Institution

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Institution (lat. institutio, „Einrichtung, Erziehung, Anleitung“) ist in der Soziologie eine mit Handlungsrechten, Handlungspflichten oder normativer Geltung belegte soziale Wirklichkeit, durch die Gruppen und Gemeinschaften nach innen und nach außen hin verbindlich (geltend) wirken oder handeln.

Umgangssprachlich wird unter einer Institution auch eine Organisation verstanden.

Näheres

Zur Begriffsgeschichte

Die Betrachtung politischer Institutionen geht mindestens auf Jean-Jacques Rousseau zurück. Die frühen politischen Theorien sahen politische Institutionen jedoch lediglich als Arenen in denen politische Handlungen stattfinden, die jedoch von fundamentaleren Kräften bestimmt wurden. In der vergleichenden Regierungslehre befasste man sich mit der institutionellen Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung, insbesondere der westlichen Welt. Es ging also um formale Institutionen.

In ihrem wissenssoziologischen Klassiker Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (1966) legten Peter L. Berger und Thomas Luckmann eine einflussreiche, aber auch weit gefasste Definition des Institutionsbegriffs vor, der Institutionen als Sedimentierungen dynamischer sozialer Prozesse erachtet: „Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution“.[1]

Seit Mitte der 1970er Jahren begann sich ein neuer Institutionalismus zu entwickeln. Hierbei handelte es sich um eine Gegenbewegung zu herkömmlichen behavioristischen Theorieansätzen und zur Theorie der rationalen Entscheidung, die weitgehend als institutionenblind anzusehen sind. Im Neo-Institutionalismus werden, in Abgrenzung zum klassischen Institutionalismus, neben den formalen Institutionen auch nicht-formale betrachtet. Wie weit im Einzelnen der Begriff „Institution“ zu fassen ist, bleibt strittig. Wirtschaftswissenschaftlich inspirierte Wissenschaftler definieren den Begriff enger als soziologisch inspirierte Wissenschaftler, die auch kognitive Regeln des menschlichen Handelns als Institution begreifen.

Als kleinster gemeinsamer Nenner kann gelten, dass eine Institution ein Regelsystem ist, das eine bestimmte soziale Ordnung hervorruft.

Abgrenzung zum Organisationsbegriff

Der Begriff wird in der Volkswirtschaftslehre für die Erklärung der Bildung von Unternehmen und Unternehmensgrenzen verwendet – oft aus Unzufriedenheit mit dem dort (und in der Betriebswirtschaftslehre) vielfach entfalteten Organisationsbegriff. Organisationen sind Gruppen von Personen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Das Merkmal "Organisation" ist die formell festgelegte Mitgliedschaft; jedes Mitglied hat sich den spezifischen Regeln der Organisation zu unterwerfen - oder die stets vorhandene exit-Option zu wählen. Institutionen sind hingegen Regeln, die für eine ganze Gesellschaft gelten: Es ist, anders als bei ökonomischen und politischen Organisationen (Unternehmen, Parteien), nicht vorgesehen, dass ein Mitglied aus irgendwelchen Gründen (Profit, politische Opportunität) ausgeschlossen wird. Alle sollen denselben sozialen Regeln folgen.

Die Neue Institutionenökonomik als ein Paradigma der Volkswirtschaftslehre versteht unter Institutionen hingegen eine der Reduzierung von Unsicherheiten dienende Regel. Institutionelle Regeln beschränken einerseits die Möglichkeiten menschlichen Handelns und gestaltet damit die Anreize im Austausch von Gütern; andererseits ermöglichen soziale Regeln bestimmte - zivilisierte: hier Tauschgeschäfte - Verhaltensweisen, indem sie andere - zuerst: gewalttätige: hier Raub, Diebstahl - verbieten.

Die Institution ist ein System miteinander verknüpfter, formgebundener (formaler, d.h gesetzlich fixierter, also staatlich sanktionsbewehrter) und formungebundener (informeller, d.h. in der Gesellschaft faktisch akzeptierter) Regeln. Eine Institution hat die Funktion, individuelles - und damit soziales - Verhalten in eine bestimmte Richtung zu steuern. Einige glauben, dass damit die sog. Anreizstruktur einer Gesellschaft gesteuert werde, obwohl kein Steuermann auszumachen ist und obwohl 'Anreize' individualinteressengeleitete Reaktionen suggerieren, die bei den meist kooperativen Regeln - Institutionen - nicht zu beobachten sind. Institutionen sind selbstorganiserende Regelsysteme. Institutionen bringen Ordnung in alltägliche Handlungen und vermindern damit die Unsicherheit von Individuen darüber, was andere Individuen wohl in bestimmten Situationen tun werden.

Der Brockhaus definiert die Institution als eine „gesellschaftliche, staatliche oder kirchliche Einrichtung, in der bestimmte Aufgaben, meist in gesetzlich geregelter Form, wahrgenommen werden.[2] Diese Definition ist veraltet und entspricht insbesondere nicht der heutigen Unterscheidung von Institution und Organisation.

Die jüngere Soziologie vermied es, komplexe Sachverhalte wie Familie oder Bundestag als „Institution“ zu bezeichnen, da sie sowohl Aspekte der Institution als auch der Organisation umfassen und organisationssoziologisch weniger Grundlagenprobleme aufzuwerfen scheinen. (Die Institution der Ehe ist derart genommen eine Organisation, deren Mitglieder die jeweilige Ehefrau und der jeweilige Ehemann sind.) Jedoch hat z. B. 2003 Michael Wildt den Begriff der Institution wieder fruchtbar aufgenommen, um das Reichssicherheitshauptamt in der Zeit des Nationalsozialismus zu erklären.

Beispiele

Beispiele für Institutionen sind jegliche Regeln und Normen, Verfassung, Kartellrecht, Strafrecht, Verträge (allgemein), StVO, DIN-/ISO Norm, Unternehmensleitsätze, Landessprache, Benimmregeln, Sitten und Bräuche.

Auf die oft mit parallelen sozialen Prozessen befasste soziologische Debatte zum Ritual ist zu verweisen.

Der Soziologe Horst Reimann sah als wesentliches Unterscheidungskriterium an, dass Institutionen auf das menschliche Verhalten, insbesondere Verhaltensänderungen, abzielen. Demnach ist z. B. die Ehe eine Institution, ein beliebiges Wirtschaftsunternehmen nicht. Die Kirche hingegen ist Institution und hat als solche auch eine komplexe Organisation.

Ziele

Institutionen leiten das Handeln von Menschen, beschränken die Willkür (den Kürwillen) des individuellen Handelns, definieren den gemeinsamen Handlungsrahmen und mit ihm verbundene Verpflichtungen. Zu diesem Regelsatz bilden sich zugehörige Legitimierungsstrategien und Sanktionsmechanismen heraus. Damit üben Institutionen eine entlastende Funktion aus, indem sie eine kollektiv organisierte Bedürfnisbefriedigung sicherstellen und den einzelnen von elementaren Vollzügen freisetzen. Andererseits schützen sie die Gesellschaft vor individuell willkürlichen und chaotisch gegeneinander laufenden Handlungen und überführen sie in gesellschaftlich wohlgeordnete Abläufe.

Nach dem philosophischen Anthropologen Gehlen ersetzen Institutionen dem Menschen, was dem Tier als Instinkt verfügbar ist; Dieter Claessens hat dies biosoziologisch kritisiert und differenziert (Konzept der „Instinktstümpfe“). Sie sind nach Gehlen notwendigerweise undurchschaubar und entfremdet, bieten aber damit die Möglichkeit für eine höhere Freiheit des Handelns.

Institutionen regeln für das Individuum und die Gesellschaft elementare Bereiche wie Reproduktion, Familie (Verwandtschaft), Erziehung, Bildung und Ausbildung, Nahrungsbeschaffung, Warenproduktion und Verteilung (Wirtschaft) und die Aufrechterhaltung einer gesellschaftlichen Ordnung (Recht, Politik) sowie der Kultur (siehe Bernhard Schäfers 1995, S. 134–137). Sie sind „bewährte Problemlösungen“ für den Alltag, welche man sich auch als Komplex von Handlungs- und Beziehungsmustern vorstellen kann. Institutionen können ihr Abbild in Organisationen finden, sind aber davon deutlich zu unterscheiden. Während Institutionen handlungsleitende Regeln zur Verfügung stellen, definieren Organisationen formell Ziele, Mitgliedschaft und Organisationsabläufe.

Wichtig ist hierbei, dass Institutionen beachtet sein müssen, um ihre Wirkung zu entfalten.

Hierarchie

Institutionen werden häufig in eine hierarchische Ordnung nach dem Grad der Einschränkung von Gestaltungsfreiräumen gebracht. Je weiter unten die Ebene, desto spezifischer ist die zugehörige Institution.

Die erste Ebene stellt hierbei die soziale Verankerung dar. In dieser Ebene sind insbesondere informelle Institutionen wie Tradition, Weltanschauung und Kultur von Bedeutung. Die Institutionen dieser Ebene entwickeln sich nur sehr langsam über eine evolutionäre Veränderung. Die theoretische Basis wird durch die Soziologie gegeben.

Die zweite Ebene wird durch grundsätzliche formelle Spielregeln dargestellt, etwa eine Verfassung und Regeln des Rechts. Die theoretische Basis wird durch die Theorie der Verfügungsrechte gegeben.

Die dritte Ebene ist das Steuerungs- und Anreizsystem. Grundlage sind private Verträge. Die theoretische Basis wird durch die Transaktionskostenökonomik gegeben.

Die vierte Ebene betrifft schließlich die Ressourcenallokation. Die theoretische Basis wird durch die Prinzipal-Agent-Theorie gegeben.

Risiken und Chancen durch Institutionen

Totale Institutionen wie Gefängnisse, Psychiatrische Anstalten, Schiffsbesatzungen, Klöster oder Internate kontrollieren alle Lebensäußerungen ihrer Mitglieder, können also den Freiraum des Individuums überaus stark einschränken und soziale Entwicklungen verhindern.

Auf der anderen Seite bergen Prozesse der Deinstitutionalisierung, z. B. in gesellschaftlichen Wandlungsphasen, Risiken des Rückfalls in riskantes, rücksichtsloses und nur auf Durchsetzung der Eigenwünsche bedachtes Verhalten.

Das Institutionsvertrauen ist ein Gradmesser für die Stabilität eines politischen Systems.

Wirkungsmechanismus

Institutionen entfalten ihre Wirkung über Anreize, hierbei insbesondere inhaltliche Vorgaben und Sanktionen.

Auf diese Weise lassen sich Erwartungen, Entscheidungen und Handlungen der Individuen beeinflussen. Letztlich hat dies Einfluss auf kollektive, also etwa gesamtwirtschaftliche, Ergebnisse.

Literatur

  • Hartmut Esser: Soziologie. Spezielle Grundlagen. Band 5: Institutionen. Frankfurt am Main/New York: Campus 2000.
  • Arnold Gehlen: Der Mensch. Wiesbaden: UTB 1995.
  • Arnold Gehlen: Über die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung. Gesamtausgabe Bd. 4, Frankfurt am Main 1983.
  • Erving Goffman: Asyle. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972. (Zu totalen Institutionen)
  • Birgit Jooss: Kunstinstitutionen. Zur Entstehung und Etablierung des modernen Kunstbetriebs. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Vom Biedermeier zum Impressionismus. Hgg. von Hubertus Kohle, München/Berlin/London/New York 2008, S. 188-211.
  • Bernhard Schäfers (Hg.): Grundbegriffe der Soziologie. 8. überarb. Auflage, Opladen 2003.
  • Mary Douglas: How Institutions Think. London, 1987 (dt.: Wie Institutionen denken. Frankfurt am Main, 1991)
  • o.V.: Institution. in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 10, 1989, S. 544.
  • Stefan Voigt: Institutionenökonomik. 2. Auflage, Fink, München 2009, ISBN 978-3-8252-2339-7.
  • Peter L. Berger, Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, 21. Auflage: Juni 2007, Fischer Taschenbuch Verlag.
  • Stefan Nowotny / Gerald Raunig: Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik. Wien: Turia + Kant 2008. ISBN 978-3-85132-513-3

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Peter L. Berger, Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 2007/1966, S. 58.
  2. Brockhaus Enzyklopädie Bd. 10 1989, S. 544.
Wiktionary: Institution – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen