Benutzer:Oliver Walter/Nachfolgergesetz

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Das Gesetz über den Nachfolger des Führers und Reichskanzlers (NachfolgeG) vom 13. Dezember 1934 übertrug dem "Führer" und Reichskanzler Adolf Hitler bis zur Verabschiedung einer neuen Reichsverfassung die Befugnis, seinen Nachfolger in den Ämtern des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers für den Fall seines Todes oder einer anderen Ämtererledigung selbst zu bestimmen.

Entstehungsgeschichte

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In Erwartung des Todes von Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte die Reichsregierung am 1. August 1934 im Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches die Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers unter der Bezeichnung Führer und Reichskanzler in Hitlers Person vereinigt. Das Gesetz trat mit dem Tod Hindenburgs am 2. August 1934 in Kraft. Es sah auch vor, dass Hitler seinen Stellvertreter bestimmen konnte. Für das Amt des Reichskanzlers hatte Franz von Papen die Position des Stellvertreters bekleidet, also des Vizekanzlers, war aber während des so genannten Röhm-Putsches vollständig entmachtet worden und am 1. Juli 1934 aus dem Kabinett Hitler ausgeschieden. Für das Amt des Reichspräsidenten regelte bis zu Hindenburgs Tod Artikel 51 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) in der Fassung des von der NSDAP-Reichstagsfraktion eingebrachten Änderungsgesetzes vom 17. Dezember 1932[1], dass der Reichspräsident im Fall seiner Verhinderung oder im Fall der vorzeitigen Erledigung des Amtes bis zur Neuwahl durch den Präsidenten des Reichsgerichts vertreten wird. Seit dem 1. April 1929 war Erwin Bumke Reichsgerichtspräsident. Das Amt des von Rudolf Heß bekleideten "Stellvertreters des Führers (StdF)" war ein Parteiamt. Daher hatte Hitler nach der Vereinigung der beiden Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers durch das Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches keinen Stellvertreter in diesen beiden höchsten Staatsämtern.

In dieser Situation entschloss sich Hitler am 7. Dezember 1934 durch einen Führererlass die Frage seiner Stellvertretung im Staat zu regeln. Er bestimmte den Reichswehrminister Werner von Blomberg in allen Belangen der Wehrmacht und der Reichsverteidigung, den "Stellvertreter des Führers" Rudolf Heß in allen Belangen der NSDAP und ihrer Beziehungen zum Staat und in allen anderen Angelegenheiten der Staatsführung den preußischen Ministerpräsidenten und Reichsluftfahrtminister Hermann Göring zu seinen Stellvertretern[2]. Neben diesem Stellvertretererlass regelte Hitler in einem zweiten, aber geheimen Erlaß vom 7. Dezember 1934 auch seine Nachfolge[3]. Dabei griff er einen Änderungsantrag der monarchistischen ehemaligen DNVP-Reichstagsfraktion vom 7. Dezember 1932 im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung von Artikel 51 WRV auf, demzufolge der als Ersatzkaiser verstandene Reichspräsident seine Nachfolge quasi per Testament selbst regeln sollte[4]. In diesem Nachfolgeerlass bestimmte Hitler Göring zu seinem Nachfolger in den beiden Ämtern des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers[5]. Für diese Regelung gab es jedoch keine rechtliche Grundlage. Möglicherweise hat sich Hitler zu diesem Zeitpunkt über eine vermeintliche Nachfolgeregelung des Reichspräsidenten in der Weimarer Verfassung geirrt und den Nachfolgeerlass im Glauben verfasst, dass der DNVP-Antrag 1932 vom Reichstag verabschiedet worden war.

Daher ließ Hitler den Chef der Reichskanzlei, Staatssekretär Hans Heinrich Lammers, einen Gesetzentwurf fertigen, der ihm die Befugnis übertrug, seinen Nachfolger im Fall seines Todes oder anderer Ämtererledigung selbst zu bestimmen. Der Gesetzentwurf wurde auf der Ministerbesprechung am 13. Dezember 1934 um 16:15 Uhr - wohl ohne vorherige schriftliche Vorlage - den versammelten Ministern vorgelesen und anschließend einstimmig von der Reichsregierung verabschiedet. Das Gesetz blieb unveröffentlicht und war als Geheime Reichssache klassifiziert[6].

Hitler nutzte die Befugnis des Gesetzes, um durch einen zweiten geheimen Führererlass am 19. Dezember 1934[7], der inhaltsgleich zum Erlass vom 7. Dezember 1934 war, Hermann Göring zu seinem Nachfolger in den Ämtern des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers zu bestimmen[8]. Er wiederholte diese Bestimmung in einem dritten geheimen Führererlass am 29. Juni 1941[9]. Zuvor hatte Hitler durch Führerlass vom 23. April 1938 Göring auch zu seinem Stellvertreter in allen seinen Ämtern bestimmt und damit den Stellvertretererlass vom 7. Dezember 1934 aufgehoben.[10]

Unter Vermengung dieser Nachfolge- und Stellvertretungsregelungen fragte Göring am 23. April 1945 per Telegramm bei Hitler an, ob der Erlass vom 29. Juni 1941 aufgrund von Hitlers Entscheidung, im von der Roten Armee fast vollständig eingekesselten Berlin zu bleiben, in Kraft getreten sei und er in Stellvertretung Hitlers die Gesamtführung des Reiches übernehmen solle[11]. Hitler erklärte am gleichen Tag per Funkspruch an Göring, dass Göring Verrat an ihm und dem Nationalsozialismus begangen habe und der Nachfolgeerlass ungültig sei[12]. Er wiederholte dies in seinem politischen Testament am 29. April 1945 und bestimmte unter Umsetzung der Idee des DNVP-Änderungsantrages vom 7. Dezember 1932 den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Karl Dönitz, zu seinem Nachfolger als Reichspräsident und Reichspropagandaminister Joseph Goebbels zu seinem Nachfolger als Reichskanzler ein[13]. Dönitz wurde darüber in drei Telegrammen vom Chef der Parteikanzlei, Reichsminister Martin Bormann, am 30. April und am 1. Mai 1945 unterrichtet.

Aufgrund Hitlers testamentarischer Verfügung sah sich Dönitz als legitimes Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches und beauftragte am 2. Mai 1945 den bisherigen Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk mit der Bildung einer geschäftsführenden Reichsregierung . Es ist zwar unklar, ob Dönitz vom Nachfolgegesetz oder den dazugehörenden Erlassen wusste, er behielt aber die Ansicht, dass er aufgrund des Testaments Hitlers das rechtmäßige deutsche Staatsoberhaupt sei, auch nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945, seiner und der Verhaftung der Geschäftsführenden Reichsregierung am 23. Mai 1945 und seiner Verurteilung im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess am 1. Oktober 1946 bei. Nach seinem Tod am 24. Dezember 1980 wurde ein von Dönitz angeblich am 8. Mai 1975, 30 Jahre nach der Kapitulation, verfasstes "Testament" durch einen Rechtsanwalt an Bundespräsident Karl Carstens übermittelt, in dem Dönitz "Inhalt und Aufgabe meines Amtes als letztes Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches auf den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland" übertrug.

Das Nachfolgegesetz spielte die Rolle der Rechtsgrundlage dafür, dass Hitler seine Nachfolge selbst regelte. Unter den Bedingungen des NS-Staates war es korrekt zustande gekommen, da die Reichsregierung seit Verabschiedung des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933 und insbesondere des Gesetzes über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 über eine auch verfassungsändernde Gesetzgebungskompetenz verfügte. Dönitz war in dieser Hinsicht der rechtmäßige Nachfolger Hitlers. Die Entstehungsgeschichte, die Art der Verabschiedung und die Geheimhaltung des Gesetzes, die Nachfolgeerlasse und die Entwicklung Ende April 1945 zeigen jedoch, dass die juristische Form nur bloße Hülle für die Autokratie Hitlers war und dass die Nachfolgeregelungen jeder rechtsstaatlichen Grundlage entbehrten. Dies wird besonders deutlich, als Hitler Göring am 23. April 1945 als Verräter von allen Ämtern enthob und aus der NSDAP ausschloss, obwohl eine Situation eingetreten war, für die Hitler seine Nachfolge- und Stellvertretungsregelungen selbst getroffen hatte. Daher ähneln die Nachfolgebestimmungen mehr monarchischen Regelungen, ohne jedoch das dynastische Prinzip zu beinhalten. Jenes erklärt sich mit der extrem "personalisierten" Herrschaft (Ian Kershaw) Hitlers, der sich die Nachfolgeidee der monarchistischen DNVP zu eigen gemacht hatte, dieses mit Hitlers Kinderlosigkeit.

Einzelnachweise

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  1. Gesetz über die Vertretung des Reichspräsidenten vom 17. Dezember 1932 (RGBl. I S. 547); Georg May, Ludwig Kaas: der Priester, der Politiker und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz, Band 35, S. 197
  2. Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Band II, Halbband 1, S. 224f.
  3. Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Band II, Halbband 1, S. 224.
  4. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 455, Nr. 159; Dirk Blasius. Weimars Ende: Bürgerkrieg und Politik 1930-1933, S. 147.
  5. Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Band II, Halbband 1, S. 224.
  6. Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Band II, Halbband 1, S. 241f.
  7. Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Band II, Halbband 2, S. 1055.
  8. Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Band II, Halbband 1, S. 224.
  9. Martin Moll [Hrsg.], Führer-Erlasse 1939-1945, S. 180f.
  10. Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Band II, Halbband 1, S. 224.
  11. BArch RL 1 / 5
  12. Martin Moll (Hrsg.), Führer-Erlasse 1939-1945, S. 494.
  13. http://www.ns-archiv.de/personen/hitler/testament/politisches-testament.php

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