Benutzer:Luna Antonia/virtuelle-geolinguistik

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Die virtuelle Geolinguistik (auch Dialektologie oder Sprachgeographie genannt) beschreibt das Zusammenspiel der Vereinigung von Sprache und Geographie – kennzeichnet die sogenannten Sprachatlanten – und einem virtuell geschaffenen Raum, der von mehreren Nutzern verwendet werden kann. Zweck dieser digitalen Sprachatlanten aus heutiger Sicht ist es Anwender dazu zu bringen selbst aktiv zu werden, mit anderen kommunizieren zu können und wichtige Daten und Informationen preiszugeben.

Die Generationen der Sprachatlanten

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Man spricht pauschal von einer Unterteilung der Entwicklung der Geolinguistik in drei Generationen, wovon die dritte als die virtuelle Geolinguistik bezeichnet wird.

Alle Arbeiten der ersten Gattung beziehungsweise Generation bezeichnet man selbstverständlich als die Begründer der Sprachatlanten. Zu Beginn wurden die Sprachatlanten noch in gedruckter Form veröffentlicht. Die Entwicklungen der Geolinguistik laufen stetig an und auch der Wandel ist nicht in völlig separaten Generationen abgelaufen. Manche Veränderungen fanden parallel statt und es gibt zwar veraltete Sprachatlanten, aber auch einige, die sich dem Wissen der Zeit angepasst haben. Aus heutiger Sicht würde man behaupten, dass die Sprachatlanten von damals nur im Bezug auf die Diatopik, sprich die räumliche Variation, prägend waren. Diese These stützt sich auf der Tatsache, dass sich die Sprachatlanten rein an sorgfältig ausgewählten, einzelnen Informanten eines festen Netzes orientierten. Die zweite Generationen ist eine veränderte – nicht immer unbedingt verbesserte – Version der ersten Generation. Hierbei liegt der Fokus auf den unterschiedlichen Ebenen von Variation. Durch die Erfindung der Technologie entstand in der dritten Generation eine virtuelle Basis. Neben dem Wandel der Zeit und der Sprache spielt natürlich auch die Medienentwicklung eine große Rolle im Bezug auf die digitale Geolinguistik. So kommt es auch, dass man in der Nutzung der virtuellen Welt der Geolinguistik heute noch mal eine viel bedeutendere Funktion sieht.[1]

Anhand eines italienischen Beispiels wird die erste Generation einer multiplen Datenquelle erörtert. Der sogenannte Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz (kurz: AIS) dient als traditioneller Ausgangspunkt zur Veranschaulichung eines Prototypen von einem romanischen Sprachatlanten (wenn nicht sogar von Sprachatlanten im Allgemeinen). 
Die gesamten Materialien wurden damals noch ausschließlich in einem Fragebuch notiert. Neben den Hauptthemen wie Pragmatik, Syntax, Morphosyntax und der Phonetik beinhaltet der Sprachatlas noch weitere Sprachfelder. Zum Einen vertritt er den Bereich der Ethnolinguistik. Das impliziert neben der natürlichen Einsicht in die Alltagswelt der Informanten – Fokus liegt dabei auf dem Bereich der bäuerlichen Lebenswelt – auch den ethnographischen Traditionalismus. Durch die stetige Aufzeichnung im Alltag war es möglich Dinge zu dokumentieren, die aus den verschiedensten Gründen vielleicht später nicht mehr hätten aufgezeichnet werden können. Durch die damals eingeschränkten Mittel war es daher besonders wichtig alles Bedeutende aufzuzeichnen, bevor es für immer in Vergessenheit geraten wäre. Ein weiterer bedeutender Bestandteil vom AIS ist das Ortsnetz. Erfasst wird mit diesem Netz ein zentraler Teil des romanischen Dialektkontinuums (der sogenannten romania submersa) reichend von Portugal bis nach Istrien. Weitere maßgebende Erhebungspunkte des Ortsnetzes sind natürlich die großen italienischen Hauptstädte. Obwohl es sich bei den Großstädten im Allgemeinen um einzelne Städte handelt, entwickelten sich gerade dort auch einige sprachliche Varietäten.[2]

Die mündlichen Daten von den sorgfältig ausgewählten Informanten aus einzelnen Regionen – grob eingeteilt in Norden und Mitte, Süditalien, Sardinien – werden in einem sogenannten Fragebuch (ital.: questionario) festgehalten. Hierbei liegt der Fokus auf der spontanen und möglichst genauen phonetischen Transkription während eines Interviews um das Reale so wahrheitsgetreu wie möglich zu wahren. Das simple Ziel der AIS ist die Dokumentation der aktuellen dialektalen Realität und keine idealisierte und archaische Form des Seins. [3]

Weitere wichtige und bedeutsame virtuelle Geolinguistiken aus der ersten Generation:

  • ALI  —> ‚Atlante linguistico italiano
  • NavigAIS —> AIS mit Erweiterung der Originalkartenbilder
  • ALF —> ‚Atlas linguistique de la France
  • ASLEF —> ‚Atlante storico-linguistico-etnografico friulano
  • ALEPO —> ‚Atlante linguistico ed etnografico del Piemonte Occidentale
  • ALIQUOT —> ‚Atlante linguistico dell’italiano quotidiano
  • Tirol. SA  —> Tirolischer Sprachatlas
  • und der italienische Audio-Atlas VIVALDI —> ‚Vivaio Acustico delle Lingue e dei Dialetti d’Italia

Die Atlanten der zweiten Generation beinhalten hauptsächlich eine komplexere Konzeption von diatopischen Variationen. Interne Variationen sind nämlich der entscheidende Aspekt zur Herausbildung eines Dialekts. Ein weiterer Fortschritt der nächsten Generation ist die Mehrdimensionalität und die Entwicklung in der Untersuchung von weiteren Dimensionen, wie die diastratische und die diaphasische. Durch die verbreitete Tatsache der Mehrsprachigkeit wurde die kennzeichnende Rolle des individuellen Informanten eher hinfällig und damit auch die Datenaufzeichnung in Fragebüchern. Nachdem dieser Fortschritt anerkannt wurde, war somit auch der erste informationstechnische Schritt zu auf die Digitalisierung vollbracht. [4]

Mit als Erstes umgesetzt wurde die neue Form der Kombination aus schriftlichen Veröffentlichungen und Audio-Daten von dem ebenfalls italienischen Sprachatlas Atlanta linguistico della Sicilia, kurz ALS. Man spricht dabei von einer neuen Methodologie, welche bis in die 1980er Jahre zurückgreift und von dem Italiener Giovanni Ruffini ins Leben gerufen wurde. Bei dieser Art von Sprachatlas handelt es sich um unterschiedliche Module, die in verschiedenen Netzen von Informanten aufgeteilt sind. Die genauere Kategorisierung der Daten wird als situazioni-inchiesta bezeichnet. Zum Ersten gibt es die Basiserhebung: Ein System von 150 Punkten mit circa 800 Fragen. Inhalt dabei ist die Phonetik, das Lexikon, die Morphologie und die Syntax der Informanten. Aus jedem befragten Ort gibt es sechs Informanten und es wurde gezielt darauf geachtet, dass die Personen Unterschiede aufweisen im Bezug auf Alter, Geschlecht und den Bildungsgrad. Aber auch innerhalb dieses Moduls gibt es eine Zweiteilung. Auf der einen Seite steht der ethnodialektale Teil – Bereiche hiervon sind zum Beispiel traditionelle Kinderspiele, Ernährung oder Alltagswelten von Hirten – mit Spezialfragebüchern und einer nicht festgelegten Anzahl von Informanten, auf der anderer Seite steht der soziokulturelle Teil. Hier wurde eine Erhebung in etwa 50 Städten und Regionen vorgenommen, wodurch ein Ortsnetz nach methodologisch elaboraten Kriterien gebildet wird. Durch diese Kombination und Vielfalt von mehreren Dokumentationsformen wurde der Atlas multifunktional.[5]

Auch in dieser Art der Geolinguistik darf kein Fragebuch fehlen, da ohne eine bestimmte Umfrageart keine Vergleiche gemacht werden können. Der ALS unterscheidet sich zusätzlich in dem Punkt von anderen, dass er sich ausführlich mit anderen beziehungsweise neuen Themengebieten beschäftigt, wie zum Beispiel dem Konsum von digitalen und Printmedien. Zum Ortsnetz der ALS ist als Merkmal zu beschreiben, „dass die Funktion der Ortspunkte im kommunikativen Raum sich mehr oder weniger direkt in der sprachlichen Dynamik ihrer Varietät niederschlägt“[6]. Im Bereich der sozio-kulturellen Sektion sind die Ortspunkte in vier Gebiete eingeteilt: Die poli regionali, centri urbani, centri semi-urbani und die centri rurali. Unterschiede, zum Beispiel die Bevölkerungsanzahl, Infrastruktur oder die Lage einer Region, sind hierbei entscheidend um auffällige Unterschiede und Merkmale aufzuzeigen. [7]

Weitere bedeutende virtuelle Geolinguistiken aus der zweiten Generation:

  • Der schon bekannte AIS in erweiterter Form auf digitalen Tonträgern
  • AsiCa —> ‚Atlante sintattico della Calabria

Die neueste Generation und somit die Geburtsstunde der virtuellen Geolinguistik zeichnet sich durch ihren konsequenten Einsatz der aktuellsten Webtechnologien aus, man spricht hierbei auch von der zweiten großen informationstechnischen Schwelle, die damit überwunden wurde. Die digitalen Forschungsumgebungen bieten einen ständigen Wechsel zwischen verschiedenen Darstellungsformen, wie zum Beispiel zwischen der Lexikographie und der Kartographie, wodurch auch die sprechenden und interaktiven Karten entstanden sind. Die sprachlichen Daten können Dank der neuzeitlichen Technologien durch nichtsprachliche Daten verschiedenster Natur angesammelt werden. Des Weiteren erhalten die Nutzer der jeweiligen Plattformen in der neuen Generation die Möglichkeit sich selbst einzubinden. Dass die User nun ihren Beitrag leisten können und es ihnen möglich ist sich in der virtellen Welt mit anderen auszutauschen, sorgt für eine ganz neue Dynamik. [8]

Jedoch sollten die Anwender und Mitwirkenden auf die Richtigkeit, die Qualität der Quelle und die Genauigkeit ihrer produzierten Daten stets achten.

Ein treffendes Beispiel für die dritte Generation ist der sogenannte Verba Alpina (kurz VA). Der Sprachatlas „steht in der ethnolinguistisch ausgerichteten Tradition der romanistischen Sprachatlanten und nimmt Anregungen der neueren germanistischen Atlanten auf.“[9] Aber natürlich beinhaltet er auch viele Neuheiten. Schlagworte werden mit weiterleitenden Links zum erklärenden Text versehen. Die Verwendung von Webtechnologien ermöglicht es Gattungsgrenzen zu überwinden. Der VA lässt sich als webbasiertes und raumbezogenes Forschungsgebiet mit verschiedenen Funktionsbereichen beschreiben. Er wurde quasi entwickelt um einen interlingualen Raum der Geolinguistik zu schaffen. Im Bezug auf die romanistische Sprachgeschichte veranschaulicht der VA zum Beispiel die Relevanz der Antike und die prägende Rolle der sogenannten rätischen Schrift. [10]

Eine eher abgesonderte Kategorie der dritten Generation beschreibt der Atlas zur deutschen Alltagssprache (kurz: AdA). Hierbei wird erstmals das sogenannte Crowdsourcing als eine Art empirische Methode zur sprachlichen Datenerhebung angewendet. Diese interaktive Form der Leistungserbringung ist eher wettbewerbsorientiert als teamorientiert und bezieht eine Menge exzentrische und intrinische Beteiligte mit unterschiedlichen Bildungsgraden ein mit der Verwendung von modernen IuK-Systemen, so ein teilnehmender Verfasser im Crowdsourcing.[11]

Vorlesung von Thomas Krefeld zum Thema: Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘: https://www.dh-lehre.gwi.uni-muenchen.de/?p=20659&v=4

Einzelnachweise

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  1. Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘ (am Beispiel von Verba Alpina) | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 4. September 2020 (deutsch).
  2. Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘ (am Beispiel von Verba Alpina) | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 4. September 2020 (deutsch).
  3. Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘ (am Beispiel von Verba Alpina) | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 5. September 2020 (deutsch).
  4. Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘ (am Beispiel von Verba Alpina) | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 4. September 2020 (deutsch).
  5. Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘ (am Beispiel von Verba Alpina) | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 4. September 2020 (deutsch).
  6. ALS: Ortsnetz | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 4. September 2020 (deutsch).
  7. Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘ (am Beispiel von Verba Alpina) | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 5. September 2020 (deutsch).
  8. Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘ (am Beispiel von Verba Alpina) | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 5. September 2020 (deutsch).
  9. Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘ (am Beispiel von Verba Alpina) | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 4. September 2020 (deutsch).
  10. Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘ (am Beispiel von Verba Alpina) | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 4. September 2020 (deutsch).
  11. Geolinguistik in der Perspektive der ‚digital humanities‘ (am Beispiel von Verba Alpina) | Lehre in den Digital Humanities. Abgerufen am 4. September 2020 (deutsch).

Kategorie:Linguistische Varietät Kategorie:Digitale Bibliothek