„Geschlechtergerechte Sprache“ – Versionsunterschied

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hoffentlich weitgehend Neutralität hergestellt (bis auf Kritik-Abschnitt)
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Unter dem Begriff '''geschlechtergerechte Sprache''' werden Vorschläge und Empfehlungen für den [[Sprachgebrauch]] (''Parole'') zusammengefasst, die entweder auf bestimmte Möglichkeiten des [[Sprachsystem]]s (''Langue'') verzichten, weil diese mindestens ein natürliches Geschlecht ([[Sexus]]) oder soziales Geschlecht ([[Gender]]) [[Diskriminierung|diskriminieren]], oder Änderungen an [[Grammatik]] und [[Lexikon]] aus denselben Gründen vorsehen.
Der Begriff '''geschlechtergerechte Sprache''' (auch '''geschlechtsneutrale Sprache''') bezeichnet den aus der Sicht der [[Frauenbewegung]] idealen Umgang mit der [[deutsche Sprache|deutschen Sprache]], durch den Frauen nicht [[Diskriminierung|diskriminiert]] werden sollen. Der Begriff und die von ihm bezeichnete Sprache sind das Produkt der [[Feministische Linguistik|Feministischen Linguistik]]; die Reform der deutschen Sprache begann in den 1970er Jahren, insbesondere durch die Werke von [[Luise F. Pusch]] und [[Senta Trömel-Plötz]].


Eine Spezialform ist die '''geschlechtsneutrale Sprache''', in der es mindestens ein [[Genus]] (oder ggf. [[Lexem]]) gibt, das zwar allgemein für Personen anwendbar ist, aber keinen Rückschluss auf Sexus oder Gender erlaubt (Neutralisierung statt Sichtbarmachung), was bspw. in der englischen Sprache für Substantive weitgehend gegeben ist, nicht jedoch für [[Personalpronomen|Personal-]] und [[Possessivpronomen]] der dritten Person Singular (''he, him, his / she, her, hers''). Spezielle grammatische Geschlechter oder [[morphem]]atische [[Movierung]]en für die biologischen Geschlechter sind dabei allerdings nicht ausgeschlossen, sofern sie stets gleichwertig auf Basis einer gemeinsamen neutralen Grundform möglich sind, bspw. das hypothetische Tripel ''(das Kind), *(die Kindin), *(der Kinder)''.
== Kritik am generischen Maskulinum ==
{{Neutralität}}
Der größte Teil der Energie der genannten Autorinnen und vieler Nachfolger richtet sich gegen das [[Generisches Maskulinum|generische Maskulinum]], d.h. gegen grammatisch maskuline Personenbezeichnungen, durch die Frauen nach Ansicht der Verteidiger dieser Ausdrucksweise „mitgemeint“ sein sollen. Femininisten wollen eine sprachliche [[Gleichstellung der Geschlechter]] entweder dadurch erreichen, dass männliche durch weibliche Personenbezeichnungen ergänzt werden („Splitting“-Methode), oder dadurch, dass Bezeichnungen gewählt werden, die nicht mit der Bezeichnung für ein Geschlecht identisch und insofern „neutral“ im engeren Sinne des Wortes sind. Im ersten Fall werden Frauen „sichtbar“, im zweiten auch Männer „unsichtbar“ gemacht. Durch eine „geschlechtsneutrale Sprache“ soll die Asymmetrie beseitigt werden, die darin liegt, dass mit femininen Bezeichnungen weit überwiegend nur Frauen gemeint sind (Ausnahmen: ''Waisen, Geiseln, Führungskräfte; Garde; Burschenschaft, Mannschaft'' ...), mit maskulinen aber ausschließlich Männer (spezifisches Maskulinum) ''oder'' Männer und Frauen (generisches Maskulinum) gemeint sein können.


Gelegentlich werden zur Vermeidung des ambigen Geschlechtsbegriffes auch die Termini '''sexusgerechte Sprache''', '''gendergerechte Sprache''', '''sexusneutrale Sprache''' und '''genderneutrale Sprache''' verwendet.
Die Pionierinnen der feministischen Linguistik sind der Frage noch nicht nachgegangen, ob Frauen sich durch das generische Maskulinum wirklich nicht „mitgemeint“ fühlen. Spätere experimentelle Untersuchungen zeigten jedoch, dass Frauen wie Männer beim Lesen eines Textes häufiger an Männer denken, wenn der Text das generische Maskulinum verwendet, als wenn alternative Sprachformen eingesetzt werden. <ref name="stahlberg">[http://www.journalistinnen.de/aktuell/pdf/gender/gender_stahlberg.pdf Stahlberg/Sczesny].</ref>
Kritiker werfen den Feministinnen vor, dass sie nicht sauber zwischen Zeichen (Wörtern) und Bezeichnetem (Männern und Frauen) sowie zwischen dem [[Genus]] von Wörtern und dem [[Sexus]] von Menschen unterscheiden. In der Sprachwissenschaft ist umstritten, in welchem Zusammenhang Genus und Sexus stehen. Es zeigt sich bei bestimmten Begriffen ein eher lockerer oder kein Zusammenhang (''der'' Löffel, ''die'' Gabel, ''das'' Messer), bei anderen (z.B. Verwandtschafts- und Personenbezeichnungen) ist er sehr eng ("der Vater", "die Tante").<ref name="irmen">Irmen2003</ref>


Die Begriffe wurden insbesondere durch die [[Feministische Linguistik]] popularisiert und mit entsprechenden Vorschlägen untermauert. Die einflussreichsten Vertreterinnen im deutschen Sprachraum sind seit den 1970er Jahren [[Luise F. Pusch]] und [[Senta Trömel-Plötz]]. Der fortwährend natürlich stattfindende [[Sprachwandel]] des Deutschen wurde bewusst und durch die breite öffentliche Diskussion erfolgreich in Richtung einer geschlechtergerechteren Sprache gelenkt, auch wenn viele Punkte der durchaus heterogenen feministischen [[Sprachkritik]] weiterbestehen.
=== Alternative Formen ===
==== Splittingformen (Doppelformulierungen in Lang- und Kurzform) ====
* Doppelform: ''Lehrerinnen und Lehrer''
* Schrägstrich: ''Lehrer/-innen''
* Klammer: ''Lehrer(innen)''
* [[Binnen-I]]: ''LehrerInnen'' - Das I in dieser Form nennt man auch [[Binnenmajuskel]]


== Generische Genera ==
Bei der ausdrücklichen Ergänzung männlicher durch weibliche Formen werden Frauen „sichtbar gemacht“.


Am deutschen Sprachsystem wurde schon in frühen Werken insbesondere, aber nicht ausschließlich, das sogenannte [[Generisches Maskulinum|generische Maskulinum]] kritisiert, d.h. Substantive mit maskulinem Genus (''der''), die im Singular zur Bezeichnung eines Mannes oder einer Person unbekannten Geschlechts und mitunter einer Frau, im Plural zur Bezeichnung geschlechtlich beliebig zusammengesetzter, vor allem aber gemischter und rein männlicher Gruppen dienen sollen, wobei eine durch [[Movierung]] markierte, d.h. mittels des Morphems {{Morph|-in(nen)}} abgeleitete Form existiert, die im explizit nur eine Frau bzw. eine Gruppe von Frauen denotiert.
==== Sonderformen des Splitting ====
Es gibt Sonderformen des Splittings:
* Kauffrau/Kaufmann
* Hebamme/Entbindungspfleger
* weibliche/männliche Lehrlinge
* 10 Manager, darunter 2 Frauen


Es gibt in der deutschen Sprache zwar auch Wörter im generischen Femininum (''Waise, Geisel, Führungskraft; Garde; Burschenschaft, Mannschaft'') und generischen Neutrum (bspw. die meisten Diminutiva), aber das generische Maskulinum überwiegt in Masse und Frequenz stark. Diese Asymmetrie soll eine geschlechtergerechte Sprache vermeiden oder abschaffen.
Weniger gebräuchliche Formen sind:
* frau/man
Eine sprachliche [[Gleichstellung der Geschlechter]] kann entweder durch Sichtbarmachung oder durch Neutralisierung erreicht werden.
* jedefrau/jedermann
Bei der Sichtbarmachung oder „Splitting“-Methode werden stets männliche und weibliche Personenbezeichnung zusammen und ggf. in wechselnder Reihenfolge verwendet. Dies ist vor allem bei getrennten Lexemen („Sehr geehrte Damen und Herren!“) die bevorzugte Methode.
* Magistra/Magister
Die in manchen Sprachen bereis natürlich vorhandene Neutralisierung wird durch die Wahl oder Schaffung von Wörtern erreicht, die nicht mit der Bezeichnung für ein Geschlecht identisch und insofern neutral im engeren Sinne des Wortes sind. Hier werden also beide Geschlechter unsichtbar gemacht.
* eineR
* mensch (anstatt man)


In der Pionierzeit der feministischen Linguistik wurde noch nicht der empirisch überprüfbaren Frage nachgegangen, ob Frauen sich durch das generische Maskulinum wirklich nicht „mitgemeint“ fühlen, sondern dies wurde als Grundannahme postuliert. In psycho- und soziolinguistischen Experimenten wurde später mehrfach nachgewiesen, dass Leser und Hörer weitgehend unabhängig vom eigenen Geschlecht bei einem maskulinen Wortstimulus (bspw. „ein Arzt“) prototypisch an einen Mann und nicht an einen geschlechtsunbestimmten Menschen denken, allerdings tritt der Effekt auch, wenngleich weniger stark, bei einem neutralen (bspw. „ein Kind“) oder fast neutralen Stimulus (bspw. „ein Mensch“ oder „eine Person“) auf. Dies spricht dafür, dass der kritisierte Sexismus im Sprachgebrauch nicht oder zumindest nicht hauptsächlich im Sprachsystem begründet ist, sondern in der Erfahrung und Annahme der gesellschaftlichen Realität liegt, d.h. es ist eher ein soziologisches als ein linguistisches Phänomen. Bei der expliziten Beidnennung (bspw. „ein Arzt oder eine Ärztin“) sowie bei getrennten Lexemen („ein Mann oder eine Frau“) verschwindet der Bias, allerdings gilt dies nicht oder nur eingeschränkt für Kurzformen aller Art (bspw. „Mediziner oder -in“, „Mediziner/in“, „Mediziner/-in“, „MedizinerIn“, „Mediziner(in)“, „Mediziner_in“, „Mediziner (m/w)“), allerdings können insbesondere das geschriebene Binnen-I und die ausgesprochene Verkürzung sogar zu einem weiblichen Bias führen.<ref name="stahlberg">[http://www.journalistinnen.de/aktuell/pdf/gender/gender_stahlberg.pdf Stahlberg/Sczesny] u.a.</ref>
==== Geschlechtsneutrale einzelne Ersatzwörter ====
* [[Partizip]]: ''Lehrende''
Kritiker werfen dem Feminismus vor, dass dort nicht sauber zwischen Zeichen (Wörtern) und Bezeichnetem (Männern und Frauen) sowie zwischen dem [[Genus]] von Wörtern und dem [[Sexus]] von Menschen unterschieden wird. In der Sprachwissenschaft ist umstritten, in welchem Zusammenhang Genus und Sexus stehen. Es zeigt sich bei bestimmten Begriffen ein eher lockerer oder kein Zusammenhang („''der'' Löffel“, „''die'' Gabel“, „''das'' Messer“), bei anderen (z.B. Verwandtschafts- und Personenbezeichnungen) ist er sehr eng („der Vater“, „die Tante“).<ref name="irmen">Irmen2003</ref>
* [[Abstraktion]]: ''Lehrkörper'' oder ''Lehrkraft''


=== Sichtbarmachung ===
Bei der ''Neutralisierung'' wird jeder Hinweis auf das Geschlecht entfernt.


Bei der ausdrücklichen Ergänzung männlicher durch weibliche Formen werden Frauen „sichtbar gemacht“.
Kritiker der Verwendung von Partizipien wenden ein, dass das in der deutschen Form substantivierte Partizip („Studierende“) eine Tätigkeitsform bezeichne, während das schon im Lateinischen substantivierte Partizip („studens“ ist das Partizip zu „studere“) einen Status bezeichne. Nicht alle, die als „Studenten“ gälten, beschäftigten sich (ständig) mit ihrem Studium, und nicht alle, die sich gerade Studien widmeten, seien Studenten oder Studentinnen.


* Doppelform: ''Lehrerinnen und Lehrer'', ''Lehrer oder Lehrerin''
Obwohl das Binnen-I auch nach der Reform der deutschen Rechtschreibung laut „Duden“ (der aber kein „Gesetzgeber der deutschen Sprache“ ist) als „falsch“ gilt, wird es von Feministinnen und deren Sympathisanten häufig verwendet. ''Vorgeschrieben'' für den Sprachgebrauch im öffentlichen Dienst und für Schüler ist die Verwendung geschlechtsneutraler Formen in einigen Bundesländern (in Berlin seit 1991<ref name="LADG">Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) Berlin, 31. Dezember 1990, ersetzt durch den Landesgleichstellungsgesetz (LGG) in der Fassung vom 6. September 2002 (GVBl. S. 280), zuletzt geändert durch Achtes Gesetz zur Änderung des Landesgleichstellungsgesetzes vom 19. Juni 2006 (GVBl. S. 575) </ref>). Auf Grund von EU-Recht müssen alle Inserenten bei Stellenanzeigen „geschlechtsneutral“ formulieren; dabei wird in Langfassungen von Splittingformen zumeist die weibliche Form zuerst angegeben. Neben Personalpronomen und Personenbezeichnungen werden auch die deklinierten Adjektive und Artikel gelegentlich doppelgeschlechtlich angeführt.
* Schrägstrich: ''Lehrer/-innen'', ''Lehrer/-in''
* Klammer: ''Lehrer(innen)'', ''Lehrer(in)''
* [[Binnen-I]]: ''LehrerInnen'', ''LehrerIn''
* Lexemunterscheidung: ''Huren und Stricher'', ''Hure oder Stricher''
* partielle Lexemunterscheidung: ''Kauffrauen und Kaufmänner'', ''Kauffrau oder Kaufmann''
* Attribut: ''weibliche und männliche Lehrlinge'', ''weiblicher oder männlicher Lehrling''
* symbolisches Attribut: ''Manager (m/w)''


Weniger gebräuchliche Formen sind:
In der französischen Sprache bestehen für einige Berufsbezeichnungen geschlechtsneutrale Substantive, sogenannte ''épicènes'', etwa ''l´architecte'' (der Architekt/ die Architektin) ''le/la pianiste'' (der Pianist/ die Pianistin), ''le/la sécretaire'' (der Sekretär/ die Sekretärin) usw.<ref name="Schafrith">Schafrith2010</ref> Als neue geschlechtsneutrale Bezeichnungen (''nouveaux épicènes'') kommen Bezeichnungen wie ''le/la juge'' (der Richter/ die Richterin) und ''le/la ministre'' (der Minister/ die Ministerin) hinzu: so löste etwa in der französischen Politik gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Anrede ''Madame la Ministre'' die zuvor verwendete Anrede ''Madame le Ministre'' weitgehend ab.
* Hyperkorrektur: ''Gast/Gästin''
* : ''frau, jedefrau'' neben oder statt ''man, jedermann''
* Hyperneutralisierung: ''mensch'' anstatt ''man''
* morphematische Reaktivierung: ''Magistra'' neben ''Magister''
* [[Binnenmajuskel]]: ''eineR'' für ''eine oder einer''
* Akronyme: ''SuS'' für ''Schüler und Schülerinnen''


Da durch den konsequenten Ersatz des generischen Maskulinums durch die Beidnennung die Lesbarkeit von Texten abnehmen kann, wird häufig stattdessen sprachliche Kreativität mit geschickteren Formulierungen empfohlen. Es gibt Handreichungen, die viele akzeptablere Beispiele für geschlechtsneutrale Formulierungen beinhalten, wie z. B. eine Broschüre<ref name="MehrFrauen">Braun2000</ref> vom Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein.
=== Anwendungen ===
Dem Anliegen der feministischen Sprachkritik wird durch kabarettreife Formulierungen geschadet, die am Rande der Unlesbarkeit sind:


=== Neutralisierung ===
{{Zitat|Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer ‘Rolle des Verantwortungstragens’ (Arzt/Ärztin) von einer ‘Rolle des sich-Anvertrauens und sich-Unterordnens’ (Patient/in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der/die Patient/in Entscheidungen in Bezug auf seine/ihre Gesundheit trifft. Damit wird der/die ‘beratende Arzt/Ärztin’ zum/zur ‘entscheidenden Arzt/Ärztin’. In bestimmten Situationen haben Patient/in und Arzt/Ärztin natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines/einer Bewusstlosen).|aus einem Protokoll des Basler Gesundheitsdepartements}}
Bei der ''Neutralisierung'' wird jeder Hinweis auf das Geschlecht entfernt. Geschlechtsneutrale Ersatzwörter können auf verschiedene Arten gebildet werden.
{{Zitat|Als Reaktion auf eine Beschwerde darf ein/e Arbeitnehmer/in durch den/die Arbeitgeber/in innerhalb des betreffenden Unternehmens (Betriebes) oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes nicht entlassen, gekündigt oder anders benachteiligt werden. Auch ein/e andere/r Arbeitnehmer/in, der/die als Zeuge/Zeugin oder Auskunftsperson in einem Verfahren auftritt oder eine Beschwerde eines/einer anderen Arbeitnehmers/Arbeitnehmerin unterstützt, darf als Reaktion auf eine solche Beschwerde oder auf die Einleitung eines solchen Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes nicht entlassen, gekündigt oder anders benachteiligt werden. § 12 Abs. 12 gilt sinngemäß.|§ 13 (österreichisches) Bundesgesetz über die Gleichbehandlung}}
* [[Partizip]]: ''Lehrende'', ''Studierende''
* [[Abstraktion]]: ''Lehrkörper'' oder ''Lehrkraft'', ''Kaufleute''
* [[Synonym]]: ''Kollegium''


=== Kritik ===
Das generische Maskulinum hätte leicht durch geschicktere Formulierungen vermieden werden können. Es gibt Handreichungen, die viele akzeptablere Beispiele für geschlechtsneutrale Formulierungen beinhalten, wie z. B. eine Broschüre<ref name="MehrFrauen">Braun2000</ref> vom Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein.
{{Neutralität}}
Kritiker der Verwendung von Partizipien wenden ein, dass das in der deutschen Form substantivierte Partizip (''Studierende'') eine Tätigkeitsform bezeichne, während das schon im Lateinischen substantivierte Partizip (''studens'' ist das Partizip zu ''studere'') einen Status bezeichne. Nicht alle, die als Studenten gälten, beschäftigten sich (ständig) mit ihrem Studium, und nicht alle, die sich gerade Studien widmeten, seien Studenten oder Studentinnen.


Binnenmajuskeln gelten in den Orthographien, die die lateinische Schrift verwenden, weiterhin als so stark markiert und so ungewöhnlich, dass sie als orthographisch falsch bezeichnet werden können. Dies gilt auch und insbesondere für das der ''l''-Minuskel gleichende Binnen-I, trotzdem wird es von einigen Feministinnen und deren Sympathisanten weiterhin bevorzugt verwendet.
=== Gesetzeslage ===
==== EU ====
Das [[Gleichbehandlungsgesetz]] (GlbhG) folgt einer [[EU-Richtlinie]] und schreibt die Berufsbezeichnungen in Stelleninseraten „geschlechtsneutral“ vor. Vor allem bei englischen Bezeichnungen wie „Controller“<!--„der Controller, des Controllers“ – was ist an der eingedeutschten Fassung „geschlechtsneutral“? „Die Controllerin“ ist keine „falsche“ Wortform!--> wird „Controller (m/w)“ verwendet.


Kritiker einer Strategie der systematischen Vermeidung des generischen Maskulinums führen oft an, dass die Ersatzformulierungen schwer (vor)lesbar und schwer verständlich seien, und behaupten, dass durch maskuline Personenbezeichnungen Frauen zumindest synchron immer „mitgemeint“ seien.
==== AGG ====
Befürworter des generischen Maskulinums argumentieren zudem, meistens sei die Geschlechtszugehörigkeit von Akteuren nicht wichtig. Genau das wird von Feministen bezweifelt, die entsprechende ausdrückliche Informationen in Aussagen vermissen.
Das neue [[Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz|Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz]] versucht auf einer viel breiteren Basis als nur der Sprache Diskriminierung zu begegnen.


Auch wird behauptet, dass der generische Gebrauch maskuliner Personenbezeichnungen zum Repertoire aller Deutschsprechenden und -schreibenden gehöre und Verständnisprobleme erst dadurch entstünden, dass der Anteil spezifischer Maskulina an maskulinen Personenbezeichnungen ständig zunehme, wofür aber die Sprachreformer verantwortlich seien. Diese führten also erst den Zustand herbei, dass generische Maskulina nicht mehr verstanden würden. Gegen dieses Argument sei einzuwenden, dass das Verständnis des generischen Maskulinums ein hohes Abstraktionsvermögen voraussetze (weil Genus und Sexus nicht deckungsgleich sind), das aber bei Kindern vor der Einschulung und wenig gebildeten Menschen (noch) nicht vorhanden sei. Selbst im Englischen, wo es nur bei Pronomina ein generisches Maskulinum gibt, dächten viele bei Wörtern wie ''the doctor'' vor allem an Männer („male bias“).
=== Der Streit um die Abschaffung des generischen Maskulinums ===
Kritiker einer Strategie der systematischen Vermeidung des generischen Maskulinums führen oft an, dass die Ersatzformulierungen schwer (vor)lesbar und schwer verständlich seien, und behaupten, dass durch maskuline Personenbezeichnungen Frauen immer „mitgemeint“ seien. Allerdings bestehen nicht nur bei älteren Texten berechtigte Zweifel, ob dies zutrifft, ob z.&nbsp;B. mit „Arbeiter“ wirklich beide Geschlechter gemeint sind oder nur Männer.


Die Frauenbewegung, so Kritiker der „geschlechtergerechten Sprache“ weiter, „vergewaltige“ die Sprache, indem sie ihr „unnatürliche“ Formen aufzwinge. Auch einige Feministinnen lehnen inzwischen Formen wie das Binnen-I und „Schrägstrich-Orgien“ ab, allerdings ist in vielen Sprachen eine Tendenz zur „[[Semantik|Semantisierung]] von Personenbezeichnungen“ festzustellen, d.h. das Genus eines Wortes wird dem Sexus der bezeichneten Person angepasst.
Befürworter des generischen Maskulinums argumentieren zudem, meistens sei die Geschlechtszugehörigkeit von Akteuren nicht wichtig. Genau das wird von Feministinnen bezweifelt, die entsprechende ausdrückliche Informationen in Aussagen vermissen.


Gegen das Argument, dass man bei Personenbezeichnung nicht automatisch die Merkmale „weiß oder schwarz“, „alt oder jung“ bzw. „behindert oder nicht behindert“ kommuniziere und das folglich auch nicht beim Merkmal „weiblich oder männlich“ tun müsse, wird vorgebracht, dass das Geschlecht in der Form des Genus ein Sprachen wie dem Deutschen immanentes Merkmal sei. Die Benutzung von Artikeln wie „der“, „die“ oder „das“ sei ebenso wenig vermeidbar wie die Gleichsetzung von Genus und Sexus durch viele Rezipienten. Diese Form der [[Diskriminierung]] ''durch Sprache'' gebe es bei anderen Formen der Diskriminierung nicht.
Auch wird behauptet, dass der generische Gebrauch maskuliner Personenbezeichnungen zum Repertoire aller Deutschsprechenden und -schreibenden gehöre und Verständnisprobleme erst dadurch entstünden, dass der Anteil spezifischer Maskulina an maskulinen Personenbezeichnungen ständig zunehme, wofür aber die Sprachreformer verantwortlich seien. Diese führten also erst den Zustand herbei, dass generische Maskulina nicht mehr verstanden würden. Gegen dieses Argument sei einzuwenden, dass das Verständnis des generischen Maskulinums ein hohes Abstraktionsvermögen voraussetze (weil Genus und Sexus nicht deckungsgleich sind), das aber bei Kindern vor der Einschulung und wenig gebildeten Menschen (noch) nicht vorhanden sei. Selbst im Englischen, wo es nur bei Pronomina ein generisches Maskulinum gibt, dächten viele bei Wörtern wie "the doctor" vor allem an Männer („male bias“).


Die „geschlechtergerechte Sprache“ hat sich in vielen Bereichen der öffentlichen Schriftsprache weitgehend durchgesetzt. Aber selbst dort, wo Gleichstellungsbeauftragte über die „richtige Sprache“ wachen, wird das generische Maskulinum noch relativ oft benutzt. In der Alltagssprache wird es zunehmend als lästig empfunden, die „gekünstelte“ Doppelnennung (vor allem in den Formen, bei denen Zusätze den Informationsgehalt des Gemeinten nicht erhöhen) zu gebrauchen. Ein Kompromiss scheint sich dergestalt abzuzeichnen, dass Formulierungen wie „eine Lehrkraft“ allseits akzeptiert werden.
Die Frauenbewegung, so Kritiker der „geschlechtergerechten Sprache“ weiter, „vergewaltige“ die Sprache, indem sie ihr „unnatürliche“ Formen aufzwinge. Richtig ist, dass auch einige Feministinnen inzwischen Formen wie das Binnen-I und „Schrägstrich-Orgien“ ablehnen; allerdings ist in vielen Sprachen eine (natürliche?) Tendenz zur „[[Semantik|Semantisierung]] von Personenbezeichnungen“ festzustellen, d.h. dazu, das Genus eines Wortes dem Sexus der bezeichneten Person anzupassen.


=== Konkrete Diskussionen und populärer Metadiskurs ===
Gegen das Argument, dass man bei Personenbezeichnung nicht automatisch die Merkmale „weiß oder schwarz“, „alt oder jung“ bzw. „behindert oder nicht behindert“ kommuniziere und das folglich auch nicht beim Merkmal „weiblich oder männlich“ tun müsse, wird vorgebracht, dass das Geschlecht in der Form des Genus ein Sprachen wie dem Deutschen immanentes Merkmal sei. Die Benutzung von Artikeln wie „der“, „die“ oder „das“ sei ebenso wenig vermeidbar wie die Gleichsetzung von Genus und Sexus durch viele Rezipienten. Diese Form der [[Diskriminierung]] ''durch Sprache'' gebe es bei anderen Formen der Diskriminierung nicht.
2005 versuchte die österreichische Bundesministerin [[Maria Rauch-Kallat]] die von [[Paula von Preradovic]] gedichtete österreichische Bundeshymne zu ändern: statt „Heimat bist du großer Söhne“ und „Vaterland“ solle „Heimat großer Töchter, Söhne“ und „Heimatland“ kommen. Ergebnis: Hunderte empörte Leserbriefe in den Printmedien, tausende in den Online-Zeitungen und eine Ablehnung in Umfragen von 96 % der Gesamtbevölkerung. Mit dem gleichen Ansinnen war bereits 1994 [[Madeleine Petrovic]] gescheitert, die kurz danach die größte Wahlniederlage für die [[Die Grünen – Die grüne Alternative|Grünen]] erfuhr.


Die „geschlechtsneutrale Sprache“ hat sich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens weitgehend durchgesetzt, wenn auch selbst dort, wo Frauenbeauftragte über die „richtige Sprache“ wachen, das generische Maskulinum noch relativ oft benutzt wird. In der Alltagssprache wird es zunehmend als lästig empfunden, die „gekünstelte“ Doppelnennung (vor allem in den Formen, bei denen Zusätze den Informationsgehalt des Gemeinten nicht erhöhen) zu gebrauchen. Ein Kompromiss scheint sich dergestalt abzuzeichnen, dass Formulierungen wie „eine Lehrkraft“ allseits akzeptiert werden.


Diverse Komiker wie z.&nbsp;B. [[Giro de Luca]] trieben mit Doppelformen wie „alle und allinnen“ ihre Späße. Eine derartige Szene gibt es bereits im Film [[Das Leben des Brian]], in dem die „Volksfront von Judäa“ über ihre Angelegenheiten diskutierte und über permanente geschlechtliche Doppelbezeichnungen gestolpert ist, sodass niemand mehr verstand, was eigentlich ausgedrückt werden solle.
* 2005 versuchte die österreichische Bundesministerin [[Maria Rauch-Kallat]] die von [[Paula von Preradovic]] gedichtete österreichische Bundeshymne zu ändern: statt „Heimat bist du großer Söhne“ und „Vaterland“ solle „Heimat großer Töchter, Söhne“ und „Heimatland“ kommen. Ergebnis: Hunderte empörte Leserbriefe in den Printmedien, tausende in den Online-Zeitungen und eine Ablehnung in Umfragen von 96 % der Gesamtbevölkerung. Mit dem gleichen Ansinnen war bereits 1994 [[Madeleine Petrovic]] gescheitert, die kurz danach die größte Wahlniederlage für die [[Die Grünen – Die grüne Alternative|Grünen]] erfuhr.
* Diverse Komiker wie z.&nbsp;B. [[Giro de Luca]] trieben mit Doppelformen wie „alle und allinnen“ ihre Späße. Eine derartige Szene gibt es bereits im Film [[Das Leben des Brian]], in dem die „Volksfront von Judäa“ über ihre Angelegenheiten diskutierte und über permanente geschlechtliche Doppelbezeichnungen gestolpert ist, sodass niemand mehr verstand, was eigentlich ausgedrückt werden solle.


== Weitere Merkmale „geschlechtergerechter Sprache“ ==
== Weitere Merkmale „geschlechtergerechter Sprache“ ==
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Zur ''geschlechtergerechten Sprache'' gehört ferner der Komplex der wertschätzenden Kommunikation in gemischtgeschlechtlichen Paaren und Gruppen.
Zur ''geschlechtergerechten Sprache'' gehört ferner der Komplex der wertschätzenden Kommunikation in gemischtgeschlechtlichen Paaren und Gruppen.

== Gesetzeslage ==
Für den Sprachgebrauch im öffentlichen Dienst und für Schüler ist die Verwendung geschlechtsneutraler Formen in einigen Bundesländern vorgeschrieben (in Berlin seit 1991<ref name="LADG">Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) Berlin, 31. Dezember 1990, ersetzt durch den Landesgleichstellungsgesetz (LGG) in der Fassung vom 6. September 2002 (GVBl. S. 280), zuletzt geändert durch Achtes Gesetz zur Änderung des Landesgleichstellungsgesetzes vom 19. Juni 2006 (GVBl. S. 575) </ref>). Auf Grund von EU-Recht müssen alle Inserenten bei Stellenanzeigen „geschlechtsneutral“ formulieren; dabei wird in Langfassungen von Splittingformen zumeist die weibliche Form zuerst angegeben. Neben Personalpronomen und Personenbezeichnungen werden auch die deklinierten Adjektive und Artikel gelegentlich doppelgeschlechtlich angeführt.


=== EU ===
Das [[Gleichbehandlungsgesetz]] (GlbhG) folgt einer [[EU-Richtlinie]] und schreibt die Berufsbezeichnungen in Stelleninseraten „geschlechtsneutral“ vor. Vor allem bei englischen Bezeichnungen wie „Controller“ wird „Controller (m/w)“ verwendet, auch wenn bei hinreichender Eindeutschung die movierte Form „Controllerin“ möglich wäre.

=== AGG ===
Das neue [[Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz|Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz]] versucht auf einer viel breiteren Basis als nur der Sprache Diskriminierung zu begegnen.

== Andere Sprachen ==

In der französischen Sprache bestehen für einige Berufsbezeichnungen geschlechtsneutrale Substantive, sogenannte ''épicènes'', etwa ''l´architecte'' (der Architekt / die Architektin) ''le/la pianiste'' (der Pianist / die Pianistin), ''le/la sécretaire'' (der Sekretär / die Sekretärin) usw.<ref name="Schafrith">Schafrith2010</ref> Als neue geschlechtsneutrale Bezeichnungen (''nouveaux épicènes'') kommen Bezeichnungen wie ''le/la juge'' (der Richter/ die Richterin) und ''le/la ministre'' (der Minister/ die Ministerin) hinzu: so löste etwa in der französischen Politik gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Anrede ''Madame la Ministre'' die zuvor verwendete Anrede ''Madame le Ministre'' weitgehend ab.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* [[Generisches Maskulinum]]
* [[Binnen-I]]
* [[Feministische Linguistik]]
* [[Geschlechtergerechtigkeit]]
* [[Geschlechtergerechtigkeit]]
* [[Gender Gap (Linguistik)|Gender Gap]]
* [[Gender Gap (Linguistik)|Gender Gap]]

Version vom 11. Februar 2012, 18:37 Uhr

Unter dem Begriff geschlechtergerechte Sprache werden Vorschläge und Empfehlungen für den Sprachgebrauch (Parole) zusammengefasst, die entweder auf bestimmte Möglichkeiten des Sprachsystems (Langue) verzichten, weil diese mindestens ein natürliches Geschlecht (Sexus) oder soziales Geschlecht (Gender) diskriminieren, oder Änderungen an Grammatik und Lexikon aus denselben Gründen vorsehen.

Eine Spezialform ist die geschlechtsneutrale Sprache, in der es mindestens ein Genus (oder ggf. Lexem) gibt, das zwar allgemein für Personen anwendbar ist, aber keinen Rückschluss auf Sexus oder Gender erlaubt (Neutralisierung statt Sichtbarmachung), was bspw. in der englischen Sprache für Substantive weitgehend gegeben ist, nicht jedoch für Personal- und Possessivpronomen der dritten Person Singular (he, him, his / she, her, hers). Spezielle grammatische Geschlechter oder morphematische Movierungen für die biologischen Geschlechter sind dabei allerdings nicht ausgeschlossen, sofern sie stets gleichwertig auf Basis einer gemeinsamen neutralen Grundform möglich sind, bspw. das hypothetische Tripel (das Kind), *(die Kindin), *(der Kinder).

Gelegentlich werden zur Vermeidung des ambigen Geschlechtsbegriffes auch die Termini sexusgerechte Sprache, gendergerechte Sprache, sexusneutrale Sprache und genderneutrale Sprache verwendet.

Die Begriffe wurden insbesondere durch die Feministische Linguistik popularisiert und mit entsprechenden Vorschlägen untermauert. Die einflussreichsten Vertreterinnen im deutschen Sprachraum sind seit den 1970er Jahren Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz. Der fortwährend natürlich stattfindende Sprachwandel des Deutschen wurde bewusst und durch die breite öffentliche Diskussion erfolgreich in Richtung einer geschlechtergerechteren Sprache gelenkt, auch wenn viele Punkte der durchaus heterogenen feministischen Sprachkritik weiterbestehen.

Generische Genera

Am deutschen Sprachsystem wurde schon in frühen Werken insbesondere, aber nicht ausschließlich, das sogenannte generische Maskulinum kritisiert, d.h. Substantive mit maskulinem Genus (der), die im Singular zur Bezeichnung eines Mannes oder einer Person unbekannten Geschlechts und mitunter einer Frau, im Plural zur Bezeichnung geschlechtlich beliebig zusammengesetzter, vor allem aber gemischter und rein männlicher Gruppen dienen sollen, wobei eine durch Movierung markierte, d.h. mittels des Morphems {-in(nen)} abgeleitete Form existiert, die im explizit nur eine Frau bzw. eine Gruppe von Frauen denotiert.

Es gibt in der deutschen Sprache zwar auch Wörter im generischen Femininum (Waise, Geisel, Führungskraft; Garde; Burschenschaft, Mannschaft) und generischen Neutrum (bspw. die meisten Diminutiva), aber das generische Maskulinum überwiegt in Masse und Frequenz stark. Diese Asymmetrie soll eine geschlechtergerechte Sprache vermeiden oder abschaffen.

Eine sprachliche Gleichstellung der Geschlechter kann entweder durch Sichtbarmachung oder durch Neutralisierung erreicht werden. Bei der Sichtbarmachung oder „Splitting“-Methode werden stets männliche und weibliche Personenbezeichnung zusammen und ggf. in wechselnder Reihenfolge verwendet. Dies ist vor allem bei getrennten Lexemen („Sehr geehrte Damen und Herren!“) die bevorzugte Methode. Die in manchen Sprachen bereis natürlich vorhandene Neutralisierung wird durch die Wahl oder Schaffung von Wörtern erreicht, die nicht mit der Bezeichnung für ein Geschlecht identisch und insofern neutral im engeren Sinne des Wortes sind. Hier werden also beide Geschlechter unsichtbar gemacht.

In der Pionierzeit der feministischen Linguistik wurde noch nicht der empirisch überprüfbaren Frage nachgegangen, ob Frauen sich durch das generische Maskulinum wirklich nicht „mitgemeint“ fühlen, sondern dies wurde als Grundannahme postuliert. In psycho- und soziolinguistischen Experimenten wurde später mehrfach nachgewiesen, dass Leser und Hörer weitgehend unabhängig vom eigenen Geschlecht bei einem maskulinen Wortstimulus (bspw. „ein Arzt“) prototypisch an einen Mann und nicht an einen geschlechtsunbestimmten Menschen denken, allerdings tritt der Effekt auch, wenngleich weniger stark, bei einem neutralen (bspw. „ein Kind“) oder fast neutralen Stimulus (bspw. „ein Mensch“ oder „eine Person“) auf. Dies spricht dafür, dass der kritisierte Sexismus im Sprachgebrauch nicht oder zumindest nicht hauptsächlich im Sprachsystem begründet ist, sondern in der Erfahrung und Annahme der gesellschaftlichen Realität liegt, d.h. es ist eher ein soziologisches als ein linguistisches Phänomen. Bei der expliziten Beidnennung (bspw. „ein Arzt oder eine Ärztin“) sowie bei getrennten Lexemen („ein Mann oder eine Frau“) verschwindet der Bias, allerdings gilt dies nicht oder nur eingeschränkt für Kurzformen aller Art (bspw. „Mediziner oder -in“, „Mediziner/in“, „Mediziner/-in“, „MedizinerIn“, „Mediziner(in)“, „Mediziner_in“, „Mediziner (m/w)“), allerdings können insbesondere das geschriebene Binnen-I und die ausgesprochene Verkürzung sogar zu einem weiblichen Bias führen.[1]

Kritiker werfen dem Feminismus vor, dass dort nicht sauber zwischen Zeichen (Wörtern) und Bezeichnetem (Männern und Frauen) sowie zwischen dem Genus von Wörtern und dem Sexus von Menschen unterschieden wird. In der Sprachwissenschaft ist umstritten, in welchem Zusammenhang Genus und Sexus stehen. Es zeigt sich bei bestimmten Begriffen ein eher lockerer oder kein Zusammenhang („der Löffel“, „die Gabel“, „das Messer“), bei anderen (z.B. Verwandtschafts- und Personenbezeichnungen) ist er sehr eng („der Vater“, „die Tante“).[2]

Sichtbarmachung

Bei der ausdrücklichen Ergänzung männlicher durch weibliche Formen werden Frauen „sichtbar gemacht“.

  • Doppelform: Lehrerinnen und Lehrer, Lehrer oder Lehrerin
  • Schrägstrich: Lehrer/-innen, Lehrer/-in
  • Klammer: Lehrer(innen), Lehrer(in)
  • Binnen-I: LehrerInnen, LehrerIn
  • Lexemunterscheidung: Huren und Stricher, Hure oder Stricher
  • partielle Lexemunterscheidung: Kauffrauen und Kaufmänner, Kauffrau oder Kaufmann
  • Attribut: weibliche und männliche Lehrlinge, weiblicher oder männlicher Lehrling
  • symbolisches Attribut: Manager (m/w)

Weniger gebräuchliche Formen sind:

  • Hyperkorrektur: Gast/Gästin
  • : frau, jedefrau neben oder statt man, jedermann
  • Hyperneutralisierung: mensch anstatt man
  • morphematische Reaktivierung: Magistra neben Magister
  • Binnenmajuskel: eineR für eine oder einer
  • Akronyme: SuS für Schüler und Schülerinnen

Da durch den konsequenten Ersatz des generischen Maskulinums durch die Beidnennung die Lesbarkeit von Texten abnehmen kann, wird häufig stattdessen sprachliche Kreativität mit geschickteren Formulierungen empfohlen. Es gibt Handreichungen, die viele akzeptablere Beispiele für geschlechtsneutrale Formulierungen beinhalten, wie z. B. eine Broschüre[3] vom Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein.

Neutralisierung

Bei der Neutralisierung wird jeder Hinweis auf das Geschlecht entfernt. Geschlechtsneutrale Ersatzwörter können auf verschiedene Arten gebildet werden.

Kritik

Kritiker der Verwendung von Partizipien wenden ein, dass das in der deutschen Form substantivierte Partizip (Studierende) eine Tätigkeitsform bezeichne, während das schon im Lateinischen substantivierte Partizip (studens ist das Partizip zu studere) einen Status bezeichne. Nicht alle, die als Studenten gälten, beschäftigten sich (ständig) mit ihrem Studium, und nicht alle, die sich gerade Studien widmeten, seien Studenten oder Studentinnen.

Binnenmajuskeln gelten in den Orthographien, die die lateinische Schrift verwenden, weiterhin als so stark markiert und so ungewöhnlich, dass sie als orthographisch falsch bezeichnet werden können. Dies gilt auch und insbesondere für das der l-Minuskel gleichende Binnen-I, trotzdem wird es von einigen Feministinnen und deren Sympathisanten weiterhin bevorzugt verwendet.

Kritiker einer Strategie der systematischen Vermeidung des generischen Maskulinums führen oft an, dass die Ersatzformulierungen schwer (vor)lesbar und schwer verständlich seien, und behaupten, dass durch maskuline Personenbezeichnungen Frauen zumindest synchron immer „mitgemeint“ seien. Befürworter des generischen Maskulinums argumentieren zudem, meistens sei die Geschlechtszugehörigkeit von Akteuren nicht wichtig. Genau das wird von Feministen bezweifelt, die entsprechende ausdrückliche Informationen in Aussagen vermissen.

Auch wird behauptet, dass der generische Gebrauch maskuliner Personenbezeichnungen zum Repertoire aller Deutschsprechenden und -schreibenden gehöre und Verständnisprobleme erst dadurch entstünden, dass der Anteil spezifischer Maskulina an maskulinen Personenbezeichnungen ständig zunehme, wofür aber die Sprachreformer verantwortlich seien. Diese führten also erst den Zustand herbei, dass generische Maskulina nicht mehr verstanden würden. Gegen dieses Argument sei einzuwenden, dass das Verständnis des generischen Maskulinums ein hohes Abstraktionsvermögen voraussetze (weil Genus und Sexus nicht deckungsgleich sind), das aber bei Kindern vor der Einschulung und wenig gebildeten Menschen (noch) nicht vorhanden sei. Selbst im Englischen, wo es nur bei Pronomina ein generisches Maskulinum gibt, dächten viele bei Wörtern wie the doctor vor allem an Männer („male bias“).

Die Frauenbewegung, so Kritiker der „geschlechtergerechten Sprache“ weiter, „vergewaltige“ die Sprache, indem sie ihr „unnatürliche“ Formen aufzwinge. Auch einige Feministinnen lehnen inzwischen Formen wie das Binnen-I und „Schrägstrich-Orgien“ ab, allerdings ist in vielen Sprachen eine Tendenz zur „Semantisierung von Personenbezeichnungen“ festzustellen, d.h. das Genus eines Wortes wird dem Sexus der bezeichneten Person angepasst.

Gegen das Argument, dass man bei Personenbezeichnung nicht automatisch die Merkmale „weiß oder schwarz“, „alt oder jung“ bzw. „behindert oder nicht behindert“ kommuniziere und das folglich auch nicht beim Merkmal „weiblich oder männlich“ tun müsse, wird vorgebracht, dass das Geschlecht in der Form des Genus ein Sprachen wie dem Deutschen immanentes Merkmal sei. Die Benutzung von Artikeln wie „der“, „die“ oder „das“ sei ebenso wenig vermeidbar wie die Gleichsetzung von Genus und Sexus durch viele Rezipienten. Diese Form der Diskriminierung durch Sprache gebe es bei anderen Formen der Diskriminierung nicht.

Die „geschlechtergerechte Sprache“ hat sich in vielen Bereichen der öffentlichen Schriftsprache weitgehend durchgesetzt. Aber selbst dort, wo Gleichstellungsbeauftragte über die „richtige Sprache“ wachen, wird das generische Maskulinum noch relativ oft benutzt. In der Alltagssprache wird es zunehmend als lästig empfunden, die „gekünstelte“ Doppelnennung (vor allem in den Formen, bei denen Zusätze den Informationsgehalt des Gemeinten nicht erhöhen) zu gebrauchen. Ein Kompromiss scheint sich dergestalt abzuzeichnen, dass Formulierungen wie „eine Lehrkraft“ allseits akzeptiert werden.

Konkrete Diskussionen und populärer Metadiskurs

2005 versuchte die österreichische Bundesministerin Maria Rauch-Kallat die von Paula von Preradovic gedichtete österreichische Bundeshymne zu ändern: statt „Heimat bist du großer Söhne“ und „Vaterland“ solle „Heimat großer Töchter, Söhne“ und „Heimatland“ kommen. Ergebnis: Hunderte empörte Leserbriefe in den Printmedien, tausende in den Online-Zeitungen und eine Ablehnung in Umfragen von 96 % der Gesamtbevölkerung. Mit dem gleichen Ansinnen war bereits 1994 Madeleine Petrovic gescheitert, die kurz danach die größte Wahlniederlage für die Grünen erfuhr.


Diverse Komiker wie z. B. Giro de Luca trieben mit Doppelformen wie „alle und allinnen“ ihre Späße. Eine derartige Szene gibt es bereits im Film Das Leben des Brian, in dem die „Volksfront von Judäa“ über ihre Angelegenheiten diskutierte und über permanente geschlechtliche Doppelbezeichnungen gestolpert ist, sodass niemand mehr verstand, was eigentlich ausgedrückt werden solle.

Weitere Merkmale „geschlechtergerechter Sprache“

Als sexistisch wird in den „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ nicht nur die Verwendung des generischen Maskulinums bewertet. Zu einer geschlechtergerechten, also nicht-sexistischen Sprache gehören demnach auch die Erwähnung von Frauen an erster Stelle, nicht nur in der Anrede: „Meine Damen und Herren!“ (Beispiel: „Julia und Romeo“ als Alternativmuster für Paarbezeichnungen) sowie das respektvolle Sprechen über Frauen, insbesondere die Vermeidung abwertender Begriffe, und die Beseitigung sprachlicher Asymmetrien (wie die Differenzierung zwischen „Frau“ und „Fräulein“).

Zur geschlechtergerechten Sprache gehört ferner der Komplex der wertschätzenden Kommunikation in gemischtgeschlechtlichen Paaren und Gruppen.

Gesetzeslage

Für den Sprachgebrauch im öffentlichen Dienst und für Schüler ist die Verwendung geschlechtsneutraler Formen in einigen Bundesländern vorgeschrieben (in Berlin seit 1991[4]). Auf Grund von EU-Recht müssen alle Inserenten bei Stellenanzeigen „geschlechtsneutral“ formulieren; dabei wird in Langfassungen von Splittingformen zumeist die weibliche Form zuerst angegeben. Neben Personalpronomen und Personenbezeichnungen werden auch die deklinierten Adjektive und Artikel gelegentlich doppelgeschlechtlich angeführt.


EU

Das Gleichbehandlungsgesetz (GlbhG) folgt einer EU-Richtlinie und schreibt die Berufsbezeichnungen in Stelleninseraten „geschlechtsneutral“ vor. Vor allem bei englischen Bezeichnungen wie „Controller“ wird „Controller (m/w)“ verwendet, auch wenn bei hinreichender Eindeutschung die movierte Form „Controllerin“ möglich wäre.

AGG

Das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz versucht auf einer viel breiteren Basis als nur der Sprache Diskriminierung zu begegnen.

Andere Sprachen

In der französischen Sprache bestehen für einige Berufsbezeichnungen geschlechtsneutrale Substantive, sogenannte épicènes, etwa l´architecte (der Architekt / die Architektin) le/la pianiste (der Pianist / die Pianistin), le/la sécretaire (der Sekretär / die Sekretärin) usw.[5] Als neue geschlechtsneutrale Bezeichnungen (nouveaux épicènes) kommen Bezeichnungen wie le/la juge (der Richter/ die Richterin) und le/la ministre (der Minister/ die Ministerin) hinzu: so löste etwa in der französischen Politik gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Anrede Madame la Ministre die zuvor verwendete Anrede Madame le Ministre weitgehend ab.

Siehe auch

Literatur

  • Friederike Braun: Mehr Frauen in die Sprache. Hrsg.: Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein. Dezember 2000, ISSN 0935-4646 (PDF).
  • Lisa Irmen: Diskriminierung und Sprache. 22. Mai 2003 (PDF – Vortrag an der Universität Bern).
  • Luise F. Pusch (Hrsg.): Feminismus: Inspektion der Herrenkultur. Ein Handbuch. Suhrkamp, 1983, ISBN 3-518-11192-2.
  • Luise F. Pusch: Das Deutsche als Männersprache. Suhrkamp, 1984, ISBN 3-518-11217-1.
  • Dagmar Stahlberg, Sabine Sczesny: Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. In: Psychologische Rundschau. Band 52, Nr. 3, S. 131–140 (PDF).
  • Elmar Schafrith: Berufsbezeichnungen in Frankreich. Sprachpolitische Maßnahmen und sprachliche Wirklichkeit. In: Lebende Sprachen. Nr. 2, 1993 (PDF [abgerufen am 30. Mai 2010]).
  • Senta Trömel-Plötz: Vatersprache, Mutterland. Beobachtungen zu Sprache und Politik. Frauenoffensive, 1992, ISBN 3-88104-211-3.

Einzelnachweise

  1. Stahlberg/Sczesny u.a.
  2. Irmen2003
  3. Braun2000
  4. Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) Berlin, 31. Dezember 1990, ersetzt durch den Landesgleichstellungsgesetz (LGG) in der Fassung vom 6. September 2002 (GVBl. S. 280), zuletzt geändert durch Achtes Gesetz zur Änderung des Landesgleichstellungsgesetzes vom 19. Juni 2006 (GVBl. S. 575)
  5. Schafrith2010