Tscharnergut

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Wappen von Bern
Wappen von Bern
Tscharnergut
Gebräuchliches Quartier von Bern
Karte von Tscharnergut
Karte von Tscharnergut
Koordinaten 596062 / 199576Koordinaten: 46° 56′ 50″ N, 7° 23′ 13″ O; CH1903: 596062 / 199576
Höhe 550–562 m
Fläche 0,25091 km²
Einwohner 2633 ( 2019)
Bevölkerungsdichte 10'494 Einwohner/km²
Ausländeranteil 42,1 % ( 2019)
Quartiernummer 611
Postleitzahl 3018, 3027
Statistischer Bezirk Bethlehem
Stadtteil Bümpliz-Oberbottigen
Tscharnergut
Tscharnergut
Daten
Architekt Eduard Helfer, Ernst Indermühle, Walter Kormann, Lienhard & Strasser, Hans Reinhard
Architektin Gret Reinhard
Bauherrin Familienbaugenossenschaft, Promet AG, Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz
Baustil Nachkriegsmoderne
Baujahr 1958–1965

Das Tscharnergut ist ein Quartier der Stadt Bern im statistischen Bezirk Bethlehem des Stadtteils Bümpliz-Oberbottigen. Es gehört zu den 2011 bernweit festgelegten 114 gebräuchlichen Quartieren. Angrenzende Quartiere sind die Bethlehemer Quartiere Brünnen, Holenacker, Ackerli und Blumenfeld. Auf der südlichen Seite der Eisenbahn liegen die Bümplizer Quartiere Fellergut und Stapfenacker[1]

Im Jahr 2019 betrug die Wohnbevölkerung 2633 Personen, davon 1524 Schweizer und 1109 Ausländer.[2]

Bebauung

Das Tscharnergut ist eine in den Jahren 1958 bis 1965 errichtete, aus Reihenhäusern, Mehrfamilienhäusern, Scheibenhäusern und Hochhäusern bestehende Grossüberbauung. Als grösstes Wohnbauprojekt der Schweiz am Ende der 1950er Jahre fand der Bau auch internationale Beachtung.

Baugeschichte und Baubeschreibung

1949 erwarb die Stadt Bern das ehemalige Landgut der Berner Patrizierfamilie von Tscharner. Die mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der 1950er Jahre einhergehende Wohnungsknappheit war der ausschlaggebende Grund, das bisher landwirtschaftlich genutzte Gebiet zu überbauen.[3] 1955 führte die Stadt dafür einen Wettbewerb durch, den die Architekten Lienhard & Strasser (Hans-Rudolf Lienhard, 1925–1974 und Ulyss Strasser, 1924–2016) gewannen. Für die Ausführung wurde eine Architektengemeinschaft gegründet, zu der neben den Wettbewerbssiegern auch die der Familienbaugenossenschaft nahestehenden Hans und Gret Reinhard sowie die mit der Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz in enger Verbindung stehenden Architekten Eduard Helfer (1920–1981), Walter Kormann (1902–1986) und Ernst Indermühle († 1964) gehörten. Die Überbauung Tscharnergut stellt eine Weiterentwicklung der benachbarten, von 1956 bis 1957 errichteten Überbauung Neuhaus von Eduard Helfer dar, wo neben Mehrfamilien- und Reiheneinfamilienhäusern erstmals in Bern auch Hochhäuser realisiert wurden.[4] Mit einer Schule, Kindergärten, Spielplätzen, Läden und Alterswohnungen entsprach das Tscharnergut der insbesondere an der Internationalen Bauausstellung 1957 in Berlin geprägten Idee einer sogenannten Trabantenstadt.[5]

Die Wohngebäude

Im Tscharnergut gibt es fünf zwanziggeschossige Hochhäuser im Norden des Geländes und acht rechtwinklig dazu angeordnete, achtgeschossige Scheibenhäuser. Im Süden wird die Überbauung durch viergeschossige Mehrfamilienhäuser abgeschlossen, dazwischen liegen insgesamt neun Reiheneinfamilienhäuser.

Die Fassaden der Scheibenhäuser sind auf der Erschliessungsseite geprägt von Laubengängen und je zwei angebauten Aufzugs- und Treppenhaustürmen. Die Lifte halten nur auf Zwischenpodesten, die jeweils zwei Geschosse bedienen. Diese Form der Erschliessung wurde gewählt, um die Baukosten und damit die Mieten möglichst gering zu halten und im Innern dank fehlenden Erschliessungskernen mehr Wohnraum zu erhalten.

Die Fassaden der Hochhäuser bestehen aus vorfabrizierten Sandwich-Betonelementen[6] und verleihen den Bauten den Charakter eines Plattenbaus. Dank der Elementbauweise konnte beim Bau auf eine aufwändige Gerüstung verzichtet werden.[4]

Der Aussenraum

Die einzelnen Bauten sind durch grosse Grünflächen miteinander verbunden, die jeweils für einen eigenen Zweck bestimmt waren. So wurde beispielsweise im Westen der Siedlung aus Aushubmaterial ein Schlittelhügel aufgeschüttet, andere Flächen dienen als Liegewiesen oder Ballspielplätze. Obwohl in den Wettbewerbsentwürfen von Lienhard & Strasser noch Erschliessungsstrassen vorgesehen waren, wurde das Tscharnergut während des Planungsprozesses bewusst verkehrsfrei gestaltet, sodass bis heute ausschliesslich ein in der Mitte des Geländes von West nach Ost verlaufender Fussweg die Grünräume untereinander verbindet.[4]

Das Tscharnergut als Denkmalschutzobjekt

Im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS) ist das Tscharnergut als Baugruppe der Kategorie A («Mehrheit der Bauten und Räume mit ursprünglicher Substanz») bezeichnet und mit dem Erhaltungsziel A («Erhalten der Substanz, Abbruchverbot, keine Neubauten, Detailvorschriften für Veränderungen») belegt.[7][8] Die Denkmalpflege der Stadt Bern führt die Hoch- und Scheibenhäuser der Überbauung im Bauinventar als «schützenswerte Objekte von kantonaler Bedeutung», weitere Bauten wie die Mehr- und Einfamilienhäuser oder die Schule sind erhaltens- oder beachtenswert.[3]

Trotz Denkmalsschutz darf ein Wohnblock (Scheibenhochhaus Fellerstrasse 30) im Tscharnergut abgebrochen werden. Eine Renovierung würde zu unzumutbaren Kosten führen, es könne nach einer Sanierung nicht kostendeckend vermietet werden. Der Neubau an gleicher Stelle soll dem abgerissenen Gebäude ähnlich gestaltet werden, aber zeitgemässeren Wohnraum enthalten. Ein vergleichbarer Bautyp Waldmannstrasse 25 wurde saniert, wobei die (zu) hohen Kosten deutlich wurden. Rekurse des Berner Heimatschutzes waren bisher vergeblich.[9][10]

Weitere Einrichtungen

Einkaufsmöglichkeiten und Gastronomieeinrichtungen bestehen in einem Einkaufszentrum an der Riedbachstrasse sowie im Ladenzentrum Tscharnergut. Kindergarten und Kindertreff, die Schule Tscharnergut sowie der «Tierli-Zoo» mit einigen Haustieren gehören zur Infrastruktur.

An der südlich gelegenen Fellerstrasse befindet sich ein Standort der Hochschule der Künste Bern im ehemaligen Gewerbehaus, zwei Gebäude von Bundesbehörden (Bundesamt für Bauten und Logistik sowie der Informatik-Service des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements) sowie ein zentraler Entsorgungshof.

Verkehr

Vom Bahnhof Bümpliz Nord verkehren auf der Bahnstrecke Bern–Neuenburg S-Bahnen nach Bern (Viertelstundentakt) und in Richtung Kerzers (Halbstundentakt) mit Anschluss nach Murten oder Ins bzw. Neuenburg. Die Strassenbahnlinie 8 verkehrt vom Bahnhof Brünnen Westside über das Zentrum von Bern nach Saali. Der Bus 27 verkehrt tangential zwischen Niederwangen und Weyermannshaus Bad. Die Autobahn 1 mit der Ausfahrt Bern-Bethlehem ist einfach zu erreichen.

Literatur

  • Anne-Catherine Schröter, Raphael Sollberger, Dieter Schnell, Michael von Allmen: Siedlungen der Nachkriegszeit in Bümpliz-Bethlehem. Hrsg.: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Nr. 1025. Bern 2018, ISBN 978-3-03797-350-9.
  • Dieter Schnell: Bümpliz – vom Dorf zum Stadtteil. Zur Diskrepanz von Planung und Realität im 20. Jahrhundert. In: Berner Zeitschrift für Geschichte, 2016, Nr. 1, S. 32–50.
  • H. M.: Überbauung Tscharnergut in Bümpliz. In: Schweizerische Bauzeitung, 1957, Nr. 4, S. 56–60.
  • O. A.: Hochhäuser der Überbauung Tscharnergut in Bern mit vorfabrizierten Fassadenelementen. In: Bauen + Wohnen, 1965, Nr. 2, S. 66–71.
  • Quartierinventar Bethlehem 1994, bearbeitet von Gottfried Derendinger und Hans-Peter Ryser. Hrsg.: Denkmalpflege der Stadt Bern, Bern 1995.
Commons: Bern-Tscharnergut – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Interaktiver Stadtplan der Stadt Bern (Auswahl unter «Themen»)
  2. Wohnbevölkerung 2019. (PDF, 4,3 MB) Stadt Bern, März 2020, S. 14, abgerufen am 7. April 2020.
  3. a b Baugruppe Tscharnergut. In: Denkmalpflege der Stadt Bern (Hrsg.): Bauinventar Bern. Bern 2018.
  4. a b c Anne-Catherine Schröter, Raphael Sollberger, Dieter Schnell, Michael von Allmen: Siedlungen der Nachkriegszeit in Bümpliz-Bethlehem. Hrsg.: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Nr. 1025. Bern 2018, ISBN 978-3-03797-350-9, S. 32–35.
  5. RS: Trabantenstadt. In: Lexikon der Geographie. Akademischer Verlag, Heidelberg, 2001, abgerufen am 15. September 2019.
  6. O. A.: Hochhäuser der Überbauung Tscharnergut in Bern mit vorfabrizierten Fassadenelementen. In: Bauen + Wohnen. Nr. 2, 1965, S. 66–71.
  7. Bümpliz-Bethlehem. In: Bundesamt für Kultur (Hrsg.): Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung. Band 3. Bern 2005, S. 24, 38–39.
  8. Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung. Erläuterungen zum ISOS. Bundesamt für Kultur, 21. August 2019, abgerufen am 15. September 2019.
  9. Abbruchbewilligung für Tscharnergut-Wohnblock Anzeiger Region Bern vom 15. Juli 2020
  10. Rahel Marti: Kein Verständnis für Abriss im Tscharnergut Hochparterre vom 6. August 2020