlagen Ausbau.[8] Der Ausbau muss bei den betroffenen Kläranlagen bis zum Jahr 2040 abgeschlossen sein.[9]

Um den Reinigungseffekts zu überprüfen wurden 12 Leitsubstanzen als Marker festgelegt. Sie werden in die Kategorie 1 (sehr gut eliminierbare Substanzen) und in die Kategorie 2 (gut eliminierbare Substanzen) eingeteilt: [10]

Kategorie 1:

Kategorie 2:

Der Reinigungseffekt wird nach folgenden Kriterin ermittelt:

  • Die Berechnung des Reinigungseffekts hat aufgrund von mindestens sechs Substanzen zu erfolgen. Dabei muss das Verhältnis der Substanzen der Kategorie 1 zu den Substanzen der Kategorie 2 zwei zu eins betragen.
  • Sind bei den zu messenden Substanzen weniger als sechs Substanzen in einer ausreichenden Konzentration vorhanden, so legt die kantonale Behörde in Absprache mit dem Bundesamt für Umwelt soweit sinnvoll weitere Substanzen zur Berechnung des Reinigungseffekts fest.
  • Massgebend für die Erzielung des geforderten Reinigungseffekts ist der Mittelwert der prozentualen Eliminationen aller zur Berechnung herangezogenen Substanzen.

Der gesetzlich vorgeschriebene Reinigungseffekt liegt bei 80%.

Zeitliche Umsetzung

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Die Umsetzung der Rahmenrichtlinien, je nach Größe der Kläranlage, zeitlich bis 2045 gestaffelt:

Es gibt unterschiedliche Listen, auf denen schwer abbaubare ökotoxiksche Spurenstoffe aufgeführt sind. Neben der KARL-List der kommunalen Abwasserrichtlinie, die mit der Schweizer Liste identisch ist, gibt es noch die KomS-Liste des Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden-Württemberg.

Die KomS-Liste:[11]

Es gibt mehrere mögliche Techniken, die die Vorgaben erfüllen. Bislang haben sich drei Techniken, zwei mit Aktivkohle und eine mittels Ozon, etabliert. Die Spurenstoffe lassen dabei jedoch unterschiedlich gut eliminieren. Es gibt auch Ansätze die die verschiedenen Technologien kombinieren.

Es werden drei verschiedene Verfahren mit Aktivkohle angewendet, die auf Grund unterschiedlicher Korngrößen andere Techniken mit sich bringen. Dies sind PAK (Pulverisierte Aktivkohle), GAK (Granulierte Aktivkohle) und µGAK (ein feineres Granulat).

  • GAK wird vergleichbar einem Sandfilter nach der Nachklärung installiert und wird je nach Hersteller von oben oder von unten durchströmt. Diese Filter müssen für gewöhnlich in regelmäßigen Interwallen rückgespült werden, da sich Feststoffe darin ablagern. GAK hat den Vorteil, dass das verbrauchte Granulat regeneriert werden kann. Somit ist zwar oft der Pre-Invest höher, aber die laufenden Kosten reduzieren sich.
  • PAK kann entweder in das Belebungsbecken zudosiert werden oder in einem nachgeschalteten Schritt zum Einsatz kommen. Durch die größere Oberfläche ist sie sehr effektiv. Sie ist sehr fein und bedarf in der Regel eines weiteren Reinigungsschrittes um nicht mit dem Abwasser in das Gewässer verfrachtet zu werden. Dafür eignen sich Tuchfilter, MBR oder Sandfilter. Allerdings ist sie Verbrauchsmaterial und wird abschließend mit dem Klärschlamm meist thermisch entsorgt.
  • µGAK wird bislang noch nicht sehr häufig eingesetzt. Sie kombiniert die Vorteile der anderen beiden Körnungen. µGAK wird von unten im Schwebebett angeströmt.

Ulmer-Verfahren

Aktuelle Situation

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Bisher wurden verschiedene Techniken vor allem in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen umgesetzt. In NRW sind Stand Mai 2024, 22 der insgesamt rund 600 kommunalen Kläranlagen mit einer 4. Reinigungsstufe ausgestattet. Zehn weitere befinden sich im Bau und 17 in der konkreten Planung. NRW hat 43 Kläranlagen mit Einzugsbereichen von mehr als 150.000 Einwohnern.[12] In BW sind Stand April 2024, 30 Kläranlagen mit einer 4. Reinigungsstufe ausgebaut. 31 Weitere befinden sich in der Planung oder im Bau.[13] In den anderen Bundesländern werden aktuell drei weitere Anlagen mit einer 4. Reinigungsstufe betrieben. Eine in Bayern, eine in Berlin und eine in Hessen.

Insgesamt sind derzeit (Stand Dezember 2023) folgende 54 kommunale Kläranlagen mit einer 4. Reinigungsstufe ausgerüstet: Albstadt-Ebingen, Albstadt-Lautlingen, Augustdorf, Bad Oeynhausen, Bad Sassendorf, Baden-Baden/Sinzheim, Barntrup, Böblingen-Sindelfingen, Dagersheim-Darmsheim, Dülmen, Emmingen-Liptingen, Eriskirch, Espelkamp, Fridingen, Friedrichshafen, Greven, Gütersloh – Putzhagen, Halzhausen, Harsewinkel, Hechingen, Heidelsheim, Herford – ZKA, Immendingen-Geisingen, Immenstaad, Karlsruhe, Kressbronn, Lahr, Laichingen, Langwiese (Ravensburg), Lemgo-Grevenmarsch, Lübbecke, Mannheim, Mittleres Glemstal (Leonberg), Mörfelden-Walldorf, Obere Lutter, Öhringen, OWA Tegel, Pforzheim, Rheda-Wiedenbrück, Rheinbach, Rietberg, Schloß Holte-Stukenbrock, Schwerte, Soers, Steinhäule (Ulm), Stockacher Aach, Tübingen, Überlinger See (Uhldingen-Mühlhofen), untere Hardt (Leimen), Vierlinden, Warburg, Weißenburg in Bayern, Wendlingen am Neckar, Westerheim.[14]

In Östereich gibt es bislang keine Kläranlagen mit gebauter 4. Reinigungsstufe (Stand 2022). Es wurden allerdings Forschungsprojekte durchgeführt.[15][16][17][18][19]

In der Schweiz wird bereits deutlich länger an der Umsetzung einer 4. Reinigungsstufe gearbeitet. Entsprechend sind bereits viele Kläranlagen damit ausgestattet. Seit 2014 sind bereits rund 25 Anlagen aufgerüstet worden, bei fast 50 laufen Planung oder Bau.[20] Bereits umgesetzte Anlagen 2024 sind: Abwasserverband Altenrhein, Bassersdorf, Delémont, Ecublens, Egg-Oetwil, Fehraltorf, Flos - Wetzikon, Furthof, Glarnerland, Gossau-Grüningen, Herisau, Lützelmurgtal (Aadorf), Moos - Amriswil, Morgental, Neugut, Oberglatt, Penthaz, Porrentruy, Reinach, Schönau, Thunersee, Klärwerk Werdhölzli[21]

Im Bodensee Einzugsgebiet

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Der Bodensee ist Europas größtes Trinkwasserreservoir. Im Jahr 2015 wurden allein in Baden Würtemberg vier Millionen Menschen durch die Bodensee-Wasserversorgung mit Trinkwasser beliefert. Entsprechend ist die Zusammenarbeit der angrenzenden Länder sehr wichtig. Es gibt bereits seit längerem strengere Auflagen für die Landwirtschaft und die Kläranlagen im Einzugsgebiet des Bodensees als in anderen Einzugsgebieten. 2024 werden bereits 80 % des Abwassers im Bodenseekreis in Anlagen geklärt, die mit einer 4. Reinigungsstufe ausgestattet sind.[22]

Einzelnachweise

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  1. Présence de résidus humains dans les eaux en France 2019, abgerufen am 24. Juli 2024
  2. UFZ - Kartierung der chemischen Fußabdrücke in europäischen Flüssen (engl.), Januar 2024, abgerufen am 6. Juli 2024
  3. a b [1]
  4. [2]
  5. [3]
  6. [4]
  7. 100 Kläranlagen müssen aufrüsten – Eawag Infotag 2015
  8. Erkenntnisse aus sieben Jahren Überprüfung des Reinigungseffekts
  9. Neun Franken für saubere Gewässer
  10. Die Publikationsplattform des Bundesrechts - Verordnung des UVEK zur Überprüfung des Reinigungseffekts von Massnahmen zur Elimination von organischen Spurenstoffen bei Abwasserreinigungsanlagen, Stand 1. Dezember 2016, abgerufen am 7. Juli 2024
  11. KomS-Liste des Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden-Württemberg, 07. Februar 2023, abgerufen am 6. Juli 2024
  12. ZfK - NRW rüstet 43 Kläranlagen mit vierter Reinigungsstufe aus, vom 23. Mai 2024, abgerufen am 6. Juli 2024
  13. Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden-Württemberg - Kläranlagenausbau in Baden-Württemberg – Aktueller Stand, abgerufen am 6. Juli 2024
  14. Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage, Seite 33
  15. Einsatzbereiche und Grundlagen für die 4. Reinigungsstufe in Österreich
  16. Machbarkeitsstudie "4. Reinigungsstufe" am Beispiel des Abwasserverbands Feldbach-Mittleres Raabtal
  17. KomOzAk; Endbericht - Langfassung - Weitergehende Reinigung kommunaler Abwässer mit Ozon sowie Aktivkohle für die Entfernung organischer Spurenstoffe
  18. Forschungsprojekt KomOzAk II
  19. KomOzon - Technische Umsetzung und Implementierung einer Ozonungsstufe für nach dem Stand der Technik gereinigtes kommunales Abwasser Heranführung an den Stand der Technik
  20. eawag - Schweizer Ansatz für moderne Abwasserbehandlung ausgezeichnet, vom 1. Dezember 2023, abgerufen am 7. Juli 2024
  21. VSA - Übersicht ARA Ausbau
  22. CSC - KomS Technolgieforum Spurenstoffe 2024, abgerufen am 6. Juli 2024