Benutzer:Espresso robusta/Münchner Lichterkette

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Die Münchner Lichterkette war eine Großdemonstration in Form einer Lichterkette, an der am 6. Dezember 1992 in München mehr als 400000 Menschen teilnahmen, um gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren. Initiiert wurde die Münchner Lichterkette von Gil Bachrach, Giovanni di Lorenzo, damals Journalist bei der Süddeutschen Zeitung,[1] Christoph Fisser sowie Chris Häberlein.[2] Literatur[3]

Politische Ausgangsbedingungen

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Ansteigende Zahlen von Asylsuchenden führten seit den Achzigerjahren des 20. Jahrhunderts in Deutschland zu einer kontrovers geführten Asyldebatte. Aufgrund der Jugoslawienkriege flohen Anfang der Neunzigerjahre Hunderttausende Menschen aus dem damaligen Jugoslawien nach Deutschland.[4] Seit Mitte der Achzigerjahre und insbesondere nach der Wiedervereinigung Deutschlands kam es zu einer Welle rechter Gewalt, die sich häufig gegen Menschen mit Migrationshintergrund und Asylsuchende richtete, wie die Mordanschläge von Mölln und Solingen oder die Ausschreitungen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen. Am 6. Dezember 1992 wurde der sogenannte Asylkompromiss zwischen CDU/CSU und SPD vereinbart, der das individuelle Recht auf Asyl stark eingeschränkte. Papst Johannes Paul II. warnte davor, das "Asylproblem" in Deutschland mit "Ausgrenzung und Abschottung" lösen zu wollen.[5] Schriftsteller Ralph Giordano kündigte Bundeskanzler Helmut Kohl die Bewaffnung deutscher Juden an, da diese das Vertrauen verloren hätten, daß der Staat sie gegen Rechtsradikalismus wirksam schütze.[6]

Die Reaktionen der deutschen Politik auf die Welle rechter Gewalt Anfang der Neunzigerjahre waren ab der Jahrtausendwende Gegenstand erheblicher Kritik. Detlef Esslinger warf Helmut Kohl vor, sich vor allem wegen des Images Deutschlands im Ausland zu sorgen.[7] Laut Giovanni die Lorenzo hätten Politik, Justiz, Polizei und Zivilgesellschaft mit einer merkwürdigen Apathie auf die damals stattfindende Orgie von Gewalt reagiert.[8] Die Frankfurter Rundschau konstatierte 2022 "politische Empathielosigkeit", eine "Politik des Beschwichtigens und Wegschauens" sowie "Hilflosigkeit und Verharmlosung im Umgang mit der rechtsextremistischen Gewalt Anfang der Neunziger Jahre".[9] 2023 konstatierte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser, das von 1990 bis 1994 regierenden Kabinett Kohl IV habe "nicht mit aller Klarheit und Deutlichkeit gehandelt, um den mörderischen Rechtsextremismus zu stoppen“.[10][11]

Künstler wie Gustl Bayrhammer, Helmut Fischer, Jörg Hube, Nobert Kückelmann, Christian Stückl,[12] Auch die Junge Union Bayern rief zur Teilnahme auf.[13]

Der Verlauf der Veranstaltung mit dem Motto "München - eine Stadt sagt nein" wurde von der Polizei als "absolut friedlich" bezeichnet.[14] Die Zahl der Teilnehmenden wurde von der Polizei nach Auswertung von Luftbildern am ??? mit 400000 angegeben.

Massive Kritik wurde an der Münchner S-Bahn geübt, da aufgrund mangelnder Kapazitäten und überfüllter Züge zahlreiche potenzielle Teilnehmende die Münchner Lichterkette nicht erreichen konnten.[14]

Bereits am 6. Dezember fanden auch in vielen anderen bayerischen Städten Lichterketten nach Münchner Vorbild statt, so beispielsweise in Augsburg (5000 Teilnehmende), Dießen (1500 bis 2000 Teilnehmende), Fürstenfeldbruck (nach Polizeiangaben 8000 Teilnehmende), Gröbenzell und Puchheim (2000 Teilnehmende), Lindau (6000 bis 8000 Teilnehmende), Pfaffenhofen an der Ilm (6000 bis 7000 Teilnehmende), Bad Reichenhall (3000 bis 4000 Teilnehmende), Straubing (2500 Teilnehmende), Bad Tölz und Wolfratshausen (6000 Teilnehmende), Tutzing (2500 Teilnehmende), Viechtach (1500 Teilnehmende), Wasserburg am Inn (nach Polizeiangaben 5000 Teilnehmende) sowie Würzburg (1000 Teilnehmende).[15]

In der Folge wurden in zahlreichen deutschen in ähnlicher Weise Lichterketten abgehalten.[4][7][16] So wurde in Hamburg auf Initiative von Michael Jürgs innerhalb einer Woche eine Lichterkette mit mehr als 300000 Teilnehmenden um die Außen- und Binnenalster initiert.[17][18] In Wien und anderen österreichischen Städten fanden Anfang 1993 als Lichtermeer bezeichnete Großdemonstrationen gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz statt.

Im Nachgang zur Münchner Lichterkette wurde im Dezember 1992 der Verein Lichterkette e. V. gegründet,[19] der Initiativen und Aktionen für ein friedliches Zusammenleben und gegen Rassismus, Antisemitismus sowie Rechtsextremismus fördert.[20]

Josef Joffe Brigitte Seebacher[21] Eike Geisel[22] Di Lorenzo[23]

Nach Einschätzung des Tages-Anzeigers hätten die Lichterketten die drastische Verschärfung der deutschen Asylgesetze zwar nicht verhindert. Jedoch hätten die Proteste die damalige Regierung von Kanzler Helmut Kohl in Zugzwang gebracht, gegen rechtsextreme Gruppen vorzugehen und neonazistische Organisationen zu verbieten.[24] Detlef Esslinger vertrat die Auffassung, als Manifestation der Gesellschaft habe die Münchner Lichterkette das Land verändert; sie habe dem damals durchaus wabernden Eindruck den Boden entzogen, wer Migranten angreife, der tue das mit heimlicher Sympathie der Mehrheitsgesellschaft.[7]

  • Elmar Zur Bonsen: München, eine Stadt sagt nein. Die Lichterkette. Eine Dokumentation herausgegeben in Zusammenarbeit mit Süddeutsche Zeitung. Selbstverlag, München 1992, OCLC 166101229.

Einzelnachweise

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  1. Frank Müller: Ein flammender Protest gegen den Fremdenhaß - Am Nikolaustag ist die längste Lichterkette geplant, die es Deutschland jemals gegeben hat. In: Süddeutsche Zeitung. Nr. 269/1992, ISBN 1992-11-21(?!), S. 47.
  2. Frank Müller: München leuchtet dem Fremdenhaß heim - Hunderttausend Bürger werden zur Lichterkette erwartet. In: Süddeutsche Zeitung. Nr. 280/1992, 4. Dezember 1992, S. 53.
  3. Elmar Zur Bonsen: München, eine Stadt sagt nein. Die Lichterkette. Eine Dokumentation herausgegeben in Zusammenarbeit mit Süddeutsche Zeitung. Selbstverlag, München 1992, OCLC 166101229.
  4. a b Aleksandra Bakmaz: Vor 25 Jahren: Als 400.000 Münchner gegen Ausländerhass auf die Straße gingen - WELT. In: Die Welt online. 6. Dezember 2017, abgerufen am 28. Januar 2024.
  5. Hunderttausende demonstrierten mit Lichterketten Hamburg. In: Bonner General-Anzeiger. 21. Dezember 1992, S. 1.
  6. »Dann bin ich weg über Nacht«. In: Der Spiegel. Nr. 51/1992, 13. Dezember 1992, ISSN 2195-1349, S. 48 (spiegel.de [abgerufen am 28. Januar 2024]).
  7. a b c Detlef Esslinger: 400.000 Kerzen gegen rechte Gewalt. In: Süddeutsche Zeitung. 6. Dezember 2012, abgerufen am 28. Januar 2024.
  8. Felix Müller: Pegida und Lichterkette: Di Lorenzo über 1992 und heute. Münchner Merkur, 29. Januar 2015, abgerufen am 28. Januar 2024.
  9. Martin Benninghoff: Rostock-Lichtenhagen: Beschwichtigt und kleingeredet. In: Online-Angebot der Frankfurter Rundschau. 21. August 2022, abgerufen am 28. Januar 2024.
  10. Sven Lemkemeyer: „Dem Hass nichts entgegengesetzt“: Faeser sieht Mitverantwortung der Kohl-Regierung für Brandanschlag von Solingen 1993. In: Der Tagesspiegel Online. 28. Mai 2023, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 28. Januar 2024]).
  11. Solingen: Nancy Faeser kritisiert Regierung von Helmut Kohl für Umgang mit Rechtsextremismus. In: Der Spiegel. 28. Mai 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 28. Januar 2024]).
  12. Es ist ein Kampf gegen die Dummheit - Prominente Künstler engagieren sich für die Münchner Lichterkette. In: Süddeutsche Zeitung. Nr. 281/1992, 5. Dezember 1992, S. 19.
  13. Junge Union: Akton gegen die Gewalt. In: Süddeutsche Zeitung. Nr. 278/1992, 2. Dezember 1992, S. 54.
  14. a b Frank Müller, Christine Burtscheid, Rudolf Reiser, Charlotte Nennecke, Martin Thurau, Elmar zur Bonsen: "Eine Stadt sagt nein" zu Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus: Ein Meer aus 350 000 Lichtern - Münchens Botschaft an die Welt. In: Süddeutsche Zeitung. Nr. 282/1992, 7. Dezember 1992, S. 35.
  15. Lichterketten in ganz Bayern: Friedlicher Protest gegen Fremdenhaß - Trotz klirrender Kälte gehen am Nikolaustag zehntausende Menschen auf die Straße. In: Süddeutsche Zeitung. Nr. 282/1992, 7. Dezember 1992, S. 42.
  16. Kalenderblatt: 6.12.1992. In: Der Spiegel. 6. Dezember 2007, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 28. Januar 2024]).
  17. Hamburg leuchtet, Frankfurt rockt gegen Fremdenhass - Lichterkette und Open-air-Konzert. In: taz. Nr. 3884, 14. Dezember 1992, S. 1.
  18. Wenn ein Symbol leuchtet ... Michael Juergs hat die Hamburger initiiert. In: taz. Nr. 3885, 15. Dezember 1992, S. 3.
  19. Chronik | Lichterkette e.V. Abgerufen am 28. Januar 2024 (deutsch).
  20. Verein | Lichterkette e.V. Abgerufen am 28. Januar 2024 (deutsch).
  21. Brigitte Seebacher-Brandt: Des Guten genug - Deutschland im Glanze seiner Lichterketten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 23/1993, 28. Januar 1993, S. 25.
  22. Eike Geisel: Zu den Großdemonstrationen der letzten Zeit: Triumph des guten Willens. In: taz. Nr. 3887, 17. Dezember 1992, S. 10.
  23. Giovanni di Lorenzo: Die intellektuelle Feuerwehr. In: Der Spiegel. Nr. 6/1993, 7. Februar 1993, S. 210 (spiegel.de).
  24. Dominique Eigenmann: Deutschland steht auf – Was frühere Massenproteste gegen rechts bewirkt haben. In: Tages-Anzeiger. 22. Januar 2024, abgerufen am 28. Januar 2024.