Benutzer:ClownFrancesco/Spielwiese

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Das Erste Wiener Lesetheater und Zweite Stegreiftheater ist ein literarischer Verein, der es sich zur Aufgabe gestellt hat, neben bekannten Autorinnen und Autoren vergessene und selten aufgeführte Literatur zu präsentieren. Es verfügt über keinen fixen Leseort, sondern versucht, durch wechselnde Aufführungsorte bei freiem Eintritt einen niederschwelligen Zugang zu Literatur zu ermöglichen. Das Prinzip des Lesetheaters ist die Möglichkeit der Partizipation, es besteht nicht aus einem festen Ensemble, sondern ist offen für die Mitwirkung möglichst vieler literaturinteressierter Menschen. Der Begriff ist abzugrenzen von den Lesebühnen, bei denen eine feste Gruppe von Autorinnen und Autoren neue eigene Texte vorträgt.

Begriffsdefinition

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Der Begriff „Lesetheater“ findet sich nicht in germanistischen oder theaterwissenschaftlichen Nachschlagewerken. Unter Lesetheater versteht man, weitgefasst, den Vortrag von dramatischen und anderen Texten vor Publikum. Dabei ist der Übergang von der Lesung zur szenischen Lesung und dramatischen Darstellung fließend. Das Lesetheater konzentriert die Zuhörer aufs Wort, verzichtet in der Regel auf Kulisse, Requisite und Kostüme. In manchen Leseaufführungen (Rolf Schwendter) wird Musik eingesetzt.

Lesetheater versteht sich als Vortrag von Texten verschiedener Art. Nicht nur Theaterstücke werden gelesen, sondern auch Lyrik, Prosa, Hörspiele, Briefe, Collagen, Texte zu Themenschwerpunkten wie Frieden, zum internationalen "Bloomsday" oder zu literarischen Jahrestagen.

Das Erste Wiener Lesetheater und Zweite Stegreiftheater wurde 1990 von Manfred Chobot, Brigitte Gutenbrunner, Evelyn Holloway, Ottwald John, Hansjörg Liebscher, Günther Nenning und Rolf Schwendter gegründet.

Direkte Vorläufer sind die Informelle Gruppe Wien (1959 – 1971), sowie das Offene Wohnzimmer Kassel (seit 1982). Rolf Schwendter schreibt in seiner Monographie „Lesetheater“:

„Eine mühsame Tätigkeit, strukturell der Goldwäscherei vergleichbar, aus tausenden Seiten Theatergeschichte einige Sätze (oder auch Goldkörner) herauszufinden, die sich, und sei es noch so sehr am Rande, mit Lesetheater beschäftigen, oder doch mindestens mit einigen Aspekten der Vorbedingungen oder Nachbarschaften zu dieser.“ [1]

Schwendter hält es jedoch für wahrscheinlich, dass die ersten Leseaufführungen schon in der Antike im Umfeld des Philosophen Seneca stattgefunden haben. Weiteres wären Lesungen von klassischen Stücken in den Schulen und Klöstern des Mittelalters zu nennen. Viele Stücke waren als Lesedrama konzipiert. Im modernen Sinne sind die Lesungen in den Literarischen Salons des Wiener Biedermeier zu nennen, bei denen ein Zusammenwirken von Berufsschauspielern und Laien gegeben war wie beim Ersten Wiener Lesetheater. Häufig dienten szenische Lesungen auch der Voraufführung von Stücken im kleinen Kreis oder der Umgehung der Zensur in der Ära Metternich.[2] Auch im Umkreis des Dadaismuskam es zu Leseaufführungen [3] Als Vorläufer können außerdem die Rezitationsabende von Karl Kraus gelten, der in 700 Vorlesungen ganze Stücke von Shakespeare, Johann Nestroy, Ferdinand Raimund und Jacques Offenbach las, sowie die Leseabende von Helmut Qualtinger, der Stücke von Nestroy und „Die letzten Tage der Menschheit“ von Kraus, in denen er ebenfalls alle Rollen las, verkörperte. Szenische Lesungen durch Berufsschauspieler finden häufig statt. Stellvertretend seien Nicole Haase [4] und Bern Kebelmann [5] genannt. Seit Anfang der Neunziger Jahre haben sich in mehreren deutschen Städten wie Bremen und Hamburg Lesetheater etabliert [6], die jedoch nicht die Regelmäßigkeit und Häufigkeit des Wiener Lesetheaters aufweisen. Weiters existiert Lesetheater im universitären Kontext und vermehrt als Leseaktivität im schulischen Bereich, z. B. die Arbeit von Irene Brückler oder das Erste Berliner Lesetheater für Kinder.[7]

Organisationsstruktur

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Die laufenden organisatorischen Belange des Wiener Lesetheaters werden vom „Dreiergremium“ besorgt, das dzt. aus Rolf Schwendter, Eva Fillip und Susanna Schwarz-Aschner besteht. Der „Beirat“ besteht aus jenen Personen, die mehr als 2 Leseabende „verantwortet“ (organisiert) oder mehr als 40 mal mitgelesen haben.

Das Erste Wiener Lesetheater ist ein Verein, der auf aktive Teilnahme und auf größtmögliche Dezentralisierung der Aufgaben setzt. Jeder Abend wird von einem/einer Verantwortlichen organisiert, der die Textauswahl vornimmt, die Besetzung festlegt, einen Leseort auswählt, den Abend vor Ort betreut und die allfälligen Gagen auszahlt und Spenden abrechnet. Das Programm entsteht durch Vorschläge von Aktivisten. Jede/r kann Autoren oder Themenabende vorschlagen. Die Vorschläge werden einmal im Jahr gesammelt und zur Abstimmung an den künstlerischen Beirat ausgeschickt, der eine Reihung vornimmt. Die Projekte mit den meisten Punkten werden dann für das kommende Jahr zur Subvention eingereicht. Darüber hinaus können Projekte unentgeltlich durchgeführt und über den Lesetheaterverteiler „LESEZEICHEN“ angekündigt werden.

Innerhalb des Ersten Wiener Lesetheaters gibt es zwei Richtungen: "spontane Leseaufführungen" ohne Proben, bei denen die Mitwirkenden mit dem Text erst am Abend der Lesung zusammentreffen und eine „Probengruppe“ um Ilse Maria Aschner und Kurt Raubal, die zwei oder mehrere Leseproben vor der Aufführung abhalten. Meist findet nur eine Leseaufführung statt, einzelne Abend wurden mehrmals wiederholt. Das Lesetheater arbeitet oft mit anderen Kultureinrichtungen zusammen wie dem Institut Francais und der Grazer Autorenversammlung.

Durch die Vielfältigkeit der Interessen der Programme Vorschlagenden (Verantwortlichen) ist das Programm sehr breit gefächert. Das Programm des Ersten Wiener Lesetheaters umfasst die Lesung von in Wien selten oder schon länger nicht gespielten Theatertexten bekannter und vergessener Autoren. Besonderer Schwerpunkt ist dabei die „Aufführung“ antifaschistischer Literatur und Exilliteratur. Am öftesten gelesen wurden Texte von Bert Brecht, Nestroy, Theodor Kramer, Qualtinger, Joe Berger, H.C. Artmann. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Lesung von Frauenliteratur, es gibt innerhalb des Lesetheaters eine eigene Frauengruppe. Literarische Collagen zu aktuellen und politischen Themen sind ebenfalls fixer Bestandteil des Programms. “Socials“ sind soziale Ereignisse wie der jährliche „Osterspaziergang“ entlang literarischer Stationen eines jeweils anderen Wiener Bezirks oder das „Gartenlesefest“ im Sommer. In Lesemarathons wurden u.a. Auszüge aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“, James Joyce` "Ulysses" oder die vollständigen "Letzten Tage der Menschheit" gelesen. In der Lesereihe „Blaue Stunde“ wird einmal monatlich Lieblingsliteratur der Lesetheater-Mitglieder zu einem bestimmten Motto gelesen. Einmal im Jahr findet eine „Poet Night“ statt, bei der Autoren, die im Lesetheater aktiv sind, eigene Texte vortragen. Gelegentlich tritt das Lesetheater als „Zweites Wiener Stegreiftheater“ auf.

Mitwirkende und Besucher

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Zwischen 1990 und Juli 2008 haben bisher in 1350 Leseaufführungen mehr als 1500 Lesende mitgewirkt (Stand Juli 2008). Die Teilnehmer bestehen zu je einem Drittel aus AutorInnen, SchauspielerInnen und literaturinteressierten Amateuren. Das Spektrum reicht vom Burgschauspieler Bruno Thost über Gert Jonke bis zu Schülerinnen. Regelmäßig Mitwirkende: Erwin Leder, Andrea Pauli, Christa Kern, Helga Eichler, Manfred Loydolt, Eva Fillipp, Ottwald John, Hanna Held, Franz Hütterer, Ilse Aschner, Richard Weihs, Kurt Raubal, Heinz Granzer, Fritz Steppat, Helmuth Stradal, Helga Golinger, Rolf Schwendter.

Hinzu kamen 50 „Special Guests“, die gelegentlich mitwirkten, wie Josef Haslinger, Josef Hader, Emmy Werner, Wolfgang Bauer, Peter Kreisky, Antonio Fian, Hermes Phettberg Phettberg oder Friederike Mayröcker.

Derzeit veranstaltet das Erste Wiener Lesetheater rund 100 Leseaufführungen im Jahr. Im Juli 2008 wurde der 60.000. Besucher gezählt.

Am häufigsten las das Erste Wiener Lesetheater im Wiener Literaturhaus. Oft wird in einem Wiener Kaffeehaus gelesen, wie dem "Café Prückel", dem "Café Weidinger", dem "Café Siebenstern" oder der "Galerie Heinrich." Hinzu kommen Lesungen in Schulen und Bibliotheken, bei Freiluftveranstaltungen oder im Rahmen der Wiener Bezirksfestwochen. Im Sommer finden jeden Montag Lesungen im Gastgarten des „Weinhaus Sittl“ statt. Gastspiele gab es u.a. in London, Berlin und Kassel.

Eine Subventionskürzung 2006 machte der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny rückgängig und schrieb über das Lesetheater:

"Ich freue mich, dass wir damit einen wichtigen Beitrag zum Bestand dieser für Wien einzigartigen Institution leisten.Diese Form der breiten Literaturpflege und ein sehr demokratischer und offener Zugang zu Theater und Literatur sind absolut förderungswürdig."

Einzelnachweise

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  1. Rolf Schwendter: Lesetheater, S.44
  2. Rolf Schwendter: Lesetheater, S.36 - 38
  3. /Schwendter: Lersetheater, S. 23f
  4. http://www.agentur-undisz.de/programme/nicole_haase.htm
  5. http://www.lesetheater.de/index.php?seite=tabelle1
  6. Schwendter: Lesetheater, S. 67 - 89
  7. http://www.wortschatzberlin.de/lesetheater.html
  • Rolf Schwendter: Lesetheater, Edition die Donau hinunter, Wien 2002, ISBN 3-901233-20-2
  • Rolf Schwendter: Subkulturelles Wien.Die informelle Gruppe, Promedia, Wien 2003, ISBN 3-85371-215-0

Homepage des Ersten Wiener Lesetheaters

Radiointerview mit Rolf Schwendter

Rezension über Schwendters Monographie

Fotos von Leseaufführungen auf der HP von Christa Kern

Kategorie: Literatur

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