Benutzer:Martin Ingenhütt/BWV1043

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Das Konzert d-Moll für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo ist eins der bekanntesten Konzerte Johann Sebastian Bachs – besonders sein überaus gesanglicher Mittelsatz Largo, ma non tanto, dem bereits Albert Schweizer „wunderbaren Frieden“ bescheinigte[1]. Der Komponist bearbeitete das Werk auch zu einem Konzert c-Moll für zwei Cembali, Streicher und Basso continuo (BWV 1062).

Erhalten sind Originalstimmen für die beiden Soloviolinen, geschrieben von Bach selbst, sowie die Continuostimme, geschrieben von Carl Philipp Emanuel und einem Unbekannten, beide um 1730/31 in Leipzig. Die restlichen Stimmen wurden im Auftrag Carl Philipp Emanuels von einem Berufschreiber um 1734 bis 1738 in Frankfurt an der Oder ergänzt und spätestens 1788 mit den anderen zusammengelegt. Um 1734 nahm Johann Sebastian Bach noch einige Verbesserungen vor; unter anderem ergänzte er den Originaltitel des Mittelsatzes Largo um den Zusatz ...ma non tanto.

Die Cembalofassung wird durch eine autographe Partitur Bachs überliefert, die laut Wasserzeichen und Schrift 1736 entstanden ist und folgenden Titel trägt: Concerto à due Clavicembali obligati. 2 Violini Viola e Violoncello di Bach.

Originalstimmen 1730/31 Autographe Partitur 1736
Vivace ¢ c
Largo, ma non tanto 12/8 Andante e piano 12/8
Allegro 3/4 Allegro assai 3/4

Die unterschiedliche Bezeichnung des langsamen Satzes lässt darauf schließen, dass entweder in der Cembaloversion als Zählzeit das punktierte Viertel und in der Violinfassung das Achtel gemeint ist, oder Bach hätte tatsächlich für Cembalo ein deutlich schnelleres Tempo zugrundegelegt als für Violinen.

  • 2 Violinen solo
  • Violino I
  • Violino II
  • Viola
  • Continuo

Triosonate für zwei Violinen und Continuo?

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An beiden erhaltenen Werkfassungen fällt bei näherer Betrachtung auf, dass die Orchesterstimmen kaum je kontrapunktische Aufgaben übernehmen. So sind selbst die vielen thematischen Einwürfe eigentlich nur Füllstimmen, und es fehlt jeder echte Dialog zwischen Soloinstrumenten und Orchester. Obwohl die den ersten Satz eröffnende Fugenexposition vierstimmig ist, überrascht, dass die Viola keinen eigenen Themeneinsatz hat. Weder im zweiten noch im dritten Satz ist das Orchester überhaupt am Ritornell beteiligt.

Derartige Beobachtungen sowie die Länge und der Aufbau der Ecksätze führen zu der Überzeugung, dass die Komposition zunächst als eine Sonate für zwei Violinen und Continuo entstanden ist; da in der Konzertfassung keine Transponierfehler auftreten, gibt es keinen Grund, eine andere Originaltonart als ebenfalls d-Moll anzunehmen.[2] Die Partitur der bekannten Fassung als Konzert ist mit hoher Sicherheit auf Bachs Leipziger Zeit datierbar; zu diesem Zeitpunkt dürfte die Frühfassung als Sonate schon etwas zurückgelegen haben – Köthen oder Weimar sind grundsätzlich als Entstehungsort vorstellbar. Aus Beobachtungen der Form und der harmonischen Vorgänge wurde die Entstehung dieser ersten Version als Sonate zwischen die Urfassung der Sinfonia zu Kantate BWV 35 und der des A-Dur-Cembalokonzerts BWV 1055 eingeordnet, mithin um 1719.[3]

Nicht alle Musikwissenschaftler teilen übrigens diese Ansicht, das Konzert sei in seiner ersten Fassung vollständig bereits in Köthen entstanden. Sie verweisen auf die hohe kompositorische Reife des langsamen Satzes mit seiner deutlichen Weiterbildung gegenüber den langsamen Sätzen etwa der Brandenburgischen Konzerte. Dieser Typ eines Sicilianos mit seinen weitgespannten Melodiebögen sei sonst erst Jahre später in Leipzig nachweisbar, etwa in den Arien Ich will leiden, ich will schweigen aus Kantate 87 vom Mai 1725 oder Erbarme Dich aus der Matthäuspassion (1727).[4]Da die Partitur erst in Leipzig entstanden ist, sehen sie keinen Grund, eine frühere Entstehung anzunehmen und lehnen die Vorstellung einer Urform als Kammermusikwerk ab.

Konzert d-Moll für zwei Violinen BWV 1043

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Seit März 1729 leitete Bach in Leipzig das Collegium musicum und teilte sich dort die Kapellmeisterrolle mit Christian Gotthelf Gerlach, der ihn immer wieder vertrat und nach Bachs Rückzug das Ensemble ganz übernahm.[5][6] Da die erhaltenen Originalstimmen offenbar in Leipzig kurz nach Bachs Übernahme des Ensembles entstanden sind, darf man davon ausgehen, dass sie für diesen Rahmen geschrieben und dort auch aufgeführt wurden; es liegt nahe, dass Bach selbst und Gerlach bei dieser Gelegenheit die Solopartien spielten. Selbstverständlich konnte auch ein besonderer Anlass mit einem oder zwei Gastmusikern vorgelegen haben, doch ist darüber nichts bekannt.

Bach hat demnach das Konzert in seiner heute bekannten Form erst in Leipzig geschaffen, möglicherweise auf Basis einer Triosonate aus Köthener Zeit, die er 1730/31 um ein vollständiges Orchestertutti ergänzte. Die Passagen im letzten Satz, bei der die repetierten Doppelgriffe der Solisten durch orchestrale Zitate des Themenkopfs kontrapunktiert werden, wären dann aus einer Struktur entstanden, bei denen diese beiden Funktionen auf die beiden Solisten verteilt gewesen waren. Auch den Mittelsatz hätte er zumindest wesentlich umgearbeitet oder aber – wie in anderen Fällen auch – durch eine Neukomposition ersetzt.

Konzert c-Moll für zwei Cembali BWV 1062

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In seinen späteren Jahren scheint Bach das solistische Geigenspiel mehr oder weniger aufgegeben zu haben und in der Öffentlichkeit eher als Cembalist und Organist aufgetreten zu sein. In diesem Zusammenhang sind die vielfältigen Bearbeitungen seiner Violinliteratur zu Cembalowerken zu sehen.

So formte er 1736[7] auch das Konzert für zwei Violinen zu einem Konzert für zwei Cembali um. Kompositorisch war dabei die wichtigste Aufgabe, den linken Händen der beiden Solisten überzeugende Rollen zuzuweisen. Im Gegensatz zu dem wohl vorher entstandenen Konzert c-Moll für zwei Cembali BWV 1060 (bearbeitet aus dem Konzert für Oboe und Violine) gelang Bach hier „eine kompositionstechnisch überlegenere Lösung, indem nun zu der aus Umspielung der Continuostimme gewonnenen Baßpartie des einen Cembalos im anderen ein selbständiger Kontrapunkt hinzutritt und während der Episoden konsequent, auch im Stimmtausch (doppelter Kontrapunkt) beibehalten wird.“[8]. Lediglich im langsamen Satz verzichtete Bach auf eine Verselbständigung der linken Hände, da offenbar in Anbetracht des höheren Tempos kein Raum mehr für ornamentale Bassbegleitung blieb, ohne die melodische Dominanz der Oberstimmen zu beeinträchtigen.[9]

Bereits Albert Schweitzer hatte die Cembalofassung sehr kritisiert: „Wie Bach es wagen durfte, die zwei singenden Violinstimmen aus dem Largo dieses Werkes dem Cembalo mit seinem abgerissenen Ton preiszugeben, möge er vor sich selber verantworten.“[10]. Wohl aus diesem Verständnis ist die Fassung mit Solocembali im Konzertsaal bis heute nie recht heimisch geworden. Andererseits stehen heute - wie offenbar auch zur Entstehungszeit - Instrumente zur Verfügung, die bei angemessenem Tempo durchaus einen annehmbaren Vortrag auch des langsamen Satzes ermöglichen.

Die beiden klassisch geschulten Jazzgeiger Stéphane Grappelli und Eddie South nahmen bereits im November 1937 im Trio mit dem Gitarristen Django Reinhardt den ersten Satz des Konzerts auf.[11] Diese Aufnahme in ihren zwei erhaltenen Fassungen dürfte das früheste dokumentierte Beispiel einer Interpretation von Barockmusik durch Jazzmusiker sein.

Der Aufbau weicht deutlich von anderen Konzerten ab. Ist es sonst immer der letzte Satz, den Bach als Fuge oder zumindest als Fugato ausgestaltet, so gilt dies hier für den Anfangssatz, der daher auch nicht mit dem vollen Ensemble, sondern nur dreistimmig beginnt.

Eine vierstimmige, zwanzigeinhalb Takte umfassende Fugenexposition eröffnet den Satz. Dieses Ritornell wird anschließend nur noch gekürzt auf einen einzigen Themeneinsatz von dreieinhalb Takten Länge auftreten: Zunächst ein wenig vor der Mitte - hier verwendet Bach den zweiten Themeneinsatz (Comes) auf der Dominante -, schließlich am Satzschluss, wo Bach auf den ersten Einsatz zurückgreift, ihn vierstimmig ausbaut und durch Sechzehntel im Bass ergänzt.

Dazwischen liegen zwei umfangreiche Soloepisoden, deren Längen sich etwa wie 5:7 verhalten – Bach strebt hier offenbar keine ganz präzisen Verhältnisse und jedenfalls auch keine Periodik aus Viertaktgruppen an. In der ersten Soloepisode führen die Violinen ein eigenes Solothema ein, das im Gegensatz zum Ritornell auftaktig ist; in der zweiten Episode wird es variiert und tritt erst unmittelbar vor dem Schlussritornell wieder in der Originalgestalt auf. Das Orchester stützt durch Akkorde oder gehaltene Töne und fügt vereinzelt auch den Ritornellkopf ein.

Der Mittelsatz setzt ganz auf den Dialog der beiden Solisten; das Orchester entwickelt kein eigenes Ritornell. Sein Bewegungsmuster ist das eines Sicilianos, er stilisiert also einen langsamen Tanz mit vier (in drei und sechs unterteilten) Schlägen pro Takt. Bach beginnt mit einem gesanglichen Thema, das schnell in eine scheinbar endlose Kette von seufzerartigen Vorhaltsmotiven übergeht, harmonisch eine Quintfallsequenz. Der zunächst sehr homogene Satz führt dann ein wenig vor Beginn des zweiten Drittels eine deutlich kontrastierende Passage ein: Zunächst ein kurzes Motiv, in dem jeweils eine Geige einen Ton umspielt und beide in Staccato-Parallelen antworten, darauf dann eine Sequenz auf einem Orgelpunkt aus absteigenden überlappenden Tönen, deren Sekundreibungen sich in Terzen auflösen - hier werden die auftaktigen Legatotöne der einen Geige durch Staccato der anderen beantwortet.

Diese Passage führt wieder in die schon bekannte Quintfallsequenz, doch wird diese sogleich noch einmal durch den neuen kontrastierenden Abschnitt unterbrochen. Beim zweiten Mal beginnt dann eine mehrtaktige Steigerung, die zu Beginn des letzten Drittels schließlich in die Wiederaufnahme des Anfangsthemas mündet, das nun lange ausgeblieben war - hier in der Dominantparallele a-Moll.

Nach dreieinhalb Takten wird der Satz unerwartet wieder durch das Kontrastthema unterbrochen; die Steigerungspassage führt dann endlich in die Wiederaufnahme des Anfangs in der Grundtonart F-Dur; ab hier wird das gesamte motivische Material noch einmal in Kurzform wiederholt.

Schon das zwanzigtaktige Ritornell setzt sich aus vielen, deutlich von einander abgesetzten Gliedern unterschiedlicher Länge und Charaktere zusammen. Gleich nach den ersten vier Takten im „Tutticharakter“ folgt so eine weitere Viertaktgruppe, die stark kontrastiert durch ihren intimen Ton und ihre weitausladenden, mit Chromatik durchsetzten Melodiebögen; darauf folgt wieder der erste „Tutti“-Abschnitt, diesmal in a-Moll und nur dreitaktig wie die drei folgenden Ritornellabschnitte.

Die erste Soloeopisode besteht aus vier Viertaktgruppen und führt zu Beginn ein weiteres vorhaltsgeprägtes Thema mit großen Intervallen ein, das von der anderen Geige mit Sechzehnteln begleitet wird. Im zweiten Teil geht diese Episode in virtuose Sechzehntel über - zunächst in Parallelen, anschließend im imitierenden Satz. Dies führt nahtlos in das Ritornell zurück, das bereits nach vier Takten durch die nächste Soloepisode unterbrochen wird.

Hier führt Bach sehr charakteristische repetierte Doppelgriffe ein, die auf der Dominante beginnend zur gleichnamigen Tonart in Moll modulieren (a-Moll), um in dieser Tonart die erste Soloepisode wieder aufzugreifen, die nach drei Vierteln in das begonnene Ritornell mündet und dieses bis zum Schluss fortzusetzen.

In der dritten Soloepisode, fast genau in der Satzmitte, tritt ein neues, sehr gesangliches Motiv auf, das jeweils von der anderen Geige durch Sechzehntel-Akkordbrechungen gestützt wird. Unvermittelt mündet auch dieser Abschnitt wieder in das Ritornell, diesmal in der Subdominanttonart g-Moll. Das Ritornell erklingt nur zur Hälfte; die nächste Soloepisode bringt nacheinander beide Solothemen eine Quint tiefer als beim ersten Mal, um schließlich wieder in die Doppelgriffstruktur zu führen, die logisch zurückmoduliert in das Abschlussritornell.

Einzelnachweise

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  1. Albert Schweizer: Johann Sebastian Bach, Leipzig 1908, Nachdruck 1976, S. 365
  2. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 108f
  3. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 220f.
  4. Christoph Wolff: Sicilianos and Organ Recitals, in: Gregory Butler (Hrg.): Bach Perspectives 7 - J. S. Bachs Concerted Ensemble Music: The Concerto, 2008, S. 101ff.
  5. Christoph Wolff: Sicilianos and Organ Recitals, in: Gregory Butler (Hrg.): Bach Perspectives 7 - J. S. Bachs Concerted Ensemble Music: The Concerto, 2008, S. 384
  6. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 104f
  7. (Yoshitake Kobayashi: Zur Chronologie der Spätwerke Johann Sebastian Bachs. Kompositions- und Aufführungskalender von 1736 bis 1750, in: Bach-Jahrbuch 1988, S. 10)
  8. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 164
  9. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 164
  10. Albert Schweitzer: J.S. Bach, Leipzig 1908, Nachruck 1976, S. 383
  11. Django Reinhardt: Interpretation Swing du 1er mouvement du concerto en re mineur de J. S. Bach