Anaerobe Schwelle

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Laktatleistungskurve eines Laufband-Ergometertests mit individueller anaerober Schwelle.

Die anaerobe Schwelle (ANS), auch als aerob-anaerobe Schwelle oder Laktatschwelle bezeichnet, ist ein Begriff aus der Sportphysiologie und bezeichnet die höchstmögliche Belastungsintensität, welche von einem Sportler gerade noch unter Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtszustandes zwischen Bildung und Abbau von Laktat erbracht werden kann, wenn also der maximale Laktat-Steady-State erreicht wird.[1][2] Die anaerobe Schwelle wird vor allem in Deutschland leistungsdiagnostisch bestimmt und in der Trainingssteuerung eingesetzt, da dem Training mit einer Intensität knapp unterhalb dieses Grenzwertes ein hoher Effekt bei der Entwicklung der Ausdauerleistungsfähigkeit nachgesagt wird.[3] Im amerikanischen Raum werden hingegen eher Methoden der Spirometrie verwendet.

Geschichte

Fahrradergometrie zur Untersuchung des Gasstoffwechsels um 1900 in den USA.
Sportmedizinische Untersuchung am Institut für Leistungsmedizin in Berlin im Jahr 1950.

Bereits 1808 wurde von Jöns Jakob Berzelius die Produktion von Laktat im Muskel festgestellt. Rund ein Jahrhundert später wurde von einer Vielzahl von Wissenschaftlern die Biochemie des Energiestoffwechsels und der Muskelkontraktion im Detail untersucht, was zu einem tieferen Verständnis der Milchsäure (bestehend aus Laktat und Protonen) während sportlicher Belastung führte. Zu dieser Zeit entstand die mittlerweile widerlegte Annahme, dass Laktat ein Stoffwechselendprodukt der Glykolyse sei und mit einer zu geringen Sauerstoffversorgung im Muskel zusammenhängt (Anaerobie). Heute wird jedoch davon ausgegangen, dass die Milchsäuregärung und somit die Laktatproduktion ein Prozess ist, der vom Energieumsatz und nicht von der Verfügbarkeit des Sauerstoffs abhängt. So findet selbst in Ruhe in gewissem Maß eine anaerobe Energiebereitstellung statt.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde von der Arbeitsgruppe rund um Archibald Vivian Hill das Konzept der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) entwickelt und zur Bestimmung der anaeroben Ausdauerleistungsfähigkeit eingesetzt. Somit konnte zum ersten Mal der Leistungszustand von Sportlern auf physiologischer Basis und weitestgehend sportartunabhängig überprüft und verglichen werden. Mit der Zeit kam Kritik an dem Konzept der VO2max auf, da hierfür eine vollständige Ausbelastung notwendig ist, die stark von der individuellen Motivation des Sportlers abhängt. Zum Beispiel ist es schwierig, die Leistungsunterschiede von Probanden eines gleichen Leistungslevels nur anhand der VO2max zu ermitteln. Ein weiteres Problem stellt die hohe körperliche Beanspruchung z. B. bei kranken Patienten dar.

Um ohne maximale Ausbelastung die Ausdauerfähigkeit testen zu können, wurden ab den 1960er Jahren weitere Verfahren entwickelt. Die Arbeitsgruppe von Hollmann legte einen Punkt optimaler ventilatorischer Effizienz fest, der dem ersten Anstieg des ventilatorischen Sauerstoffäquivalents sowie der arteriellen Blutlaktatkonzentration in einem Stufentest entspricht. Einige Jahre später wurde dieser Punkt von Wasserman und McIllroy in einem Plot von Ventilation und Sauerstoffaufnahme als anaerobic threshold (LTAn) (im Deutschen aerobe Schwelle) bezeichnet. Zu dieser Zeit war die Bestimmung des Blutlaktats noch mit einigen Schwierigkeiten behaftet, so dass die Spirometrie häufig zur Bestimmung von LTAn eingesetzt wurde.

In den 1960ern konnte die Laktatkonzentration von Kapillarblut erstmals mit Hilfe der Enzymmethode gemessen werden. Dies führte zu einer zunehmenden Verwendung von Blutlaktat (bLa) als Parameter der Ausdauerleistungsfähigkeit sowie der Arbeitsbelastung. In den folgenden Jahren wurden zahlreiche Laktatschwellenkonzepte entwickelt und eine große Anzahl von Studien zu diesen Schwellen veröffentlicht. Die Vielzahl unterschiedlicher Schwellenkonzepte, die oftmals nur in einem bestimmten Einsatzgebiet reliable Werte lieferten, führte zu einigen Fehlinterpretationen und Verwirrungen.[2]

Definition

Stoffwechselvorgänge und Laktatkonzentration

Kennzeichnend für das Erreichen der anaeroben Schwelle ist die Tatsache, dass der Steady State, also das Fließgleichgewicht zwischen Laktatbildung und -abbau nicht mehr aufrechterhalten werden kann und geringe nachfolgende Leistungssteigerungen zu einem starken Anstieg der Laktatkonzentration in der arbeitenden Zelle, im Blut, in den umgebenden Muskelzellen und im Interstitium führen. Gemessen wird bei Leistungstests die Konzentration im peripheren Blut. Die anaerobe Schwelle hat eine enge Beziehung zum respiratorischen Kompensationspunkt (RCP) und zum pH-Wert-Verlauf.[4]

Hierbei ist zu beachten, dass schon weit vor Erreichen der Schwelle große Mengen von Laktat gebildet werden. Ein Verständnis, wonach an einem bestimmten Punkt die Laktatbildung überhaupt erst in relevanten Mengen einsetzt, war in den 1960er und 1970er Jahren unter Sportmedizinern noch weit verbreitet und gilt heute als vollständig widerlegt (siehe Laktat-Shuttle-Theorie). Des Weiteren wird Laktat heutzutage nicht mehr als leistungsbegrenzender Faktor angesehen, sondern vielmehr andere Prozesse wie z. B. eine Azidose (Übersäuerung) im Muskel durch einen Überschuss von Protonen. Daher ist zumindest aus physiologischen Gesichtspunkten eine reine Beschränkung auf Laktatwerte und Schwellen in der Leistungsdiagnostik fragwürdig.

Die anaerobe Schwelle liegt bei den meisten Menschen in der Nähe einer Laktatkonzentration des peripheren Kapillarblutes (Ohrläppchen oder Fingerbeere) von 4 mmol/l. Dieser Laktatwert wurde daher früher häufig zur Definition der anaeroben Schwelle verwendet. Der Wert von 4 mmol/l kann als Durchschnitt angesehen werden und wurde empirisch aus Atem- und Stoffwechselverhältnissen gefundenen Größen bestimmt.[1] Der Laktatwert an der anaeroben Schwelle kann jedoch individuell sehr stark abweichen, gemessen wurden 2,3–6,8 mmol/l. Deshalb gilt die grundsätzliche Schwellen-Bestimmung nach der „4 mmol/l-Methode“ heutzutage als ungeeignet.

Die Laktatkonzentration in Ruhe liegt bei 1–2 mmol/l, häufig wird ein initialer Abfall der Laktatkonzentration nach Belastungsbeginn beobachtet. Das heißt: Das sogenannte Basislaktat kann einen Wert annehmen, der unter dem Ruhelaktatwert liegt.

Nicht zu verwechseln mit der anaeroben Schwelle ist die aerobe Schwelle bei einer Laktatkonzentration von etwa 2 mmol/l. Bei der aeroben Schwelle handelt es sich um die geringste Belastungsintensität, bei der erstmals ein Anstieg des Laktatwerts gegenüber dem Ruhewert zu messen ist. Diese individuelle aerobe Schwelle wird in der Sportwissenschaft als minimales Laktatäquivalent oder Basislaktat bezeichnet. Bis zu diesem Wert werden vorwiegend Fettsäuren verstoffwechselt. Bei darübergehender Belastung arbeiten die betreffenden Muskelgruppen im aeroben-anaeroben Übergang. Das dabei entstehende Laktat kann relativ schnell und problemlos vom Organismus abtransportiert und abgebaut werden („steady state“). Der Begriff der aeroben Schwelle ist inzwischen umstritten.[5]

Energiebereitstellung

→ Siehe auch: Energiebereitstellung

Je nach Belastungshöhe gewinnt der Körper die umzusetzende Energie aus verschiedenen Quellen. Es werden vier Arten der Energiebereitstellung unterschieden. In Bezug auf die anaerobe Schwelle können drei Situationen unterschieden werden:

  • Bei einer Belastung unterhalb der anaeroben Schwelle läuft die Energiebereitstellung zwar nicht ausschließlich unter Verstoffwechselung von Sauerstoff, also aerob ab, doch erreicht die anaerobe Verstoffwechselung dabei nie ein Maß, das die vorhandene, beim trainierten Sportler besser ausgeprägte, Fähigkeit zum schnellen Laktatabbau übersteigt (vgl. oben). Eine Ausdauerleistung kann hier sehr lange aufrechterhalten werden, z. B. bei einem Marathonlauf.
  • Eine Belastung an der anaeroben Schwelle, das heißt in geringem Maße unter oder oberhalb der Schwelle, ist die höchste Belastung, die langfristig durchgehalten werden kann. Die Glykogen-Reserven sind bei intensiver Dauerbelastung je nach Trainingszustand nach 60 bis 90 Minuten weitgehend erschöpft.
  • Bei einer Belastung oberhalb der anaeroben Schwelle erfolgt die Energiebereitstellung zunehmend anaerob. Die Leistung ist daher nur kurzfristig (wenige Minuten) durchzuhalten. Für die Erbringung der Wettkampfsituation entsprechenden Leistung hat die Fähigkeit, über anaerobe Verstoffwechselung zusätzlich kurzfristig Energie bereitzustellen, dennoch eine hohe Bedeutung (sogenannte Attacken im Radsport oder beim 5.000- und 10.000-Meter-Lauf). Neben der Nutzung der Kreatinphosphatreserven ist die anaerob-laktazide Verstoffwechselung die einzige Möglichkeit, Leistungen zu erbringen, die höher liegen, als die, die der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit pro Zeiteinheit entspricht. Da das angesammelte Laktat später wieder unter erhöhter Sauerstoffzufuhr abgebaut werden muss und Kreatinphosphat wieder aufgebaut wird, ist nach der Belastung noch eine erhöhte Atmung feststellbar (siehe Sauerstoffmehraufnahme nach Arbeitsende).

Bedeutung in der Leistungsdiagnostik

→ Siehe auch: Laktatleistungsdiagnostik

Die anaerobe Schwelle hat in der Laktatleistungsdiagnostik eine große Bedeutung, da dem Training mit einer Intensität knapp unterhalb dieses Grenzwertes ein hoher Effekt bei der Entwicklung der aeroben Leistungsfähigkeit nachgesagt wird.[3]

Die ANS kann zu verschiedenen anderen Leistungsparametern in Beziehung gesetzt werden. In der Trainingspraxis sind dies die Geschwindigkeit (in km/h), die Herzfrequenz oder die Leistung (Watt). Bei sportmedizinischen Untersuchungen kann auch der in Anspruch genommene Prozentsatz der VO2max angegeben werden.[1]

Heute ist es üblich – ausgehend von den im Stufentest ermittelten leistungsdiagnostischen Ergebnissen – die Einteilung der Trainingsbereiche in Prozentsätzen mit Bezug auf die individuelle anaerobe Schwelle (iANS) vorzunehmen. Dabei wird die Belastungsintensität in Intensitätsbereiche gegliedert, die in % der Leistung an der iANS in Watt oder in % der Herzfrequenz an der iANS angegeben werden, beispielsweise „Grundlagenausdauer – 65 bis 75% iANS“ (gemeint ist 65 bis 75 % der Leistung an der iANS).

Bestimmung

Festgestellt wird die Leistung an der (individuellen) anaeroben Schwelle durch einen stufenweisen Belastungstest verbunden mit mehreren Blutproben (Ohr). Durch Aufzeichnung der Kurve ist eine Bestimmung der iANS hier noch exakter möglich. Der starke Anstieg der Laktatleistungskurve signalisiert hier, dass der Organismus den Steady State nicht aufrechterhalten konnte. Eine näherungsweise Bestimmung ist auch unblutig über ein Herzfrequenz/Leistungs-Diagramm möglich: Ab der individuellen anaeroben Schwelle sinkt die Steigung der Herzfrequenz bei zusätzlicher Belastung (Knick in der Kurve). Bekannt ist in diesem Zusammenhang der Conconi-Test.

Zur Feststellung der Laktatschwelle wird die Blutlaktatkonzentration im arteriellen Kapillarblut des Ohrläppchens (ungefähr 20 µl[6]) zum Beispiel mit Hilfe von enzymatischen Verfahren bestimmt. Bei der Durchführung der Tests ist es wichtig, dass nach den entsprechenden Richtlinien vorgegangen wird. Dazu gehört die Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren auf die Konzentration der Stoffwechselgröße Laktat. Dabei ist es vor allem wichtig, dass die intrazellulären Glykogenspeicher gefüllt sind, da sie die Höhe der Laktatkonzentration und die Form der Laktatleistungskurve wesentlich beeinflussen. Bei niedrigen Glykogenvorräten kann zum Beispiel nur wenig Laktat gebildet werden. Damit täuscht die Glykogenarmut im Muskel einen guten Ausdauertrainingseffekt vor. Um also Messergebnisse vergleichbar zu machen und Fehlinterpretationen zu vermeiden, muss vor dem Test auf eine möglichst optimale Glykogenspeicherauffüllung geachtet werden. Auch das Trainingsprogramm vor dem Test sollte bei verschiedenen Durchläufen vergleichbar sein. Des Weiteren sind Faktoren wie Tageszeit, Durchblutung, Schweiß-Laktat oder Urin-Laktat von Bedeutung.[1]

Individuelle anaerobe Schwelle

Vergleich verschiedener Schwellenwertmodelle. Die Werte für die IAS weisen je nach verwendeter Methode große Unterschiede auf und reichen von ca. 2,9 mmol/l bis ca. 4,8 mmol/l.

Die individuelle anaerobe Schwelle (iANS oder IAS[4]) wurde eingeführt, da es je nach Leistungsstand große Unterschiede zu dem festen Schwellenwert von 4 mmol/l geben kann. Die iANS ist als der Punkt der Laktatleistungskurve definiert, an dem die kritische Steigung beginnt.[1]

Ab welcher Leistungsstufe der Organismus die anaerobe Schwelle erreicht beziehungsweise überschreitet, hängt von verschiedenen – trainierbaren – Faktoren ab. Diese sind unter anderem die Dichte und Lage der Mitochondrien in der Zelle, der Kapillarisierungsgrad des Muskels, der Füllungszustand der Glykogenspeicher, die Diffusionskapazität für Sauerstoff durch die Zellmembranen, die Aktivität der Enzyme der Atmungskette und die Sauerstoffbindungs- und Sauerstofftransportkapazität. Längere Ausdauerbelastungen (i.d.R. über 5 min) dürfen nicht zu einer Überschreitung der iANS führen, wenn eine optimale Leistung erreicht werden soll, weil nach Überschreitung der iANS nach kurzer Zeit eine erhebliche Leistungseinbuße zu erwarten ist. Somit haben Menschen, die ihre individuelle anaerobe Schwelle bei einer höheren Leistung erreichen, eine günstigere Ausgangsposition für Ausdauerbelastungen.

Schwellenwertmodelle

Der Begriff Schwellenwertmodelle bezeichnet in der Sportmedizin mathematische Algorithmen, die zur Bestimmung der Langzeitausdauerschwelle (individuelle anaerobe Schwelle, kurz: iANS oder IAS) dienen. Seit den frühen 1970er Jahren werden verschiedene Schwellenwertmodelle diskutiert und erprobt. Allen individuellen Modellen lagen verschiedene Belastungsprotokolle und Probandenmaterial zu Grunde, so dass die Voraussetzungen zur Nutzung der Modelle verschieden sind. Die wichtigsten Modelle sind:[2]

Modell Beschreibung
Winkelmodell (Keul)[7] 51° Tangente zur Laktatkurve
Freiburger Modell (Simon)[8] 45° Tangente zur Laktatkurve
1,5 mmol/l Methode / Netto-Laktatanstieg (Dickhuth)[9][10] 1,5 mmol/l über dem minimalen Laktatäquivalent
Modell nach Stegmann[11] Tangente zur Laktatkurve von dem Punkt, an dem die Erholungskurve den gleichen Laktatwert wie zum Ende des Stufentests aufweist.
Modell nach Geiger-Hille Punkt der maximalen Kurvenkrümmung der Laktatkurve (35° Tangente bei der Leistungseinheit km/h)
Dmax (Cheng)[12] Maximaler Abstand zwischen der Laktatkurve und der Verbindungslinie zwischen den Endpunkten
Dmod (Bishop)[13] Maximaler Abstand zwischen der Laktatkurve und der Linie zwischen dem Punkt des ersten Anstiegs des Laktats und dem Endwert bei Abbruch des Stufentests.
Senkentest (Tegtbur/Griess)[14] Leistung bei minimaler Laktatkonzentration nach hochintensiver Vorbelastung und 8 min Pause gefolgt von einem normalen Stufentest.
Modell nach Berg[15] Berührungspunkt zwischen der Tangente des minimalen Laktatäquivalents und der linearen Funktion der letzten 90 Sekunden des Stufentests.
Modell nach Bunc[16] Berührungspunkt zwischen der exponentiellen Regression der Laktatkurve und dem Sektor der Tangenten von den oberen und unteren Teilen der Laktatkurven.
Modell nach Baldari und Guidetti[17] Der zweite Anstieg des Laktats um mindestens 0,5 mmol/l von dem vorherigen Wert
Lactate turnpoint[18] Die letzte Laufgeschwindigkeit vor einem plötzlichen und dauerhaften Anstieg des Laktats zwischen dem minimalen Laktatäquivalent und dem VO2max
Lactate minimum speed (Senkentest)[19] Minimum des Laktats in einem Stufentest nach einer Belastung mit hoher Intensität.

Kritik an der physiologischen Begründung

In den letzten Jahren gab es eine intensive Debatte um die Terminologie und den physiologischen Hintergrund der Laktatschwellenkonzepte.[20] Frühe Annahmen zur Laktatproduktion- und Verteilung im Organismus wurden hinterfragt (Laktat-Shuttle-Theorie).[2][21] Es wurde ebenfalls kritisiert, dass das Laktat ohne klar sichtbare Schwelle ansteigt und die aerobe beziehungsweise anaerobe Energiebereitstellungen parallel ablaufen und nicht plötzlich umschalten. Der Begriff Schwelle sei daher irreführend.[22][2] Des Weiteren hat die Art des Testprotokolls (Stufendauer und Länge) einen erheblichen Einfluss auf den Kurvenverlauf und muss somit zum Vergleich verschiedener Probanden identisch sein.

Die in den letzten 20 Jahren erfolgte Neubewertung der physiologischen Rolle des Laktats hat Auswirkungen auf die Anwendbarkeit und Validität von laktatbasierten Leistungstests. In ihrer zusammenfassenden Betrachtung der erfolgten Entwicklungen kommen die Autoren zu folgenden Schlussfolgerungen als „Hinweise für die Praxis“:

… Blutlaktatkonzentrationen werden nicht nur durch die Glykolyserate, sondern auch durch die Effizienz des Laktattransports reguliert. …
Trainingsbedingte Veränderungen, aber auch scheinbare Stagnationen der Laktatleistungskurve (Schwellen) im Verlauf eines Trainings müssen daher als Geschehen eines solchen multifaktoriellen Prozesses betrachtet werden. Positive Anpassungen müssen aufgrund der vielen Einflussfaktoren nicht immer im Laktat sichtbar werden und bedeuten nicht zwangsläufig eine Stagnation von Trainingseffekten …
Laktatschwellen im Sinne von speziellen Punkten in der Laktatleistungskurve haben keine höhere Bedeutung für die Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung als andere Punkte der Kurve, d. h. Schwellenkonzepte sind daher zur Trainingssteuerung grundsätzlich zu hinterfragen. …
Beim Vergleich von Schwellen ist äusserste Vorsicht geboten. Hier spielt das verwendete Belastungsprotokoll (z. B. Stufendauer) eine grosse Rolle …
Neben dem verwendeten Belastungsprotokoll sind die Schwellen aber auch unterschiedlich definiert. …
Es scheint, als existiere mehr ein Zeitfenster, in dem die Laktatproduktion die Eliminations/-Verwertungs-Kapazität des Körpers übersteigt, weniger eine spezifische Schwelle. Es scheint daher angebracht, den Ausdruck anaerobe Schwelle durch eine funktionellere Beschreibung zu ersetzen, da weder eine eindeutige Schwelle existiert, noch die Muskulatur zu irgendeinem [vom Autor korrigiert, Original „keinem“] Zeitpunkt komplett anaerob arbeitet. Hinzukommend impliziert der Ausdruck Schwelle eine Art negative Barriere, die vielfach so verstanden wird, dass sie nicht überschritten werden darf. …
In der Leistungsdiagnostik, insbesondere auf hohem Niveau, sollten immer mehrere Parameter erhoben werden (z. B. spirometrische Kenngrössen wie VO2max oder die Zeit bis zur Erschöpfung als critical power oder tlim). …
Laktat ist kein geeigneter Marker, um muskuläre Ermüdung zu diagnostizieren, und ist auch nicht Hauptfaktor von Ermüdungserscheinungen.[5]

Literatur

  • Gernot Badtke (Hrsg.): Lehrbuch der Sportmedizin. Leistungsentwicklung, Anpassung, Belastbarkeit, Schul- und Breitensport (= UTB 8098). 3., neubearbeitete Auflage. Barth, Heidelberg/Leipzig 1995, ISBN 3-8252-8098-5.
  • Hermann Heck: Laktat in der Leistungsdiagnostik (= Wissenschaftliche Schriftenreihe des Deutschen Sportbundes. Bd. 22). Karl Hofmann, Schorndorf 1990, ISBN 3-7780-7681-7 (Zugleich: Köln, Deutsche Sporthochschule, Habilitations-Schrift, 1987).
  • Wildor Hollmann, Theodor Hettinger: Sportmedizin. Arbeits- und Trainingsgrundlagen. 3., durchgesehene Auflage. Schattauer, Stuttgart/New York 1990, ISBN 3-7945-0983-8.
  • Dieter Jeschke, Rudolf Lorenz (Hrsg.): Sportartspezifische Leistungsdiagnostik. Energetische Aspekte (= Berichte und Materialien des Bundesinstituts für Sportwissenschaft. 1998, Bd. 6). Sport und Buch Strauß, Köln 1998, ISBN 3-89001-318-X.
  • Helga Letzelter, Manfred Letzelter: Leistungsdiagnostik. Beispiel Eisschnellauf (= Mainzer Studien zur Sportwissenschaft. Bd. 8). Schors, Niedernhausen/Taunus 1983, ISBN 3-88500-196-9.
  • Georg Neumann, Kuno Hottenrott: Das große Buch vom Laufen. Meyer & Meyer, Aachen 2002, ISBN 3-89124-911-X.
  • Georg Neumann, Klaus-Peter Schüler: Sportmedizinische Funktionsdiagnostik (= Sportmedizinische Schriftenreihe. Bd. 29). 2., neubearbeitete Auflage. Barth, Leipzig u. a. 1994, ISBN 3-335-00352-7.
  • Lothar Pickenhain, Georg Neumann, Fritz Scharschmidt: Sportmedizin. Grundfragen, Methoden, Ziele. Hans Huber, Bern u. a. 1993, ISBN 3-456-82308-8.
  • Hans Rieckert: Leistungsphysiologie. Eine themenorientierte Darstellung für Sportstudenten, Sportlehrer und Sportärzte (= Beiträge zur Lehre und Forschung im Sport. Bd. 93). 2., unveränderte Auflage. Karl Hofmann, Schorndorf 1991, ISBN 3-7780-4932-1.
  • Richard Rost: Sport- und Bewegungstherapie bei Inneren Krankheiten. Lehrbuch für Sportlehrer, Übungsleiter, Physiotherapeuten und Sportmediziner. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 2005, ISBN 3-7691-0411-0.
  • Karl-Heinz Rühle: Praxisleitfaden der Spiroergometrie. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 2001, ISBN 3-17-014767-6.
  • Jochen Scheibe, Thomas Siebenhaar, Norbert Bachl, Franz Greiter: Medizin und Sport. Ein Leitfaden für Allgemeinmediziner und medizinisches Fachpersonal. Harri Deutsch, Frankfurt am Main u. a. 1990, ISBN 3-8171-1096-0.
  • Günter Schnabel, Dieter Harre, Jürgen Krug, Alfred Borde (Hrsg.): Trainingswissenschaft. Leistung, Training, Wettkampf. 3., stark überarb. und erw. Aufl., Studienausgabe. Sportverlag, Berlin 2003, ISBN 3-517-06682-6.
  • Peter Schürch: Leistungsdiagnostik. Theorie und Praxis (= Beiträge zur Sportmedizin. Bd. 32). perimed-Fachbuch-Verlagsgesellschaft, Erlangen 1987, ISBN 3-88429-280-3.
  • Jürgen Stegemann: Leistungsphysiologie. Physiologische Grundlagen der Arbeit und des Sports. 4., überarbeitete Auflage. Thieme, Stuttgart u. a. 1991, ISBN 3-13-462404-4.
  • Richard H. Strauss (Hrsg.): Sportmedizin und Leistungsphysiologie. Ferdinand Enke, Stuttgart 1983, ISBN 3-432-92711-8.
  • Jürgen Weineck: Optimales Training. Leistungsphysiologische Trainingslehre unter besonderer Berücksichtigung des Kinder- und Jugendtrainings. 14. Auflage. Spitta, Balingen 2004, ISBN 3-934211-75-5.

Einzelnachweise

  1. a b c d e Fritz Zintl: Ausdauertraining. 2. Auflage, BLV, München 1990, ISBN 3-405-14155-9, S. 64
  2. a b c d e Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  3. a b Jürgen Weineck: Optimales Training. Spitta, Balingen 2010, ISBN 978-3-938509-96-8, S. 321.
  4. a b Hans-Hermann Dickhuth: Einführung in die Sport- und Leistungsmedizin. Hofmann, Schorndorf 2000, ISBN 3-7780-8461-5, S. 204.
  5. a b P. Wahl, W. Bloch, J. Mester: Moderne Betrachtungsweisen des Laktats: Laktat ein überschätztes und zugleich unterschätztes Molekül. In: Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie 57 (3)/2009, S. 104–105, Online-Volltextzugriff (abgerufen 13. November 2010)
  6. Horst de Marées: Sportphysiologie. Sportverl. Strauß, Köln 2006, ISBN 978-3-939390-00-8.
  7. Keul J, Simon G, Berg A, et al. Bestimmung der individuellen anaeroben Schwelle zur Leistungsbewertung und Trainingsgestaltung. Dtsch Z Sportmed 1979; 30: 212-8, zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  8. Simon G, Berg A, Dickhuth H-H, et al. Bestimmung der anaeroben Schwelle in Abhängigkeit von Alter und von der Leistungsfähigkeit. Dtsch Z Sportmed 1981; 32: 7-14, zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  9. Dickhuth HH, Yin L, Niess A, et al. Ventilatory, lactate derived and catecholamine thresholds during incremental treadmill running: relationship and reproducibility. Int Sports Med 1999 Feb; 20 (2): 122-7, PMID 10190774
  10. Dickhuth HH, Huonker M, Münzel T, et al. Individual anaerobic threshold for evaluation of competitive athletes and patients with left ventricular dysfunctions. In: Bachl N, Graham TE, Löllgen H, editors. Advances in ergometry. Berlin: Springer, 1991: 173-9, zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  11. Stegmann H, Kindermann W, Schnabel A.: Lactate kinetics and individual anaerobic threshold. Int J Sports Med 1981; 2: 160-5, zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  12. Cheng B, Kuipers H, Snyder AC, et al. A new approach for the determination of ventilatory and lactate thresholds. Int J Sports Med 1992; 13 (7): 518-22, PMID 1459746 zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  13. Bishop D, Jenkins DG, Mackinnon LT. The relationship between plasma lactate parameters, Wpeak 1-h cycling performance in women. Med Sci Sports Exerc 1998 Aug; 30 (8): 1270-5, zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  14. Tegtbur U, Griess M, Braumann KM, Busse MW, Maassen N (1989): Eine neue Methode zur Ermittlung der Dauerleistungsgrenze bei Mittel- und Langstrecklern. In: Böning D, Braumann KM, Busse MW, Maassen N,Schmidt W (Hrsg): Sport – Rettung oder Risiko für die Gesundheit? Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, S. 463–466
  15. Berg A, Stippig J, Keul J, et al. Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit von Patienten mit coronarer Herzkrankheit. Dtsch Z Sportmed 1980; 31: 199-205, zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  16. Bunc V, Heller J, Novack J, et al. Determination of the individual anaerobic threshold. Acta Univ Carol, Gymnica 1985; 27: 73-81, zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  17. Baldari C, Guidetti L. A simple method for individual anaerobic threshold as predictor of max lactate steady state. Med Sci Sports Exerc 2000 Oct; 32 (10): 1798-802, PMID 11039656, zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  18. Smith CG, Jones AM. The relationship between critical velocity, maximal lactate steady-state velocity and lactate turnpoint velocity in runners. Eur J Appl Physiol 2001 Jul; 85 (1-2): 19-26, PMID 11513315, zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  19. Tegtbur U, Busse MW, Braumann KM. Estimation of an individual equilibrium between lactate production and catabolism during exercise. Med Sci Sports Exerc 1993 May; 25 (5): 620-7, PMID 8492691, zitiert nach: Oliver Faude, Wilfried Kindermann und Tim Meyer: Lactate Threshold Concepts - How Valid are They? in: Sports Med 2009; 39 (6): 469-490, doi:10.2165/00007256-200939060-00003, PMID 19453206
  20. Svedahl K, MacIntosh BR. Anaerobic threshold: the concept and methods of measurement. Can J Appl Physiol 2003 Apr; 28 (2): 299-323, PMID 12825337
  21. Brooks GA. Anaerobic threshold: review of the concept and directions for future research. Med Sci Sports Exerc 1985; 17 (1): 22-34, PMID 3884959
  22. Myers J, Ashley E. Dangerous curves: a perspective on exercise, lactate, and the anaerobic threshold. Chest 1997 Mar; 111 (3): 787-95, PMID 9118720
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