Benutzer:Adolf-Loos/Ornament

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„Nun kam eines tages ein unglücklicher und bestellte bei mir die pläne zu einem hause. Es war mein schneider.“ Mit diesem Satz versucht sich der Architekt Adolf Loos in einer seiner Schriften zum Bau des Hauses am Michealer – Platz in Wien zu rechtfertigen, daß er zu dem Bau dieses Hauses fast gezwungen wurde, und dies nicht hätte verhindern können. Loos warnte die beiden Herren (es waren zwei Schneider) vor ihm. Doch diese Warnung war vergebens. Den Herren ging es darum, ihre unbezahlten Rechnungen seitens des amtlich gestempelten Künstlers zu verkürzen und Teile dieser Rechnungen mit seinem „Architektenhonorar“ zu verrechnen. Die Schneider waren die Herren Goldmann & Salatsch und die Pläne waren für das „Loos – Haus“, wie es im Volkmund genannt wird, bestimmt. Dieses Haus, welches Adolf Loos zwischen den Jahren 1909 und 1911 erbaute, war der Auslöser für den vermutlich größten Skandal in der Architekturgeschichte Wiens Anfang des 20. Jahrhunderts. In Sichtweite, aber auch deutlich auf Distanz zur Wiener Hofburg errichtet, besticht das Geschäftshaus der Konfektionsfirma Goldmann & Salatsch (heute beherbergt das Haus die Raiffeisenbank Wien) auf den ersten Blick vor allem durch eines: den totalen Verzicht auf jeden Fassadendekor. Es ist in den oberen vier Stockwerken völlig kahl und ohne Verzierung. Loos hatte durchgezogen, was er im Jahre 1908 in seiner Schrift „Ornament und Verbrechen“ verkündet hatte, einen ehrlichen Bau, der die Scheinarchitektur des Historismus Lügen strafte.

Der Begriff „Ornament“ im Sinne Adolf Loos´

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Der Duden beschreibt das Ornament als aus dem Lateinischem stammenden Ausdruck für Schmuck, Zierde Ausschmückung, welcher zu Verzierungen bzw. als Verzierungsmotiv dient. Man findet Ornamente z. B. als Verzierung auf Stoffen, Bauwerken und Tapeten. Ein Ornament weicht deutlich vom Hintergrundmuster ab und wird häufig farblich oder durch Erhebung abgegrenzt. Bereits in der Steinzeit finden sich Ton-Krüge, die mit Ornamenten verziert sind. Für Loos ist jedoch ein Ornament nicht eine Verzierung, sondern etwas Überflüssiges. Er vergleicht das Wien des 19. Jahrhunderts und seine ornamentierten Häuser mit Potemkinschen Städten, welche seiner Meinung nach die Aufgabe hätten, wie unter Potemkin dem Gatten der russischen Zarin Katherina der Großen eine Einöde in der Ukraine als blühende Landschaft erscheinen zu lassen und somit dem Betrachter zu blenden versucht. Das „Annageln“ von Erweiterungen an die bereits funktional ausreichende Fassade beschreibt er als eine Unterwerfung der Hausherren durch die Hausbewohner, da sonst der Bauherr nicht in der Lage sei, seine Wohnhäuser vermieten zu können. „Der Vermietbarkeit wegen ist der Hausherr gezwungen, diese, und gerade diese Fassade anzunageln.“ Ende des 19. Jahrhunderts wurde es Mode aufgrund historischem Wissens Wohnhäuser mit Zementguß im Stil der Renaissance, des Barocks, der Gotik oder des Rokokos zu verzieren, um somit nach außen den Anschein zu vermitteln, in einem Prachtpalast zu residieren anstatt in einer Mietwohnung wohnen bzw. eine Assimilation zwischen dem wohlhabendem Bürgertum Wiens und des herrschenden Adels herzustellen. Im Kreuzfeuer der Kritik Loos´ stand die Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Ringstraße in Wien. Die als via triumphalis gefeierte Ringstraße sticht durch eine uneinheitliche Architektur hervor, welche das neogotische Rathaus, das Parlament im hellenischem Stil, Museen, Opernhaus, Burgtheater, Teile der Hofburg und herrschaftliche Wohnhäuser abwechselnd miteinander verbindet. Dabei stand primär die Architektur und nicht die Funktion im Vordergrund.


Der Text „Ornament und Verbrechen“ von Adolf Loos (1908)

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Adolf Loos stellt zu Beginn seiner Kritik in Ornament und Verbrechen einen interessanten Vergleich zwischen der Entwicklung des Menschen in der Gesamtheit und der individuellen Entwicklung der einzelnen Kreatur her.

Der menschliche embryo macht im mutterleibe alle entwicklungsphasen des tierreiches durch. Wenn der mensch geboren wird, sind seine sinneseindrücke gleich denen eines neugeborenen hundes. Seine kindheit durchläuft alle wandlungen, die der geschichte der menschheit entsprechen. Mit zwei jahren sieht er wie ein papua, mit vier jahren wie ein germane, mit sechs jahren wie Sokrates, mit acht jahren wie Voltaire.

Adolf Loos reduziert die Entwicklung eines Kindes von der Zeugung bis zum hochkulturellen Dasein auf einen Zeitabschnitt von 8 Jahren. Für Loos ist bereits ein Kind mit acht Jahren in der Lage wie Voltaire seine Umwelt wahrzunehmen und zu beurteilen. Dem Kinde mit acht Jahren wird die Möglichkeit gegeben, andere Phasen durchleben zu können, um dieses Stadium zu erreichen. Im Mutterleib ist es auf geistigen Niveau eines Hundes, mit zwei hat es bereits den primitiven Bereich eines Menschen bzw. Papua erreicht, um mit vier Jahren schon den Horizont eines Germanen beschritten zu haben, damit es mit dem sechsten Jahr schon die Schriften bzw. die Wahrnehmung des griechischen Philosophen Sokrates erlangt haben kann. Die höheren Weihen werden dem Kinde im Alter von acht Jahren verliehen, so daß es nun in dem Stadium der Hochkultur angekommen ist. Loos benutzt diese Metaphern, um die kulturelle Entwicklung der Menschheit bis zur Gegenwart im Vergleich mit gegenwärtigen primitiven Kulturen hervorzuheben, und um zu verdeutlichen, in welcher Entwicklungsphase er sich befindet, wenn dieser sich noch mit Ornamenten abgibt. Für die Rückentwicklung zum geistige Kinde sind Grundbedürfnisse in Verbindung mit einer geistigen phlegmatischen Haltung verantwortlich. Der kultivierte Mensch würde sich nie mit profanen Dingen umgeben, um so sich in den Mittelpunkt einer Gesellschaft zu stellen, sondern wird bedacht mit dem Wissen und seinem Tun im Einklang leben, da er nicht die Notwendigkeit hat, seine niederen Triebe mit materiellen Dingen zu befriedigen, um so unbefriedigten Bedürfnissen nachzukommen. Der erfolgreiche Manager, der jedem Arbeiter und Angestellten aufgrund seines Intellekts überlegen sein müßte, kauft sich trotzdem zur eigenen Darstellung ein großes Auto, eine wertvolle Uhr oder verklebt sein Haus mit aufwendigen Ornamenten, die seitens seiner Umgebung bewundert werden sollen, um so seine privilegierte Position zu unterstreichen. Für Loos ist das Kind von Grund auf amoralisch, da das Kind Wünsche äußert, die eine zielgerichtete Befriedigung seiner Lustbedürfnisse ist. Dem Kind kann diese Amoralität nicht vorgeworfen werden, da der erwachsene Mensch derjenige ist, welcher aus einem amoralischen Kind einen moralischen Erwachsenen formt. Der Erwachsene betrachtet die Handlungen des Kindes als amoralisch, da die Handlungen eines Kindes nicht den aufgestellten Geboten eines Erwachsenen entsprechen, und diese dem Kind erst im Laufe des Heranwachsens mitgegeben werden. Loos war offensichtlich von Tätowierungen fasziniert. Sieht diese aber als eine Kulturform der Urvölker an, die sich aus ihrem Trieb heraus tätowieren müssen. In unserer Kultur jedoch fänden wir die letzten Reste dieses Dranges, sich selbst zu ornamentieren, nur in de Randzonen unserer Gesellschaft, d. h. in Gefängnissen und bei Degenerierten. „Der papua tätowiert seine haut, sein boot, sein ruder, kurz alles, was ihm erreichbar ist.“ Damit steht der Papua nicht auf der gleichen Stufe wie der moderne zivilisierte Mensch mit moralischen Ansprüchen. Aus diesem Grunde darf dieser auch seine Feinde abschlachten, diese verzehren und sich und seine Umgebung tätowieren, ohne dabei zum Verbrecher zu werden. Er nimmt dabei den Papua in Schutz und stellt dessen Handlung so dar, als könne ein Papua nicht anders handeln. Begehe diese Tat ein moderner –abendländischer- moralischer Mensch hingegen, so stellt dies ein Verbrechen da. Ein Mitteleuropäer besitzt genügend Bildung, um seine Triebe zu zügeln und sich rein der Funktionalität unterzuordnen.

Loos schreibt außerdem auch, dass grundsätzlich jede Form der Kunst erotisch ist. Loos stellt das Kreuz als erstes Ornament dar, welches einen erotischen Ursprung hat. Die Horizontale bezeichnet er als das „liegende Weib“ und die Vertikale als „der sie durchdringende Mann“. Die Rede ist davon, daß die Triebkräfte des künstlerischen Schaffens auf einer psychischen Dynamik beruhen, die auf den Sexualtrieb, die Erfüllung des Lustprinzips, zurückzuführen ist. Noch mehr muß verwundern, daß Loos, der erklärte Ornamentgegner, den Drang zum Ornamentieren als den „Uranfang von bildender Kunst“ schlechthin darstellt, womit er sich ein weiteres Mal von damaligen kunsthistorischen Vorstellungen abgrenzt. Das Ornament erscheint Loos in den Stadien seiner frühesten Entstehungen als sinnlicher Ausdruck einer erotischen Symbolik, die er im Kreuz, dem symbolischen Zeichen des Geschlechtsaktes von Mann und Frau, sich herausbilden sieht. Dabei bestätigt Loos den 1930 von Edurad Fuchs´ festgehaltenen Eindruck in den Schriften „Die großen Meister der Erotik“, daß sich die tausendfach […] im scheinbar harmlosen, aber heut noch verwendetem Ornament der Phallus, der Kunus und die Kopulation der beiden verbirgt. Man könne sogar sagen, daß es überhaupt keine einzige Schmuckform gibt, die sich nicht aus diesen Grund- und Hauptmotiven entwickelt hätte.

Die Thematik der Verbannung des Ornaments ist für Loos nicht neu. Er hat Ornamente in einem früheren Text angesprochen und verdammt. So schreibt er bereits 1898 in dem Aufsatz „Das Luxusfuhrwerk“ „Die schönheit nur in der form zu suchen und nicht vom ornament abhängig zu machen, ist das ziel, dem die ganze menschheit zustrebt.“ Ornamente werden von Kulturen bevorzugt, die noch nicht erkannt haben, die Schönheit der reinen Form zu schätzen. Reine, sublime Formen in der Musik und rein praktische Formgebung sind eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts. Doch drohten der Historizismus und der Jugendstil, dieses Gefühl dieser Entwicklung sehr zu trüben, indem sie die Aufmerksamkeit auf ornamentale Oberflächlichkeit lenkten. Loos kam durch einen USA Aufenthalt in den Jahren 1893-1996 mit der Chicago-School in Berührung, die er sehr verehrte. Sein radikales Eintreten gegen das Ornament und für die Dominanz der Zweckmäßigkeit wurzelt aus dieser amerikanischen Erfahrung.

Die Abschaffung des Ornaments stellt aber für Loos nicht nur die Abkehr einer degenerierten Kultur dar, sonder ist auch noch ein starker ökonomischer Aspekt, der dazu führt, daß die Einsparung von Ornamenten den Bau von Gebäuden kostengünstiger gestaltet. Er begründet dies so: Ein ornamentierter Gegenstand würde zu dem gleichem Preis angeboten, wie ein glatter Gegenstand ohne Ornament. Dazu kommt noch, daß das Ornamentieren die Hälfte der Herstellungszeit in Anspruch nähme und so den Stundenlohn des Arbeiters verdoppelte und die Arbeitszeit halbiere. Ein Gegenstand im glatten Zustand könnte so zum gleichen Preis wie eine Ornamentierter angeboten werden, benötige aber nur die Hälfte der Arbeitszeit. Loos selber gibt dazu mit seinen eigenen Schuhen das beste Beispiel. Seine Schuhe sind über und über mit Ornamenten versehen. Er sagt dem Schuster, daß er ihm statt den verlangten 30 Kornen, bereit ist, dem Schuster für seine getane Arbeit sogar 40 Kronen zu bezahlen. Dabei stellt er jedoch folgende Bedingung, daß er die Ausführung seines Schuhes glatt und ohne „Zacken und Löcher“ haben möchte, um so dem Schuster die Arbeitszeit zu verkürzen. Loos, der selbst von sich überzeugt ist, den Schuster mit seinem Wunsch eine Freude zu machen, da er weniger Arbeitszeit benötigt und dafür auch noch mehr Geld bekommt, kann es nicht verstehen, daß er dem Schuster mit einem unverzierten Schuh die ganze Freude genommen zu haben scheint. Ein glatter Schuh ist für Loos praktischer, da er diesen bis zur vollkommen Abnutzung tragen kann, da er dieser Schuh nicht von einer aktuellen Mode abhängig ist und so in seiner Form (er verwendete in diesem Zusammenhang auch die Metapher zwischen der Balltoilette einer Dame und einem Schreibtisch) weiterhin erträglich bliebe.

Der Geschichte würde schon Gerechtigkeit widerfahren. Darauf vertraute Loos und in „Ornament und Verbrechen“ forderte er keine radikalen Eingriffe, die Zeit wird die Veränderung bringen. Seine Zeilen sind prophetisch und nicht revolutionär. Wir bräuchten nur der Zeit in die Augen zu sehen, und sie nicht vergeuden, indem wir das Vergangene beweinten, meinte er: “Da sagte ich, Weinet nicht. Seht, das macht ja die größe unserer zeit aus, daß sie nicht imstande ist, ein neues ornament hervorzubringen. Wir haben das ornament überwunden, wir haben uns zur ornamentlosigkeit durchgerungen. Seht, die Zeit ist nahe, die erfüllungwartet unser.“13 Das Auge für Formen und Ganzheiten zu haben und das Ornament nicht mehr zu betrachten, ist der entscheidende Punkt. Das Ornament habe seine Rolle verloren. Die Ornamentik habe ihre Rolle ausgespielt und sei künstlich, indem sie immer noch vorgebe, die Zeit zu spiegeln, ohne doch in Beziehung zur modernen Wirklichkeit zu stehen. Loos war nicht der beste Architekt des 20. Jahrhunderts. Doch war Loos unter den Architekten des letzten Jahrhunderts aber wohl der einzige (mit Ausnahme von Le Corbusier), der ein bedeutender Schriftsteller gewesen ist. Fraglos war er erklärtermaßen ein Moderner, ein Mann, der für eine bessere und lebensvollere Gesellschaft arbeitete. Seine Gebäude gehören heute zu den Klassikern und sind aus der Architektur nicht mehr wegzudenken. Er besticht durch seine klaren Formen und setzte Akzente in der Auswahl der besten und feinsten Materialien. Und seine beiden Schneider waren sicherlich auch der Grund dafür, daß Loos zu bestangezogenen Männern Wiens gehörte.

Sekundärliteratur

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  • Adolf Loos, Sämtliche Schriften in zwei Bänden, Hg. Franz Glück, Bd. 1, Wien 1962, S. 65, S. 153, S. 155, S. 276 S. 295, S. 307
  • Barbara Borngässer, Wien – Kunst und Architektur, Hg. Rolf Tomann, Wien 1999, S. 314
  • Duden, Das große Fremdwörterbuch, Hg. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, Mannheim 1994, S. 987
  • Michael Müller, Die Verdrängung des Ornaments, 1977, S. 121, S. 123
  • Josef Rykwart, Ornament ist kein Verbrechen, 1983, S. 107, S. 112
  • Anders Munch, Der stillose Stil – Adolf Loos, 1999, S. 113, S. 116