Dickbauchtänzer

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Dickbauchtänzer waren ein Bestandteil der Unterhaltung bei griechischen Symposien. Sie sind nicht literarisch überliefert, sondern nur über Darstellungen in der griechischen Vasenmalerei des schwarzfigurigen Stils vom letzten Viertel des 7. Jahrhunderts v. Chr. bis zum Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. bekannt.

Tanz und Unterhaltung beim Symposion

Wie andere kulturelle Werte unterlagen auch solche Unterhaltungen einem stetigen Mode- und Bedeutungswandel. In den Werken Homers werden Gelage oft als ausgelassene Feste geschildert, zu denen auch eben solche ausgelassenen Tänze gehörten. Für Kleisthenes von Sikyon wird für das 572 v. Chr. indes überliefert, dass er bei einem Gelage für Freier um seine Tochter Agariste vom wilden Tanz des Athener Bewerbers um die Hand seiner Tochter, Hippokleides, so abgeschreckt war, dass er für eine Hochzeit danach nicht mehr in Frage kam. Anders als seine Konkurrenten tanze einzig Hippokleides so wild und sein akrobatisches Geschick unter Beweis stellend in „attischer und lakonischer Weise“, dass er den zu der Zeit nun weitestgehend allgemein geltenden griechischen Norm der aristokratischen Selbstbeherrschung nicht mehr entsprach.[1] Vor diesem Hintergrund bieten die Dickbauchtänzer ein oft diskutiertes Interpretationsproblem für die Klassischen Archäologen.

Darstellungen

Dickbauchtänzer tauchen erstmals in der korinthischen Vasenmalerei im letzten Viertel des 7. Jahrhunderts v. Chr. auf, wo sie bis zum Ende der Hochzeit der korinthischen Vasenproduktion zur Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. ein immer wieder dargestelltes Thema bei Darstellungen des Symposions blieben. Ab dem frühen 7. Jahrhundert werden Dickbauchtänzer in Korinth als plastische Tonfiguren gefertigt, seit etwa 600 v. Chr. auch als figürliche Aryballoi. auch Etwa gegen 580 v. Chr. wurde das Sujet auch in die attische, böotische und lakonische Vasenmalerei übernommen, nach Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. auch in die ostgriechische Vasenmalerei. Die Dickbauchtänzer werden sogar in der etruskischen Keramik übernommen, sogar in Relief-Ausführung in Bucchero-Vasen[2]. Der weitaus größte Teil mit den Darstellungen von Dickbauchtänzern stammt jedoch aus der früh- und mittelkorinthischen Zeit. Trotz einzelner Darstellungen konnte sich das Motiv des Dickbauchtänzers in Athen nicht in der Vasenmalerei durchsetzen, ab 570/60 v. Chr. kommt er gar nicht mehr vor, nun werden nur noch geordnete Tänze gezeigt.

Die Tänzer werden mit einem dicken Bauch und einem dicken Gesäß gezeigt und entsprechen mit dieser Deformation nicht dem antiken griechischen Schönheitsideal. Ähnlich wie bei den Phlyaken Unteritaliens werden diese Effekte anhand von Kissen oder ähnlichen Hilfsmitteln geschaffen, die unter die Kleidung gesteckt wurden. Die Arme sind oft überproportional lang und werden vom Körper weg gestreckt oder angewinkelt, als würde mit ihnen wild herum gefuchtelt werden. Offenbar sollten Verkrüppelungen imitiert werden. Auf dem Außenbild einer Schale[3] stehen sich zwei Dickbauchtänzer gegenüber und sind in die Hocke gegangen. Man kann anhand solcher Darstellungen davon ausgehen, dass die Tänzer sich nach einem bestimmten Schema bewegten. Die mächtigen Körper bilden einen auffallenden Kontrast zu den zum teil recht lasziven Bewegungen.

Mehrere Gefäße zeigen neben dem Reigen beziehungsweise den Tanz der Dickbauchtänzer auch Mädchenreigen[4], ein Alabastron auf gegenüberliegenden Seiten einen Dickbauchtänzer und Artemis[5]. Auf einem mittelkorinthischen Exaleiptron sind Dickbauchtänzer mit Sphingen zu sehen[6], auf einem Mastos eine als Statue zu deutende Spinx zwischen zwei Dickbauchtänzern[7]. Auf einer lakonischen Schale sieht man neben einem Kitharöde, einem durch Trinkhorn gekennzeichneten Zecher und einem Dickbauchtänzer auch einen Opfernden mit einer Phiale[8], auf einer weiteren fragmentierten lakonischen Schale ebenerdig auf einer Decke gelagerte Zecher und Dickbauchtänzer sowie einen Altar[9]. Die so oft gezeigte Verbindung von Dickbauchtänzern, Opfern und Heiligtümern legt nahe, dass die Tänzer auch eine bestimmte rituelle Bedeutung hatten. Die Darstellung mit Mädchenreigen, dass hier festliche rituelle Handlungen nacheinander vollzogen wurden, bei denen zunächst auch noch Frauen anwesend waren, die ausschweifenden Trinkgelage dann aber ohne sie abgehalten wurden. Somit lassen sich Bestandteile – Mädchenreigen, Prozession von Männern, Frauen und Jünglingen, eine Opferhandlung und das Trinkgelage – aber keine zeitliche Abfolge rekonstruieren.

Interpretationen

Die Dickbauchtänzer wurden schon verschiedentlich interpretiert und keine der Deutungen ist unumstritten geblieben. Georg Loeschcke bezeichnete die Dickbauchtänzer 1886 in einem Aufsatz als „urhellenische, menschengestaltige Kobolde“ und bringt sie somit in dämonische Sphären. Sie stehen, selbst von Menschen nachgeahmt, für Fruchtbarkeit und reiche Ernten. Von Cornelia Isler-Kerényi gibt es den Vorschlag, in ihnen eine dionysische Gegenwelt zu sehen, die dem aristokratischen Ideal mit ihrer Ausgelassenheit entgegen steht. Bert Kaeser sieht in ihnen adelige Symposiasten, die ihre adeligen Normen und Verhaltensweisen im Rahmen des Symposions spielerisch ins Gegenteil verkehren und wird dabei unter anderem von Alfred Schäfer unterstützt. Für Burkhard Fehr handelt es sich um ungeladene Bettler, die die Symposiasten mit ihren Darbietungen erheitern, Matthias Steinhart interpretiert sie als professionelle Unterhaltungskünstler.

Die oft reich verzierte Kleidung, die auch denen der dargestellter Zechern entspricht, unterstützt die Vermutung Kaesers und Schäfers, dass es sich hierbei um gleichrangige Personen handelt. Auch der Vergleich mit Szenen die Handwerker (Banausen) derselben Zeit zeigen, macht deutlich, dass die Dargestellten mit ihrem fülligen Haar und den zumeist schön gestalteten Gesichtern dem aristokratischen Ideal entsprachen und nicht Alter, Arbeit und Verlebtheit zeigten. Auch werden sie anders als Handwerker nicht üblicherweise, sondern nur manchmal nackt gezeigt. Andere Aspekte der Darstellung widersprechen jedoch dem Ideal, so die übermäßige Körperfülle, die heraus gestreckten Gesäße mit unter auch Nacktheit und akrobatische sowie sexualisierte Handlungen.[10] Mit dieser Kostümierung wird also dieses aus aristokratischer Sich nicht standesgemäße Verhalten verspottet, was jedoch nur dann Sinn macht, wenn der Spott sich nicht gegen eine Gruppe von solchen verspotteten Personen handelte. Durch die Kostümierung wird weiterhin Distanz zum sonst nicht üblichen Verhalten gewahrt. Nicht nur die Kostümierung, auch der übermäßige Weinkonsum, Ekstase, hemmungslos ausgelebte Sexualität und auch in Einzelfällen Gewalt kennzeichnen Feste mit der Anwesenheit von Dickbauchtänzern. Auf einem Skyphos[11]

Als sich um etwa 570/60 v. Chr. die Darstellung von gesitteten Tänzen in der attischen Vasenmalerei durchsetzt und die alten wilden Tänze unter anderem der Dickbauchtänzer ersetzt, wird laut der Parischen Marmorchronik durch Susarion in Ikara die Griechische Komödie gestiftet. Deshalb wurde die Vermutung angestellt, dass das Ende der ekstatischen Gelage, der wilden Tänze und komödiantischen Einlagen mit einer Verschiebung dieser Elemente hin zum Theater zu tun hat. Andere Forscher wie Schäfer lehnen diese Interpretation des Dickbauchtanzes als institutionalisierter Vorläufer des Theaters ab, sehen indes sowohl im Dickbauchtanz als auch in der Komödie eine das Ausfüllen ähnlicher Funktionen.

Literatur

  • Georgia Franzius: Tänzer und Tänze in der archaischen Vasenmalerei. Göttingen 1973 (= Dissertation), vor allem S. 19–23.
  • Bert Kaeser: Komos – Tanz der Dickbäuche. In: Klaus Vierneisel und Bert Kaeser (Herausgeber): Kunst der Schale – Kultur des Trinkens. Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München 1990, S. 283–288.
  • Alfred Schäfer: Unterhaltung beim griechischen Symposion. Darbietungen, Spiele und Wettkämpfe von homerischer bis in spätklassische Zeit. Philipp von Zabern, Mainz 1997, ISBN 3-8053-2336-0, vor allem S. 29–38 und 100–101.
  1. Herodot: Historien. 6,126–129
  2. Staatliche Antikensammlungen München, Inventarnummer 1114; etruskische Bucchero-Kanne; um 560 v. Chr.
  3. British Museum, Inventarnummer 1861.4-25.45 (NC 717); korinthisch, um 600 v. Chr.
  4. etwa Antikensammlung Berlin, Inventarnummer 4856; mittelkorinthische Pyxis; 1. Viertel 6. Jahrhundert v. Chr. und Archäologisches Nationalmuseum (Athen), Inventarnummer 536 (CC 571); mittelkorinthische Phiale des Patras-Malers; 1. Viertel 6. Jahrhundert v. Chr.
  5. Louvre, Inventarnummer E 588; korinthisches Alabastron; um 600 v. Chr.
  6. Antikensammlung des Martin von Wagner Museums, Inventarnummer L 118; mittelkorinthisches Exaleiptron; 1. Viertel 6. Jahrhundert v. Chr.
  7. Archäologisches Nationalmuseum Athen, Inventarnummer 625; mittelkorinthischer Mastos; 1. Viertel 6. Jahrhundert v. Chr.
  8. Archäologisches Museum Vathy, Inventarnummer K 2522; lakonische Schale des Reiter-Malers; gefunden im Heraion von Samos; um 565/60 v. Chr.
  9. Archäologisches Museum Vathy, Inventarnummern K 1203 & K 1541, Antikensammlung Berlin 460 X & 478 X, Magazin des Herainons von Samos K 2402; fragmentierte lakonische Schale des Arkesilas-Malers; gefunden im Heraion von Samos; um 570/60 v. Chr.
  10. so bezeichnet Hesiod die Schäfer vom Land in seiner Theogonie (26) unter anderem abfällig als „Bäuche“
  11. Louvre, Inventarnummer CA 3004; korinthischer Skyphos; um 580/570 v. Chr.