Umgekehrte Perspektive

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Umgekehrte Perspektive: Man sieht die linke und rechte Seitenansicht des Quaders.
Umgekehrte Perspektive: Beide Seitenansichten des kubischen Sockels unter dem Jesuskind sind sichtbar. Geburt Christi, Detail eines spanischen Altarbildes, 1396.
Umgekehrte Perspektive bei Fußbank und Kommode. Evangelist Matthäus, byzantinische Malerei, 1063.

Die umgekehrte Perspektive (auch byzantinische Perspektive, divergierende Perspektive, inverse Perspektive, Umkehrperspektive, verkehrte Perspektive; englisch: reverse perspective) ist eine Darstellungsweise, bei der die am weitesten entfernten – oben auf dem Bild befindlichen – Gegenstände und Linien größer wiedergegeben sind als die unteren, näheren. In der Realität parallele Linien laufen zum Hintergrund hin auseinander, das heißt, sie divergieren.[1] Die Darstellung orientiert sich nicht am Blickwinkel der Betrachtenden, sondern am Blickwinkel der im Bild dargestellten Personen.[2]

Fluchtpunkt-Perspektive: Bei den Quadern ist keine oder nur eine Seitenansicht zu sehen.

Bei der wirklichkeitsgetreuen Abbildung mit Fluchtpunktperspektive laufen die Tiefenlinien in einem Fluchtpunkt im Bildhintergrund zusammen (konvergierende Perspektive). Dabei verbirgt die Vorderseite des Gegenstandes eine Seitenfläche oder beide Seitenflächen. Bei der umgekehrten Perspektive hingegen laufen die Tiefenlinien zum Bildhintergrund hin auseinander (divergierende Perspektive), und der Fluchtpunkt liegt vor der Bildebene im realen Raum der Betrachtenden. Der Vorteil dieser Darstellung liegt darin, dass beide Seitenansichten gleichzeitig zu sehen sind.[3] Die genauen Gründe für die umgekehrte Perspektive werden in der Kunstwissenschaft immer noch diskutiert.[4]

Die umgekehrte Perspektive mit auseinanderlaufenden oder divergierenden Formen entstand als anschauliches, elementares Mittel der Raumdarstellung lange bevor die Fluchtpunktperspektive erdacht wurde.[5]

Günther Zainer: Kartenspiel, mittelalterliche Handschrift, 1472.

Verwendung in der Kunst

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Angewandt wurde die umgekehrte Perspektive in der byzantinischen Malerei und der mittelalterlichen Buchmalerei. In der Renaissance verschwand sie aus der Malerei zugunsten einer wirklichkeitsgetreuen Abbildung. Erst als sich die Kunst von der Verwendung der realistischen Perspektive freigemacht hatte, wurde die umgekehrte Perspektive von modernen Künstlern wieder aufgegriffen. Beispiele finden sich im Kubismus und in Werken Pablo Picassos[6] oder David Hockneys.

Einzelnachweise

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  1. Rudolf Broby-Johansen: Kunst- und Stilfibel. Stichwort: umgekehrte Perspektive. Gondrom Verlag, München 1983, ISBN 3-8112-0347-9, S. 336.
  2. Peter Ablinger: Umgekehrte Perspektive. 18. September 2024, abgerufen am 27. September 2024 (deutsch).
  3. Rudolf Arnheim: Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges. Neufassung. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1978, ISBN 3-11-006682-3, S. 259.
  4. Clemena Antonova: On the Problem of “Reverse Perspective”: Definitions East and West (Zum Problem der „umgekehrten Perspektive“: Definitionen Ost und West). In: Leonardo (Zeitschrift), Vol. 43, No. 5, S. 464–469. The MIT Press, Cambridge, 2010, abgerufen am 28. September 2024 (englisch).
  5. Rudolf Arnheim: Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges. Neufassung. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1978, ISBN 3-11-006682-3, S. 259.
  6. Rudolf Arnheim: Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges. Neufassung. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1978, ISBN 3-11-006682-3, S. 259 und 260.