„Königreich Preußen“ – Versionsunterschied

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{{Begriffsklärung}}

'''Königreich Preußen''' steht für
{{Dieser Artikel|behandelt den Gesamtstaat der preußischen Könige. Zu dem namensgebenden ''Königreich Preußen'' siehe [[Herzogtum Preußen]] und [[Provinz Preußen]].}}
:* [[Preußen]] als umgangssprachlich gebrauchte, erweiterte Bezeichnung für den 1701 bis 1918 bestehenden, von den [[König von Preußen|preußischen Königen]] regierten Staat ''Preußen''
[[Datei:Flag of the Kingdom of Prussia (1701-1750).svg|mini|Die [[Flagge Preußens#Flagge des Königreichs und des Staates Preußen|Flagge des Staates Preußen]] war bis 1918 immer die des ''[[Ostpreußen#Preußen wird Königreich|Königreichs Preußen]]'']]
:* das [[Herzogtum Preußen]], ein relativ kleiner bzw. der namengebende Teil des Staates ''Preußen'', nachdem dieses 1701 vom [[brandenburg]]ischen [[Kurfürst]]en [[Friedrich I. (Preußen)|Friedrich III.]] ([[Friedrich I. (Preußen)|Friedrich I.]] als preußischer König) zu einem Königreich erhoben worden war. Das umgewandelte Herzogtum bekam von [[Friedrich II. (Preußen)|Friedrich II.]] 1793 den verwaltungstechnischen (später Provinz-) Namen [[Ostpreußen]], der umgangssprachlich bald ausschließlich gebraucht wurde. Dadurch entfiel die Verwechslung beim umgangssprachlichen Gebrauch von ''Königreich Preußen'' für Preußen als Gesamtes.
Als '''Königreich Preußen''' wird der [[Preußen|preußische Staat]] für die Zeit zwischen 1701 und 1918 bezeichnet, in der seine Herrscher aus dem [[Haus Hohenzollern]] den [[König]]stitel trugen.

Der preußische Staat entstand aus den Gebieten [[Brandenburg-Preußen]]s, nachdem sich [[Kurfürst]] [[Friedrich I. (Preußen)|Friedrich III.]] von [[Mark Brandenburg|Brandenburg]] 1701 eigenhändig zum König ''in'' Preußen gekrönt hatte. Er bestand zunächst nur aus dem namensgebenden, seit 1657 souveränen, nun zum ''Königreich'' erhobenen [[Herzogtum Preußen]] und den im [[Heiliges Römisches Reich|Heiligen Römischen Reich]] gelegenen Territorien des Kurfürsten, dehnte sich aber im Laufe der Zeit auf nahezu ganz [[Norddeutschland]] aus. Seine Hauptstadt war [[Berlin]].

Seit dem [[Siebenjähriger Krieg|Siebenjährigen Krieg]] (1756–1763) war Preußen die kleinste der [[Pentarchie (Europa)|fünf europäischen Großmächte]] und die zweite deutsche nach der österreichischen [[Habsburgermonarchie]]. Auf dem [[Wiener Kongress]] 1814/15 durch territoriale Zuwächse im Westen Deutschlands erheblich vergrößert, trieb Preußen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die [[Deutsche Einigung|Schaffung eines deutschen Nationalstaats]] voran. Es drängte [[Kaisertum Österreich|Österreich]] durch seinen Sieg im [[Deutscher Krieg|Deutschen Krieg]] aus Deutschland hinaus und bildete 1867 den [[Norddeutscher Bund|Norddeutschen Bund]]. Dieser wurde 1871, nach dem [[Deutsch-Französischer Krieg|Deutsch-Französischen Krieg]], um die süddeutschen Staaten zum [[Deutsches Kaiserreich|Deutschen Kaiserreich]] erweitert. Sowohl im Norddeutschen Bund als auch im Kaiserreich war Preußen der weitaus größte und dominierende Gliedstaat. Der [[König von Preußen]] nahm als Staatsoberhaupt des Reiches den zusätzlichen Titel [[Deutscher Kaiser]] an. Mit der Abdankung des letzten Kaisers und Königs, [[Wilhelm II. (Deutsches Reich)|Wilhelms II.]], infolge der [[Novemberrevolution]] 1918 endet die Monarchie in Deutschland. Preußen ging im neu geschaffenen [[Freistaat Preußen]] auf.
[[Datei:Das brandenburgische Kurfürstenpaar bei der Kartoffelernte 1659 in Oranienburg.jpeg|mini|Das brandenburgische Kurfürstenpaar ([[Friedrich Wilhelm (Brandenburg)]] und [[Luise Henriette von Oranien]]) bei der Kartoffelernte 1659 in [[Oranienburg]] (siehe auch [[Kulturgeschichte der Kartoffel]])]]
[[Datei:Wilhelm Camphausen, DER GROSSE KURFÜRST ALS FELDHERR IN DER SCHLACHT.jpg|mini|Kurfürst Friedrich Wilhelm mit seinen Generälen, 1670er Jahre. Die [[Schlacht bei Fehrbellin]] 1675 prägte das preußische [[Sendungsbewusstsein]] und erzeugte den [[Gründungsmythos]] des preußischen Staats.]]

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== Geschichte ==
Die Geschichte der preußischen Monarchie umfasst zwei markante Abschnitte: Die erste Hälfte von 1701 bis 1806, bekannt als die Zeit der altpreußischen Monarchie, und die „Neupreußische Monarchie“ von 1807 bis 1918. Die Jahre von 1806 bis 1809 führten zur Erneuerung sämtlicher Staatsinstitutionen in einem veränderten Staatsterritorium, altpreußische Traditionslinien und Strukturen wurden fallengelassen und es begann eine neue Zeitrechnung. Im Zuge der [[Preußische Reformen|preußischen Reformen]] entstand der „Neupreußische Staat“.

=== Rangerhöhung unter König Friedrich I. (1701–1713) ===
[[Datei:Prusy 1525 de.svg|mini|Das seit 1525 bestehende Herzogtum Preußen wurde 1701 zum Königreich Preußen erhoben.]]
[[Datei:Preussen 1701 Königsberg.jpg|mini|links|Krönung Kurfürst Friedrichs&nbsp;III. von Brandenburg zum König Friedrich&nbsp;I. in Preußen, Königsberg 1701]]
==== Der neue preußische Staat ====
Die Länder der [[Hohenzollern]]dynastie mit ihrem herrschaftlichen Schwerpunkt in der Mark Brandenburg waren 1700 nach europäischen Maßstäben eine [[Mittelmacht]]. Als Kurfürsten von Brandenburg hatten die Hohenzollern seit dem 15. Jahrhundert eine herausgehobene Stellung als [[Reichsstand]] im Heiligen Römischen Reich inne. Das Kaiserreich konnte sich nach 1648 noch einmal konsolidieren, doch war die politische Stellung der Reichsfürsten mit dem [[Westfälischer Friede|Westfälischen Frieden]] erheblich gestärkt worden. Mit ihrer Lage im Nordosten des Reichs war die Bindung der Hohenzollerngebiete an den Kaiser lockerer als in den zentralen Gebieten am Rhein und in Süddeutschland.<ref>Barbara Stollberg-Rilinger: ''Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation: Vom Ende des Mittelalters bis 1806''. 5. Auflage. C.H.Beck Verlag, 2013, Kapitel V – ''Von der Konsolidierung zur Krise der Reichsinstitutionen (1555–1618)'', S. 66–69</ref> Bereits in den vorangegangenen Jahrhunderten hatten die brandenburgischen Kurfürsten, im Zuge der [[Reformation]]sauswirkungen und [[Glaubenskrieg]]e, im Ringen zwischen [[Zentralstaat|unitarischer]] Kaisermacht und [[Föderalismus in Deutschland|polyzentrischer]] Fürstenmacht im Reich, auch zusammen mit den sächsischen Kurfürsten, zeitweise einen regionalen Gegenpol zur Kaisermacht gebildet.

Rang, Reputation und Prestige eines Fürsten waren um 1700 wichtige politische Faktoren. Kurfürst [[Friedrich I. (Preußen)|Friedrich&nbsp;III.]], die Zeichen der Zeit erkennend, strebte nach dem [[König]]stitel. Damit suchte er vor allem die Ranggleichheit mit dem Kurfürsten von [[Kurfürstentum Sachsen|Sachsen]], der zugleich König von Polen war, und mit dem Kurfürsten von [[Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg|Hannover]], der Anwärter auf den englischen Thron war. Mit dem Einverständnis Kaiser [[Leopold I. (HRR)|Leopolds&nbsp;I.]] nutzte der Kurfürst seine [[Souveränität]] im Herzogtum Preußen, indem er sich dort in [[Königsberg (Preußen)|Königsberg]] am 18. Januar 1701 als Friedrich&nbsp;I. zum „König in Preußen“ krönte. Der Titel eines Königs ''von'' Preußen hätte einen Konflikt mit dem [[Königreich Polen]] heraufbeschworen, das ebenfalls Teile des einstigen preußischen Ordensstaates besaß. Im Gegenzug trat die ''Königlich-Preußische Armee'' im [[Spanischer Erbfolgekrieg|Spanischen Erbfolgekrieg]] auf Seiten des Kaisers gegen Frankreich an. Während des zeitgleich an der nordöstlichen Grenze ausgebrochenen [[Großer Nordischer Krieg|Großen Nordischen Kriegs]] gelang es Friedrich, sein Land von den Auseinandersetzungen freizuhalten.

Das einschränkende „in Preußen“ blieb erhalten, weil die Bezeichnung „König von Preußen“ als Herrschaftsanspruch auf ganz Preußen, also auch auf den seit 1466 zu Polen gehörenden westlichen Teil des [[Deutschordensstaat]]s „Preußen“, verstanden worden wäre. Mit der Titelbezeichnung „in“ wurden auch mögliche polnische Ansprüche auf Ostpreußen abgewendet.
Im Hohenzollernstaat galt weiterhin die [[Ständeordnung]] der einzelnen Landesteile, von denen die [[Mark Brandenburg]] gefolgt von [[Ostpreußen]] die herausragenden waren; das [[Herzogtum Magdeburg]], [[Hinterpommern]] und das [[Fürstentum Halberstadt]] bildeten die mittleren Provinzen. Die kleineren westlichen Landesteile erhielten zunächst eine nachgeordnete Rolle. Sämtliche Behörden, staatliche Institutionen und Amtsträger trugen fortan den königlich-preußischen Titel<ref>Christopher Clark: ''Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947.'' 1 Auflage. Pantheon Verlag, 2008, S. 105.</ref> und „Preußen“ als der Name des nun zum Königreich erhobenen Herzogtums wurde bald zur Bezeichnung der Gesamtheit der mit Kurbrandenburg durch die Personalunion verbundenen Lande. Amtlich sprach man von ihnen als „die preußischen Staaten“<ref>[[Hans-Joachim Schoeps]]: ''Preussen. Geschichte eines Staates''. Propyläen, Berlin 1966, S. 44; auch [[Monika Wienfort]]: ''Geschichte Preußens''. C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56256-3, S. 7, „preußische Staaten“ S. 10.</ref> oder als den „Staaten des Königs von Preußen“,<ref>[[Gerd Heinrich (Historiker)|Gerd Heinrich]]: ''Geschichte Preußens. Staat und Dynastie.'' Propyläen, Frankfurt u. a. 1981, ISBN 3-549-07620-7, S. 132.</ref> oder den „Königlichen Preußischen Staaten“.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S. 86.</ref> Erst ab etwa 1800 kam für die Monarchie die Bezeichnung „Preußischer Staat“ auf.

Die Wende zum 18. Jahrhundert markiert die beginnende Hochzeit des europäischen [[Absolutismus]], in der die Landesfürsten nach den bereits im 16. Jahrhundert erfolgten [[Säkularisierung]]en des Kirchenbesitzes auch die Macht der [[Immediatstadt|immediaten]] Städte und des [[landsässig]]en Adels erheblich zurückdrängen konnten. Im Zuge der Machtzunahme der Hohenzollern wurde Berlin zum politischen Zentrum, auf Kosten der einst politisch autonomen Städte und der [[Untertänigkeit|untertänigen]] Bauern. Neu gegründete landesherrliche Institutionen begannen, überkommene Ständestrukturen Schritt für Schritt zu verdrängen. Die stark erweiterte [[kurbrandenburgische Armee]] gewann eine zentrale und für den König machtsichernde Rolle.<ref>Peter-Michael Hahn: ''Fürstliche Territorialhoheit und lokale Adelsgewalt: Die herrschaftliche Durchdringung des ländlichen Raums zwischen Elbe und Aller (1300–1700).'' Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 72, De Gruyter, Berlin/New York 1989, S. 1–10.</ref>

In den östlichen Gebieten der Monarchie hatte sich im 17. Jahrhundert die [[Gutsherrschaft]] des [[Landadel]]s durchgesetzt, die aus ehemals [[Freies Bauerntum|freien Bauern]] [[Hörigkeit (Rechtsgeschichte)|Hörige]] machte; die westlichen Provinzen waren davon nicht betroffen, auch weil dort andere Gewerbe dominierten. Die Besiedlungsdichte nahm zum Osten hin ab; die größten Städte waren Berlin und Königsberg, die mit mehr als 10.000 Einwohnern auch zu den 30 größten Städten des Reichs gehörten.

==== Korruption, Pest, Hungersnot und höfische Prachtentfaltung ====
Der König regierte im [[Kabinettsystem|Kabinett]] und es bildete sich durch das häufige indirekt agierende Regierungshandeln ein Günstlingssystem mit [[Seilschaft]]en um den König. Es gab über ihn hinaus weitere einflussreiche Amtsträger am Hofe, die die Regierung maßgeblich gestalteten. In den 1700er Jahren war es vor allem das [[Drei-Grafen-Kabinett]], das die eigentliche Staatspolitik Preußens bestimmte. Dadurch entstand ein erhebliches Maß an Korruption, die von den höchsten Staatsämtern ausging. Die Staatsfinanzen wurden dadurch erheblich belastet.<ref>''Preußen 1701 – Eine europäische Geschichte''. Band II: ''Essays''. Hrsg. Deutsches Historisches Museum und SPSG, Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung im Schloss Charlottenburg vom 6. Mai 2001 bis 5. August 2001. Henschel Verlag, S. 34</ref> Dies vollzog sich in einer Krisenzeit, als die [[Große Pest von 1708 bis 1714]] das [[Ostpreußen]] heimsuchte, die viele Tausend Menschen das Leben kostete. Zusätzlich führte der [[Jahrtausendwinter von 1708/1709]] zu einer Hungersnot.
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| Untertitel1 = Das [[Berliner Stadtschloss]] erhielt um 1700 einen großformatigen Umbau in eines der größten Barockschlösser Europas unter Leitung von [[Andreas Schlüter (Architekt)|Andreas Schlüter]]
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Friedrich&nbsp;I. konzentrierte sich auf eine aufwändige Hofhaltung nach französischem Vorbild. Dies und die allgemeine staatliche Misswirtschaft brachte den preußischen Feudalstaat an den Rand des finanziellen Ruins. Nur durch Vermietung weiterer preußischer Soldaten an die Allianz im Spanischen Erbfolgekrieg konnte der König die kostspieligen Aufwendungen für den Prunk am Hof bestreiten. So erhielt Preußen während seiner Amtszeit 14 Millionen Taler an Subsidienzahlungen von den Alliierten. Der Staatshaushalt betrug 1712 rund vier Millionen Taler, von denen allein 561.000 ausschließlich der Hofhaltung zugeführt wurden. Die Einnahmen bestanden nur zum Teil aus Steuern. Die Subsidienzahlungen der Alliierten hingen vom Kriegsverlauf ab, bildeten also keine verlässlichen Einnahmen. In der Amtszeit Friedrichs&nbsp;I. fand ein bedeutender Anstieg der reinen Steuereinnahmen nicht statt.

Trotzdem leistete sich der König eine aufwendige [[barock]]e Hofhaltung mit dem Bau neuer Schlösser ([[Schloss Charlottenburg]], [[Schloss Monbijou]]) und Jagdhäuser im Umland von Berlin. Der, gegenüber anderen Fürstentümern, wahrgenommene Zivilisationsrückstand des traditionellen Agrarstaats sollte durch ein ambitioniertes höfisches Ausbauprogramm innerhalb weniger Jahre aufgeholt werden. Das Kunstgewerbe wurde über vermehrte Aufträge besonders gefördert. Erstmals in der Geschichte Brandenburg-Preußens wirkten auch international bedeutende Künstler und Architekten wie [[Andreas Schlüter (Architekt)|Andreas Schlüter]] zu dieser Zeit in Preußen. Der gesamte Hofstaat Friedrichs befand sich fortwährend innerhalb der [[Berliner Residenzenlandschaft]] in Bewegung. Bauprojekte und Infrastrukturmaßnahmen wurden angeschoben, wodurch die Mark Brandenburg von Berlin aus stärker eingebunden und erschlossen wurde.<ref>Ines Elsner: ''Friedrich III./I. von Brandenburg-Preußen (1688–1713) und die Berliner Residenzlandschaft: Studien zu einem frühneuzeitlichen Hof auf Reisen – Ein Residenzhandbuch''. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2012, Zusammenfassung als Buchbesprechung in: [https://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/zeitschrift-fuer-historische-forschung/42-2015/2/ReviewMonograph152426229 Zeitschrift für Historische Forschung 42 (2015) 2, S.&nbsp;358f]</ref> Ein glänzender Höhepunkt in dieser Zeit war das [[Dreikönigstreffen (1709)|Dreikönigstreffen]] 1709 im [[Schloss Caputh|Caputher Schloss]]. Hier konnte Friedrich&nbsp;I. die seit 1701 gestiegene Bedeutung des preußischen Staates darstellen. Durch die Einwanderung der [[Hugenotten]] wenige Jahre zuvor gab es inzwischen hauptsächlich im Berliner Raum eine gebildete und wirtschaftlich aktive [[Bürgertum|Bürgerschicht]], die die Basis für die sich nun vergrößernde [[gesellschaftliche Differenzierung]] bildete. Die Nachfrage des [[Preußischer Hofstaat|Berliner Hofstaats]] führte zur Gründung neuer Gewerbebranchen und [[Manufaktur]]en. Auch in die Landwirtschaft brachten die Hugenotten Innovationen ein, wie den [[Tabakanbau in Deutschland|Tabakanbau]] in der [[Uckermark]]. Auch die [[Residenzstadt|Residenz]] Berlin wurde erheblich ausgebaut und durch Vorstädte ([[Berlin-Friedrichstadt|Friedrichstadt]], [[Dorotheenstadt]]) erweitert. Die Zahl der Einwohner der preußischen Hauptstadt stieg beträchtlich.<ref>Christopher Clark: ''Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947.'' 1. Auflage. Pantheon Verlag, 2008, S. 99.</ref> Die Gründung der [[Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin|Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin]] aber auch die neu gegründete [[Universität Halle]] verbesserten das höhere Bildungsangebot.

=== Innere Konsolidierung unter König Friedrich Wilhelm I. (1713–1740) ===
[[Datei:Preussen-FdG.jpg|mini|links|Die territoriale Entwicklung [[Brandenburg-Preußen]]s im 18. Jahrhundert: Gebietszuwächse während der Herrschaft Friedrichs&nbsp;I. in violetter, Friedrich Wilhelms&nbsp;I. in roter, Friedrichs&nbsp;II. in grüner, Friedrich Wilhelms&nbsp;II. in blauer Darstellung.]]

==== Ausbau der Armee, Kürzung der Kultur ====
[[Datei:R Knötel Friedrich Wilhelm I. im Lustgarten.jpg|mini|[[Richard Knötel]]: Friedrich Wilhelm&nbsp;I. im [[Lustgarten (Potsdam)|Lustgarten]] inspiziert das Potsdamer Infanterieregiment [[Lange Kerls]]]]
Der Sohn Friedrichs&nbsp;I., [[Friedrich Wilhelm I. (Preußen)|Friedrich Wilhelm&nbsp;I.]], war nicht prunkliebend wie sein Vater, sondern vielmehr sparsam und praktisch veranlagt. Folglich kürzte er, eben aus dem Sterbezimmer des Vaters kommend, die Ausgaben für die Hofhaltung und entließ nach der Beerdigung die meisten Höflinge. Alles, was dem höfischen Luxus diente, wurde entweder abgeschafft oder anderen Nutzungen zugeführt. Alle Sparmaßnahmen des Königs zielten auf den Ausbau eines starken [[Stehendes Heer|stehenden Heeres]], in dem der König die Grundlage seiner Macht nach innen und außen sah. Von den jährlichen Staatseinnahmen verwendete er 73 % für die laufenden Militärkosten, während Hof und Verwaltung mit 14 % auskommen mussten. In seiner Amtszeit baute er die preußische Armee zu einer der schlagkräftigsten Armeen in ganz Europa aus, was ihm den Beinamen „der Soldatenkönig“ verschaffte. Angesichts der Größe der preußischen Armee im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, 83.000 Soldaten zu 2,5 Millionen Einwohnern im Jahre 1740, schrieb [[Georg Heinrich von Berenhorst]] später: „Die preußische Monarchie bleibt immer – nicht ein Land, das eine Armee, sondern eine Armee, die ein Land hat, in welchem sie gleichsam nur einquarti[e]rt steht.“<ref>[[Georg Heinrich von Berenhorst]]: ''Aus dem Nachlass'', ed. E. v. Bülow&nbsp;I, Dessau 1845, S.&nbsp;187.</ref>

Kurz nach Regierungsantritt endete der [[Spanischer Erbfolgekrieg|Spanische Erbfolgekrieg]], in dem preußische Hilfstruppen gegen [[Subsidien]] jahrelang fernab des eigenen Territoriums kämpften. Preußen hatte in dem Krieg keine selbständige Rolle gespielt; trotz dieser schwachen Position erhielt es aber in den Friedensverhandlungen die zuvor eroberten Gebiete um [[Geldern]], [[Kanton Neuenburg|Neuchâtel]] und [[Lingen]] aus der [[Oranien|oranischen]] Erbschaft zugesprochen. Der Friedensschluss von 1714 ermöglichte es dem König, sich dem noch nicht beendeten nordeuropäischen Konflikt zuzuwenden. Zwei Jahre später führte er den mehrmonatigen [[Pommernfeldzug 1715/1716|Pommernfeldzug]], der Preußens Besitz um einen Teil von [[Schwedisch-Vorpommern]] einschließlich des [[Oderdelta]]s mit der wichtigen Hafenstadt [[Stettin]] vermehrte. Es folgte in Europa eine längere Friedenszeit, die es Preußen ermöglichte, sich der inneren Entwicklung zu widmen.<ref>Gerhild H. M. Komander: ''Der Wandel des „Sehepuncktes“: die Geschichte Brandenburg-Preußens in der Graphik von 1648–1810''. Lit Verlag, Münster / Hamburg 1995, S.&nbsp;113</ref>

Friedrich Wilhelm gelang es in seiner Regierungszeit, die im Verhältnis zu seinen Ressourcen überdimensionierte Armee über Jahrzehnte hinweg zu finanzieren und einsatzbereit zu halten. In der Folge von [[Desertion|Massendesertionen]] kam es, zum Erhalt der Mannsollstärken, zu ausufernden [[Werbung (Militär)|Zwangswerbungen]]. Mit der Einführung einer vor allem die niederen Stände betreffenden [[Wehrpflicht]], dem [[Kantonsreglement]], sowie einer effektiven Administration und der Einbindung aller gesellschaftlichen Kräfte, auch des Adels, unter die Ziele des Königs gelang es, den preußischen Militärstaat zu festigen. Weitere außenpolitische Ziele wurden dabei zunächst nicht verfolgt.<ref>[[Sven Externbrink]]: ''Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich: Deutschlandbild und das alte Reich''. Akademie Verlag, Berlin 2006, S. 211.</ref>

==== Verwaltungsreformen, Manufakturen und Staatseinnahmen ====
[[Datei:Tabakskollegium-1.jpg|mini|hochkant=1.1|Tabakskollegium Friedrich Wilhelms&nbsp;I. in [[Königs Wusterhausen]], um 1737]]

Der von Kurfürst Friedrich Wilhelm begonnene Staatsumbau zugunsten der fürstlichen Macht und zulasten der [[Ständegesellschaft|Stände]] und der autonomen Städte, wurde unter seinem Enkel König Friedrich Wilhelm&nbsp;I. im Wesentlichen bis 1740 vollendet. Die Transformation des staatlichen Überbaus vollzog sich unter dem Einfluss des in Europa vorherrschenden [[Absolutismus]], der seinen Höhepunkt in Preußen zur Mitte des 18. Jahrhunderts erreichte. Insbesondere König Friedrich Wilhelm&nbsp;I. und sein Sohn und Nachfolger Friedrich&nbsp;II. „regierten durch“ mittels Einzelverfügungen selbst in Nebenangelegenheiten.<ref name="Michael Kotulla 1934">Michael Kotulla: ''Deutsche Verfassungsgeschichte: Vom Alten Reich bis Weimar (1495 bis 1934).'' Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 2008, S. 276.</ref> Daraus ergab sich in der älteren Geschichtsschreibung eine stark personalisierte Darstellung der preußischen Geschichte, bis hin zu einer Legenden- und Mythenbildung, die sich um die großen preußischen Herrscher dieser Epoche bildete.

Mit der Gründung eines [[General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domainen-Direktorium|Generaldirektoriums]] wurde die zunächst rein fürstliche Verwaltung auf allgemeine Belange des Gemeinwesens ausgeweitet, wodurch eine einheitliche gesamtstaatliche Hierarchie mit eindeutigen Zuständigkeiten entstand. Ständische Einflüsse des Adels wurden durch die [[Patriarchat (Soziologie)|patriarchische]] Herrschaftsführung Friedrich Wilhelms&nbsp;I. zurückgedrängt.<ref>Hans Martin Sieg: ''Staatsdienst, Staatsdenken und Dienstgesinnung in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert (1713–1806): Studien zum Verständnis des Absolutismus.'' Walter de Gruyter, Berlin 2003, S.&nbsp;363f.</ref> Mit der auf die Person des Monarchen ausgerichteten Zentralverwaltung, die ein einheitliches königliches [[Beamtentum]] beinhaltete,<ref>Hans Rosenberg: ''The Formation and Transformation of the Bureaucratic Nobility during the 18th Century.'' In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Moderne Preußische Geschichte'' Band&nbsp;2, S.&nbsp;649&nbsp;ff.</ref> und mit dem forcierten Ausbau des stehenden Heeres wurden Institutionen geschaffen, die das geografisch weiterhin zersplitterte Land vereinten.<ref name="Michael Kotulla 1934" />

Mit einem ausgedehnten Domänenbesitz und der Akzise war den Verwaltungsorganen eine weit über das fiskalische Interesse hinausgehende Sorge für die Entwicklung der Landwirtschaft gegeben. Es folgte eine spezielle auf Ertragszuwächse ausgerichtete Reform der [[Rittergut|königlichen Domänenbewirtschaftung]], deren jährliche Erlöse sich zwischen 1714 mit 1,9 Millionen Talern und 1740 3,5 Millionen Talern fast verdoppelten.<ref>Michael Kotulla: ''Deutsche Verfassungsgeschichte: Vom Alten Reich bis Weimar (1495 bis 1934).'' Springer Verlag, Berlin/Heidelberg 2008, S. 274.</ref> Durch ein verbreitertes Besteuerungssystem mit einer einheitlichen Grundsteuer, die Bauern- und Adelsgüter gleichermaßen umfasste, steigerten sich die Einnahmen. Eine [[Merkantilismus|merkantilistische]] Wirtschaftspolitik,<ref>Hugo Rachel: ''Der Merkantilismus in Brandenburg-Preußen.'' In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Moderne Preußische Geschichte'' Band&nbsp;2, S.&nbsp;951&nbsp;ff.</ref> die Förderung von Handel und Gewerbe sowie die Steuerreform halfen, die jährlichen Staatseinnahmen von 3,4 auf 7 Millionen Taler zu verdoppeln. Die Maßnahmen insgesamt führten in der Zeit von 1713 bis 1740 zu einer Periode großen staatlichen Fortschritts.

==== Außenpolitik ====
[[Datei:Antoine Pesne 006.JPG|mini|Gemälde vom Gegenbesuch [[August II. (Polen)|Augusts]] in Berlin 1729, das die preußische Königsfamilie zeigt]]
Außenpolitisch agierte der König nicht immer glücklich. Seine [[spartanisch]]e Auffassung von Repräsentation wich von der dominierenden französischen Kulturvorstellung erheblich ab. An den ausländischen Höfen war der preußische König als [[Sergeant]] verschrien. Im höfischen Ränkespiel war die Meinung verbreitet, man könne den König „wie einen Tanzbären auf dem diplomatischen Parkett herumführen“. Insgesamt gab sich der König zeitwährend „kaiserlich“ loyal. Dynastische Bindungen bestanden zu [[Kurhannover|Hannover]], das wiederum mit Großbritannien dynastisch verbunden war. Der Konflikt mit dem Thronfolger, 1730 in der versuchten Flucht Friedrichs&nbsp;II. gipfelnd, entwickelte sich zu einem diplomatischen Skandal. Mit Sachsen führte Friedrich Wilhelm&nbsp;I. eine rege Diplomatie; abwechselnd in Konkurrenz und Kooperation zueinander stehend, ergaben sich mehrere bedeutende Staatsbesuche, Handelsvereinbarungen oder auch das [[Zeithainer Lustlager]]. Mit Russland wurden bedeutende Allianzverträge geschlossen, die sich vor allem gegen Polen richteten.

==== Hallescher Pietismus, Sozialdisziplinierung, Peuplierung ====
[[Datei:Thomasius Francke Wolff.jpg|mini|Die bedeutendsten Gelehrten und Pädagogen Preußens bis 1750: [[Christian Thomasius|Thomasius]], [[August Hermann Francke|Francke]] und [[Christian Wolff (Aufklärer)|Wolff]]]]
[[Datei:CretiusEmpfang.jpg|mini|hochkant=1.1|[[Konstantin Cretius]]: ''Empfang der Salzburger Protestanten durch König Friedrich Wilhelm&nbsp;I. in Berlin am Leipziger Tor am 30. April 1732'', Ölgemälde um 1860]]
Mit abnehmendem Einfluss der evangelischen Kirche, übernahm der sich unter Friedrich Wilhelms&nbsp;I. aktivem Einwirken ausformende Staat mit Hilfe eines ethischen Beamtentums immer mehr soziale Aufgaben, wozu [[Sozialreform]], [[Armenfürsorge]] und Bildung gehörten. Der fromme König förderte in seiner Regierungszeit den [[Hallescher Pietismus|Halleschen Pietismus]], der zur staatsbestimmenden geistigen Grundlage in Preußen wurde, womit nach der These des Historikers [[Gerhard Oestreich]] eine [[Sozialdisziplinierung]] beziehungsweise „Fundamentaldisziplinierung“ erreicht werden sollte.<ref>Lorenz Friedrich Beck, [[Julius H. Schoeps]], Thomas Gerber, Marco Zabel: ''Der Soldatenkönig: Friedrich Wilhelm&nbsp;I. in seiner Zeit.'' Verlag für Berlin-Brandenburg, 2003, S.&nbsp;53.</ref> Die mit den Mitteln eines im 18. Jahrhundert entwickelten, für Preußen charakteristischen [[Menschenbild]]s mit ausgedehnten Prügelstrafen umgesetzte Sozialdisziplinierung verbreitete sich auch europaweit über staatliche Reformprogramme. Die Formung der Bevölkerung war langfristiges Ziel einer staatlich gelenkten [[Wirtschaftspolitik]] und des Aufbaus eines [[Stehendes Heer|stehenden Heeres]]. Dank einer an Regeln, Normen, [[Hierarchie|übergeordnete Standards]] und Pflichten gewöhnten Bevölkerung, konnten gesellschaftliche Institutionen geschaffen werden, die weite Teile des Staates einschlossen.<ref>Michael Maurer: ''Kirche, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert'' (=&nbsp;Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Band 51). R.&nbsp;Oldenbourg Verlag, München 1999, S.&nbsp;93–97.</ref> Die [[Universität Halle]] wurde zur wichtigsten Schule des aufgeklärten Beamtentums. Vernunft wie Glaube sollten Umsetzung in das staatliche Handeln finden. Ein staatspolitischer „preußischer Stil“ entstand mit gewissen rechtlichen und sozialen Gleichheitsvorstellungen. Neben dem „Recht der Gesetze“ berücksichtigte die Verwaltung in gewissem Umfang nun auch das „Recht der Verhältnisse“, also die sozialpolitischen Auswirkungen des Rechts. Für die Erfüllung des Ausgleichsgedankens wurden dabei auch Abstriche beim Recht in Kauf genommen.<ref>Klaus Schubert, Nils C. Bandelow: ''Lehrbuch der Politikfeldanalyse.'' 3. Auflage. de Gruyter / Oldenbourg, München 2014, S.&nbsp;36f.</ref> Erste Ansätze einer [[Sozialpolitik]] entstanden; einzelne Einrichtungen wie das [[Militärwaisenhaus|Potsdamer Militärwaisenhaus]] oder die [[Franckesche Stiftungen|Franckeschen Stiftungen]] in Halle wurden gegründet. Um die nötigen Fachkräfte zu gewinnen, führte man die allgemeine [[Schulpflicht]] ein und errichtete volkswirtschaftliche Lehrstühle an preußischen Universitäten; sie waren die ersten ihrer Art in Europa. Gab es zu Beginn der Regentschaft des Soldatenkönigs im Jahre 1717 erst 320 Dorfschulen, so waren es im Jahr 1740 schon 1480 Schulen.

Im Zuge einer massiv betriebenen [[Peuplierung]]spolitik ließ er Menschen aus ganz Europa ansiedeln; so holte er mehr als 17.000 [[Protestantismus|protestantische]] [[Salzburger Exulanten]] und andere [[Exulanten|Glaubensflüchtlinge]] ins dünn besiedelte [[Ostpreußen]].

Als Friedrich Wilhelm&nbsp;I. 1740 starb, hinterließ er ein wirtschaftlich und finanziell gefestigtes Land. Er hatte Preußens Fläche um 8.000&nbsp;km² auf 119.000&nbsp;km² vergrößert, und es gilt als sein Verdienst, dass sich die Bevölkerungszahl, die 1688 noch 1,5 Mio. Einwohner betragen hatte, bis 1740 auf 2,4 Mio. erhöhte. Eine Schattenseite seiner Amtszeit war allerdings die starke [[Militarisierung]] des Lebens in Preußen.<ref>Auswirkungen beschreibt Klaus Schwieger: ''Militär und Bürgertum. Zur gesellschaftlichen Prägkraft des preußischen Militärsystems im 18. Jahrhundert.'' In: [[Dirk Blasius]] (Hrsg.): ''Preußen in der deutschen Geschichte.'' Königstein (Ts.) 1980, S.&nbsp;179&nbsp;ff.</ref>

=== Aufstieg zur europäischen Großmacht unter König Friedrich II. (1740–1786) ===
==== Schlesische Kriege ====
[[Datei:Seydlitz charge at the battle of Rossbach, 1757.jpg|mini|[[Friedrich Wilhelm von Seydlitz|Seydlitz]]’ Kavallerieattacke in der [[Schlacht bei Roßbach]] 1757. Die Schlacht brachte im Nachgang publizistisch einen bedeutenden Anerkennungsschub für Preußen im Reich]]
Am 31. Mai 1740 bestieg sein Sohn [[Friedrich II. (Preußen)|Friedrich&nbsp;II.]] – später auch „Friedrich der Große“ genannt – den Thron.<ref>Zu den Gesamtaspekten der Herrschaftszeit Friedrich&nbsp;II. siehe Wilhelm Treue (Hrsg.): ''Preußens großer König.'' Freiburg / Würzburg 1986.</ref> Anders als dessen Vater, dachte dieser daran, das aufgebaute militärische und finanzielle Potential zur eigenen Machtausdehnung einzusetzen. Zwar war der König als Kronprinz der Philosophie und den schönen Künsten zugeneigt, doch die pazifistisch anmutende Grundhaltung wirkte sich nicht spürbar auf sein Regierungshandeln aus. Noch in seinem ersten Regierungsjahr ließ er die [[preußische Armee]] in [[Schlesien]] einmarschieren, auf das die Hohenzollern umstrittene Ansprüche erhoben. Dabei setzte sich Preußen gegen seinen südlichen Nachbarn, das [[Kurfürstentum Sachsen]] durch, das ebenso Ansprüche auf Schlesien angemeldet hatte, wodurch die [[Brandenburgisch-sächsische Beziehungen|beiderseitigen Beziehungen]] nachhaltig belastet wurden. Der Erwerb Schlesiens stärkte die kriegswirtschaftliche Infrastruktur Preußens erheblich. In den drei [[Schlesische Kriege|Schlesischen Kriegen]] (1740–1763) gelang es ihm, die Eroberung gegen [[Geschichte Österreichs#Erbfolgekriege|Österreich]] zu behaupten, im letzten, dem [[Siebenjähriger Krieg|Siebenjährigen Krieg]] (1756–1763), sogar gegen eine Koalition aus Österreich, [[Geschichte Frankreichs#Zeitalter des Absolutismus|Frankreich]] und [[Russisches Kaiserreich#Das Zeitalter der Kaiserinnen|Russland]]. Dies war der Beginn der preußischen Großmachtstellung in Europa und des preußisch-österreichischen [[Deutscher Dualismus|Dualismus]] im Reich. Bereits 1744 war die Grafschaft [[Ostfriesland]], mit der seit 1683 Handelsbeziehungen bestanden, nach Aussterben des dortigen Fürstengeschlechts der [[Cirksena]], an Preußen gefallen.

==== Aufgeklärter Absolutismus, Gesellschaftspolitische Reformen ====
[[Datei:Adolph-von-Menzel-Tafelrunde2.jpg|mini|hochkant|[[Adolph von Menzel]]: ''König Friedrichs&nbsp;II. Tafelrunde in Sanssouci'' mit [[Voltaire]] (links) und den führenden Köpfen der [[Brandenburgische Akademie der Wissenschaften|Berliner Akademie]], Ölgemälde von 1850]]
[[Datei:Georg Schöbel, Friedrich der Grosse und Voltaire.jpg|mini|hochkant|[[Georg Schöbel]]: Friedrich der Große und [[Voltaire]] in der Galerie des [[Schloss Sanssouci|Schlosses Sanssouci]], 1740er-Jahre]]
Mit Friedrich&nbsp;II. begann das Zeitalter des [[Aufgeklärter Absolutismus|aufgeklärten Absolutismus]]. Dies äußerte sich in Reformen und Maßnahmen, mit denen der König den staatlichen Einfluss auf nahezu alle Bereiche ausdehnte.<ref>Simone Schmon: ''Machtspruch und Gesetzesherrschaft: das Staatsverständnis in Heinrich von Kleists «Prinz Friedrich von Homburg»''. Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien 2007, S.&nbsp;27</ref> Die [[Folter]] wurde abgeschafft und die Zensur gelockert. Mit der Begründung des [[Allgemeines Landrecht|allgemeinen preußischen Landrechts]] und der Gewährung völliger Glaubensfreiheit lockte er weitere [[Exulanten]] ins Land. Nach seiner Auffassung sollte in Preußen „jeder nach seiner Façon selig werden“. Bekannt wurde in diesem Zusammenhang auch sein Ausspruch: „Alle Religionen seindt gleich und gut, wan nuhr die leute, so sie profesieren, Ehrlige leute seindt, und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land pöplieren, so wollten wir sie Mosqueen und Kirchen bauen lassen“. In den späten Jahren seiner bis 1786 währenden Herrschaft förderte Friedrich&nbsp;II., der sich als „erster Diener des Staates“ verstand,<ref>Einen Überblick zur friderizianischen Aufklärung gibt Henri Brunschwig: ''Aufklärung in Preußen.'' In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Moderne Preußische Geschichte'' Band&nbsp;3, S.&nbsp;1307&nbsp;ff.</ref> besonders die Landesentwicklung. Die Peuplierung der dünn besiedelten Gebiete östlich der Elbe, so etwa des [[Oderbruch]]s, stand auf seiner politischen Agenda an vorderster Stelle.

Die Friedrichs aufgeklärter Staatsauffassung folgenden Maßnahmen führten zu verbesserter [[Rechtsstaatlichkeit]]. Obwohl die [[Rechtspflege]] zu seinen [[Hoheitsrecht]]en als absoluter Herrscher gehörte, verzichtete Friedrich&nbsp;II. für mehr Gerechtigkeit weitgehend darauf. 1781 führte Friedrich eine Gesetzgebungskommission ein, die seine erlassenen Gesetze gutachterlich bewerten sollte. Er hob damit Rechtsprechung und Gesetzgebung aus seiner rein subjektiven Machtsphäre heraus, ohne seine fürstlichen Hoheitsrechte verfassungsrechtlich zu beschränken. In dem Bestreben, die bis dahin gültige religiös-patriarchalische Staatsauffassung ([[Gottesgnadentum]], [[Gott mit uns]]) zugunsten eines rationaleren Staatswesens zu verdrängen, das auf einem immateriellen [[Gesellschaftsvertragstheorie|Gesellschafts]]- und Unterwerfungsvertrag ([[Leviathan (Thomas Hobbes)]]) beruhte, entschied sich Friedrich für die [[Wohlfahrt]] der Gesellschaft und gegen ordnungspolitische [[Willkür (Recht)|Willkür]]. Er verkörperte nicht mehr den Staat, sondern war selbst nur eine Institution im Dienste des Staates; die Staatsdiener hatten das Recht und die Sicherheit innerhalb der staatlichen Gemeinschaft zu bewahren.<ref>Hermann Conrad: ''Rechtsstaatliche Bestrebungen im Absolutismus Preußens und Österreichs am Ende des 18. Jahrhunderts''. Westdeutscher Verlag, Köln / Opladen 1961, S. 14, 18&nbsp;f.</ref>

Der Wille des Königs wurde dennoch weiterhin durch Dekrete, Ordern, geheime Dienstinstruktionen, Verordnungen oder Patente autokratisch durchgesetzt. Der Verwaltung mangelte es an rechtlicher und formaler Systematik, mit der Folge häufiger Umorganisation, Kompetenzstreitigkeiten sowie Ziellosigkeit des behördlichen Handelns. Der König konterkarierte deren Arbeit, indem er über sie hinweg entschied, die Verwaltung reagierte mit geschönten und verfälschten Berichten. Die schwerfällige Staatsverwaltung um 1750 ermöglichte dennoch eine relativ dichte Herrschaftsintensität. Ein modernes [[Berufsbeamtentum]], das nach dem [[Ressortprinzip]] arbeitete, war noch nicht vorhanden; zur Verbesserung wurde deshalb für die Rekrutierung von höheren Staatsdienern und Beamten ein erfolgreich absolviertes Universitätsstudium als Voraussetzung eingeführt.<ref>Simone Schmon: ''Machtspruch und Gesetzesherrschaft: das Staatsverständnis in Heinrich von Kleists «Prinz Friedrich von Homburg»''. Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien 2007, S.&nbsp;30–34</ref> Mit zunehmendem Alter fiel es dem König immer schwerer, die Fäden in der Hand zu behalten und die [[Bürokratie]] entwickelte zunehmend Eigeninteressen, womit der persönlich aufgeklärte Absolutismus Friedrichs in einen bürokratischen Staatsabsolutismus überging.<ref>[[Bruno Gebhardt]], [[Walter Demel (Historiker)|Walter Demel]]: ''Handbuch der deutschen Geschichte: Reich, Reformen und sozialer Wandel, 1763–1806''. 12. Band. 10. Auflage. Klett-Cotta Verlag, 2005, S. 228 f.</ref>
[[Datei:Blick vom Schlossplatz in die Königstraße, 1788, von Carl Traugott Fechhelm, Stadtmuseum Berlin.jpg|mini|Blick vom [[Schloßplatz (Berlin)|Schlossplatz]] in die Königstraße. Das stets präsente preußische Militär exerziert auf dem Platz. 1788, [[Stadtmuseum Berlin]], Gemälde Öl auf Leinwand von [[Carl Traugott Fechhelm]]]]

Friedrich&nbsp;II. ordnete alles politische Handeln der [[Staatsräson]] unter. Das führte zu einem Staatszentrismus, der Opferbereitschaft und Unterordnung jedes Einwohners als folgsamer [[Untertan]] vorsah («[[Hunde, wollt ihr ewig leben]]»). Die Gesellschaft als aktive politische Größe sah Friedrich&nbsp;II. nicht vor, Gesellschaft und Wirtschaft blieben seinem Herrschaftsanspruch unterworfen.<ref>Peter Nitschke: ''Staatsräson kontra Utopie? Von Thomas Müntzer bis zu Friedrich&nbsp;II. von Preussen''. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart 1995, S. 246 f.</ref> Bis 1806 dominierte der Adel die Leitungsstellen der Verwaltung und des Militärs, Bürgerlichen war der Zugang zur höheren Ministerialbürokratie und zum höheren Militärdienst verschlossen. Trotzdem entfaltete sich mit königlicher Protektion in den Gewerbe- und Handelszentren ein Wirtschaftsbürgertum.<ref>Bruno Gebhardt, Walter Demel: ''Handbuch der deutschen Geschichte: Reich, Reformen und sozialer Wandel, 1763–1806.'' 12. Band. 10. Auflage. Klett-Cotta Verlag, 2005, S. 237.</ref>
Die [[Feudalismus|feudale]] [[Standesordnung]] zu erhalten, war Ziel der [[Sozialpolitik]] Friedrichs&nbsp;II., womit er eine [[soziale Mobilität]] verhinderte.<ref>Alexander Ritter: ''J. G. Müller von Itzehoe und die deutsche Spätaufklärung: Studien zur Literatur u. Gesellschaft im 18. Jh.'' [aus Anlass d. 150. Todestages d. Schriftstellers Johann Gottwerth Müller am 23. Juni 1978]. Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens, 1978, S. 215</ref> Der Erhalt des politischen und sozialen Status quo wurde zum traditionellen Grundpfeiler der preußischen [[Innenpolitik]]. Indem alle sozialen Schichten innerhalb der ihnen vom Staat zugewiesenen Schranken verblieben, nutzten sie dem Staat und seiner Armee im Sinn einer expansiven Außenpolitik. Finanzpolitisch blieben Einnahmesteigerung und Begrenzung der Ausgaben zum Erhalt der hohen Wehrhaftigkeit ein fortwährendes staatspolitisches Ziel mit hoher Priorität; die [[Wirtschaftspolitik]] war der [[Finanzpolitik]] und der [[Verteidigungspolitik]] untergeordnet.<ref>Adelheid Simsch: ''Die Wirtschaftspolitik des preußischen Staates in der Provinz Südpreußen 1793–1806/7''. In: ''Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte'', Band 33. Duncker & Humblot, Berlin 1983, S.&nbsp;40–42</ref>

==== Retablissement, Bayerischer Erbfolgekrieg, Fürstenbund und Erste Polnische Teilung ====
[[Datei:Robert Warthmüller - Der König überall (1886).jpg|mini|links|Robert Warthmüller: ''Der König überall'', Ölgemälde von 1886.&nbsp;– König [[Friedrich II. (Preußen)|Friedrich&nbsp;II.]] begutachtet den Kartoffelanbau in Preußen. Die verklärende Darstellung zeigt Friedrich als „guten [[Landesherr|Landesvater]]“, der sich volksnah und aufopfernd um das Wohl seiner Bauern kümmert.]]
Nach den hohen Kriegsverlusten Preußens, Schätzungen gehen für den Siebenjährigen Krieg von 360.000 Zivilisten und 180.000 gefallenen Soldaten aus,<ref>Christopher Duffy: ''Friedrich der Große: Ein Soldatenleben''. Weltbild, Augsburg 1994, ISBN 3-89350-558-X, S. 329</ref><ref>František Stellner: [http://usd.ff.cuni.cz/?q=system/files/stellner%20200.pdf ''Zu den Ergebnissen des siebenjährigen Kriegs in Europa.''] (PDF; 7,4&nbsp;MB) S.&nbsp;86</ref> widmete sich Friedrich&nbsp;II. nach 1763 dem Wiederaufbau des Landes im Rahmen eines Gesamtplans, der als langfristiges Ziel die Hebung der Volksbildung, die Verbesserung der Lage der Bauern und die Schaffung von Manufakturen vorsah. Dazu bediente er sich merkantilistischer Methoden mit staatlichen Subventionen für Unternehmungen sowie Aus- und Einfuhrverboten weiteren Maßnahmen zur Marktregulierung. Gegen große innere Widerstände führte er die [[französische Regie]] ein und verpachtete die Akzise an [[Marcus Antonius de la Haye de Launay]]. Den polnischen Getreidehandel auf der Weichsel beschränkte er 1772 durch einen ungleichen Handelsvertrag. Ein Münzdekret mit Währungsabwertung um 33 bis 50 Prozent brachte dem Staat 1764 Erleichterung bei den Staatsfinanzen. Die Hungerjahre von 1771 und 1772 gingen damit an Preußen vorbei. Mit Sachsen und Österreich lieferte sich Preußen Handelskriege.<ref>Martin Vogt: ''Deutsche Geschichte: Von den Anfängen bis zur Wiedervereinigung''. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart / Weimar 1994, S.&nbsp;272</ref> Hunderte neue Kolonistendörfer entstanden in Flussniederungen auf zuvor trocken gelegten Sumpfgebieten ([[Friederidzianische Kolonisation]]).
[[Datei:1775 - Blick auf das Neue Palais - Karl C. W. Baron.jpg|mini|Blick vom [[Belvedere auf dem Klausberg|Klausberg]] auf das [[Neues Palais|Neue Palais]].<br />Das Bild zeigt die Ankunft einer Gesellschaft am Neuen Palais im Juli 1775. Die sechsspännigen Kutschen sind am [[Schloss Sanssouci]] vorbeigefahren und fahren weiter zum Neuen Palais. In den beiden 6-spännigen Kutschen sitzen verschiedene württembergische und hessische Prinzen und Prinzessinnen. Auf einem Schimmel ist der König Friedrich&nbsp;II. zu erkennen.<br />Hintergrund: Friedrich hatte viele Geschwister und hatte dadurch auch viele angeheiratete Verwandte, mit deren Kindern und Enkelkindern er als Onkel in abgestuften Graden verwandt war, und die über ganz Europa verstreut lebten. Sie leisteten Dienst in seiner Armee und sie kamen auch zu ihrem königlichen Verwandten nach Berlin und Potsdam zu Besuch. Einmal im Jahr lud Friedrich alle diese Verwandten für drei Wochen zu sich nach Potsdam ein – in das Neue Palais.]]
Die preußische [[Außenpolitik]] blieb auch nach 1763 vom instabilen europäischen Mächtesystem geprägt. Krisen drohten sich zu kontinentalen Krisen auszuweiten, doch waren Preußen aber auch Österreich und Frankreich nach 1763 zu erschöpft für neue Waffengänge. Der Antagonismus zwischen Österreich und Preußen setzte sich fort, zugespitzt im [[Bayerischer Erbfolgekrieg|Bayerischen Erbfolgekrieg]]. Die preußische Politik eigener staatlicher Souveränität gegenüber dem Reich blieb bestimmend.<ref>[[Bruno Gebhardt]], [[Walter Demel (Historiker)|Walter Demel]]: ''Handbuch der deutschen Geschichte: Reich, Reformen und sozialer Wandel, 1763–1806''. 12. Band. 10. Auflage. Klett-Cotta Verlag, 2005, S. 264 f.</ref> Mit der Gründung des [[Fürstenbund (1785)|Fürstenbunds]] gerierte sich Friedrich&nbsp;II. zeitweise als Beschützer des Reichs. Gemeinsam mit [[Habsburgermonarchie|Österreich]] und [[Russisches Kaiserreich|Russland]] betrieb Friedrich die [[Teilung Polens]]. Bei der ersten Teilung 1772 fielen [[Polnisch-Preußen]], der [[Netzedistrikt]] und das [[Fürstbistum Ermland]] an [[Brandenburg-Preußen]]. Die für Friedrich&nbsp;II. wichtige Landverbindung zwischen Pommern und dem außerhalb des Reichsgebiets liegenden Königreich Preußen war damit hergestellt. Nun befanden sich „beide Preußen“ in seinem Besitz und er konnte sich „König von Preußen“ nennen. Verwaltungstechnisch bestand das Königreich jetzt aus den Provinzen [[Westpreußen]] und [[Ostpreußen]] sowie dem Netzedistrikt.

Der König vergrößerte sein Territorium während seiner Herrschaft um 76.000&nbsp;km² auf 195.000&nbsp;km² (1786). Während dieser Zeit wuchs die Bevölkerungszahl Preußens von etwa 2,4 Millionen auf 5,629 Millionen Einwohner, trotz des Verlustes von etwa 500.000 Menschen während des Siebenjährigen Krieges. Die Zahl der Einwanderer nach Preußen in der Zeit von 1740 bis 1786 wird auf 284.500 geschätzt.<ref>Hoffmann/Jander: ''Modernes Preußen im 18. Jahrhundert?'', Herrman Schroedel Verlag KG, Hannover 1981, S.&nbsp;100.</ref> Trotz zeitweiliger Zerrüttung der Wirtschaft durch die langandauernden Kriege in seiner Herrschaftszeit stiegen die Staatseinnahmen von 7 Millionen Taler im Jahr 1740 auf 20 Millionen im Jahr 1786. Friedrich der Große starb am 17. August 1786 im [[Schloss Sanssouci]].

=== Hybris und Nemesis (1786–1807) ===
[[Datei:Berlin vom Tempelhofer Berg aus gesehen Johann Friedrich Fechhelm 1781.jpg|mini|[[Berlin]] vom [[Tempelhofer Berg]] aus gesehen [[Johann Friedrich Fechhelm]] 1781, Die Stadt entwickelte sich zu dieser Zeit zur zweitgrößten Stadt des Heiligen Römischen Reichs.]]
==== Auswirkungen der Französischen Revolution ====
Mit dem Tod Friedrichs&nbsp;II. endete die Phase der preußischen Monarchie, in der der König als politischer Akteur selbständig eigene programmatische Ziele aufstellen, in Maßnahmenpaketen definieren und anordnen konnte. Der stetig auf Inspektionsreisen befindliche Friedrich&nbsp;II. versuchte noch mit seinem ausgeprägten Dienstethos die zunehmenden Aufgaben zu bewältigen, woraus sich die Legende vom „König überall“ bildete. Der [[Staatsapparat]] war aber inzwischen auf eine Größe angewachsen, die es ihm nicht mehr ermöglichte, die politischen Geschäfte selbst nur der obersten Staatsebene zu überblicken und zu kontrollieren. Spätestens um 1800 war der Staat schon zu groß geworden und die Gesellschaftsentwicklung zu weit fortgeschritten. Seine Nachfolger beschränkten sich im Regierungsgeschäft auf einen weniger zeitintensiven Herrschaftsstil. Der stetig vergrößerte Unterbau der Staatsadministration übernahm nun die Problemdefinition und die Lösungserarbeitung, die der König als höchste Instanz nur noch bewilligen musste.

1786 wurde Friedrichs Neffe, [[Friedrich Wilhelm II. (Preußen)|Friedrich Wilhelm&nbsp;II.]] (1786–1797) neuer preußischer König. Aufgrund seiner mangelnden Fähigkeiten geriet das monarchische System in eine Schieflage und es etablierte sich ein Hofstaat mit [[Mätresse]]n und [[Günstlingswirtschaft|Günstlingen]].<ref>Hans Martin Sieg: ''Staatsdienst, Staatsdenken und Dienstgesinnung in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert (1713–1806): Studien zum Verständnis des Absolutismus''. Walter de Gruyter, Berlin 2003, S.&nbsp;336</ref> Seine berühmteste Mätresse war [[Wilhelmine von Lichtenau|Wilhelmine Enke]], die er mit dem Titel einer Gräfin Lichtenau adelte. [[Berlin]] wuchs in den 1790er Jahren zu einer ansehnlichen Residenzstadt heran. Im Jahr 1791 wurde das [[Brandenburger Tor]] vom Architekten [[Carl Gotthard Langhans]] fertiggestellt. Andere klassizistische Bauten folgten.

Die Aufklärungsbewegung unter Friedrich&nbsp;II. hatte zu einer stetig größer werdenden Gesellschaft mündiger, selbstbewusster und eigenständiger Individuen geführt, deren politisches Sendungsbewusstsein sich in Mitbestimmungsforderungen und kritischen Debatten in den vorhandenen Medien und öffentlichen Zirkeln widerspiegelte. Der Sturz der [[Absolute Monarchie|absoluten Monarchie]] in Frankreich führte bei den deutschen Fürsten zu Ängsten, dass sich die Ideen der französischen Revolution auch in ihren eigenen Ländern mit Hilfe des aufgeklärten [[Bürgertum]]s ausbreiten könnten. Friedrich Wilhelm&nbsp;II. stand daher schon früh unter dem Einfluss [[Gegenaufklärung|gegenaufklärerischer]] Bestrebungen, vertreten von [[Johann Christoph von Wöllner|Johann Christoph Wöllner]] und [[Johann Rudolf von Bischoffwerder]]. Die aufklärerische [[Berliner Mittwochsgesellschaft]] musste deshalb im Geheimen tagen; Mitglieder waren unter anderem die Verfasser des [[Allgemeines Landrecht|Allgemeinen Landrechts]] [[Carl Gottlieb Svarez]] und [[Ernst Ferdinand Klein]], die Herausgeber der [[Berlinische Monatsschrift|Berlinischen Monatsschrift]] Gedike und Biester, der Verleger [[Friedrich Nicolai]] und als Ehrenmitglied [[Moses Mendelssohn]]. Allerdings wurden Personen, die sich revolutionär und abfällig über die preußische Regierung äußerten, seit 1790 entweder für mehrere Wochen festgesetzt und auch ausgewiesen, andere emigrierten freiwillig. Im Jahre 1794 wurde das bereits unter Friedrich&nbsp;II. begonnene [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten]] eingeführt. Das umfassende Gesetzeswerk verlor während der Herrschaft Friedrich Wilhelms&nbsp;II. zwar seinen aufgeklärten Charakter, stellte aber dennoch eine allgemeingültige Rechtsgrundlage für alle preußischen Provinzen dar.<ref>Hermann Conrad: ''Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates.'' In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Moderne Preußische Geschichte'' Band&nbsp;2, S.&nbsp;598&nbsp;ff.</ref>

==== Teilungen Polens, Beendigung des Dualismus mit Österreich, Frieden mit Frankreich ====
Die [[Teilungen Polens|Teilungspolitik gegenüber Polen]] wurde von Friedrich Wilhelm&nbsp;II. sowie von Russland und Österreich fortgesetzt. Bei der zweiten und der [[Dritte Teilung Polens|dritten Teilung Polens]] (1793 und 1795) sicherte sich Preußen weitere Gebiete bis nach Warschau. Durch diese Gebietszuwächse vergrößerte sich auch die Bevölkerung um 2,5 Millionen Polen und man stand vor der schwierigen Aufgabe, diese in den Staat zu integrieren. Ob dies letztendlich gelungen wäre, lässt sich nicht abschließend sagen, da die Gebiete der beiden letzten Teilungen Polens zunächst unter der Herrschaft Napoléons für Preußen wieder verloren gingen.
[[Datei:Myrbach-Prussian Garde du Corps.jpg|mini|Anzeichen von [[Hybris]] vor dem Fall, preußische Offiziere schärfen ihre Säbel vor der französischen Botschaft in Berlin]]
[[Datei:Preussen-1806.jpg|mini|links|Gebietsverluste (violett, grün) und -gewinne (rot, gelb) des preußischen Staates in der Zeit des Untergangs des Heiligen Römischen Reichs bis 1806. Infolge der Verluste durch den [[Frieden von Tilsit]] 1807 verblieb das braun dargestellte Territorium bei Preußen.]]

Preußen war außenpolitisch vor allem daran interessiert, die Stärke und den Einfluss Österreichs in Deutschland zu verringern. In den 1780er Jahren hatten sich die Spannungen zwischen den beiden Großmächten erheblich verschärft. So unterstützte Preußen Revolten gegen die österreichische Herrschaft in Belgien und Ungarn. Dies veranlasste den Kaiser und österreichischen König [[Leopold II. (HRR)|Leopold&nbsp;II.]] sich Preußen während der Zeit der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]] anzunähern. Mit der [[Reichenbacher Konvention (1790)|Konvention von Reichenbach]] vom 27. Juli 1790 war die Ära des erbitterten preußisch-österreichischen Dualismus, die seit 1740 die Politik des Heiligen Römischen Reichs geprägt hatte, vorbei. Beide Mächte verfolgten fortan ihre Interessen gemeinsam.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 335</ref> Ein erstes Zusammentreffen zwischen Leopold&nbsp;II. und Friedrich Wilhelm&nbsp;II. am 27. August 1791 mündete auf Einwirken des Grafen von Artois, des späteren französischen Königs [[Karl X. (Frankreich)|Karl&nbsp;X.]], in der [[Pillnitzer Deklaration]]. Darin erklärten sie ihre Solidarität mit dem französischen Königtum und drohten mit militärischen Aktionen, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die anderen europäischen Mächte einem solchen Schritt zustimmen würden. Weitergehend wurde am 7.&nbsp;Februar 1792 ein Verteidigungsbündnis, der [[Berliner Vertrag (1792)|Berliner Vertrag]], zwischen Österreich und Preußen geschlossen. Das revolutionäre Frankreich erklärte daraufhin am 20. April 1792 Österreich und somit auch Preußen den Krieg. Der Vormarsch des preußisch-österreichischen Heeres kam am 20. September 1792 nach der erfolglosen [[Kanonade von Valmy]] zum Erliegen, so dass französische Truppen wiederum bis in das Rheinland vorstoßen konnten. In diesem kräfteverzehrenden [[Erster Koalitionskrieg|ersten Koalitionskrieg]] gegen Frankreich suchte Preußen schließlich den Ausgleich. Die beiden Mächte einigten sich im [[Friede von Basel|preußisch-französischen Sonderfrieden von Basel]] von 1795. Preußen erkannte die linksrheinischen Eroberungen Frankreichs an und erzielte eine bis nach Franken reichende [[norddeutsche Neutralitätszone]]. Damit durchzog Deutschland eine Demarkationslinie, die die Einflusszonen der drei Großmächte Frankreich, Österreich und Preußen definierte und zum Frieden im deutschen Norden führte, während der Süden Deutschlands Kriegsschauplatz blieb.

==== Norddeutsche Neutralitätszone, Auflösung des Heiligen Römischen Reichs ====
Der preußische Alleingang bewirkte, dass die anderen europäischen Mächte dem preußischen König misstrauten, so dass er in den Folgejahren isoliert war. Mit seinem einseitigen Ausscheren aus der Kriegskoalition zeigte Preußen seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal des Reiches.<ref>Heinz Duchhardt: ''Altes Reich und europäische Staatenwelt 1648–1806''. In: ''Enzyklopädie Deutscher Geschichte'', Band 4. R. Oldenbourg Verlag, München 1990, S. 47&nbsp;f.</ref> Österreich, alleine zu schwach, gab ebenfalls auf und räumte damit das Ende der preußisch-österreichischen Großmachtpolitik in Europa ein. Während die [[Reichspublizistik]] Preußen für den ungezwungenen Frieden mit Frankreich scharf verurteilte, blieben die anderen Reichsstände zurückhaltend. Mit den [[Erster Koalitionskrieg#Ergebnisse|Berliner Verträgen]] vom 5. August 1796 kam Preußen in den Besitz der Bistümer [[Bistum Münster|Münster]], [[Bistum Würzburg|Würzburg]] und [[Bistum Bamberg|Bamberg]].
Für den Norden bildete der [[Hildesheimer Kongress]] eine Art Gegenreichstag; Zahlungen der norddeutschen Reichsstände gingen nun nicht mehr an den Kaiser, sondern an die preußische Kasse. Die Umgestaltung des europäischen Staatensystems vollendete Frankreich mit der geschäftsmäßigen Liquidation des Kaiserreichs.<ref>Karl Otmar von Aretin: ''Vom Deutschen Reich zum Deutschen Bund''. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993, S.&nbsp;75–79</ref>
Am 16. November 1797 starb Friedrich Wilhelm&nbsp;II., sein Sohn [[Friedrich Wilhelm III. (Preußen)|Friedrich Wilhelm&nbsp;III.]] (1797–1840) wurde sein Nachfolger. Dem persönlichen Charakter des neuen Königs entsprechend, wurde die preußische Staatsführung im Inneren wie nach außen schwankender, bedächtiger und hinhaltender. Der König herrschte zwar um 1800 formell noch immer absolut, doch hatte die Staatsverwaltung in vielen Bereichen die politische Initiative übernommen, während der König nur reagierte, ohne programmatisch aktiv und gestaltend wirken zu können.<ref>Hans Martin Sieg: ''Staatsdienst, Staatsdenken und Dienstgesinnung in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert (1713–1806): Studien zum Verständnis des Absolutismus''. Walter de Gruyter, Berlin 2003, S.&nbsp;340</ref>

Mit dem [[Reichsdeputationshauptschluss]] konnte Preußen 1802/1803 die im Frieden von Basel beschlossenen erheblichen Zugewinne an Land und Menschen realisieren und verleibte sich mit der [[Säkularisation]] die vormals geistlichen Herrschaftsgebiete des [[Hochstift Hildesheim|Hochstifts Hildesheim]], des [[Hochstift Paderborn|Hochstifts Paderborn]] ([[Fürstentum Paderborn]]), des [[Hochstift Münster|Hochstifts Münster]] ([[Erbfürstentum Münster]]), die Reichsstifte [[Stift Quedlinburg|Quedlinburg]], [[Stift Elten|Elten]], [[Stift Essen|Essen]], [[Kloster Werden|Werden]] und [[Cappenberg]] sowie [[kurmainz]]ische Besitzungen in [[Thüringen]] ein; außerdem erhielt es die vormaligen Reichsstädte [[Mühlhausen/Thüringen|Mühlhausen]], [[Nordhausen]] und [[Goslar]].

Der Beginn des 19. Jahrhunderts vollendete eine über hundert Jahre anhaltende Wachstums- und Expansionsphase. Als ursprüngliche europäische Mittelmacht hatte Preußen bis 1800 zu den vorderen Rängen aufgeschlossen. Unter den fünf Großmächten des zur damaligen Zeit wirtschaftlich, gesellschaftlich, technologisch und militärisch fortschrittlichsten Kontinents war Preußen aber immer noch die mit Abstand kleinste, bezogen auf seine Wirtschaftskraft, seine Bevölkerungsdichte und selbst hinsichtlich seiner Armee von 240.000 Mann. Seine politische Reputation zehrte um 1800 vor allem von symbolischen Faktoren aus den vergangenen Ruhmeszeiten der Schlesischen Kriege. Dies führte unter den damaligen nationalen Konkurrenten zu Fehlwahrnehmungen bezüglich ihrer realen eigenen Kräfte.

{| class="wikitable"
|+ Statistischer Kennzahlenvergleich der größten europäischen Staaten 1804<ref>Georg Hassel: [http://www.ub.uni-koeln.de/utils/getfile/collection/digitalis/id/77/filename/516.pdf ''Statistischer Umriss der sämtlichen europäischen Staaten in Hinsicht ihrer Größe, Bevölkerung, Kulturverhältnisse, Handlung, Finanz- und Militärverfassung und ihrer aussereuropäischen Besitzungen.''] (PDF; 101&nbsp;MB) 2 Teile, Vieweg Verlag, Braunschweig 1805, S.&nbsp;3&nbsp;ff.</ref>
|-
! Rang<br />nach EW !! Staat !! Einwohner !! Fläche<br />in km² !! Einwohner<br />je km² !! Armeegröße !! Staatseinkommen<br />in [[Gulden]] !! Staatseinkommen<br />in Gulden pro Kopf
|-
| 1 || (europäisches) [[Russisches Kaiserreich]] || 36.385.000 || 4.356.336 || 8,4 || 510.000 || 110.000.000 || 3
|-
| 2 || [[Erstes Kaiserreich|Französisches Kaiserreich]] || 32.359.000|| 642.365|| 50,4||600.949 ||252.300.000||8
|-
| 3 || [[Kaisertum Österreich]] || 25.588.000||670.513||38,2 || 356.000||120.000.000 ||5
|-
| 4 || [[Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland]] || 15.024.000|| 315.093|| 47,7 ||200.000 ||260.000.000 ||17
|-
| 5 || (europäisches) [[Osmanisches Reich]] || 11.040.000|| 670.208||16,5 ||100.000||54.000.000 ||5
|-
| 6 || [[Spanien]]|| 10.730.000|| 506.996 || 21,2 ||76.000 ||75.000.000||7
|-
| 7 ||'''Preußische Monarchie''' ||'''9.851.000'''|| '''316.287'''|| '''31,1''' ||'''240.000''' ||'''60.000.000''' ||'''6'''
|-
| || [[Europa]] || 182.599.000|| 9.598.225|| 19,0||2.549.686||1.173.730.000 ||6
|}

==== Vierter Koalitionskrieg mit Frankreich ====
Preußens wankelmütige Neutralitätspolitik bewirkte vor allem in Frankreich seine politische Abwertung. In den zeitgenössischen Analysen, Diskursen und Berichten forderten französische Stimmen von Preußen, auf Ansprüche zu verzichten, «die nur dem Genie des großen Friedrich für dreißig Jahre zu verdanken gewesen wären, die aber nicht mit der Stärke der anderen Mächte übereinstimmten» ([[Conrad Malte-Brun]], 1803). Stattdessen sollte es sich Frankreich, ebenso wie die anderen deutschen Staaten, als Verbündeter unterwerfen, ohne eine Sonderstellung zu erwarten.<ref>Wilhelm Bringmann: ''Preußen im Jahr 1806''. ibidem Verlag, Stuttgart 2019, S.&nbsp;44</ref>

[[Datei:Cruikshank Napoleon's Entrance into Berlin.jpg|mini|[[Napoleon Bonaparte|Napoleons]] Einzug in Berlin durch das Brandenburger Tor, 1806]]
Die Überlegenheit der französischen Armee stellte eine neuartige und existenzielle Bedrohung dar. [[Napoléon Bonaparte|Napoleon&nbsp;I.]] war auch nicht gewillt, die französische Expansion zu begrenzen, und ließ deshalb internationale Verträge und Abkommen unbeachtet. Dadurch stand die preußische Regierung vor einer Zerreißprobe. 1806 beging Preußen nach etlichen Provokationen den folgenschweren Fehler, sich mit Frankreich militärisch zu messen, ohne sich vorher der Unterstützung der anderen Großmächte zu versichern.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 333</ref> In der [[Schlacht bei Jena und Auerstedt]] erlitt Preußen eine vernichtende Niederlage gegen die Truppen Napoleons. König Friedrich Wilhelm&nbsp;III. und seine Familie mussten vorübergehend nach [[Klaipėda|Memel]] fliehen, und für Preußen begann die sogenannte „[[Franzosenzeit]]“. Im [[Frieden von Tilsit]] gab es 1807 etwa die Hälfte seines Staatsgebietes, darunter alle Gebiete westlich der Elbe sowie die Landgewinne aus der zweiten und dritten Teilung Polens ab, die nun an das neue, von Napoléon etablierte [[Herzogtum Warschau]] fielen.

=== Staatsreformen und Befreiungskriege (1807–1815) ===
[[Datei:Kant doerstling2.jpg|mini|[[Immanuel Kant|Kant]] und seine Tischgenossen, Gemälde von Emil Doerstling (1892/93). Preußische Philosophen wie Wolff, Kant und später [[Hegel]] belebten den staatspolitischen Diskurs und lieferten die Grundlage für gesellschaftliche Reformen.]]

Die [[Staatslehre]] [[Christian Wolff (Aufklärer)|Christian Wolffs]] ([[Wolffianismus]]) wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts von Immanuel Kant in seinen [[Staatstheorie|staatstheoretischen]] Entwürfen weiterentwickelt; für ein gutes Zusammenleben der Menschen des Staates sollte Grundlage allen Rechts die Freiheit des Einzelnen sein. Damit stützte er sich auf Ideen von [[Adam Smith]], [[Rousseau]] und [[Montesquieu]] und besonders auf die Idee der [[Gewaltenteilung]] und des [[Volonté générale]]. Die Erfahrung der [[Amerikanische Revolution|Amerikanischen]] und der Französischen Revolution beförderte Ideale, die mit den vorhandenen politischen Bedingungen einer beharrenden absoluten Monarchie inkompatibel waren. Der Reformbedarf war nach dem Tod Friedrichs&nbsp;II. zwar groß, doch blieben die Reformansätze zunächst zaghaft und begrenzt.<ref>Hans Martin Sieg: ''Staatsdienst, Staatsdenken und Dienstgesinnung in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert (1713–1806): Studien zum Verständnis des Absolutismus''. Walter de Gruyter, Berlin 2003, S.&nbsp;345</ref> Für die Verwirklichung späterer Reformen waren diese Ideen maßgeblich, doch war dafür zuerst ein Totalabsturz des bestehenden politischen Systems notwendig.<ref>Hans Martin Sieg: ''Staatsdienst, Staatsdenken und Dienstgesinnung in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert (1713–1806): Studien zum Verständnis des Absolutismus''. Walter de Gruyter, Berlin 2003, S.&nbsp;346</ref>

Preußen musste 1807 die französische Besatzung erdulden, die fremden Truppen versorgen und große Kontributionszahlungen an Frankreich leisten. Diese einschränkenden Friedensbedingungen bewirkten wiederum seine staatspolitische Erneuerung mit dem Ziel, die Grundlagen für den Befreiungskampf zu bereiten. Mit den [[Preußische Reformen|Stein-Hardenbergschen Reformen]] unter Leitung von [[Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom Stein|Freiherr vom Stein]], [[Gerhard von Scharnhorst|Scharnhorst]] und [[Karl August Fürst von Hardenberg|Hardenberg]] wurde das Bildungswesen neu gestaltet,<ref>Georg Kotowski: ''Wilhelm von Humboldt und die deutsche Universität.'' In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Moderne Preußische Geschichte'' Band 3, S. 1346&nbsp;ff.</ref> die [[Leibeigenschaft]] der Bauern aufgehoben und 1808 die [[Kommunale Selbstverwaltung|Selbstverwaltung der Städte]] sowie 1810 die [[Gewerbefreiheit]] eingeführt. Die [[Preußische Heeresreform|Heeresreform]] wurde 1813 mit der Einführung der [[Wehrpflicht in Deutschland#Geschichte|allgemeinen Wehrpflicht]] abgeschlossen.<ref>[[Gordon A. Craig]]: ''Stein, Scharnhorst und die Preußischen Reformen.'' In: Ders.: ''Die preußisch-deutsche Armee 1640–1945. Staat im Staate'', Düsseldorf 1960, S. 56–72. [[Jürgen Kloosterhuis]], [[Sönke Neitzel]] (Hrsg.): ''Krise, Reformen – und Militär. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806''. Duncker & Humblot, Berlin 2009.</ref>
[[Datei:An Mein Volk.jpg|mini|Beginn des Aufrufs ''An Mein Volk'']]
[[Datei:Rueckkehr der Quadriga-4.jpg|mini|Die Rückkehr der Quadriga des [[Brandenburger Tor]]es 1814]]

Nach der [[Russlandfeldzug 1812|Niederlage der „Grande Armee“]] in Russland wurde am 30. Dezember 1812 bei [[Tauroggen]] der Waffenstillstand von dem preußischen [[Generalleutnant]] [[Johann David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg|Graf Yorck]] und für das [[Russisches Kaiserreich|Russische Kaiserreich]] von General [[Hans Karl von Diebitsch-Sabalkanski|Hans von Diebitsch]] unterzeichnet. In der [[Konvention von Tauroggen]], die York zunächst in Eigeninitiative ohne Mitwirkung des Königs vereinbarte, wurde beschlossen, die preußischen Truppen aus der Allianz mit der französischen Armee herauszulösen; das war der Beginn des Aufstands gegen die französische Fremdherrschaft. Bereits Anfang Februar 1813 war die gesamte Provinz Ostpreußen dem Zugriff des preußischen Königs entzogen, die Autorität übte der Freiherr vom Stein als Bevollmächtigter der russischen Regierung aus. In dieser Lage ging auch die Berliner Regierung langsam auf Distanz zum französischen Bündnispartner. Mitte Februar hatte sich die aufrührerische Stimmung bereits über die Oder bis in die [[Neumark (Landschaft)|Neumark]] ausgeweitet und es gab erste Anzeichen einer Revolution. Berater des Königs verdeutlichten ihm, dass der Krieg gegen Frankreich mit ihm an der Spitze oder notfalls auch ohne ihn stattfinden werde. Nach einer Phase der Unentschlossenheit beschloss der König schließlich Ende Februar mit Russland zusammenzugehen; der [[Vertrag von Kalisch (1813)|Vertrag von Kalisch]] wurde als ein antinapoleonisches Bündnis geschlossen und Absprachen über den zukünftigen Besitz von Territorien der Nachbarländer getroffen.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 416–419</ref>

Als der König am 17. März 1813 mit der Parole „[[An Mein Volk]]“ zum Befreiungskampf aufrief, standen aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht 300.000 preußische Soldaten (6 Prozent der Gesamtbevölkerung) bereit. Preußen wurde erneut zum Kriegsgebiet. Die Hauptkämpfe entlang der preußisch-sächsischen Grenzzone endeten für Preußen und seine Alliierten mit dem Sieg über die Reste der französischen Truppen. Nach der entscheidenden [[Völkerschlacht bei Leipzig]], bei der 16.033 Preußen getötet oder verwundet wurden, war das Ende der Vorherrschaft Napoleons über Deutschland in greifbare Nähe gerückt. Mit dem [[Herbstfeldzug 1813]] und dem [[Winterfeldzug 1814]] wurden Napoleons Truppen weiter entscheidend geschwächt. Preußen sah sich nach der demütigenden Niederlage von 1807 rehabilitiert und wieder auf einer Stufe mit dem [[Kaisertum Österreich]].<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 429&nbsp;f.</ref> Unter dem Marschall [[Gebhard Leberecht von Blücher|Blücher]] gelang den preußischen Truppen gemeinsam mit ihren Alliierten in der [[Schlacht von Waterloo]] 1815 der endgültige Sieg über Napoleon.

=== Restauration und Reaktion, Vormärz und Märzrevolution (1815–1848) ===
[[Datei:Map-DB-PrussiaProvs-1818.svg|mini|Das Gebiet Preußens nach dem Wiener Kongress 1815 (dunkelblau)]]
==== Wiener Kongress, Metternichsches System, Deutscher Bund ====
[[Datei:Reg 79.jpg|mini|Russisch-preußische [[Revue von Kalisch]] 1835]]
Nach dem Ende des Revolutionszeitalters setzten unter den Siegergroßmächten die Verhandlungen einer stabilen Nachkriegsordnung in Europa ein, die zu einer [[Restauration (Geschichte)|konservativen Wende]] und der Etablierung des [[Metternichsches System|Metternichschen Systems]] führte. Friedrich Wilhelm&nbsp;III., der Kaiser von Russland ([[Alexander I. (Russland)|Alexander&nbsp;I.]]) und der [[Kaisertum Österreich|Kaiser von Österreich]] ([[Franz II. (HRR)|Franz&nbsp;II.]]) gründeten die [[Heilige Allianz]]; sie sollte Demokratiebestrebungen in ganz Europa unterdrücken und das absolute monarchische System wiederherstellen.

Beim [[Wiener Kongress]] 1815 erhielt Preußen einen Teil seines alten Staatsgebietes zurück. Neu hinzu kamen [[Schwedisch-Pommern]], [[Teilung des Königreiches Sachsen|der nördliche Teil des Königreichs Sachsen]], die [[Provinz Westfalen]] und die [[Rheinprovinz]]. Preußen erhielt zwar die zuvor polnische [[Provinz Posen]] zurück, nicht jedoch die Gebiete der [[Teilungen Polens|zweiten und der dritten polnischen Teilung]], die an Russland gingen. Preußen bestand seitdem aus zwei großen, aber räumlich getrennten Länderblöcken in Ost- und Westdeutschland. Die neugewonnenen Provinzen hatten tradierte Raumstrukturen und Bindungen, die nun wegfielen. Der Begriff [[Musspreußen|Musspreuße]] bezeichnet den schwierigen und emotional belastenden Übergang der damaligen Bewohner in den neuen Staat. Die Bevölkerung vornehmlich der Rheinprovinz brachte mit ihrer großen und selbstbewussten städtischen Mittelschicht eine konstante Unruhe in das Königreich.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 467</ref>

Machtpolitisch konnte sich Preußen auf dem Wiener Kongress nicht durchsetzen; die zukünftige Gestaltung der deutschen Staaten konnte es nicht entscheidend beeinflussen und Sachsen blieb als Staat erhalten. Die preußische Delegation wünschte sich ein Deutschland mit starken und zentralen Regierungsfunktionen unter eigener Führung. In der Schlussakte am 8. Juni 1815 zur [[Bundesakte|Deutschen Bundesakte]] setzte sich aber die österreichische Konzeption durch.<ref name="Christopher Clark 1947">Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 449</ref> Damit wurde Preußen Mitglied des [[Deutscher Bund|Deutschen Bundes]], eines losen Verbandes der deutschen Staaten unter österreichischer Führung, der von 1815 bis 1866 existierte. Zwar hatte Preußen damit formell keine Machtbefugnis über [[Norddeutschland]] doch es blieb genügend Spielraum, um eine begrenzte de-facto Hegemonialstellung auszuüben.<ref name="Clark/Aufstieg-451">Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 451</ref>

Die neue, auf Defensive setzende außenpolitische Ordnung in Europa führte zu einem Aufleben des [[Festungsbau#Preußische Manier|Festungsbaus]]. In den neuen Provinzen im Westen entstanden in [[Festung Koblenz|Koblenz]], [[Festungsring Köln|Köln]] und [[Festung Minden|Minden]] mächtige Festungen, gebaut nach der [[Polygonalsystem|neupreußischen Befestigungsmanier]]. Preußen blieb nach 1815 von den europäischen Großmächten mit Abstand die kleinste. Aufgrund seines begrenzten außenpolitischen Spielraums war Preußen streng genommen weder Großmacht noch Kleinstaat, sondern es lag zwischen diesen beiden Ebenen.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 458</ref> Für Preußen begann damit eine lange Phase außenpolitischer Passivität, während der es versuchte, sich aus allen Konflikten herauszuhalten und sich möglichst mit allen Mächten gut zu stellen. Einem Konflikt mit Österreich wich Preußen aus. Auch zu Russland unterhielt es weitgehend gute Beziehungen, indem es die [[Geschichte Russlands#Reform und Beharrung|russische Hegemonie über größere Teile Europas]] akzeptierte.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 459</ref>

==== Konservative Wende ====
Mit dem Mord am Theaterdichter und russischen Gesandten [[August von Kotzebue]] in Mannheim durch den Studenten [[Karl Ludwig Sand]] zeigte sich die Radikalität der nationalen Einigungsbewegungen.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 460</ref> Mit den [[Karlsbader Beschlüsse]]n vom August 1819 wurden schärfere Zensur- und Überwachungsmaßnahmen erlassen, die am 20. September 1819 vom [[Bundestag (Deutscher Bund)|Bundestag]] in Frankfurt am Main einstimmig gebilligt wurden. Die konservativen Ratgeber um den Hugenotten [[Jean Pierre Frédéric Ancillon]], die während der französischen Besatzung Einfluss auf den König Friedrich Wilhelm&nbsp;III. gewonnen hatten, veranlassten eine als [[Demagogenverfolgung]] bezeichnete Verhaftungswelle.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 462</ref> Die königliche Kabinettsregierung, vornehmlich aus dem Trio [[Sophie Marie von Voß]], [[Wilhelm zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein]] und Ancillon bestehend, widersetzte sich dem Kanzler Hardenberg, von dem der König abhängig geworden war.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 463</ref> Intrigen und ein insgesamt konservativeres politisches Klima in Europa führte zu einer konservativen Wende. Eine vergiftete politische Atmosphäre, die jeden, der sich nicht streng linientreu verhielt, verdächtigte, führte Ende 1819 zur Entlassung so bedeutender Reformer wie [[Wilhelm von Humboldt|Humboldt]], [[Carl Friedrich von Beyme|Beyme]] und [[Hermann von Boyen|von Boyen]]; zuletzt gingen auch [[Heinrich Dietrich von Grolman]] und [[August Neidhardt von Gneisenau]].<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 465</ref> Das während der Freiheitskriege gegebene Versprechen, dem Land eine Verfassung zu geben, löste Friedrich Wilhelm&nbsp;III. nie ein.<ref>Zur historischen Perspektive noch in der Kaiserzeit siehe Otto Hintze: ''Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung'' (Erstpublikation 1911), in: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Moderne Preußische Geschichte'' Band 2, S. 731&nbsp;ff.</ref> An Stelle einer zentralen Volksvertretung wie in anderen deutschen Staaten gab es in Preußen ab 1823 nur die [[Provinziallandtag (Preußen)|Provinziallandtage]], die nach ständischen Gesichtspunkten gewählt und organisiert wurden und langjährigen Grundbesitz für die Abgeordneten voraussetzten. Durch Quoten war zunächst gewährleistet, dass der einheimische Adel zunächst ein Übergewicht hatte. Wegen einer strukturellen wirtschaftlichen Krise sah sich der preußische Landadel zunehmend gezwungen Grundbesitz an bürgerliche Schichten zu veräußern. In der Provinz Ostpreußen sank damit der Anteil des Adels am Grundbesitz von 75,6 Prozent im Jahr 1806 auf 48,3 Prozent im Jahr 1829.<ref name="Clark/Aufstieg-470">Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 470</ref> In der Folge gelangten die Provinzialstände immer mehr unter die Kontrolle von [[Plutokratie|Plutokraten]].

Die Provinzialstände hatten keine [[legislative]]n oder steuerlichen Vollmachten, sondern waren vor allem beratende Gremien.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 466</ref> Die Konservativen hatten sich durchgesetzt, ohne dadurch echte politische Stabilität zu erzeugen. Einerseits hatten die Reformer bleibende Veränderungen im Denken der [[Politische Klasse|politischen Klasse]] bewirkt und die Konservativen hatten selbst viele der Reformideen bereits übernommen. Dazu gehörte die gewandelte Auffassung vom preußischen Staat als alle Bewohner einbeziehende und organisch gewachsene [[Nation]]. Beträchtliche Machtzentren blieben aber bei der Regierung, vor allem in den Ressorts Finanzen, Außenpolitik, Bildung, Religion und Gesundheit.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 469</ref> Letztlich entwickelten sich die Provinzialstände zu wichtigen Brennpunkten des politischen Wandels. Immer stärker trachteten die Landtage danach, die ihnen zugewiesene Rolle auszuweiten und erhöhten in den Provinzen allmählich den liberalen politischen Druck.<ref name="Clark/Aufstieg-470" /> Als politische Foren forderten sie von der Regierung eine Generalständeversammlung und die Erfüllung des Verfassungsversprechens. Ihre Einbettung in die provinzielle Öffentlichkeit über die Provinzpresse und politische Kreise der städtischen Gesellschaft, wie den [[Club Aachener Casino]], führten zur zunehmenden Verbreitung der an sich geheimen Landtags[[debatte]]n. Durch diese von der Regierung eher unerwünschte Beteiligung des politischen Hinterlands stieg der Einfluss der [[Öffentliche Meinung|öffentlichen Meinung]] auf die Rolle der Landtage. Mit vielen [[Petition]]en breiter Bevölkerungsschichten wurden von der Berliner Regierung erweiterte Beschlussrechte gefordert.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 471. 474</ref>

==== Zollverein ====
Aufgrund der Zweiteilung seines Staatsgebiets lag die wirtschaftliche Einigung Deutschlands in Preußens ureigenem Interesse. Dem Bestreben der königlichen Regierung, [[Liberalismus]], [[Demokratie]] und die Idee der [[Einigung Deutschlands]] zu bekämpfen, standen damit starke ökonomische Zwänge entgegen.<ref>Richard H. Tilly: ''Die politische Ökonomie der Finanzpolitik und die Industrialisierung Preußens, 1815–1866.'' In: Dirk Blasius (Hrsg.): ''Preußen in der deutschen Geschichte''. Königstein (Ts.) 1980, S. 203&nbsp;ff.</ref> Wirtschaftliche Deregulierung und Zollharmonisierung wurden mit dem Zollgesetz vom 26. Mai 1818 beschlossen; es entstand das erste homogene und landesweite Zollsystem. Mit der 1834 erfolgten Gründung des [[Deutscher Zollverein|Deutschen Zollvereins]] unter preußischer Schirmherrschaft gelang eine Harmonisierung über Preußens Grenzen hinaus.<ref>William Otto Henderson: ''Prussia and the Founding of the German Zollverein.'' In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Moderne Preußische Geschichte'' Band 2, S. 1088 ff.</ref><ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 468</ref> Damit setzten auch außerhalb des Landes immer mehr Befürworter auf eine deutsche Einigung; insbesondere die Protestanten hofften darauf, dass Preußen Österreich als Führungsmacht des Deutschen Bundes ablöst. Die Regierung wollte von „Preußens deutscher Sendung“ für die politische Einigung Deutschlands jedoch nichts wissen und widersetzte sich immer noch dem lauter werdenden Ruf nach einer Verfassung und einem Parlament selbst im eigenen Land.

==== Vormärz ====
Die Phase des sogenannten [[Vormärz]], die in Frankreich 1830 mit dem Sturz des Bourbonenkönigs [[Karl X. (Frankreich)|Karl&nbsp;X.]] begann und Metternichs außenpolitisches System der Restauration zerstörte, machte sich in Preußen ab 1840 verstärkt bemerkbar. Die Restaurationspolitik hatte es nicht vermocht, die dynamischen Kräfte der bürgerlichen Bewegung und des politischen Fortschritts auf Dauer zu unterdrücken. In den 1830er Jahren waren die herrschenden konservativen Kräfte Preußens noch stark genug gewesen, um die hier und da aufflammenden liberalen Kräfte zu unterdrücken und damit zu verhindern, dass ihre Bedeutung zunahm. Kollektive Protestaktionen und Ausbrüche des Unmuts gegen die staatliche Gängelung blieben kurzlebige Erscheinungen und klangen nach ihrer Niederschlagung ohne nennenswerte politische Folgen wieder ab.
Bekanntgeworden sind Protesthandlungen wie die Berliner [[Schneiderrevolution]] vom 16.-20.&nbsp;September 1830, so wie Tumulte in Köln, Elberfeld, Jülich und Aachen.<ref>Otto Büsch (Hrsg.): ''Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens''. In: ''Handbuch der preußischen Geschichte, Band&nbsp;2''. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992–2001, S.&nbsp;192</ref> Auch im Osten wurde Preußen indirekt von einer Revolutionswelle getroffen. In der polnisch geprägten [[Provinz Posen]], musste ein Übergreifen der Aufstandsbewegung aus [[Kongresspolen]] verhindert werden. Mit einer [[Germanisierung]]spolitik versuchte man der durch den [[Polnischer Aufstand 1830|polnischen Aufstand von 1830]] ausgelösten Begeisterungswelle Herr zu werden, in deren Folge tausende Posener die Grenze überschritten, um für die polnische Nation zu kämpfen.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 472&nbsp;f.</ref>

Stärker waren die deutschen Kleinst- und Mittelstaaten von der von Frankreich ausgehenden [[Julirevolution von 1830]] betroffen. In vier Staaten erzwangen soziale Proteste den Übergang zu moderneren konstitutionellen Formen. Die verfassungslosen Großmächte Preußen und Österreich bereiteten dagegen in Geheimgesprächen neue Unterdrückungsmaßnahmen vor, die 1832 von der [[Bundestag (Deutscher Bund)|Bundesversammlung]] für den Deutschen Bund beschlossen wurden.<ref>Otto Büsch (Hrsg.): ''Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens''. In: ''Handbuch der preußischen Geschichte, Band&nbsp;2''. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992–2001, S.&nbsp;195</ref>

Der alternde König Friedrich Wilhelm&nbsp;III. starb am 7.&nbsp;Juni 1840, der neue König Friedrich Wilhelm&nbsp;IV. wurde von den liberalen Kräften hoffnungsvoll erwartet.<ref>Otto Büsch (Hrsg.): ''Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens''. In: ''Handbuch der preußischen Geschichte, Band&nbsp;2''. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992–2001, S.&nbsp;199</ref> Zu den mit dem Regierungswechsel verbundenen Neuerungen gehörte eine im Dezember 1841 verfügte Lockerung der Zensur. Es folgte eine überschäumende politische Publizistik, so dass im Februar 1843 neue Zensurbestimmungen eingeführt wurden. Mit der Kabinettsorder vom 4.&nbsp;Oktober 1840 distanzierte sich der neue König, wie bereits sein Vorgänger 1815, ausdrücklich von dem gegebenen Verfassungsversprechen.<ref>Otto Büsch (Hrsg.): Das 19.&nbsp;Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Handbuch der preußischen Geschichte, Band&nbsp;2, Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992–2001, S.&nbsp;202</ref>

==== Konflikt um den Vereinigten Landtag ====
{{Hauptartikel|Erster Vereinigter Landtag}}
Die Hoffnungen, die der Regierungsantritt [[Friedrich Wilhelm IV.]] (1840–1861) bei [[Liberalismus|Liberalen]] und Anhängern der deutschen Einigung zunächst geweckt hatte, wurden bald enttäuscht. Auch der neue König machte aus seiner Abneigung gegen eine Verfassung und einen gesamtpreußischen Landtag keinen Hehl. Zur notwendigen Bewilligung der Mittel für den Bau der von den Militärs geforderten [[Preußische Ostbahn|Ostbahn]] ließ der König einen ständischen Ausschuss zusammentreten, dem Vertreter aller Provinziallandtage angehörten. Als dieser Ausschuss sich für nicht zuständig erklärte und aufgrund des wachsenden öffentlichen Drucks fand sich Friedrich Wilhelm&nbsp;IV. im Frühjahr 1847 schließlich bereit, einen seit langem geforderten vereinigten Landtag einzuberufen.

Schon in seiner Eröffnungsrede machte der König unmissverständlich deutlich, dass er den Landtag nur als Instrument der Geldbewilligung ansehe und dass er grundsätzlich keine Verfassungsfragen erörtert sehen wolle; er werde nicht zulassen, „''daß sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt gleichsam als zweite [[Prädestination|Vorsehung]] eindränge''“. Da die Mehrheit des Landtags von Beginn an nicht nur das Etatbewilligungsrecht, sondern auch eine parlamentarische Kontrolle der Staatsfinanzen und eine Verfassung forderte, wurde das Gremium schon nach kurzer Zeit wieder aufgelöst. Damit offenbarte sich ein Verfassungskonflikt, der schließlich in die [[Märzrevolution]] mündete.

==== Deutsche Revolution von 1848/1849 ====
{{Hauptartikel|Märzrevolution 1848 in Berlin}}
{{Hauptartikel|Dreiklassenwahlrecht}}
{{Hauptartikel|Erfurter Union}}
[[Datei:Maerz1848 berlin.jpg|mini|Jubelnde Revolutionäre nach Barrikadenkämpfen am 18. März 1848, Breite Straße in Berlin, im Hintergrund das Stadtschloss<!-- Wer ist hier der Künstler?-->]]

Nach den Volkserhebungen in Südwestdeutschland erreichte die Revolution am 18. März 1848 schließlich auch Berlin. Friedrich Wilhelm&nbsp;IV., der zunächst noch auf die Aufständischen hatte schießen lassen, ließ die Truppen aus der Stadt zurückziehen und schien sich nun den Forderungen der Revolutionäre zu beugen. Der Vereinigte Landtag trat noch einmal zusammen, um die Einberufung einer [[Preußische Nationalversammlung|preußischen Nationalversammlung]] zu beschließen. Gleichzeitig mit den Wahlen zur preußischen fanden die zur [[Frankfurter Nationalversammlung|gesamtdeutschen Nationalversammlung]] statt, die in [[Frankfurt am Main]] zusammentreten sollte.

[[Datei:Aufloesung-preussische-nv.jpg|mini|Gewaltsame Auflösung der preußischen Nationalversammlung]]

Der preußischen Nationalversammlung war von der Krone die Aufgabe zugedacht worden, mit ihr gemeinsam eine Verfassung auszuarbeiten. Die Versammlung, in der weniger gemäßigte Kräfte saßen als noch im Vereinigten Landtag, stimmte dem Regierungsentwurf für eine Verfassung jedoch nicht zu, sondern arbeitete mit der „[[Charte Waldeck]]“ einen eigenen Entwurf aus. Die vom König nach scheinbaren Zugeständnissen verordnete Gegenrevolution führte schließlich zur Auflösung der Nationalversammlung und zur Einführung einer [[oktroyiert]]en [[Preußische Verfassung (1848/1850)|Preußischen Verfassung von 1848/1850]]. Diese behielt zwar einige Punkte der ''Charte'' bei, stellte aber andererseits zentrale Vorrechte der Krone wieder her. Ein aus zwei Kammern bestehendes Ständeparlament für ganz Preußen wurde geschaffen. Vor allem das [[Dreiklassenwahlrecht]] hat die politische Kultur Preußens bis 1918 entscheidend geprägt. Österreichisches Gegenstück zur oktroyierten Verfassung Preußens war die kurzlebige, 1849 von Kaiser [[Franz Joseph I.]] [[oktroyierte Märzverfassung]], die mit dem [[Silvesterpatent]] von 1851 wieder abgeschafft wurde.

[[Datei:FrWIV-Karikatur-1849-Farbe.jpg|mini|hochkant|Karikatur zur Ablehnung der [[Reichsoberhaupt 1848–1850|Kaiserkrone]] der [[Frankfurter Nationalversammlung]] durch König Friedrich Wilhelm&nbsp;IV.]]

In der Frankfurter Nationalversammlung ging man zunächst von einer [[Großdeutsche Lösung|großdeutschen Lösung]] aus: Zum entstehenden [[Deutsches Reich 1848/1849|Deutschen Reich]] sollte wie selbstverständlich derjenige Teil Österreichs gehören, der bereits dem Bund angehört hatte. Da Österreich aber nicht bereit war, in seinen nichtdeutschen Landesteilen eine getrennte Verwaltung und Verfassung einzurichten, wurde schließlich die so genannte [[kleindeutsche Lösung]] beschlossen, d.&nbsp;h. eine Einigung unter Preußens Führung. Demokratie und deutsche Einheit scheiterten aber im April 1849, als Friedrich Wilhelm&nbsp;IV. die Kaiserkrone ablehnte, die ihm die Nationalversammlung angetragen hatte. Die Revolution wurde in Südwestdeutschland mit Hilfe preußischer Truppen endgültig niedergeschlagen.

Nach Preußens gescheiterter Politik, mit der [[Erfurter Union]] (1849/1850) einen konservativeren aber [[Verfassungsstaat|konstitutionellen Nationalstaat]] zu gründen, erzwang Österreich in der [[Olmützer Punktation]] die Wiederherstellung der vorrevolutionären Verhältnisse im Deutschen Bund. Während der folgenden [[Reaktionsära]] arbeitete Preußen eng mit Österreich zusammen, um die liberale und nationale Bewegung und vor allem die Demokraten zu bekämpfen.

=== Als Konstitutionelle Monarchie bis zur Reichsgründung (1849–1871) ===
==== Von der Reaktionsära bis zur Neuen Ära ====
{{Hauptartikel|Reaktionsära}}
{{Hauptartikel|Neue Ära (Preußen)}}

Die Industrialisierung brachte eine Neustrukturierung der sozialen Schichten mit sich. In Preußen zeigte sich ein schnelles Wachstum der Bevölkerung. In der Struktur der Beschäftigten folgte ein noch schnelleres Anwachsen des Fabrikproletariats, ausgelöst durch die Landflucht. Das städtische Proletariat lebte in der Regel am Existenzminimum. Es entstand eine neue soziale Schicht, die, getrieben durch ihre missliche Lage, sich fortan politisch in den Vordergrund drückte. Der [[Eisenbahnbau]] kurbelte den Bergbau und das Hüttenwesen im [[Ruhrgebiet]] an.<ref>Brigitte Beier: ''Die Chronik der Deutschen''. Chronik Verlag, Gütersloh / München 2007, S.&nbsp;230</ref>

Das Wertsystem des vormärzlichen Liberalismus verlor nach der gescheiterten Revolution von 1848 an Bedeutung. Zwar war dem Bürgertum die politische Mitsprache verwehrt geblieben, doch blieb ihm weiterhin das Betätigungsfeld in der Wirtschaft. Durch die [[Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus|Akkumulation]] von Kapital und Produktionsmitteln gelangten so die Fähigsten unter ihnen in dem Adel vergleichbare gesellschaftliche Spitzenpositionen. Der Herausbildung wirtschaftlicher Klassen und [[Klassenkampf|Klassengegensätze]] folgte der Bruch der Einheit von Bildung und Besitz. Die bürgerlichen Gruppen, die bis dahin die Idee von Rechtsstaatlichkeit und Freiheit hochgehalten hatten, erlahmten in ihrem Kampf um eine gerechte liberale Ordnung. In der Besitzelite schwand das Interesse an umfassenden politischen Reformen, je mehr sich ihre wirtschaftliche und soziale Position festigte. Auch die bürgerliche Bildungselite war nach den Erfahrungen der 1848er Revolution in ihrem Glauben an die politischen Wirkungsmöglichkeiten schwankend geworden. Die [[Arbeiterklasse]] übernahm in Konkurrenz zu den bürgerlichen Institutionen einen Teil der progressiven Programmatik für ihre eigene sich neu formierende [[Arbeiterbewegung]]. Letztere war nicht bereit, als Hilfstruppe für einen von Bildung und Besitz beherrschten deutschen Nationalstaat zu kämpfen, die Oppositionsbewegung gegen das staatliche Regime war fortan geteilt. Nur die Idee von der deutschen Einheit hatte für das Bürgertum, allen Enttäuschungen zum Trotz, ihren Glanz behalten. Die politische Entwicklung in den 1850er und 1860er Jahren gab der bürgerlichen Nationalbewegung einen mächtigen Auftrieb.<ref>[[Kurt Klotzbach]]: ''Das Eliteproblem im politischen Liberalismus: Ein Beitrag zum Staats- und Gesellschaftsbild des 19. Jahrhunderts''. Springer Fachmedien, Wiesbaden 1966, S.&nbsp;67&nbsp;f.</ref>

[[Wilhelm I. (Deutsches Reich)|Wilhelm&nbsp;I.]], der schon 1858 die Regentschaft für seinen nach mehreren Schlaganfällen [[Regierungsunfähigkeit|regierungsunfähigen]] Bruder Friedrich Wilhelm&nbsp;IV. übernommen hatte, übernahm 1861 den Königstitel und begründete eine Phase der „Neuen Ära“; damit schien die Zeit der politischen Reaktion vorüber.<ref>Brigitte Beier: ''Die Chronik der Deutschen''. Chronik Verlag, Gütersloh / München 2007, S.&nbsp;236</ref> Mit Kriegsminister [[Albrecht Graf von Roon|Roon]] strebte er eine Heeresreform an, die längere Dienstzeiten und eine Aufrüstung der [[Preußische Armee|preußischen Armee]] vorsah. Die [[Liberalismus|liberale]] Mehrheit des [[Preußischer Landtag|Preußischen Landtags]], dem das [[Budgetrecht]] zustand, wollte die dafür nötigen Gelder jedoch nicht bewilligen. Es kam zu einem [[Preußischer Verfassungskonflikt|Verfassungskonflikt]], in dessen Verlauf der König die Abdankung in Erwägung zog. Als letzten Ausweg entschloss er sich 1862, [[Otto von Bismarck]] als Ministerpräsidenten zu berufen. Dieser war ein vehementer Befürworter des königlichen Alleinherrschaftsanspruchs und regierte jahrelang gegen Verfassung und Parlament und ohne gesetzlichen Haushalt. Das liberale Parlament und auch Bismarck machten sich gegenseitig mehrere Vorschläge des Ausgleichs, lehnten diese aber beide immer wieder ab. So kam es, dass Bismarck 1866, nach dem gewonnenen Krieg gegen Österreich, als Schadloserklärung das [[Indemnitätsgesetz]] vorlegte, in der die unbewilligten Budgets nachträglich bewilligt wurden.

In der Annahme, dass die preußische Krone nur dann Rückhalt im Volk gewinnen könne, wenn sie sich an die Spitze der deutschen Einigungsbewegung setzte, führte Bismarck Preußen in drei Kriege, die König Wilhelm die deutsche Kaiserkrone einbrachten.

==== Erster Einigungskrieg: Deutsch-Dänischer Krieg ====
Der König von [[Dänemark]] war in Personalunion Herzog der Herzogtümer [[Herzogtum Schleswig|Schleswig]] und [[Herzogtum Holstein|Holstein]], über die es im [[Vertrag von Ripen]] 1460 heißt, dass diese ''op ewig ungedeelt'' („auf ewig ungeteilt“) bleiben sollten. Obschon es in Folge mehrmals zu [[Landesteilung]]en innerhalb der Herzogtümer kam, beriefen sich die deutschen Nationalliberalen im 19. Jahrhundert auf ebendiese Aussage des Ripener Vertrages, um ihre Forderung nach einer Anbindung Schleswigs an Holstein und den Deutschen Bund zu rechtfertigen. Staatsrechtlich gehörte nur das Herzogtum Holstein als früheres römisch-deutsches Lehen zum [[Deutscher Bund|Deutschen Bund]], während Schleswig ein dänisches Lehen war (siehe auch: ''[[Dänischer Gesamtstaat]]''). Der Beschluss der Kopenhagener Regierung nach der Ablehnung der vorherigen [[Gesamtstaatsverfassung]] durch den Dt. Bund mit der [[Novemberverfassung]] eine Verfassung allein für Schleswig und Dänemark zu verabschieden, führte im Dezember 1863 zunächst zu einer [[Bundesexekution gegen die Herzogtümer Holstein und Lauenburg von 1863|Bundesexekution gegen das bundesangehörige Holstein]] und ab Februar 1864 schließlich unter Protest des Deutschen Bundes<ref>{{Literatur |Autor=Jürgen Müller |Titel=Der Deutsche Bund 1815–1866 |Verlag=Oldenbourg |Ort=München |Datum=2006 |ISBN=978-3-486-55028-3 |Seiten=46–47}}</ref> zum [[Deutsch-Dänischer Krieg|Deutsch-Dänischen Krieg]] und der Besetzung Schleswigs und weiter Teile [[Nørrejylland|Norderjütlands]] durch Preußen und Österreich. Nach dem preußisch-österreichischen Sieg musste die dänische Krone im [[Frieden von Wien (1864)|Frieden von Wien]] auf die Herzogtümer Schleswig, Holstein und [[Herzogtum Sachsen-Lauenburg|Lauenburg]] verzichten. Die Herzogtümer wurden zunächst gemeinsam in einem [[Preußisch-Österreichisches Kondominium|preußisch-österreichischen Kondominium]] verwaltet. Nach der [[Gasteiner Konvention]] von 1865 fiel Schleswig unter preußische, Holstein zunächst unter österreichische Verwaltung, während Österreich seine Rechte am Herzogtum Lauenburg an die preußische Krone verkaufte. 1866 wurden Schleswig, das zuvor annektierte Holstein und Lauenburg zu der neuen preußischen [[Provinz Schleswig-Holstein]] vereinigt.

==== Zweiter Einigungskrieg: Krieg gegen Österreich ====
{{Belege fehlen}}
Bald nach Ende des Kriegs mit Dänemark brach zwischen Österreich und Preußen Streit um die Verwaltung und die Zukunft Schleswig-Holsteins aus. Dessen tiefere Ursache war jedoch das Ringen um die Vorherrschaft im Deutschen Bund. Es gelang Bismarck, den aus Gründen der Loyalität gegenüber Österreich lange zögernden König [[Wilhelm I. (Deutsches Reich)|Wilhelm]] zu einer kriegerischen Lösung zu überreden. Preußen hatte zuvor bereits ein geheimes Militärbündnis mit dem [[Königreich Sardinien]]-Piemont abgeschlossen, das u.&nbsp;a. Gebietsabtretungen Österreichs vorsah. Österreich wiederum hatte Frankreich in einem Geheimvertrag die Errichtung eines „Rheinstaates“ auf Kosten Preußens zugesichert. Dies waren klare Rechtsbrüche, da die [[Bundesakte]] von 1815 Mitgliedern des Deutschen Bundes untersagte, Bündnisse gegen andere Mitgliedsstaaten einzugehen.

Nach dem preußischen Einmarsch in das unter österreichischer Verwaltung stehende Holstein beschloss der Frankfurter [[Bundestag (Deutscher Bund)|Bundestag]] die [[Bundesexekution]] gegen Preußen. Preußen erklärte seinerseits den Deutschen Bund als erloschen und besetzte die Königreiche [[Königreich Sachsen|Sachsen]] und [[Königreich Hannover|Hannover]] sowie [[Kurfürstentum Hessen|Kurhessen]]. Auf der Seite Österreichs standen auch die übrigen deutschen Königreiche und weitere, vor allem südwest- und mitteldeutsche Staaten. Die Freie Stadt Frankfurt als Sitz des Bundestages neigte der österreichischen Seite zu, verhielt sich aber offiziell neutral. Auf Seiten Preußens trat neben einigen norddeutschen und thüringischen Kleinstaaten auch das [[Königreich Italien (1861–1946)|Königreich Italien]] in den Krieg ein (→&nbsp;[[Schlacht bei Custozza (1866)|Schlacht bei Custozza]] und [[Seeschlacht von Lissa (1866)|Seeschlacht von Lissa]]).

Im [[Deutscher Krieg|Deutschen Krieg]] errang Preußens Armee unter [[Helmuth Karl Bernhard Graf von Moltke|General Helmuth von Moltke]] am 3. Juli 1866 in der [[Schlacht von Königgrätz]] den entscheidenden Sieg. Mit dem [[Prager Frieden (1866)|Prager Frieden]] vom 23. August 1866 wurde der Deutsche Bund, der faktisch schon durch den Krieg zerfallen war, auch formell aufgelöst und Österreich musste aus der deutschen Politik ausscheiden. Durch die [[Preußische Annexionen 1866|Annexionen der gegnerischen Staaten]] [[Königreich Hannover]], des [[Kurfürstentum Hessen]], [[Herzogtum Nassau]] und der [[Freie Stadt Frankfurt|Freien Stadt Frankfurt]] konnte Preußen fast alle seine Territorien miteinander verbinden. Aus den gewonnenen Gebieten bildete es die Provinzen [[Provinz Hannover|Hannover]], [[Hessen-Nassau]] und Schleswig-Holstein.

[[Datei:Otto von Bismarck.JPG|mini|hochkant|[[Otto von Bismarck]], seit 1862 preußischer Ministerpräsident, seit 1867 norddeutscher Bundeskanzler]]

Bereits fünf Tage vor dem Friedensschluss hatte Preußen zusammen mit den Ländern nördlich der [[Mainlinie (Politik)|Mainlinie]] den [[Norddeutscher Bund|Norddeutschen Bund]] gegründet. Anfangs ein Militärbündnis, gaben ihm die Vertragsparteien 1867 eine Verfassung, die ihn zu einem von Preußen dominierten, aber dem [[Föderalismus in Deutschland]] gerecht gewordenen [[Bundesstaat (föderaler Staat)|Bundesstaat]] machte. Dessen von Bismarck entworfene Verfassung nahm in wesentlichen Punkten die des [[Deutsches Kaiserreich|Deutschen Kaiserreiches]] vorweg. Der König von Preußen war Inhaber des [[Bundespräsidium]]s und ernannte den preußischen Ministerpräsidenten Bismarck zum Bundeskanzler. Die süddeutschen Staaten blieben außerhalb des Norddeutschen Bundes, gingen aber „[[Schutz- und Trutzbündnisse 1866|Schutz- und Trutzbündnisse]]“ mit Preußen ein.

Die durch den militärischen Erfolg gestiegene Popularität Bismarcks hatte diesen im Vorfeld der Gründung des Norddeutschen Bundes dazu bewogen, den preußischen Landtag nachträglich um Straffreiheit für die budgetlose Regierungszeit zu ersuchen. Die Annahme dieser [[Indemnitätsvorlage]] führte zur Spaltung des [[Liberalismus]] in einen obrigkeitshörigen ([[Nationalliberale Partei]]) und einen weiterhin oppositionellen Teil ([[Deutsche Fortschrittspartei]] als Rumpfpartei). Das 1867 durch Bismarcks zähe Verhandlungsführung und auf Druck der Wirtschaft eingerichtete Deutsche [[Zollparlament]] brachte die Einbeziehung süddeutscher Vertreter in eine preußisch bzw. norddeutsch dominierte Institution mit sich. Mehrheitsbeschlüsse ersetzten das im Deutschen Zollverein bisher bestehende Vetorecht der Einzelstaaten. Bayerische und württembergische Patrioten reagierten ebenso besorgt wie der französische Kaiser [[Napoléon&nbsp;III.]] Als dieser jedoch als Gegenleistung für Frankreichs Stillhaltepolitik gegenüber Preußen einen territorialen Ausgleich verlangte, schürte er damit ungewollt das Misstrauen der Öffentlichkeit in den süddeutschen Staaten. Dies wiederum stärkte deren Bindungen an Preußen.

==== Dritter Einigungskrieg: Deutsch-Französischer Krieg ====
[[Datei:Anton von Werner-Kaiserproklamation, zweite Fassung 1882-1.jpg|mini|''Die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871)'', zweite Fassung des Gemäldes für das [[Berliner Zeughaus]] von [[Anton von Werner]], 1882. Das Gründungsereignis des neuen Staats geriet entsprechend der großen Bedeutung seiner Geburtshelfer zu einem Ereignis in Uniform. Selbst zivile Politiker wie Bismarck zeigen sich in militärischer Tracht. [[Menetekel]] der preußischen Staatskultur war der stets dominierende Militarismus]]

Mit vagen Versprechungen, [[Luxemburg]] eventuell [[Frankreich]] zu überlassen, hatte Bismarck [[Napoléon&nbsp;III.]] dazu gebracht, seine Politik gegenüber Österreich zu dulden. Nun sah sich Frankreich einem erstarkten Preußen gegenüber, das von den früheren territorialen Zusagen nichts mehr wissen wollte. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern verschlechterten sich zusehends. Schließlich spitzte Bismarck den Streit um die spanische Thronkandidatur des katholischen Hohenzollernprinzen [[Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen]] in der Affäre der [[Emser Depesche]] bewusst so weit zu, dass die französische Regierung Preußen den Krieg erklärte. Dies stellte für die süddeutschen Staaten [[Königreich Bayern|Bayern]], [[Königreich Württemberg|Württemberg]], [[Großherzogtum Baden|Baden]] und das südlich der Mainlinie noch unabhängige [[Großherzogtum Hessen|Hessen-Darmstadt]] den [[Bündnisfall]] dar.

Nach dem raschen deutschen Sieg im [[Deutsch-Französischer Krieg|Deutsch-Französischen Krieg]] und der darauf folgenden nationalen Begeisterung in ganz Deutschland sahen sich nun auch die süddeutschen Fürsten gedrängt, dem Norddeutschen Bund beizutreten. Bismarck kaufte König [[Ludwig II. (Bayern)|Ludwig&nbsp;II. von Bayern]] mit Geldern aus dem so genannten [[Welfenfonds]] die Bereitschaft ab, König Wilhelm die deutsche Kaiserkrone anzutragen. Das [[Deutsches Reich|Deutsche Reich]] wurde als kleindeutscher einheitlicher Nationalstaat [[Deutsche Reichsgründung|gegründet]], was schon als Einigungsmodell von der [[Frankfurter Nationalversammlung|Nationalversammlung]] 1848/49 vorgesehen war. Im [[Spiegelsaal von Versailles]] wurde Wilhelm&nbsp;I. am 18. Januar 1871 –&nbsp;am 170. Jahrestag der Königskrönung Friedrichs&nbsp;I.&nbsp;– zum [[Deutscher Kaiser|Deutschen Kaiser]] proklamiert.

=== Als Bundesstaat im Deutschen Kaiserreich (1871–1918) ===
[[Datei:Map-DR-Prussia.svg|mini|links|Preußen im Deutschen Reich 1871 (dunkelblau)]]

==== Reichsverfassung ====
Mit der Reichsgründung hörten die deutschen Einzelstaaten auf, [[Völkerrechtssubjekt]]e und souveräne Mitglieder des europäischen Staatensystems zu sein. Sie wurden innerhalb der internationalen Staatengesellschaft nun durch das Deutsche Reich vertreten. Noch 1848 war die preußische [[Elite]] sich selbst genug und stand der [[Nationalbewegung]] ablehnend gegenüber. Zur Zeit der Reichsgründung trat der [[Partikularismus#Geschichtswissenschaft|preußische Partikularismus]] nicht mehr so deutlich hervor. Es blieben aber Befürchtungen seitens der Führungsschicht, dass Preußen gänzlich hinter das Reich zurücktreten würde.<ref>Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Handbuch der preußischen Geschichte. Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußen''. Band 3. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 2001, S. 36</ref>

Von 1871 an ging [[Preußen]] ebenso sehr im deutschen Reich auf, wie das Deutsche Reich preußischen Charakter annahm.<ref>Siegfried A. Kaehler: ''Das preußisch-deutsche Problem seit der Reichsgründung.'' In: Dirk Blasius (Hrsg.): ''Preußen in der deutschen Geschichte''. Königstein (Ts.) 1980, S.&nbsp;57&nbsp;ff.</ref> Die Führungsrolle Preußens war verfassungsrechtlich in Artikel 11 verankert, der dem König von Preußen das Präsidium des Reiches mit dem Titel [[Deutscher Kaiser]] zuerkannte. Aus der Personalunion von König und Kaiser ergab sich faktisch auch die Personalunion der Ämter des preußischen Ministerpräsidenten und [[Reichskanzler]]s, die allerdings in der Verfassung nicht vorgeschrieben war. Der Ministerpräsident und Kanzler musste aber nicht unbedingt Preuße sein, wie die Ernennung von [[Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst]] zeigt. Insgesamt gab es drei solche kurze Unterbrechungen, die sich alle nicht bewährten. Der Reichskanzler brauchte für die Reichspolitik den Machtrückhalt, den ihm der Vorsitz im preußischen Staatsministerium gab.<ref>Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Handbuch der preußischen Geschichte. Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußen''. Band 3. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 2001, S. 25</ref> Die Bezeichnung „Deutscher Kaiser“ und nicht „Kaiser von Deutschland“ bedeutete hierarchisch eine Geringerwertung des Kaisertitels. Dieser geschaffene Titel war in der Stellung zu den anderen Souveränen im Reich als [[Primus inter pares]] gedacht. Eine direkte Herrschaft des preußischen Königs als deutscher Kaiser über nicht-preußisches Gebiet war verfassungsrechtlich nicht möglich.<ref>Hanno Kube, Rudolf Mellinghoff, Ulrich Palm: Leitgedanken des Rechts zu Staat und Verfassung: Studienausgabe, C.F. Müller, Heidelberg 2015, S.&nbsp;121</ref>

Die preußische [[Hegemonie]] im Reich gründete auf seine reale Macht in Deutschland. Etwa 2/3 der Staatsfläche war preußisches Territorium. Etwa 60 Prozent der Bevölkerung waren preußische Staatsbürger. Preußen war mit seiner bewährten Armee die militärische Vormacht. Von 36 vorhandenen Divisionen des [[Deutsches Heer (Deutsches Kaiserreich)|Reichsheeres]] 1871 waren 25 preußisch. Ebenso war Preußen die wirtschaftliche Vormacht Deutschlands. Es besaß in Deutschland die größte Industrie und die meisten Lagerstätten nutzbarer Mineralien. Auch die Braunkohle- und Steinkohlevorkommen befanden sich fast ausschließlich auf preußischem Gebiet. Die großen fruchtbaren Agrargebiete lagen ebenso auf preußischen Territorium.<ref>Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Handbuch der preußischen Geschichte. Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußen''. Band 3. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 2001, S. 26</ref>

Die Ausarbeitung von Reichsgesetzentwürfen und die Erfüllung anderer Reichsaufgaben durch preußische Minister und Behörden bedeutete, dass das Reich anfangs von Preußen regiert und verwaltet wurde. Verstärkt wurde diese Übermacht noch durch den Umstand, dass das Reich in den ersten Jahren nur über wenige eigene Behörden verfügte und für die Führung der Amtsgeschäfte auf die preußischen Behörden zurückgreifen musste. Um die verfassungsmäßigen Aufgaben des Reichs zu gewährleisten, gab Preußen in den 1870er Jahren mehrere Ministerien und weitere zentrale Behörden an das Reich ab. Dazu gehörte das Auswärtige Amt, die [[Preußische Bank|Zentralnotenbank Preußens]], das [[Generalpostamt]], das [[Marineministerium]].<ref>Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Handbuch der preußischen Geschichte. Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußen''. Band 3. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 2001, S. 27</ref>

Durch diese gestaffelte Institutionenübergabe von Preußen an das Reich wandelte sich das Bild der preußischen Dominanz mit der Zeit. Dies wurde auch durch die [[Clausula antiborussica]] strukturell gefördert. Einerseits erhielt Preußen nur 17 von 58 Stimmen im Bundesrat, dem zentralen föderalen Staatsorgan des Reiches. Damit konnte es von den anderen deutschen Staaten bei Beschlüssen überstimmt werden, auch wenn dies nur selten vorkam. Dafür hatte Preußen ein Vetorecht gegen Änderungen der Militärverfassung, der Zollgesetze und der Reichsverfassung (Art. 5, 35, 37 und 78 der Reichsverfassung).<ref>Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Handbuch der preußischen Geschichte. Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußen''. Band 3. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 2001, S. 29</ref>

Insgesamt emanzipierten sich die Reichsbehörden mit der Zeit von Preußen und das frühere Verhältnis zwischen Preußen und Reich kehrte sich um. Die Staatssekretäre der Reichsämter drängten nun in die preußischen Spitzenämter. Damit traten die Interessen der Reichspolitik über die Interessen Preußens.<ref>Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Handbuch der preußischen Geschichte. Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußen''. Band 3. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 2001, S. 34</ref>

==== Außenpolitik, Innenpolitik ====
Die [[Außenpolitik]] des neuen Reichs wurde in Berlin betrieben, von größtenteils preußischem Personal unter Leitung von Preußens Außenminister Bismarck, der zugleich Reichskanzler war. Die außenpolitischen Kontinuitäten der preußischen Außenpolitik blieben auch nach der Staatsgründung erhalten. Das deutsche Kaiserreich, das vom Wesen her ein vergrößertes Preußen darstellte, war weiterhin geopolitisch zwischen Russland und Frankreich eingezwängt und konnte durch eine Koalition der beiden Großmächte in eine existenzielle Gefährdungslage geraten. Durch die Fortführung der traditionellen Ost-Allianz mit Russland sollte der Status quo gesichert werden. Das Deutsche Reich konnte wie schon zuvor Preußen auch zwischen den Mächten lavieren um eine breite anti-deutsche Koalition der europäischen Großmächte zu verhindern.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S. 39</ref>

Zwischen 1871 und 1887 führte Bismarck in Preußen den sogenannten [[Kulturkampf]], der den Einfluss des [[Politischer Katholizismus|politischen Katholizismus]] zurückdrängen sollte. Widerstände der katholischen Bevölkerungsteile und des Klerus, insbesondere im Rheinland und in den ehemals polnischen Gebieten, zwangen Bismarck aber dazu, die Auseinandersetzung ergebnislos zu beenden.<ref>Georg Franz-Willing: ''Der große Konflikt: Kulturkampf in Preußen.'' In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Moderne Preußische Geschichte'' Band&nbsp;3, S.&nbsp;1395&nbsp;ff.</ref> In den mehrheitlich von Polen bewohnten Landesteilen ging der Kulturkampf mit dem Versuch einer Germanisierungspolitik einher. Die [[preußische Ansiedlungskommission]] etwa versuchte mit beschränktem Erfolg polnisches Land für deutsche Neusiedler zu erwerben. Nach Bismarcks Entlassung wurde die Germanisierungspolitik vom [[Deutscher Ostmarkenverein|Deutschen Ostmarkenverein]] fortgeführt, der 1894 in Posen gegründet wurde.

Auf Wilhelm&nbsp;I. folgte im März 1888 der bereits schwer kranke [[Friedrich III. (Deutsches Reich)|Friedrich&nbsp;III.]], der nach einer Regierungszeit von nur 99 Tagen verstarb. Im Juni des „[[Drei-Kaiser-Jahr]]es“ bestieg [[Wilhelm II. (Deutsches Reich)|Wilhelm&nbsp;II.]] den Thron. Er entließ 1890 Bismarck und versuchte fortan, in [[Byzantinismus|spätbyzantinischer]] Manier, in der obersten Politik des Landes mitzubestimmen. Der Hofstaat und das Hofzeremoniell quoll noch mal in aller Pracht auf. Der Kaiser bemühte sich, seine Stellung und Funktion als bedeutender Amtsträger zu erhalten oder zumindest in der Repräsentation den Eindruck zu erwecken, als wäre er, der König weiterhin die wichtigste Figur in der Politik.

==== Hochindustrialisierung ====
[[Datei:Eroeffnungszug U-Bahn Berlin 1902.jpg|mini|hochkant|Der erste [[Berliner U-Bahn|U-Bahnzug Berlins]] 1902]]
[[Datei:KWI-Institute 1912.jpg|mini|hochkant=1.5|Die KWI für Chemie sowie physikalische Chemie und Elektrochemie 1912]]
Die Zeit der [[Hochindustrialisierung]] brachte für Preußen einen umfassenden Modernisierungsschub, auf dessen Höhepunkt um 1910 der Bundesstaat Preußen und das Deutsche Kaiserreich zur Gruppe der politisch, wirtschaftlich und technologisch führenden Staaten der Erde gehörte. Die Städte wuchsen sprunghaft an und Berlin entwickelte sich zu einer der größten Metropolen der Welt. Auch das [[Ruhrgebiet]] und das Rheinland erfuhren ein beispielloses Wachstum. Binnen weniger Jahre wurden dort aus unbedeutenden Provinzstädtchen pulsierende Großstädte hochgezogen. Insbesondere die [[Landflucht]] aber auch die Bewohner aus den östlichen Gebieten Preußens trugen zu diesem Bevölkerungswachstum an Rhein und Ruhr bei. Die [[Demographie]] trug Züge einer [[Bevölkerungsexplosion]]. [[Großfamilie]]n waren die Norm. Damit verbunden waren Seuchenausbrüche wie die [[Cholera]] aber auch [[Pauperismus]] weit verbreitet. Der [[Gründerboom]] brachte einen wirtschaftlichen Entwicklungsschub.

Innovation, Fortschrittsgeist und Spitzenleistungen fanden in Preußen gehäuft in den Dekaden um 1900 statt. Die Verwissenschaftlichung der Wirtschaft erfolgte vor allem in der [[Elektroindustrie]], der [[Chemieindustrie]], bei [[Maschinenbau|Maschinen-]] und [[Schiffbau]] und auch in der Großlandwirtschaft. Diese Entwicklung setzte in Preußen früher und stärker ein als in den anderen deutschen Staaten. In Verbindung mit wirtschaftlichen Interessen kam es zu zahlreichen Gründungen von regional oder lokal begrenzten wissenschaftsfördernden Gesellschaften, Akademien, Stiftungen und Vereinen. Dadurch wurden Berlin, das Ruhrgebiet, [[Oberschlesien]] und das Rheinland zu global bedeutenden [[Innovationscluster]]n. Als zentrale Netzwerkträgergesellschaft bildete sich die [[Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]] aus.<ref>Otto Büsch: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Handbuch der Preußischen Geschichte Band 2, Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992, S. 568</ref>

==== Imperialismus und Deutschnationalismus ====
[[Datei:Kohner - Kaiser Wilhelm II.jpg|mini|hochkant|[[Max Koner]]: ''Kaiser Wilhelm&nbsp;II.'' (1890). Ein französischer General kommentierte diese Pose mit den Worten: „Das ist kein Porträt, sondern eine Kriegserklärung!“<ref>Friedrich Hartau: ''Wilhelm II.'' 9. Auflage. rororo, Reinbek bei Hamburg 2007, ISBN 978-3-499-50264-4, S. 42.</ref>]]
Der herrschende [[Imperialismus]] führte zu einer Übersteigerung der Selbstwahrnehmung, die [[Selbstüberschätzung|größenwahnhafte Züge]] entwickelte und alle Bevölkerungsschichten erfasste. [[Kriegstreiberei]], [[Deutschtümelei]] und maskulines Aggressionsgebaren («Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt») gewannen im Vorfeld des Ersten Weltkriegs den Charakter einer verbreiteten kulturell akzeptierten Massenerscheinung. Das preußisch-patriarchische Gesellschaftsmodell und das herrische Auftreten der Staatseliten ahmten nun auch die hierarchisch unten stehenden Männer in ihrem direkten Umfeld auf der Arbeit, in ihren Familien, auf der Straße, in den Vereinen nach. Die [[preußische Männlichkeitskultur]] (z.&nbsp;B. [[Burschenschafter]], Wehrdienstleistende) dieser Zeit führte dazu, dass die überwiegende Mehrheit der Männer sich eine unnatürliche Härte aber auch [[Heteronormativität|heteronormative]] Zwangsvorstellungen abtrotzte, um so nach außen dem gesellschaftlich geforderten Typus eines „(echten) Deutschen Mannes“ zu entsprechen. Dies wiederum prägte ein strukturelles gesellschaftliches Gewaltpotential und förderte die militaristische Haltung der meisten Männer dieser Zeit. Die Fehlausprägung in der Erziehungs- und Sozialisierungskultur zeigte sich musterhaft bei Wilhelm&nbsp;II., der seine körperliche Behinderung unbedingt verbergen wollte. Durch Unterdrückung der individuellen Persönlichkeit und dadurch hervorgerufene [[Spaltung (Psychologie)|Gefühlsabspaltungen]] verbreitete sich in Preußen ein Menschentyp mit [[Autoritäre Persönlichkeit|autoritärer Persönlichkeit]], der diese selbst einschränkenden Sozialformen dann auch an die nächste Generation übertrug und damit als „psychologische Basis“ die Verfehlungen der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 mit verursachte.<ref>Alfred Lévy: Erich Fromm: Humanist zwischen Tradition und Utopie, Königshausen & Neumann, Würzburg 2002, S. 151&nbsp;f.</ref>

==== Beantwortung der sozialen Frage ====
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Parallel dazu war aber auch von 1850 bis 1914 der [[Lebensstandard]] der gesamten Gesellschaft deutlich angestiegen. Es bildete sich eine breitere bürgerliche [[Mittelschicht]] aus und die Leistungsspitzen der Bürgerklasse schafften den Aufstieg in die [[High Society]]. Damit gab es genügend Integrationsanreize und -angebote durch die (Staats-)Eliten für die Vertreter der bürgerlichen Klasse, so dass sich diese mit den herrschenden politischen Verhältnissen abfanden und arrangierten. Der Charakter der Staatseliten wandelte sich von Feudalaristokratisch zu [[Plutokratie|Plutokratisch]]. Damit einher ging auch eine Wandlung der Selbstdarstellung der neuen Eliten. Der faktische Elitenumbau in Preußen seit 1850 bewirkte eine Zunahme der Steuerungskompetenzen der Elitenschicht, die nun sowohl staatliche Amtsträger aber auch die besitzenden Kräfte aus der Wirtschaft umfasste. Es kamen in einem zunehmenden Maße auch weichere Herrschaftsmethoden ([[Soft Power]]) zum Einsatz, die den Charakter des bis dahin eher autoritären, [[Vater Staat|väterlichen Staates]] mit veränderten. Dieser gewann damit eine fürsorgliche, quasi mütterliche Komponente dazu, die das autoritäre Muster des staatlichen Überbaus ergänzte, ohne es zu verdrängen. Der Staat behandelte zu dieser Zeit demnach seine Bürger eher wie bei einem Eltern-Kind-Verhältnis. Die Staatsbürger wurden durch den Staat noch nicht als mündige und selbständige Personen betrachtet.

Gesellschaftliche Neuerungen fanden nach 1848 folglich nicht mehr im Bereich politische Teilhabe und demokratische Mitbestimmung statt, sondern vorwiegend im Sozial(fürsorge)bereich. Die Beantwortung der durch die Kämpfe der [[Arbeiterklasse]] aufgeworfenen [[Soziale Frage|sozialen Frage]] durch den Staat führte zu neuen staatlichen Fürsorgeverpflichtungen, die sich in einer beginnenden [[Sozialgesetzgebung]] äußerte. Es war der Versuch, nachdem die bürgerlichen Klassen nach 1848 in den staatlichen Institutionen stärker Berücksichtigung fanden und damit „Agenten des monarchischen Systems“ wurden, auch die Arbeiter an das herrschaftliche System zu binden und deren Radikalität und Revolutionsgedanken zu neutralisieren. Es entstanden [[Sozialversicherung]]en und ein breiteres Netz an Sozialeinrichtungen. Damit sollten die Missstände wie [[Kinderarbeit]], [[Lohndumping]], slumähnliche Wohnverhältnisse bekämpft werden, die im Zuge der Hochindustrialisierung etwa 30 bis 35 Prozent der Bevölkerung erfasst hatten.<ref>Peter Hammerschmidt, Juliane Sagebiel (Hrsg.): ''Die Soziale Frage zu Beginn des 21. Jahrhunderts''. Schriftenreihe Soziale Arbeit der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München. 1. Auflage. Neu-Ulm 2011, S. 14</ref>

Das Verdienst der Arbeiterklasse war es, den Schwerpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung verschoben zu haben. Zuvor drehte diese sich unter den bürgerlichen Reformern um eine elitenähnliche Debatte um eine hypothetische Mitbestimmung auf theoretischem und abstraktem Niveau, von denen die Masse des Volkes kaum spürbar profitierte. Nun ging es im [[Diskurs|gesellschaftlichen Diskurs]] um ganz konkrete und praktische Fragestellungen, die sich um die Befriedigung von individuellen [[Grundbedürfnis]]sen drehte (genügend zu essen, Arbeitsrechte, eingeschränkte Arbeitszeiten, Absicherung bei Notlagen, Bildung, medizinische Versorgung, Sicherheit, Hygiene, Wohnraum).<ref>Jan Turowski: ''Sozialdemokratische Reformdiskurse, VS Verlag für Sozialwissenschaften''. 1. Auflage. Wiesbaden 2010, S. 152.</ref>
[[Datei:Paul Hoeniger Spittelmarkt 1912.jpg|mini|Großstadtleben in Berlin 1912, auf der Höhe der Zeit]]
Die gesellschaftliche Ausgangslage, auf deren Basis sich die Gesellschaftsentwicklung vollzog, war um 1850 noch gering. So war die Masse der Menschen im 18. Jahrhundert im sozialen Leben noch stärkeren Zwangslagen ausgesetzt und rechtlich mit einem noch geringeren Schutz versehen (Menschen auf der Stufe von Gegenständen ohne [[Grundrechte]]). Insofern trugen alle Probleme aber auch Verbesserungen bereits Zeichen einer fortgeschritteneren Zivilisation mit höheren Kulturstandards als zuvor.

Um 1900 gab es zeitgleich ein heterogenes [[Vereinsmeierei|vereinsbezogenes]] gesellschaftliches Leben in Sport, Kultur, Freizeit. Tourismus wurde zunehmend bedeutender. Der [[Meinungspluralismus]] trat immer deutlicher hervor.

Im Ergebnis ist die gesamtgesellschaftliche Entwicklung positiv, auch wenn aufgrund des geringen Ausgangsentwicklungsniveaus zur Kaiserzeit die Probleme und Konfliktfelder in der Gesellschaft groß blieben. Exakte Messdaten zur Verhältnisbestimmung fehlen (bis auf die politischen Wahlergebnisse), jedoch ist die Annahme plausibel, von einem annähernd ausgeglichenen Verhältnis zwischen liberal-progressiv-demokratischen und sozial-progressiven, teilweise politisch radikalisierten Kräften auf der einen Seite und den rückwärtsgewandten, aggressiv gebärdenden [[Reaktion (Politik)|national-reaktionären]] Kräften auf der anderen Seite in der Gesellschaft Preußens vor dem Ersten Weltkrieg auszugehen. Beide Seiten hielten sich in etwa die Waage.

Durch die deutsche militaristische [[Bedrohungskultur]], die sich in einer überbordenden Aufrüstung äußerte, isolierte sich das Kaiserreich international zunehmend. Der Funke für den Ausbruch des Großen Kriegs 1914 beendete das vorangegangene Zeitalter, in dem die Monarchie in Preußen mit unterging.

=== Ende der Monarchie in Preußen ===
[[Datei:Erster Weltkrieg (Jeder Schuß – ein Russ’! Jeder Stoß – ein Franzos’!) OeNB 14672316 (1).jpg|mini|Allgemeine Stimmungslage in Preußen vor dem Sterben<br />''Jeder Schuß – ein Russ’! Jeder Stoß – ein Franzos’! (Ergänzung: Jeder Tritt ein Brit!) Nun woll’n wir sie mal dreschen!'']]
Preußen war ein ökonomisches, militärisches, kulturelles und wissenschaftliches Schwergewicht in der Welt. Einerseits global führend in diversen Bereichen, blieb das politische System Preußens, ungeachtet der erstrittenen Fortschritte im 19. Jahrhundert, im Vergleich zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung, die ja nicht stillstand, sondern stetig an Fahrt aufnahm, strukturell zu rückständig und nicht anpassungsfähig genug.

Neue Sozialformen mit Massenanhang (Gewerkschaften, Parteien) hatten sich seit der Hochindustrialisierung gebildet und forderten auf breiter Linie [[Partizipation]]. Den alten [[Eliten]] Preußens, die als eine Kombination von [[Junker (Preußen)|junkeradelig]] dominiertem Militär und der Beamtenschaft als Agenten der inneren Staatsbildung bestanden, gelang es in den letzten Dekaden der Monarchie nicht mehr, die mobilisierte Gesellschaft integrativ zu steuern und zusammen zu halten. Staat und Gesellschaft gerieten bis 1918 in ungelöste Gegensätze, die preußischen Leitmaximen, die sich in einem immateriellen [[Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes|Gesellschaftsvertrag]] der damaligen bürgerlichen, monarchischen und adeligen Eliten manifestierten und die den Aufstieg Preußens im 17. und 18. Jahrhundert beförderten, wirkten unter den grundlegend gewandelten Bedingungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht mehr.

Die staatlichen Kräfte, unfähig außenstehende Gesellschaftsteile in das [[Politisch-administratives System|politisch-administrative System]] zu integrieren, vertieften die politisch-strukturelle Rückständigkeit insoweit,<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S.&nbsp;444</ref> dass sich aufgrund eines [[Gesellschaftspolitik|gesellschaftspolitischen]] [[Reformstau]]s bedeutende [[Sozialpolitik|sozialpolitische]] Kräfte in Preußen wie in anderen ebenso politisch-rückständigen Staaten Mittel-, Ost- und Südeuropas außerhalb der staatlichen Macht kumulierten und in der Krisensituation des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] dann explosionsartig entluden («[[Ausrufung der Republik in Deutschland|Das alte Morsche ist zusammengebrochen; der Militarismus ist erledigt]]»).

Am 9. November 1918, als Folge der [[Novemberrevolution]], kam es in Berlin zur Ausrufung der [[Weimarer Republik|Republik]]. Wilhelm&nbsp;II. dankte als König von Preußen und als Deutscher Kaiser ab. Der preußische Staat wurde mit einer [[Preußische Verfassung (1920)|republikanischen Verfassung]] als ''[[Freistaat Preußen]]'' ein Land des Deutschen Reiches. Die preußische Königskrone wird heute auf der [[Burg Hohenzollern]] bei [[Hechingen]] verwahrt.

== Wirtschaft ==
=== Nationaleinkommen ===
Nach zeitgenössischen Schätzungen lag das Nationaleinkommen Preußens 1804 bei 248 Millionen [[Reichstaler|RT]]. Davon wurden 41 Millionen RT. im manufakturgeprägten [[Sekundärsektor|Gewerbesektor]] (unter Ausschluss des Handwerks) erwirtschaftet und weitere 43 Millionen RT in der zunftgeprägten [[Bierbrauerei]] und [[Branntwein]]brennerei.<ref>Georg Hassel: [http://www.digitalis.uni-koeln.de/Hassel/hassel_index.html ''Statistischer Umriss der sämtlichen europäischen Staaten in Hinsicht ihrer Größe, Bevölkerung, Kulturverhältnisse, Handlung, Finanz- und Militärverfassung und ihrer aussereuropäischen Besitzungen''.] 2 Teile. Vieweg Verlag, Braunschweig 1805, S.&nbsp;10.</ref>

Das Nationaleinkommen Preußens wuchs zwischen 1871 und 1914 viermal stärker als die Bevölkerung dieser Zeit, wodurch sich das durchschnittliche Nettosozialeinkommen pro Kopf deutlich erhöhte. 1913 wiesen im Reich lediglich Hamburg und Sachsen noch höhere Einkommenswerte pro Kopf auf als Preußen.<ref>Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Handbuch der preußischen Geschichte. Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußen''. Band 3. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 2001, S. 67</ref>

=== Wirtschaftssektoren ===
==== Landwirtschaft ====
Preußens Wirtschaftsstruktur wies um 1800 typische Charakteristiken eines [[Agrarstaat]]s auf. Es dominierte der Anbau von Getreide, besonders [[Weizen]], [[Roggen]], [[Gerste]] und [[Hafer]]. Ebenso wurden um 1800 [[Hülsenfrucht|Hülsenfrüchte]], [[Flachsfaser|Flachs]], [[Färberkrapp]] und [[Tabak]] angebaut. Auch eine intensive [[Holzwirtschaft]] wurde betrieben. Daneben betrieb die Landbevölkerung ausgedehnte [[Viehwirtschaft]]. 10,2 Millionen Schafe der [[Schafzucht]] generierte im Jahr 1.000 Tonnen [[Schafwolle|Wolle]], die zur Textilherstellung weiterverarbeitet wurde.<ref>Georg Hassel: [http://www.digitalis.uni-koeln.de/Hassel/hassel_index.html ''Statistischer Umriss der sämtlichen europäischen Staaten in Hinsicht ihrer Größe, Bevölkerung, Kulturverhältnisse, Handlung, Finanz- und Militärverfassung und ihrer aussereuropäischen Besitzungen''.] 2 Teile. Vieweg Verlag, Braunschweig 1805, S.&nbsp;12.</ref> Der Gesamtbestand von 5,06 Millionen Rindtieren, 2,48 Millionen Schweinen nebst Kleinvieh diente unter anderem der Fleischproduktion. 1,6 Millionen Pferde wurden für die Wirtschaft und die Armee gehalten. Es gab insgesamt drei königliche [[Gestüt]]e in [[Hauptgestüt Trakehnen|Trakehnen]], [[Brandenburgisches Haupt- und Landgestüt Neustadt/Dosse|Neustadt an der Dosse]] und [[Triesdorf]].

Die 1769 gegründete [[Heringsfischerei-Gesellschaft|Emder Heringsfischerei-Gesellschaft]] betrieb [[Loggerfischerei]] und setzte um 1800 über 50 [[Büse]]n nebst zwei [[Jagdschiff]]en ein.
{| class="wikitable"
|+ Produktion von Getreidesorten 1804<ref>Georg Hassel: [http://www.digitalis.uni-koeln.de/Hassel/hassel_index.html ''Statistischer Umriss der sämtlichen europäischen Staaten in Hinsicht ihrer Größe, Bevölkerung, Kulturverhältnisse, Handlung, Finanz- und Militärverfassung und ihrer aussereuropäischen Besitzungen''.] 2 Teile. Vieweg Verlag, Braunschweig 1805, S.&nbsp;13.</ref>
|-
! Sorte !! Ernte in t!! Eigenverbrauch in t
|-
| Weizen || 400.000|| 280.000
|-
| Roggen || 2.000.000 || 1.900.000
|-
| Gerste || 1.100.000 || 1.020.000
|-
| Hafer || 1.300.000 || 1.200.000
|}

Die Getreideüberschüsse wurden zumeist nach Westeuropa exportiert. Zusammengenommen produzierte Preußen um 1800 eine Gesamtmenge von rund 4,8 Millionen Tonnen Getreide. Das rund neunmal bevölkerungsreichere [[Deutschland]] produzierte 2016 45,3 Millionen Tonnen an Getreide auf einer ähnlich großen Staatsfläche.<ref>FAO: [http://faostat.fao.org/site/567/default.aspx#ancor Getreideproduktion nach Ländern Produktionsstatistik der FAO, aufgerufen am 29. April 2013]</ref>

Die Umstände der Durchsetzung des [[Kartoffelbefehl|Kartoffelanbaus in Preußen]] wurden zu einer historischen Legende stilisiert und halten im kollektiven Erinnerungsgedächtnis der heutigen Bewohner an.

An natürlichen Ressourcen verfügte Preußen über Salz, das 1800 in 14 Salzbergwerken gefördert wurde. Daneben wurde Alaun gefördert. [[Steinkohle]] wurde um 1800 hauptsächlich in Westfalen (50 Prozent der Gesamterzeugung) in 135 [[Zechen]] und in Schlesien (33 Prozent der Gesamterzeugung) gewonnen.<ref>Georg Hassel: [http://www.digitalis.uni-koeln.de/Hassel/hassel_index.html ''Statistischer Umriss der sämtlichen europäischen Staaten in Hinsicht ihrer Größe, Bevölkerung, Kulturverhältnisse, Handlung, Finanz- und Militärverfassung und ihrer aussereuropäischen Besitzungen''.] 2 Teile. Vieweg Verlag, Braunschweig 1805, S.&nbsp;16.</ref>

An Baumaterialien wurden [[Ummendorfer Sandstein]], [[Bebertaler Sandstein]], [[Rüdersdorfer Kalkstein]], [[Prieborner Marmor]], [[Groß-Kunzendorfer Marmor]] und weitere gefördert.

==== Tertiärer Sektor: Handel, Banken und Dienstleistungen ====
In den ersten Jahrzehnten der Monarchie stand der [[Preußischer Handel|preußische Handel]] auf einem niedrigen Entwicklungsniveau. Einen überregional bedeutenden [[Großhandel]] gab es nur in den wenigen Kapitalen des Staates, vornehmlich Berlin, Königsberg und Magdeburg. Der Landtransit zwischen Westen und Osten war bedeutender als der Austausch über Seehäfen. Eine eigene Seeschifffahrt von übergeordneter Bedeutung existierte noch nicht. Die staatliche [[Handelspolitik]] begann eine [[Schutzzollpolitik|Schutzzoll-]] und Privilegienpolitik ([[Monopol]]rechte) zur Förderung des einheimischen Gewerbes.<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;13</ref>
[[Datei:Koenig v preussen.jpg|mini|Die „König von Preußen“, das erste Schiff der Königlich Preußisch-Asiatischen Compagnie von Emden]]

Die [[Geldwirtschaft]] entwickelte sich erst langsam. Preußens weite ländliche Teile waren im 18. Jahrhundert noch nicht an die wenigen geldwirtschaftlichen großstädtischen Zentren angeschlossen, sondern betrieben weiterhin ihre eigene [[Extensive Landnutzung in Mitteleuropa|extensive]] [[naturalwirtschaft]]liche Ackerbau-, Weide- und Waldwirtschaften.<ref name="Wilhelm Treue 1984">[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;40</ref>

Bereits in den 1670er und 1680er Jahren hatte Brandenburg-Preußen mit der [[Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie|Brandenburgisch-Afrikanischen Kompanie]] versucht am [[Atlantischer Dreieckshandel|Dreieckshandel]] mit Sklaven im Atlantik teilzunehmen, war aber auf Dauer dem europäischen Konkurrenzdruck nicht gewachsen. Friedrich&nbsp;II. versuchte in den 1740ern Handelsverträge mit Spanien und Frankreich zur Förderung des schlesischen Leinenexports zu schließen, hatte damit aber keinen Erfolg. In dieser Situation ließ er die [[Emder Ostasiatische Handelskompanie|Asiatische Kompanie in Emden]] gründen, die den Handel mit China aufnahm. Vier nach [[Guangzhou|Kanton]] entsendete Schiffe kehrten mit Ladungen an Seide, Tee und Porzellan zurück. Der 1755 ausbrechende Seekrieg beendete aber nach wenigen Jahren die Aktivitäten der Überhandelsgesellschaft aus Mangel am Schutz durch eine eigene [[Preußische Marine|Seekriegsflotte]], die sich die [[Landmacht]] Preußen nicht leisten konnte.<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;64</ref>

Die Hofbankiers das [[Bank- und Handelshaus Splitgerber & Daum]] und die (Berliner) Juden beherrschten die Finanzgeschäfte Preußens im 18. Jahrhundert. Die [[jüdische Gemeinde zu Berlin]] bestand um 1750 aus 2200 Personen in 320 Familienhaushalten. 78 Prozent der meist reichen jüdischen Haushaltsvorstände Berlins waren im [[Handelsgeschäft]] aktiv. 119 Vorstände arbeiteten im Großhandel als Geldverleiher, Geldhändler, Wechsler, Münzlieferanten, Bankiers, 42 arbeiteten als Pfandleiher und 28 als [[Kommissionsware]]n-, Messe- und Weinhändler. Bedeutender Finanzier war [[Veitel Heine Ephraim]] und [[Daniel Itzig]].<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;77&nbsp;f.</ref> Staatliche Aktivitäten im öffentlichen Finanzwesen fanden zunächst überhaupt nicht statt.

=== Wirtschaftsgeschichte ===
==== Wirtschaftliche Expansion unter König Friedrich-Wilhelm I. (1713–1740) ====
In der Regierungszeit des [[Friedrich Wilhelm I. (Preußen)|Soldatenkönigs]] stand das „Plusmachen“, also das Streben nach dauerndem wirtschaftlichen Gewinn, im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik. In seiner Herrschaftszeit erreichte Preußen ökonomische Stabilität und Prosperität. Erst die Grundlage eines geordneten [[Haushaltsplan|Staatshaushalts]] ermöglichte den Aufstieg zu einer der Wirtschaftsmächte Deutschlands im 18. Jahrhundert und ließ die militärische Expansion seines Sohnes, [[Friedrich II. (Preußen)|Friedrich&nbsp;II.]], in den darauffolgenden Jahrzehnten denkbar werden.
[[Datei:Editkt Wollausfuhr 1720.jpeg|mini|hochkant|Königliches Verbot, im Ausland hergestellte Textilien zu tragen, Berlin 1719]]
Ein Motor der positiven Entwicklung der zentralisierten Wirtschaft war die [[preußische Armee]], welche versorgt werden musste. 1713 gründete Friedrich Wilhelm&nbsp;I. in Berlin mit dem [[Königliches Lagerhaus|Königlichen Lagerhaus]] eine Tuchmanufaktur, die 1738 4.730 Menschen beschäftigte. 1717 wurde durch die Ansiedlung von Webern in [[Luckenwalde]] der Grundstein für die dortige Textilindustrie gesetzt. Mit einem Ausfuhrverbot für die heimische Wolle im Jahre 1718 sicherte der König die Weiterverarbeitung in seinen Landen.

In Spandau und [[Potsdam]] entstand ab 1722 eine [[Königliche Preußische Gewehrfabrique|Gewehrmanufaktur]]. Die benötigten Facharbeiter wurden vor allem in [[Lüttich]], einem Zentrum der Waffenherstellung, angeworben. Für den Nachwuchs sorgte unter anderem das im selben Jahr gegründete [[Großes Militärwaisenhaus|Große Militärwaisenhaus]] in Potsdam.<ref>Zur Kinderarbeit in der Frühindustrialisierung siehe auch Jürgen Kuczynski: ''Geschichte des Alltags des deutschen Volkes.'' Band 3, Pahl-Rugenstein, Köln 1981, S. 233–272.</ref>
Betreiber der Gewehrfabrik war das mit königlichen Privilegien ausgestattete Handelshaus [[Bank- und Handelshaus Splitgerber & Daum|Splitgerber & Daum]], das weitere metallverarbeitende Manufakturen pachtete und zum größten Waffenproduzenten Preußens wurde. Abnehmer der Waffen war überwiegend die preußische Armee.
Für den zivilen Bedarf produzierte das Handelshaus Kupferbleche (Dacheindeckung), Kupferkessel (Brauereien, Siedereien), Messingteile (Behälter, Beschläge, Scharniere) und Eisen- und Stahlerzeugnisse (Bohrer, Scheren, Messer).

Ab 1716 nahm die königliche Deichkommission für die [[Oder]] ihre Arbeit auf. Die Entwässerung von Havelländischem und [[Rhinluch]] (nordwestlich von Nauen) brachte guten Gewinn an relativ ertragreichem Boden. Glaubensflüchtlingen aus dem [[Franken (Region)|Franken]]- und [[Schwaben]]land wurden Siedlungsplätze in menschenarmen Gegenden in der Uckermark zugewiesen, um diese urbar zu machen.

Um die Gewerbetätigkeit zu kontrollieren, wurde 1733 seitens des Königs eine Handwerksordnung erlassen, die alle Zünfte der Staatsaufsicht unterstellte, ihre Rechte stutzte, die Verbindung zu Nachbarstaaten untersagte und das Wandern der Gesellen kontrollierte.

Der wirtschaftliche Aufschwung war anhaltend, denn die Förderung beschränkte sich nicht mehr in erster Linie auf die hofzentrierten Wirtschaftszweige – wie unter Friedrich&nbsp;I. –, sondern weit über den Radius der Residenzen hinaus, und konzentrierte sich im militärischen Bereich, der fast überall im altpreußischen Staat vorhanden war.

==== Kriegswirtschaft, Krisen und wirtschaftliche Genesung (1740–1806) ====
Die infolge der kostspieligen Kriege (1740–1742, 1744–1745, 1756–1763) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter Friedrich&nbsp;II. weitgehend zerrüttete preußische Wirtschaft gewann mit der Eroberung [[Schlesien]]s eine wirtschaftlich bedeutsame Region (Textilgewerbe, Bodenschätze) hinzu.<ref>Peter Baumgart: ''Schlesien in der Politik Friedrichs des Großen.'' In: Wilhelm Treue (Hrsg.): ''Preußens großer König'', S. 161 ff.</ref> Fortschritte wurden außerdem durch die Trockenlegung und Urbarmachung des [[Oderbruch]]s, des [[Netze]]bruchs und des [[Warthe]]bruchs und die Ansiedlung einer großen Zahl von Bauern und Handwerkern erzielt.<ref>Zum Folgenden vgl. Karl Heinrich Kaufhold: ''Wirtschaft, Gesellschaft und ökonomisches Denken.'' In: Wilhelm Treue (Hrsg.): ''Preußens großer König'', S. 101 ff.</ref> Der König förderte den Ausbau von Wasserstraßen, wie die Verbindung Berlins mit [[Stettin]] durch den [[Finowkanal]], den [[Kanał Bydgoski|Bromberger Kanal]], die Regulierung der Netze und im Westen die [[Ruhr#Die Ruhr als Wasserstraße|Ruhrkanalisierung]]. Das Straßennetz blieb aber in einem schlechten Zustand; wegen zu hoher Kosten konnte der Bau von festen Straßen erst nach dem Tod Friedrichs des Großen begonnen werden.

Durch systematisches Anlegen von Getreidemagazinen gelang es, die Getreidepreise auch in Notzeiten zu kontrollieren. Friedrich&nbsp;II. förderte auch besonders die Seidenindustrie. Dazu wurden zahlreiche Fabrikanten, Facharbeiter und Spezialisten nach Preußen geholt und inländische Arbeiter und Hilfskräfte ausgebildet. Das gelang mit Hilfe von Geschenken, Vorschüssen, Privilegien, Stuhlprämien, Exportprämien, Lehrlingsgelder, Abgabenfreiheit für Rohmaterialien sowie Einfuhrverbot ausländischer Produkte. Hierdurch konnte sowohl der Landesbedarf an Seide gedeckt, als auch ein Überschuss für den Export erwirtschaftet werden. Auch die Baumwollindustrie, die noch unter König Friedrich Wilhelm (1713–1740) verboten war, um die eigene Wollweberei nicht zu gefährden, wurde gefördert. 1742 entstand die erste Baumwollfabrik, 1763 gab es in Berlin bereits zehn Baumwollfabriken. Im Vergleich zur Seidenindustrie kam dieser Wirtschaftszweig fast ohne staatliche Unterstützung aus. 1763 wurde die [[Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin|Berliner Porzellanmanufaktur ''KPM'']] vom preußischen Staat gekauft.

Der König ließ auch mehrere Fabrikanlagen, für die private Unternehmer das Wagnis nicht eingehen wollten, auf eigene Kosten errichten:
* Uhrenfabrik zu Berlin und Friedrichsthal (1781 für 141.235 Taler)
* Papierfabrik in Spechthausen (1781 für 56.000 Taler)
* Berliner Lackierfabrik (56.000 Taler)
* Garnfärberei in [[Caputh]] (1765 für 30.000 Taler)

Mit den im Land hergestellten Manufaktur- und Handwerkswaren konnte nahezu die gesamte inländische Nachfrage befriedigt und außerdem ein größerer Export erzielt werden, womit die notwendige Rohstoffeinfuhr fiskalisch mehr als ausgeglichen werden konnte. Die Handelsbilanz – 1740 noch mit einer halben Million Talern im Defizit, 1786 mit drei Mio. Talern im Überschuss – wurde unter Friedrich dem Großen erstmals positiv gestaltet.

In der Zeit nach dem Tod von Friedrich&nbsp;II., von 1786 bis 1806, gab es Auseinandersetzungen in Preußen zwischen den Befürwortern des herrschenden Merkantilsystems und den Verfechtern der neu aufkommenden liberalen Strömungen. Unter [[Friedrich Wilhelm II. (Preußen)|Friedrich Wilhelm&nbsp;II.]] begnügte man sich damit, einige der protektionistischen Schranken und Verbote abzubauen:

* Beseitigung von [[Monopol]]en (Tabaksadministration, Kaffeebrenn-Monopol, Zuckersiederei-Monopol) und gleichzeitiges Verbot neuer Monopole
* Aufhebung von Zöllen und Akzisen (Seide, Baumwolle, Garn, Häute)
* Beseitigung der verhassten französischen ''Regie'' (eine mit französischen Beamten besetzte Behörde der Finanzverwaltung, die in der Bevölkerung sehr unbeliebt war)
Unter diesem gemilderten [[Protektionismus]] erlebte die preußische Wirtschaft einen, im Zuge einer guten äußeren Konjunktur, bedeutenden Aufschwung. Preußen hatte in den eineinhalb Jahrhunderten zwischen dem Ende des [[Dreißigjähriger Krieg|Dreißigjährigen Krieges]] 1648 und dem Beginn der Napoleonischen Kriege 1806 deutliche wirtschaftliche Fortschritte erreicht. Der modernste Staat des 17. und 18.&nbsp;Jahrhunderts gehörte um 1800 auch ökonomisch zu den am stärksten entwickelten Staaten Europas. Gleichwohl arbeitete um 1800 immer noch die Mehrheit der erwerbstätigen Menschen in Preußen in der Landwirtschaft.

==== Wirtschaftsreformen, Technisierung, industrielle Revolution (1807–1871) ====
[[Datei:Maschinenbau-Anstalt Borsig, Berlin Chausseestraße, 1847, Karl Eduard Biermann.jpg|mini|[[Borsig (Unternehmen)|Lokomotivfabrik von August Borsig]], Berlin um 1847]]
[[Datei:Adolph Menzel - Eisenwalzwerk - Google Art Project.jpg|mini|Das Gemälde [[Eisenwalzwerk (Moderne Cyklopen)]] zeigt eine Fabrikhalle in Deutschland während der Hochindustrialisierung, um 1875]]

Die Katastrophe der napoleonischen Besetzung 1807 brachte Preußen auch wirtschaftlich an den Rand des Zusammenbruchs. Insofern waren die [[Preußische Reformen|Reformgesetze]] der Zeit nach 1806, was ihre wirtschaftlichen Bereiche und Folgen betraf notwendig, um den Staat wirtschaftlich und finanziell am Leben zu erhalten und um einen späteren Befreiungskrieg möglich zu machen. Die [[Preußische Reformen#Gewerbereform und ihre sozialen Folgen|preußische Wirtschaftsreform]] nach 1806 gehörte zu den erfolgreicheren Neuerungsmaßnahmen der preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Die nominelle [[Bauernbefreiung]] war die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwungs der nächsten Jahrzehnte in Preußen. Gleiches galt für die Gewährung der vollständigen [[Gewerbefreiheit]], da diese überhaupt erst die Mobilität großer Menschenmassen, die Bewegung der ländlichen Bewohner Preußens in die wachsenden Industriestädte des Landes möglich gemacht hatte. Die preußische Staatsverwaltung ihrerseits erreichte mit einigen wichtigen Maßnahmen, der zu diesem Zeitpunkt darniederliegenden Wirtschaft des Landes auf die Beine zu helfen.
Preußen verwirklichte mit dem Handels- und Zollgesetz vom 26. Mai 1818 ein eigenes einheitliches Zollgebiet ohne Binnenzölle.<ref>[[Gustav von Schmoller (Ökonom)|Gustav von Schmoller]]: ''Das preussische Handels- und Zollgesetz vom 26. Mai 1818 im Zusammenhang mit der Geschichte der Zeit, ihrer Kämpfe und Ideen''. 1898; {{archive.org |daspreussischeh00schmgoog |Blatt=}}.</ref>

Nachdem alle innerstaatlichen Handelsschranken in Preußen gefallen waren, wurde auf Initiative Preußens 1834 der [[Deutscher Zollverein|Deutsche Zollverein]] gegründet. Preußen hatte – unter anderem wegen seines zersplitterten Staatsgebiets – ein Eigeninteresse daran, die Zollgrenzen im Deutschen Bund abzuschaffen. Diese Maßnahme beflügelte den innerdeutschen Handel und trug zum Wirtschaftswachstum der folgenden Dekaden maßgeblich bei.

Im Zuge der [[Industrielle Revolution in Deutschland|Industrialisierung]] wurde eine Anzahl von Land-, Wasserwegen und [[Kanal (Wasserbau)|Kanälen]] gebaut, welche quer durch Deutschland den Westen mit dem Osten verbanden. Im Oberland West- und Ostpreußens entstand der [[Oberländischer Kanal|Oberländische Kanal]], der die [[Ostsee]] und [[Elbląg|Elbing]] im Norden mit [[Masuren]] im Süden verband. Mit der 1865 erfolgten Gründung der Königlich Preußischen Elbstrom-Bauverwaltung wurde die Elbe in sechs Kreise eingeteilt, die den Brücken- und Kanalbau, die Fähren, Mühlen, Hafenanlagen und Deiche zu überwachen hatten. Vormals unbedeutende Regionen ([[Ruhrgebiet]], [[Saargebiet]] und [[Oberschlesisches Industriegebiet]]) entwickelten sich in der Zeit nach 1815, durch die Ausbeutung von Kohlevorkommen und den späteren Eisenbahnbau zu prosperierenden Zentren von [[Montanindustrie]] und [[Maschinenbau]]. Damit wuchs das wirtschaftliche Gewicht Preußens gegenüber Österreich im Deutschen Bund.

Im Eisenbahnbau hinkte Preußen lange Zeit international hinterher. Dies hatte auch für seine Wirtschaft Folgen. So kam es, dass amerikanisches Getreide, englische und belgische Kohle und Roheisen und andere Artikel preiswerter als die heimischen Erzeugnisse waren. Dies lag daran, dass es in England, Belgien und in den USA bereits effiziente [[Eisenbahn]]netze für den Massengütertransport gab. Erste größere private Eisenbahnen wurden daher 1837 mit der [[Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft|Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft]] (Köln – Aachen – belgische Grenze) und 1843 mit der [[Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft]] vom Rheinland bis zu den schiffbaren Häfen in Minden (mit Zugang zu den bremischen Häfen) angelegt. Der Staat Preußen selbst wurde im Eisenbahnbau 1850 mit der [[Königlich-Westfälische Eisenbahn-Gesellschaft|Königlich-Westfälischen Eisenbahn-Gesellschaft]] und der [[Preußische Ostbahn|Preußischen Ostbahn]] sowie 1875 mit der [[Berliner Nordbahn]] tätig. In der Folge wurden zunehmend private Eisenbahnen durch finanzielle Unterstützung, durch Aufkauf oder durch Enteignung (nach dem [[Deutscher Krieg|Preußisch-Österreichischen Krieg]] 1866) der staatlichen Regie unterworfen.

Obwohl Preußen in wirtschaftlicher Hinsicht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Großmacht aufstieg, war der Hohenzollernstaat bis weit in das 19. Jahrhundert hinein agrarisch geprägt.
{| class="wikitable" style="text-align:right;"
|+ Produktionszahlen wichtiger Industriegüter und Entwicklung des Eisenbahnstreckennetzes in Preußen (1815–1913)<ref>{{Literatur |Autor=Heinrich Kaufhold, Bernd Sösemann |Titel=Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung in Preußen – Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Preußen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert |Sammelwerk=VSWG Beihefte |Verlag=Franz Steiner Verlag |Ort=Stuttgart |Datum=1998 |ISBN=3-515-07424-4 |Seiten=97–107}}</ref>
|- class="hintergrundfarbe5"
! Jahr || Steinkohle || Roheisen || Stahl || Eisenbahnnetz
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1815 || 998.000 t || – || – || –
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1825 || 1.292.000 t || 40.837 t || – || –
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1835 || 1.709.000 t || 65.591 t || – || –
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1845 || 3.564.000 t || 85.100 t || – || 845 km
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1850 || 4.419.000 t || 135.000 t || 149.300 t || 3.144 km
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1855 || 8.670.000 t || 301.400 t || 317.400 t || 4.353 km
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1865 || 18.592.000 t || 772.000 t || 611.000 t || 7.647 km
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1875 || 33.520.000 t || 1.393.000 t || 1.346.000 t || 13.703 km
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1885 || 52.977.000 t || 2.664.000 t || 2.348.000 t || 22.201 km
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1895 || 72.751.000 t || 3.778.000 t || 4.346.000 t || 26.700 km
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1905 || 113.188.000 t || 7.106.000 t || 8.557.000 t || 32.367 km
|-
|class="hintergrundfarbe5" style="text-align:center"| 1913 || 180.057.000&nbsp;t || 12.260.000&nbsp;t || 11.860.000 t || 36.032&nbsp;km
|}

==== Wirtschaft im Deutschen Kaiserreich (1871–1918) ====
Obwohl die politische Bedeutung Preußens im neugegründeten [[Deutsches Kaiserreich|Deutschen Kaiserreich]] seit 1871 sank, stellte Preußen immer noch das wirtschaftlich mächtigste Land des Kaiserreiches dar. Das in Preußen gelegene [[Rheinland]], [[Berlin]] sowie [[Schlesien]], die [[Provinz Sachsen]] und die Rhein-Main-Region waren denn auch die wichtigsten Wirtschaftszentren des Reiches. Die Industrialisierung in Preußen nahm auch im Kaiserreich nach 1871 stetig zu. Dies zeigte der Anstieg des Erwerbstätigenanteils, die in der Industrie, [[Handwerk]] und Bergbau beschäftigt waren. So stieg dieser Erwerbstätigenanteil im [[Sekundärsektor]] und [[Bergbau]] zwischen 1871 und 1907 von 30,4 % auf 42,8 % an.

Allerdings verlief dieser Prozess regional unterschiedlich: In der [[Provinz Ostpreußen]] nahm der Anteil des [[Sekundärsektor]]s und des Bergbaus von 1871 bis 1907 nur von 16,1 % auf 20,4 %, in der [[Rheinprovinz]] dagegen von 41,3 % auf 54,5 % zu. Allerdings lag der Industrialisierungsgrad Gesamt-Preußens lange Zeit noch unter dem Reichsdurchschnitt.

Im Jahre 1913 wurde in Preußen 62 % des [[Nettonationaleinkommen]]s des Deutschen Reiches erwirtschaftet. Die Zahl entsprach genau dem Anteil der preußischen Bevölkerung an der gesamten Reichsbevölkerung.

Ab 1880 bis 1888 erfolgte die Verstaatlichung der meisten [[Privatbahn]]en. Am Ende des Ersten Weltkrieges bildeten die staatlichen preußischen Eisenbahnen ein 37.500&nbsp;km großes Eisenbahnnetz. Die regelmäßigen Mehreinnahmen der [[Preußische Staatseisenbahnen|Preußischen Staatseisenbahnen]] dienten auch dazu, den Staatshaushalt auszubalancieren.<ref>Acta Borussica – Protokolle des preußischen Staatsministeriums; [http://preussenprotokolle.bbaw.de/bilder/Band%208-1.pdf preussenprotokolle.bbaw.de] (PDF)</ref>

== Gesellschaft ==
Die Gesamtheit aller Individuen und Gruppen auf dem Territorium des preußischen Staats bildete keine [[Gesellschaft (Soziologie)|Gesellschaft]] im Sinne einer [[Nation]]. Es bestanden sehr unterschiedliche regionale, kulturelle und soziale Welten. Die Nationswerdung vollzog sich nach 1815 lediglich rudimentär in den altpreußischen Provinzen, unter Ausschluss der neupreußischen Gebiete am Rhein und in Westfalen.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S.&nbsp;445</ref>

=== Repräsentative (feudale) und bürgerliche Öffentlichkeiten ===
Noch in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts bestand in Preußen wie in anderen europäischen Staaten nahezu ausschließlich die „repräsentative Öffentlichkeit“. Deren systemimmanente Merkmale trennten nicht ausreichend zwischen [[Privat]]en und [[Öffentlich]]en, sondern nur zwischen [[Gemeiner|Gemeinen]] und [[Privileg]]ierten. Träger der repräsentativen Öffentlichkeit war das [[Hofzeremoniell]], also der [[Preußischer Hofstaat|preußische Hofstaat]], das höfische Leben im Allgemeinen. Dies bedeutete den Ausschluss des Volkes von der Öffentlichkeit. Alles Nichthöfische war demnach Kulisse und in einer passiven, zuschauenden Rolle, während das Höfische die Bühne besetzte, auf die sich die [[Untertan]]en auszurichten hatten.<ref>Caroline Emmelius: ''Offen und Verborgen: Vorstellungen und Praktiken des Öffentlichen und Privaten in Mittelalter und Früher Neuzeit''. Wallstein Verlag, Göttingen 2004, S. 12</ref>
Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts zerfielen die feudalen Gewalten, Kirche, Fürstentum und Herrenstand, an denen die repräsentative Öffentlichkeit haftete, in eine öffentliche und eine [[Privatsphäre|private Sphäre]]. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts wurde der [[Nachrichtenverkehr]] in Mitteleuropa allgemein zugänglich und gewann damit einen öffentlichen Charakter. Die Printmedien erhielten die Rolle von Türöffnern für die eingezwängte bürgerliche Schicht auf ihrem Weg zur Mündigkeit. Zu den bedeutenden [[Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung|Periodika der Aufklärung]] zählte die [[Berlinische Monatsschrift]]. Der publizistische Stil enthielt in der Mehrzahl der Beiträge einen diskursiven, dialogähnlichen Charakter.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 295</ref> Weitere namhafte Zeitungen waren die [[Schlesische Zeitung]], [[Schlesische Provinzialblätter]], [[Spenersche Zeitung]], die [[Vossische Zeitung]] (seit 1785: Königlich Privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen).

Aus der neu gewonnenen privaten Sphäre, die neben der staatlich-repräsentativen Öffentlichkeit entstanden war, entwickelte sich die Vorform der bürgerlichen Öffentlichkeit. Dies war zunächst die literarische Öffentlichkeit. Die Grundlagen hierfür bildete die im 18. Jahrhundert in Europa und den [[Amerikas]] wirkende Geistesströmung der [[Aufklärung]]. Diese förderte die Entstehung einer mündigen Schicht von Bewohnern, die sich nicht mehr nur als folgsame Untertanen mit dinglichen, automatenhaften Grundzügen verstanden, sondern als selbstbewusste [[Individuum|Individuen]] mit angeborenen [[Naturrecht]]en. Da die Leserschaft eine genuine Gruppe aus der [[Elite|sozialen Elite]] war, die sich selbstaufklärerisch fotbildete, entstand so eine neue soziale Kategorisierung, später gemeinhin als das [[Bildungsbürgertum]] charakterisiert.

Die zunehmende Selbständigkeit dieser „[[Staatsbürger]]“ förderte die Bildung von autonomen [[Soziales Netzwerk (Soziologie)|gesellschaftlichen Netzwerken]], die nicht mehr durch monarchisch-staatliche Regelungen beeinflusst wurden. Die Netzwerke aus Vereinen und Gesellschaften funktionierten wie Volksversammlungen mit freiem Rederecht. Sie sollten der privaten Öffentlichkeit die Möglichkeit bieten, über sich selbst und die wichtigsten Fragen der Zeit nachzudenken. Dies förderte die Entstehung von [[Lesegesellschaft]]en. Einige Zirkel und Kreise trafen sich informell. Auch [[Buchhandlung]]en waren wichtige Treffpunkte für die neugebildete Öffentlichkeit. Neben Lesegesellschaften, Logen und patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften gab es noch zahlreiche literarische und philosophische Vereinigungen und Gruppen von Gelehrten, die sich auf Naturwissenschaft, Medizin oder Sprachen spezialisierten. Zu den Praktikern dieser entstehenden [[Zivilgesellschaft]] gehörten in Preußen zur Mitte des 18. Jahrhunderts Schriftsteller, Dichter, Verleger, Club-, Gesellschafts- und [[Freimaurer in Deutschland|Logenmitglieder]], Leser und Abonnenten. Diese intellektuellen Gruppen beschäftigten sich mit den großen Fragen der Zeit, literarischen ebenso wie wissenschaftlichen und politischen. Bedeutende Persönlichkeiten der Zeit in Preußen waren beispielsweise [[Karl Wilhelm Ramler]] oder der Verleger [[Friedrich Nicolai]].

Im Ergebnis entstand aus der einstmals sehr stillen und lethargisch wirkenden preußischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts eine laute, lebendige und vielfältige Öffentlichkeit mit offenen [[Diskurs]]en.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 296&nbsp;f.</ref> Die literarische Öffentlichkeit wandelte sich später weiter zu einer politischen Öffentlichkeit, die sich als Kritik an der autokratischen Staatsmacht insgesamt etablierte. Das wurde gefördert durch den vorübergehenden Wegfall der [[Zensur (Informationskontrolle)|Zensur]] beim Beginn der Herrschaft Friedrichs&nbsp;II. 1740. Kritik am politischen System und am Monarchen war mit der [[Berliner Aufklärung]], für Europa einmalig, möglich geworden. Grundsätzlich bestanden die feudalen und bürgerlichen Öffentlichkeiten bis zum Ende der Monarchie 1918 parallel, wenn auch ein stetiger Substanz- und Bedeutungsverlust der monarchischen, adeligen Öffentlichkeitskultur erkennbar war.

=== Preußische Agrarverfassung ===
{{Hauptartikel|Preußische Agrarverfassung}}

Im 17. Jahrhundert hatte sich in den [[ostelbisch]]en Gebieten Brandenburg-Preußens die [[Gutsherrschaft]] durchgesetzt. Die entrechteten [[Bauernstand|Bauern]] waren als [[Unfreie]] an den Gutsherrn gebunden und leisteten ihm [[Frondienst]]e. Wesentliche Machtbefugnisse lagen in den Händen der adeligen Guts- und Grundbesitzer, den [[Junker (Preußen)|Junkern]]. Dabei kontrollierten wenige wohlhabende [[Adlige]] mit großem Landbesitz fast die gesamte Provinzpolitik. Der preußische Staat verfügte, von der Kreisebene abwärts, nur über geringe Gestaltungskompetenzen. Die mit der [[Bauernbefreiung]] Anfang des 19. Jahrhunderts einsetzende [[soziale Mobilität]] führte zu [[Landflucht]] großer Bevölkerungsteile in die Städte. Die damit verbundene Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte war eine Voraussetzung der einsetzenden [[Industrielle Revolution in Deutschland|industriellen Revolution]].

=== Von der Ständegesellschaft zur Klassengesellschaft ===
[[Datei:Zille Der-spaete-Schlafbursche GDR-73-100-6.jpg|mini|''Der späte Schlafbursche'' von [[Heinrich Zille]]]]
[[Datei:Heinrich Zille Standesunterschiede.gif|mini|hochkant|Heinrich Zille: [[Standesunterschied]]e auch beim Sitzen. (Comtor für Comte, frz. Graf)]]

Das städtische [[Bürgertum]] bestand Ende des 17. Jahrhunderts traditionell aus der zunftgeprägten [[Handwerkerschaft]] die sich die Macht in den [[Stadtrat|Stadträten]] mit wenigen einflussreichen [[Patriziergesellschaft|Patriziern]] teilten. Mit der Aufklärung und dem einsetzenden [[Merkantilismus]] um 1700 verloren die Handwerker zunehmend ihren Einfluss an eine kleine, reiche Schicht von [[Großbürger]]n, bestehend aus Manufakturbesitzern, Großkaufleuten und Geldwechselbankiers, die neue städtische [[Oberschicht]].<ref name="Wilhelm Treue 1984" /> Bedeutende Vertreter waren im 18. Jahrhundert [[Johann Ernst Gotzkowsky]], [[Wilhelm Kaspar Wegely]], [[Johann Jacob Schickler]], [[Friedrich Heinrich Berendes]]. Auch die preußische Beamtenschaft gewann an Bedeutung; das Militär bestehend aus dienenden Soldaten mit ihren Familien und [[Invalide]]n bildete im 18. Jahrhundert eine rechtlich gesonderte Zwischenschicht.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S. 109</ref>

Die auf dem Land in den [[Ostelbien|ostelbischen]] Gebieten bestehende [[Junker (Preußen)|junkergeprägte]] [[Gutsherrschaft]] fort wird in der Geschichtsschreibung oft mit „ökonomischer Rückständigkeit“, „Junkerwillkür“ und [[Untertanengeist]] plakatiert. Prügel gehörte zu den verbreiteten Disziplinierungsmitteln der Gutsherren. Die einfache Landbevölkerung gab sich königstreu und glaubte an die [[Legende]] vom [[Herrschertugenden|„gerechten König“]]. Der Staat untersagte allerdings gröbere Misshandlungen, stützte aber auch die Gutsbesitzer, da [[Frondienst]] und [[Hörigkeit (Rechtsgeschichte)|Schollenpflicht]] die ländliche Gesellschaft prägten. Gegen [[Bauernrevolte]]n, die es mehrfach in Schlesien von 1765 bis 1793, 1811 und 1848 gegeben hat, setzte der Staat Militär ein. Erst Bauernbefreiung, [[Ablösungsrecht (historisch)|Ablösung]], [[Landflucht]] und die Durchsetzung der [[Lohnarbeit]] führten zu einer langsamen Veränderung dieser Verhältnisse.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S. 110</ref>

Übriggebliebene ständische Einflüsse und staatliche Eingriffe prägten die städtische Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Aufgrund der [[Soziale Ungleichheit|sozialen Ungleichheit]] verbunden mit großen Einkommensunterschieden, entstand in den Städten eine breite ökonomische Unterschicht. Diese bestand aus Manufakturarbeitern, die erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts an Selbstbewusstsein gewann. Die preußische [[Zivilgesellschaft]] des 18. und 19. Jahrhunderts bestand zu großen Teilen aus [[Tagelöhner]]n und [[Bettler]]n die häufig als [[Schlafgänger]] an der Grenze zur Obdachlosigkeit lebten. Diese [[Klassengesellschaft]] veränderte sich nur langsam durch zunehmende Bildung, berufliche Ausdifferenzierung, Wohlstandszuwachs und Interventionen des Staates.

=== Feudal-kapitalistische Herrenkaste ===
[[Datei:Verhältnis Junker und Arbeiter in Preußen.jpeg|mini|Unterschiede eines Junkers und eines Arbeiters in Preußen um 1900]]
[[Datei:Heilemann Ernst - Milliardäre .jpg|mini|„Sie kommen nächstes Jahr nicht wieder nach Europa Miss Astor?“ – „Nein, Papa verträgt so schwer den Armeleutgeruch der europäischen Finanzwelt.“<br /><br />''Erläuterung: Blick auf die [[USA]] / [[American way of life]]<br />die neue preußische Elite: [[High Society|Die oberen Zehntausend]] / Adel und [[Geldadel]] 1908 in Preußen'']]
Preußens Herrschaftssystem basierte auf der Königsherrschaft. Der König sicherte seine Macht über den Landadel und in den Städten durch seine Garnisonen und die staatliche Bürokratie. Der Einfluss des städtischen Bürgertums beschränkte sich auf die [[kommunale Selbstverwaltung]]. Im Zuge der Aufklärung entstand eine Schicht von [[Bildungsbürgertum|Bildungsbürgern]], die neue Ideen und Konzepte zur Teilhabe entwickelte und sich Mitsprache einforderte. Die Feudalklasse geriet dadurch erstmals zwischen 1789 und 1815 in die Defensive. Die Feudalherrschaft konsolidierte sich in der Zeit der Restauration, um im Vormärz erneut von der weiter erstarkten bürgerlichen Klasse herausgefordert zu werden.

Das politische [[Bürgertum]] hatte sich nach der verunglückten [[Revolution von 1848]] erneut zurückgezogen und sich wieder auf seine wirtschaftlichen Kernkompetenzen reduziert. Die politische Macht überließ es wieder den „alten [[Eliten]]“. Doch es entstanden neue [[Interessengruppe]]n, die zwar keine politische Macht, aber über [[Produktionsmittel|Kapital, Produktion und Arbeit]] bedeutende Machtmittel besaßen, die ihnen großen Einfluss auf die staatliche Politik gewährten. Diese neuen Eliten sammelten sich in freien [[Unternehmerverband|Unternehmerverbänden]] jenseits der schon bestehenden öffentlichen [[Industrie- und Handelskammer]]n. Die weiterhin tonangebende, etablierte adelige Schicht, überwiegend aus den mittleren und östlichen, ländlichen Provinzen stammend, nahm für sich in Anspruch, das [[Gemeinwohl]] in einer Mischung aus Bevormundung und Fürsorge zu verkörpern.

{{Zitat
|Text=Er werde sich zunächst einige Jahre mit der rekrutendressierenden Fuchtelklinge amüsieren. Nach der Militärzeit werde er ein Weib nehmen, einige Kinder zeugen und auf dem väterlichen Gut das Land bebauen. (…) In zehn Jahren (…) werde er ein fettgemästeter schnurrbärtiger Gutsherr sein, der eine (…) Abscheu vor Juden und Franzosen hegt und Hunde und Bedienstete auf das Brutalste prügelt, wenn er von seiner Frau tyrannisiert wurde. Zu des Königs Geburtstag werde er sich besaufen, 'Vivat' schreien und ansonsten über Pferde fachsimpeln.
|Autor=Lebenswegplanung eines typischen ostelbischen Junkers, nach Bismarck<ref>{{Literatur |Autor=Jan Friedmann |Titel=Restauration und Revolution: Morsche Macht |Sammelwerk=Spiegel Special |Nummer=3 |Datum=2007 |Seiten=124–127}}</ref>}}

Allerdings verlor der Adel durch die Industrialisierung seine auf Grundbesitz und Landwirtschaft beruhende ökonomische Führungsrolle an die [[Bourgeoisie]], behielt aber seinen hohen gesellschaftlichen Rang. Dem Wirtschaftsbürgertum fehlte zunächst ein eigenständiges [[Klassenbewusstsein]]. Statt politischer Teilhabe strebte man nach Aufnahme in die Adelsklasse (Verheiratung, [[Nobilitierung]]). Die „Neureichen“ kopierten den Lebensstil des Adels und kauften und bezogen dessen [[Rittergut|Rittergüter]], wodurch eine neue, feudal-kapitalistische Herrenschicht in Preußen entstand.<ref>Christian Galonska: ''Die Wirtschaftselite im gesellschaftlichen Abseits: Von der Klasse an sich zur Klasse für sich.'' Springer Fachmedien, Wiesbaden 2012, S.&nbsp;96–99.</ref>

=== Gesellschaftspolitische Bewegungen ===
Die [[Differenzierung (Soziologie)|Differenzierung]] der sich ausprägenden staatsfernen [[Zivilgesellschaft]] nahm im 19. Jahrhundert an Fahrt auf. Sowohl die bürgerliche Klasse als auch die Arbeiterklasse bildeten weitere eigene Unterschichten aus, die sich ebenso in verschiedene gesellschaftliche Richtungen heterogenisierten und entfalteten.

==== Nationalliberalismus, Preußischer Patriotismus, Deutscher Nationalismus ====
Aus den Erschütterungen der französischen Revolution ergaben sich in Deutschland Einigungsbestrebungen, die vor allem von der aufgeklärten, städtisch geprägten bürgerlichen Klasse getragen wurde. Nach Jena gründete sich der [[Tugendbund]] in Königsberg 1808. Dieser galt dem König als die erste revolutionäre Zelle, einer Bewegung, die es in Wirklichkeit als geschlossene Formation gar nicht gab.<ref>Otto Büsch: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Handbuch der Preußischen Geschichte Band 2, Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992, S.&nbsp;192</ref> Als intellektuelle Anführer galten [[Ernst Moritz Arndt]], [[Friedrich Schleiermacher]] und [[Johann Gottlieb Fichte]].

Die Anhänger der deutschen Einigungsbestrebungen gehörten in den Befreiungskriegen überproportional oft zu den Kriegsfreiwilligen in Preußen. Bürgerwehren und Freiwilligenverbände waren Ergebnisse der Patriotismuswelle. Insgesamt 30.000 Mann der preußischen Streitkräfte, rund 12,5 Prozent der Gesamtstärke machten diese [[Freikorps]] aus, von denen die [[Lützowsches Freikorps|Lützowschen Jäger]] die Berühmtesten waren. Es handelte sich hier um eigenständige, zudem bewaffnete Gruppierungen außerhalb der monarchischen Strukturen. Der emotionale [[Patriotismus]] der auch mit potenziell subversiven Visionen versehenen Freiwilligen war, von der Vorstellung einer idealen politischen Ordnung für Deutschland und Preußen durchdrungen. Sie leisteten ihren [[Eid]] nicht auf den König, sondern nur auf das deutsche Vaterland. Sie begriffen den Krieg gegen Frankreich als [[Volksaufstand|Aufstand des Volkes]].<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 439</ref> Die gemeinsame Schnittmenge politischer Inhalte zum monarchischen System war damit denkbar klein.

Die deutsche Nationalbewegung war in dieser Phase eng mit dem [[Liberalismus]] verbunden. Gerade dessen linker Flügel zielte auf eine nationale Demokratie ab: Die als anachronistisch und reaktionär empfundene Kleinstaaterei sollte durch einen liberalen Nationalstaat gleichberechtigter Staatsbürger abgelöst werden.

Aus der jugendlichen politischen Unzufriedenheit nach dem Ende der Befreiungskriege, die das Ende der nationalen Hoffnungen bedeuteten,<ref>Otto Büsch: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Handbuch der Preußischen Geschichte Band 2, Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992, S.&nbsp;180</ref> bildeten sich die vor allem für Preußen wichtige [[Turnerbewegung]] und die [[Burschenschaftliche Gemeinschaft|burschenschaftlichen Gemeinschaften]] als quasi-politische Zentren heraus. Die Bewegung breitete sich rasch auf andere Universitäten aus.<ref>Otto Büsch: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Handbuch der Preußischen Geschichte Band 2, Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992, S.&nbsp;181</ref> Nach dem [[Wartburgfest]] wurden beide Bewegungen aus Angst vor einem Wiederaufflammen des [[Jakobinismus]] verboten. Die nationale und liberale Bewegung wurde dadurch organisatorisch schwer getroffen und in ihrer Entfaltung für 20 Jahre zurückgeworfen. Die deutsche Nationalbewegung unter Führung von [[Barthold Georg Niebuhr]], [[Friedrich Ludwig Jahn]], [[Karl Theodor Welcker]], [[Joseph Görres]] zählte bis dahin rund 40.000 Anhänger.<ref>Otto Büsch: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Handbuch der Preußischen Geschichte Band 2, Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992, S.&nbsp;182</ref>

Der eingetretenen konservativen Wende in Preußen begegneten viele aus dem Bürgertum durch einen Rückzug ins Häusliche. Ein apolitischer, auf Behaglichkeit und Beschaulichkeit ausgerichteter Wohn- und Lebensstil mit einem ausgeprägten geselligen Leben mit starken Anleihen bei der [[Romantik]] setzte sich bei den besser gestellten bürgerlichen Kreisen durch. Der Begriff [[Biedermeier]] veranschaulicht den durch die reaktionäre Politik erzwungenen Rückzug ins private Häusliche.<ref>Otto Büsch: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Handbuch der Preußischen Geschichte Band 2, Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992, S.&nbsp;179</ref> Trotz Restauration der monarchischen Ordnung wurde vor allem im Bürgertum und an den Universitäten weiterhin für liberale und nationale Ideen geworben.

Die staatlichen Akteure lernten auf lange Sicht, das Mobilisationspotenzial der Idee von der Nationalen Einigung für sich nutzbar zu machen. Es entstand eine Synthese, in der populäre und dynastische Elemente als komplementäre Bestandteile angesehen wurden. trotz aller Widersprüche und Gegensätzlichkeiten wurde der preußische Krieg gegen Napoleon letztlich zu einem nationalen Befreiungskrieg umgewidmet und die Nationalliberale Bewegung wurde damit staatlicherseits [[Einhegung|eingehegt]].<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 447</ref>

==== Arbeiterbewegung ====
Die [[Arbeiterbewegung]] war die größte demokratische Emanzipationsbewegung Preußens.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019,</ref> Sie bildete einen Teil des europäischen gesellschaftlichen Emanzipationsprozesses zwischen 1789 und 1918. Der Bedarf ergab sich einmal aus den sozialen Folgen ([[soziale Frage]]) der Industrialisierung, Bevölkerungsexlposion und Landflucht, die eine breite Schicht verarmter und besitzloser Tagelöhner und rechtloser Lohnarbeiter erzeugt hatte ([[Pauperismus]]).

Zudem hatte das Bürgertum in Preußen erkennbare Mühe, seine Interessen gegenüber den traditionellen Führungsschichten durchzusetzen.
Politisch war die Bürgerliche Klasse nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 nachhaltig geschwächt worden und akzeptierte die von oben vorgegebenen Strukturen und fügte sich fortan darin ein. Die damit ausgefallene Rolle als Erneuerungskraft und Reformationsgruppierung übernahm fortan die Arbeiterschaft.<ref>Bernd Faulenbach: ''Geschichte der SPD: Von den Anfängen bis zur Gegenwart''. Verlag C.H. Beck, München 2012, S.&nbsp;12</ref>

Die Prologereignisse zur Gründung der Arbeiterbewegung, formiert in [[Arbeiterverein]]en, der Sozialdemokratischen Partei und Gewerkschaften, bildete die Revolution von 1848. Ihre formative Phase vollzog sich in den 1860er und 1870er Jahren. Zunächst entstand aber im April 1848 in Berlin das [[Central-Comité der Arbeiter]] unter Führung von [[Stephan Born]], der für den 23. August einen [[Allgemeiner Arbeiterkongress|Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Kongress]] nach Berlin einberief. Dort gründete sich die [[Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung]].<ref>Bernd Faulenbach: ''Geschichte der SPD: Von den Anfängen bis zur Gegenwart''. Verlag C.H. Beck, München 2012, S.&nbsp;13</ref> Mit der [[Neue Ära (Preußen)|Neuen Ära]] in Preußen beeinflusst entstand eine neue Nationalbewegung und mit ihr, teilweise auch rekursiv beeinflusst, entstanden neue Arbeitervereine. Diese strebten nach Autonomie von der bürgerlich-liberalen Bevormundung und forderten seit 1862 unabhängige Arbeitervereine. Daraus ergab sich die Formierung des [[ADAV]], dessen Wirkungsbereich die Kerngebiete Preußens umfasste. Insgesamt war die Arbeiterbewegung gesamtdeutsch organisiert, wie die Gründung der [[SPD]], 1869 zunächst als [[Sozialdemokratische Arbeiterpartei (Deutschland)|SDAP]] in Eisenach zeigte. Ihr organisatorisches und Netzwerkbezogenes Zentrum bildete fortan Leipzig.

Die Sozialdemokratie stand der Bismarckschen Politik kritisch gegenüber und wurde zur systemablehnenden Oppositionspartei. Dieser reagierte mit den [[Sozialistengesetz]] und begann eine Verfolgungswelle.<ref>Bernd Faulenbach: ''Geschichte der SPD: Von den Anfängen bis zur Gegenwart''. Verlag C.H. Beck, München 2012, S.&nbsp;19</ref>

=== Bildung ===
[[Datei:Friedrich Wilhelm I. in der Schule Gemälde von Adolph Menzel.jpg|mini|Friedrich Wilhelm&nbsp;I. in der Schule Gemälde von [[Adolph Menzel]]]]
Im Zuge der [[Frühaufklärung]] und des Wirkens des Halleschen Pietismus im preußischen Staat erfolgte 1717 durch [[Edikt|königlichen Edikt]] die Einführung der [[Allgemeine Schulpflicht|allgemeinen Schulpflicht]] in den preußischen Staaten. Die damalige nur gering ausgeprägte Staatsverwaltung verfügte nicht über die Möglichkeiten, den [[Schulbesuch]] zu kontrollieren. Auch mangelte es an den nötigen Finanzen, um ein flächendeckendes und professionelles Schulsystem zu etablieren. Die entstehenden Dorfschulen vom Niveau einfacher [[Klippschule]]n wurden weiterhin von [[Küster]]n geleitet. Das Edikt von Friedrich Wilhelm&nbsp;I. zeigte in der Praxis wenig Wirkung, bildete aber die Grundlage für das [[Generallandschulreglement]], das Friedrich&nbsp;II. 1763 erließ. Gesetzlich wurde damit noch einmal die Schulpflicht bestätigt und vertieft. Es sah eine Schulpflicht von acht statt sechs Jahren vor. Der Unterricht sollte regelmäßig je drei Stunden vor- und nachmittags stattfinden, nach einem festen [[Lehrplan]] und mit ordentlich ausgebildeten Lehrer. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts gingen nur knapp 60 Prozent der Kinder regelmäßig zum Unterricht. Das änderte sich erst, als die [[Kinderarbeit]] gesetzlich verboten wurde.<ref>Masashi Urabe: ''Funktion und Geschichte des deutschen Schulzeugnisses''. Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2009, S. 43</ref>

1804 gab es auf dem Territorium des preußischen Staats acht Universitäten.<ref name="digitalis.uni-koeln.de">Georg Hassel: [http://www.digitalis.uni-koeln.de/Hassel/hassel_index.html ''Statistischer Umriss der sämtlichen europäischen Staaten in Hinsicht ihrer Größe, Bevölkerung, Kulturverhältnisse, Handlung, Finanz- und Militärverfassung und ihrer aussereuropäischen Besitzungen''.] 2 Teile. Vieweg Verlag, Braunschweig 1805, S.&nbsp;29–52</ref>
{| class="wikitable sortable"
|-
! Universität !! Studenten !! Stand
|-
| [[Universität Halle]] || 634 || 1802
|-
| [[Albertus-Universität Königsberg|Universität Königsberg]] || 300 || 1802
|-
| ([[Universität Erlangen]]) || 300 || 1801
|-
| [[Universität Breslau]] || 239 || 1803
|-
| ([[Talmudschule]]) Fürth|| 200|| 1797
|-
| [[Brandenburgische Universität Frankfurt]] || 180 ||
|-
| [[Alte Universität Duisburg]] || 67 || 1804
|-
| ([[Universität Erfurt]]) || 50 ||
|}

Zusätzlich gab es die [[Preußische Akademie der Künste]] und die [[Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin]], die als [[Akademie|akademische Gelehrte Gesellschaften]] um 1700 in Berlin gegründet wurden und ein großes [[Renommee]] im internationalen Künstler und Wissenschaftsgefüge aufbauten.

Im Zuge der [[Preußische Reformen|Preußischen Reformen]] kam es auch zur Reform des [[Bildungssystem]]s, zu dem [[Wilhelm von Humboldt]] beauftragt wurde. Dieser legte ein liberales [[Reformprogramm]] vor, das die [[Bildung]] in Preußen völlig umkrempelte. Der Staat erhielt ein einheitliches, standardisiertes öffentliches Bildungssystem, das die aktuellen [[Pädagogik|pädagogischen]] Entwicklungen aufnahm ([[Pestalozzi]]s Pädagogik). Neben der Vermittlung von Fach- und technischen Fähigkeiten sollte vor allem die geistige Selbständigkeit der Schüler gefördert werden. Es entstand eine zentrale Abteilung auf Ministerialebene, die für die Erstellung von [[Lehrpläne]]n, [[Lehrbuch|Lehrbüchern]] und Lernhilfen Zuständigkeit erhielt. Lehrerkollegien wurden gegründet, um für die chaotischen Grundschulen geeignetes Personal auszubilden. Es entstand ein standardisiertes System staatlicher Prüfungen und Inspektionen.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 385&nbsp;f.</ref>

1810 folgte die Gründung der heutigen [[Humboldt-Universität zu Berlin]], als ''Friedrich-Wilhelms Universität''. Diese erlangte bald danach eine vorherrschende Stellung unter den protestantischen deutschen Staaten.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 387</ref>

Die Ausweitung und Professionalisierung der [[Lehrerausbildung]] machte nach 1815 rasche Fortschritte. In den 1840er Jahren besuchten mehr als 80 Prozent der Kinder zwischen sechs und vierzehn Jahren eine [[Grundschule]]. Eine ähnlich hohe Quote erreichten zu der Zeit lediglich noch Sachsen und [[Neuengland]]. Entsprechend niedrig war auch die [[Analphabetenquote]].

Preußens Bildungssystem und die Wissenschaftsförderung wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert auch international als vorbildlich angesehen.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S.&nbsp;251</ref> Bewundert wurden die Effektivität, die breiten Zugangsmöglichkeiten und der liberale Ton der Einrichtungen. Den Kindern wurde bereits zu dieser Zeit beigebracht, ihre geistigen Fähigkeiten selbst einzusetzen, durch Lehrer, die sich dabei nicht mehr der klassisch-autoritären Mittel (Prügel) bedienten. Bestrafungen von Fehlverhalten oder Mittel der Angsterzeugung gehörten nicht mehr zum damaligen Erziehungsrepertoire des Lehrpersonals. Im zeitgenössischen Urteil internationaler Zeugen aus fortschrittlichen Gesellschaften überwog die Verwunderung über die zeitgleiche Existenz eines so fortschrittlichen pädagogischen Systems innerhalb eines despotischen Staatswesens.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 468&nbsp;f.</ref>

=== Kultur ===
[[Datei:Die königlich preußische Lustyacht LIBURNICA 1704 auf der Spree..jpg|mini|hochkant|Die Ankunft der Lustjacht „Friedrich“ am 8. März 1708 in Berlin war ein vielbeachtetes öffentlichkeitswirksames Ereignis. Die [[Jacht]] war eine von drei Lustjachten des Königs und soll 100.000&nbsp;RT gekostet haben. Sie diente vor allem der Verherrlichung des preußischen Königtums, in dessen Dienste die Kulturwerke dieser Zeit gestellt wurden<ref>Frank Göse, Winfried Müller, Kurt Winkler, Anne-Katrin Ziesak (Hrsg.): ''Preußen und Sachsen – Szenen einer Nachbarschaft''. Sandstein Verlag, 2014, S. 148&nbsp;f.</ref>]]
[[Datei:SPSG KoenigsWusterhausen Sauhetze.jpg|mini|hochkant=1.5|Gemälde eines preußischen Hofmalers: „Sauhetze während einer Jagd Friedrich Wilhelms&nbsp;I. im Süden von Potsdam oder bei Wusterhausen im Herbst in den 1730ern“;<br />''Grobheit, Unbeholfenheit und Ungerichtetheit kennzeichnen das frühe Entwicklungsstadium der preußischen Kunst, in einem Staat, der seinen Klimax noch nicht erreicht hatte'']]
[[Datei:1861 Menzel Kronprinz Friedrich besucht den Maler Pesne anagoria.JPG|mini|Gemälde von [[Adolph Menzel]]: Kronprinz [[Friedrich II. (Preußen)|Friedrich]] besucht den preußischen Hofmaler [[Antoine Pesne|Pesne]]]]

==== Begriffsbestimmung ====
Zur [[Preußische Kultur|preußischen Kultur]] werden die Kernbereiche [[Staatskultur]] (Gebäude, Denkmäler, Feiern), [[Kulturstaatlichkeit]] (Staatliche Förderung und Aufsicht in Schulen, Hochschulen, Museen, Theater usw.) und die staatsferne Zivilgesellschaft ([[Freie Kunstszene]], Großstadtleben, Arbeiterbewegung) aber auch im weiteren Sinne die Bereiche Bildung, Wissenschaft sowie die christlichen Kirchen mit einbezogen.

Die [[Kultur]] in Preußen umfasste die geistigen und gesellschaftlichen Lebensformen, materiell wie immateriell. Der Kulturbereich war mehrfach untergliedert. Den Kern bildete der [[Hochkultur (Soziologie)|Hochkulturbereich]], wozu die [[Bildende Künste|bildenden Künste]] (Malerei, Bildhauerei, Architektur) zählen. Ergänzend kommen Musik, Literatur sowie die Gesamtkunstgenres Theater, Oper dazu. Bildungs- und Wissenschaftsdisziplinen, Religion und Staatskultur (Gedenktage, Denkmäler, Rituale) vervollständigten den erweiterten Kulturbegriff.

Die Kultur Preußens gliederte sich in den Jahrhunderten in die europäisch dominierten Kunstepochen ([[Barock]], [[Klassizismus]], [[Sturm und Drang]], [[Romantik]], [[Biedermeier]], [[Impressionismus]], [[Historismus]], [[Gründerzeit]], [[Jugendstil]], [[Expressionismus]]) aber auch nach regionalen Gesichtspunkten. Kultur und Kunst sollte Ausdruck und Weltdeutung schaffen und den Staat, Kirche oder soziale Gruppen repräsentieren.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S.&nbsp;251&nbsp;f.</ref>

==== Entwicklung ====
Das Gebiet Preußens galt im 17. Jahrhundert als kulturell zurückgeblieben gegenüber den anderen Reichsterritorien. Bis die [[Bürgertum|Bürgerliche Klasse]] formiert war, gingen vornehmlich von der kleinen [[Hochadel|Schicht des Hochadels]] Kulturförderungen aus.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S. 253</ref> Unter [[Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg|Friedrich Wilhelm von Brandenburg]] wurden bedeutende kulturelle Fortschritte erzielt, die sein Nachfolger Friedrich III./I. intensivierte. In der [[Bildnismalerei]] wirkte sich die Berufung von [[Antoine Pesne]] 1710 nach Berlin als [[Hofmaler]] entscheidend aus, da dieser in seiner 46-jährigen Wirkzeit zahlreiche Schüler ausbildete und überregional wirkte.<ref>Frank Göse, Winfried Müller, Kurt Winkler, Anne-Katrin Ziesak (Hrsg.): ''Preußen und Sachsen – Szenen einer Nachbarschaft''. Sandstein Verlag, 2014, S. 340</ref> Das erste öffentliche Denkmal Berlins, das [[Reiterstandbild des Großen Kurfürsten]] wurde zu einem Hauptwerk der Barock-[[Plastik (Kunst)|Plastik]].

Nach der ersten kulturellen Blüte zur Anfangszeit des preußischen Königtums unter Friedrich&nbsp;I. erfolgte 1713 unter dem Nachfolger Friedrich Wilhelm&nbsp;I. ein abrupter Einschlag allen kulturellen Lebens, der bis 1740 anhielt. Militärisches drang in das gesamte kulturelle Leben ein. Die Bildnismalerei in Preußen entwickelte sich stark zurück. Die Mittelmäßigkeit der Kunstwerke des Hofmalers [[Dismar Degen]] waren stilprägend für den gesamten Kunstsektor Preußens dieser Zeit. Mit Herrschaftsantritt Friedrichs&nbsp;II. entfaltete sich wieder eine höhere Kultur im preußischen Staat. Friedrich&nbsp;II. forcierte den Auftrag des Staates zur Hebung der Landeskultur und bediente gleichzeitig das eigene monarchische Repräsentationsbedürfnis. In den 1740er Jahren entstand die erste Oper Preußens, die [[Königliche Hofoper]] zu Berlin, später ergänzt um eine [[Alte Bibliothek (Berlin)|königliche Bibliothek]] als Bestandteil des [[Forum Fridericianum]] in Berlin. Die Pläne für den Platz wurden in der sich formierenden preußischen [[Öffentlichkeit]] über Publikationen in den Berliner Zeitungen und bei Gesprächen der Salons diskutiert. Der zentralste [[Platz]] Preußens wurde ein Residenzplatz ohne eine Residenz, wodurch er sich von anderen europäischen [[Schlossplatz|Schlossplätzen]] unterschied. Mit dieser herausgehobenen stadtplanerischen Anlage verdeutlichten die Macher, das die [[Staatsrepräsentation|Repräsentation des Staates]] von der der preußischen Dynastie entkoppelt war.<ref>Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947, Pantheon Verlag; Auflage: 1, 2008, S. 286&nbsp;f.</ref>

In der Herrschaftszeit Friedrichs&nbsp;II. entstand eine regionale Ausprägung des [[Rokoko]], die als [[friderizianisches Rokoko]] bezeichnet wird. Die Dekorationen sind im Vergleich zum Stil der Zeit meist zurückhaltender, zierlicher und eleganter und gehen auf die Arbeiten des Stuckateurs und Bildhauers [[Johann August Nahl der Ältere|Johann August Nahl]] und des Baumeister [[Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff]] zurück.<ref>Autor: Michael Senf: Schloss Sanssouci, (Hrsg.) [[SPSG]], Deutscher Kunstverlag, Berlin-München 2009, S. 10</ref>

Der Staat Preußen unterhielt fortan eine [[Hofkapelle (Orchester)|Hofkapelle]] auf dem finanziellen Niveau einer mittelgroßen Macht. Der Residenzenausbau im Berliner Raum wurde intensiviert. In Berlin entstanden dutzende neue auf Repräsentation und Prachtentfaltung ausgerichtete [[Stadtpalais]]. Neue Theatergebäude, wie kurzzeitig das [[Französisches Komödienhaus (Berlin)|französische Komödienhaus]] oder das [[Königliches Schauspielhaus (Potsdam)|königliche Schauspielhaus in Potsdam]] entstanden.

Mit den Friedensjahrzehnten, die nach 1763 folgten, begann in Preußen eine kulturelle Blüte. Sie setzte sich unter Förderung der folgenden Könige tendenziell verstärkend auch nach 1800 fort. Berlin wurde neben [[Weimarer Klassik|Weimar]] und als dessen Nachfolge wichtigstes geistig-kulturelles Zentrum Deutschlands.

[[Andreas Schlüter (Architekt)|Andreas Schlüter]] eröffnete, die Hofbaumeister [[Johann Friedrich Grael]] und [[Philipp Gerlach]] prägten, [[Carl Gotthard Langhans]] und [[Friedrich Gilly]] vollendeten den preußischen Stil.<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;38</ref> Die Einflüsse des preußischen Staats durch die Regierungspolitik auf die Gesellschaft formten die Ausprägungen und Bildung kultureller Formen mit. Dementsprechend wirkte sich auch der [[Militarismus]], das preußische Beamtentum mit seinen [[Preußische Tugenden|postulierten Tugenden]] und [[Kategorischer Imperativ|Kants Philosophie]] auf die Ausprägung des preußischen Stils aus. Darin drückte auch der maskuline Charakter des preußischen Staats, verstanden als [[Vaterland]] aus.

Für die Gesamtheit der kulturellen Erscheinungen in Preußen für die Zeit des [[Klassizismus]] gilt der Begriff [[Preußische Klassik]]. Das Entstehen der Preußischen Klassik hing zeitlich eng mit der politischen Expansion des Machtstaats Preußen zusammen. Diese generierte die Mittel aber auch den zunehmenden Bedarf und Anspruch auf eine angemessene kulturelle Ausdrucksform der hinzugewonnenen Möglichkeiten und des erhöhten Status. Nach der einflussreichen Programmschrift des Kunsthistorikers [[Arthur Moeller van den Bruck|Arthur Moeller]] „Der Preußische Stil (1916)“ war für ihn die ''Preußische Klassik'' subsumierter Anspruch (der herrschenden Eliten), aus der Idee einer «vornehm-spartanischen Lebensart», künstlerische Ausdrucksformen zu entwickeln. Daraus entstanden beispielsweise die in der Kunstwelt sowohl als «geschmackvoll» aber auch «karg» (oder „edelkalte“ Formen) geltenden Landschlösser und Herrenhäuser der Mark Brandenburg.

Architekturgeschichtlich gipfelte der sowohl politisch als auch kulturell zu verstehende Anspruch der ''Preußischen Klassik'' in der Nachahmung einer neuen [[Dorische Ordnung|Dorischen Ordnung]] ähnlich dem Antiken Vorbild.<ref>[[Helmut Weihsmann]]: Bauen unterm Hakenkreuz: Architektur des Untergangs, Promedia, 1998, S. 36</ref> Die Nordgriechischen [[Dorer]] galten ähnlich wie der preußische Staat in ihrer zivilisatorischen Frühphase ebenso in kultureller Hinsicht der übrigen griechischen Welt unterlegen und setzten eher auf harte, kriegerische Politikmittel, die ihnen die Eroberung des Antiken Griechenlands ermöglichte. Die angenommenen historischen Parallelen zwischen Dorern und Altpreußischem Staat, die kurzgefasst nach zeitgenössischer (preußischen) Erklärungsmustern, «mit wenig mehr als unfruchtbaren Boden, Willenskraft und Organisationstalent eine Großmacht formten», führte zu spiegelbildlichen Wiedererkennungswirkungen zeitgenössischer Akteure in kulturellen Bereichen Preußens. Die so versinnbildlichte Vorbildwirkung Dorischer Kunst führte zu intensiven künstlerischen Bezugnahmen und Nachahmungen in den künstlerischen Werken in Preußen.<ref>Barbara Stiewe: Der „Dritte Humanismus“: Aspekte deutscher Griechenrezeption vom George-Kreis bis zum Nationalsozialismus, De Gruyter Verlag, Berlin-New-York 2011, S. 239</ref>

In der Bildhauerei entstand 1785 die Strömung der [[Berliner Bildhauerschule]]. In der Literatur taucht für diese Phase der Begriff [[Berliner Romantik]] auf. Bedeutende Einzelpersönlichkeiten auf kulturellem-gesellschaftlichem Gebiet in Preußen wurden u.&nbsp;a. [[Karl Friedrich Schinkel]], [[Albert Dietrich Schadow]], [[Wilhelm von Humboldt|Wilhelm]] und [[Alexander von Humboldt]], [[Johann Gottlieb Fichte]], [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel]], [[Friedrich Carl von Savigny]], [[Heinrich von Kleist]], [[Christian Friedrich Tieck]], E.T.A. Hoffmann (Berliner Romantik). Die vielfach gebrauchte Bezeichnung von [[Spree-Athen]] für Berlin beschreibt den damaligen in Preußen herrschenden kulturellen Geist.<ref>Ortstermine – Stationen Brandenburg-Preußens auf dem Weg in die moderne Welt. In: Museumsverband des Landes Brandenburg (Hrsg.): Ausstellungskatalogs des Projektes „Kulturland Brandenburg 2001“. Verlag Henschel, 2001, S.XXIII</ref>

== Staat ==
[[Datei:Parade 1894.JPG|mini|Kaiser Wilhelm&nbsp;II. bei einer Militärparade am 9. Februar 1894 im Lustgarten in Potsdam.<br />Farblithografie von Carl Röchling (1855–1920);<br />Redeauszug des Deutschen Kaisers Wilhelm&nbsp;II. in [[Potsdam]] am 23. November 1891 bei einer Rekrutenvereidigung:
{{Zitat
|Text=Rekruten! Ihr habt jetzt vor dem geweihten Diener Gottes und angesichts dieses Altars Mir die Treue geschworen. Ihr seid noch zu jung, um die wahre Bedeutung des eben Gesprochenen zu verstehen, aber befleißigt euch zunächst, dass ihr die gegebenen Vorschriften und Lehren immer befolgt. Ihr habt Mir die Treue geschworen, das –&nbsp;Kinder Meiner Garde&nbsp;– heisst, ihr seid jetzt Meine Soldaten, ihr habt euch Mir mit Leib und Seele ergeben. Es gibt für euch nur einen Feind, und das ist Mein Feind. Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, dass ich euch befehle, eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen –&nbsp;was ja Gott verhüten möge&nbsp;–, aber auch dann müsst ihr Meine Befehle ohne Murren befolgen.
|ref=<ref>Hans Bentzien: ''Unterm Roten und Schwarzen Adler – Geschichte Brandenburg-Preußens für jedermann''. Verlag Volk&Welt, Berlin 1992, S. 286</ref>}}
''Erläuterung: Den Oberbefehl über das Heer hatte nach der Verfassung der König.'']]

{{Hauptartikel|Verwaltungsgliederung Preußens}}
=== Charakteristiken und Merkmale ===
Die Entwicklung des preußischen Staats war eingebettet in die europäische Gesellschaftsentwicklung. Das bedeutet, dass jede Entwicklung, die sich in Preußen vollzog, stets zeitgleich oder zumindest verzögert die Strömungen [[Autopoiesis|von außen aufnahm]] und auf die spezifisch preußischen Bedürfnisse [[Strukturelle Kopplung|anpasste]]. Eine autonome Eigenentwicklung aus sich heraus fand folglich nicht statt, sondern der Staat und die Gesellschaft wandelte sich nach [[Isomorphie (Sozialwissenschaften)|isomorphischen]] Gesichtspunkten nach den Vorgaben der gesellschaftlichen Vorreiter aus den Niederlanden, Frankreich und England.

Der Beginn der modernen europäischen Staatenentwicklung in der [[Frühe Neuzeit|Frühen Neuzeit]] führte zunächst über die [[Säkularisierung]] [[Kirche und Staat|öffentlicher Macht]] unter Hinausdrängung der [[Katholische Kirche|Katholischen Kirche]] aus allen weltlichen Machtbereichen im Zeitalter der [[Renaissance]]. Nachdem dieser Prozess abgeschlossen war, gingen die so gestärkten weltlichen Territorialfürsten daran, sich einen eigenen Unterbau zu schaffen, der die vorhandenen [[Ständische Libertät|ständisch geprägten Verwaltungsstrukturen]] überformte.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S.&nbsp;186</ref> Dieser Prozess begann im 17. Jahrhundert, maßgeblich programmatisch definiert im [[Leviathan (Thomas Hobbes)|Leviathan]] und war um 1750 in Preußen abgeschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt war der preußische Staat ein [[Schwacher Staat]]. Die schwach entwickelte Staatlichkeit galt gleichermaßen für alle damaligen Staaten weltweit. Bereits zu dieser Zeit entwickelte sich in Preußen eine prägnante Ausformung eines [[Rechtsstaat]]s, die zu dieser Zeit als vorbildlich galt (vgl. [[Müller-Arnold-Fall]]). Getragen wurde der Staat vornehmlich von seiner professionalisierten [[Beamtenschaft]]. Der preußische Staat trug daher Züge eines typisierten [[Beamtenstaat]]s mit ausgeprägter [[Bürokratie]], was eine geregelte [[Aktenführung]], [[Schriftlichkeit der Verwaltung|Schriftlichkeit]], Unbestechlichkeit und weitere Merkmale nach [[Organisationstheorie#Max Webers Bürokratieansatz|Max Webers Modell]] einbezog. Da die Amtsträger ihr Handeln unzureichend [[Legitimation (Politikwissenschaft)|legitimieren]] mussten, galt der preußische Staat zeitwährend auch als [[Obrigkeitsstaat]].<ref>Allgemeine Einführung in das Thema: Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S.&nbsp;444–449</ref>

Danach führte das Wirken neuer geistiger Strömungen dazu, dass weitere bürgerliche Einflussgruppen in das Zentrum der Macht drängten und Mitsprache forderten. Daraus ergab sich nach langwierigen innenpolitischen Kämpfen zwischen den monarchischen Kräften und Reformern im Zeitraum von 1790 bis 1850 der preußische [[Verfassungsstaat]].<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S.&nbsp;185</ref>

Der Staatscharakter wandelte sich in dem Zeitraum nicht nur politisch, sondern auch durch seinen stetigen Aufgaben-, Ausgaben- und Personalaufwuchs [[Institutionenökonomik|institutionell]]. Zunächst war der Staat aber nicht viel mehr als ein Privatinstrument des Landesfürsten zur Sicherung seiner Machtstellung nach innen und außen. In Preußen wurden zeitweise 90 Prozent der Staatsmittel nur für die Armee verwendet. Während bereits mehr als 100.000 Mitglieder als quasi-öffentliche Mitarbeiter im Armeedienst ihren Dienst verrichteten, bestand die Verwaltung um 1750 aus weniger als 1000 Personen. Dieses Missverhältnis bedingte, dass der preußische Staat zeitwährend und auch in der Nachbetrachtung als [[Militärstaat]] oder auch ''Militärmonarchie'' eingestuft wurde.

Später erweiterten sich die Funktionen dieses [[Ordnungsstaat]]s, je stärker die Gesellschaft sich entwickelte. Neue Standards, Technologien bedingten neue [[Policy|Aufgabenfelder]], die vom Staat unter Leitung der Administration erschlossen wurden.

Der Staat im Sinne eines heute üblichen [[Sozialstaat]]s oder auch [[Wohlfahrtsstaat]]s begann sich erst in den letzten Dekaden um 1900 in Ansätzen zu entwickeln. Bis dahin waren [[Ordoliberalismus|ordoliberale]] Vorstellungen im Staatsbereich vorherrschend.

Ausgehend von einem angesammelten monarchischen Territorienkonglomerat (Composite Monarchy), entwickelte sich der [[Zentralstaat]] erst nach und nach. Die preußischen Staaten des 18. Jahrhunderts hatten sämtlich eigene überkommene innere Verwaltungsstrukturen gebildet, die seit dem Spätmittelalter und der Ausbildung des Ständewesens entstanden waren. Die lokalen und regionalen (ständischen) Akteure dieser Strukturen wie zum Beispiel die Kreisorganisationen, [[Kreisausschuss|Kreisausschüsse]] oder [[Kreistag]]e innerhalb eigener [[Landschaft (historisch)|Landschaften]] bestanden bis zu Beginn der preußischen Reformen fort. Auch die [[Immediatrecht|immediatären]] Städte, die Güter des [[landsässig]]en Adels mit allen darauf befindlichen Dörfern, [[Vorwerk (Gutshof)|Vorwerken]] und Menschen sowie die [[Domänengut|Ämter der Domänengüter]] des Königs bildeten zusammen die örtliche und überörtliche [[Verwaltungsebene]] unter dem sich ausprägenden Gesamtstaat und seinen eigenen Provinzialinstitutionen. Die häufige Kleinteiligkeit dieser organisch verwachsenen Strukturen und auch deren tradierte und fortwährende Erhaltungsbestrebungen durch ihre Mitglieder im Austausch mit den zentralen Staatsstrukturen lähmten den politischen Prozess. Neuerungen und Veränderungen vollzogen sich langsam und mühselig. Um 1800 führte dies zu allmählichen fundamentalen Veränderungbestrebungen, die von der Staatsspitze aus angeschoben wurden.

Die preußischen Landesteile wurden 1815–1818 im Zuge der [[Preußische Reformen|Verwaltungsreformen]] nach den gewonnenen Freiheitskriegen gegen Napoleon und den Territorialgewinnen im Zuge des Wiener Kongresses 1815 in eine moderne Organisation aus [[Provinz]]en, [[Regierungsbezirk]]en und [[Landkreis]]en überführt.

Der Staat Preußen gliederte sich ähnlich wie die Staaten heute auch in eine Gesamtstaatliche Ebene, eine Länderebene (Provinzen) und eine [[Kommunalverwaltung|kommunale Ebene]] mit örtlichen und überörtlichen Aufgabenbezügen.

=== Staatsform und Staatsoberhaupt ===
[[Datei:Weißer Saal.jpg|mini|Der [[Preußischer Thron|preußische Thron]], ein formelles verortetes Zentrum der Monarchie, befand sich im [[Weißer Saal|Weißen Saal]] des Berliner Stadtschlosses]]
Die Preußische Monarchie war von 1701 bis 1848 eine [[absolute Monarchie]]. Staatsoberhaupt war der preußische König, der seinen Anspruch auf das Königsamt als [[Erbrecht]] der Dynastie der Hohenzollern von Geburt an innehatte. Das fürstliche Haus bildete den Kern der Staatlichkeit, ehe im [[Bürgerliches Zeitalter|Bürgerlichen Zeitalter]] europaweit der moderne [[Anstaltstaat]] die Monarchie aus dem Zentrum des Staats verdrängte. Die auffälligste Abweichung der Monarchie zu einem modernen Staat war die Rolle die der [[Preußischer Hofstaat|preußische Hofstaat]] im Regierungsgefüge innehatte. Das dort angesiedelte [[Kamarilla|Kabinett des Königs]], von dem aus dieser mittels Ministervorträgen und schriftlichen Berichten regierte, hatte aufgrund seiner Machtfülle eine Sonderstellung inne, die zwischen öffentlichem und privaten Raum stand und damit noch aus [[Staatsrecht (Deutschland)|staatsrechtlicher]] Perspektive als vormodern gilt.

Der eigentliche Verdrängungsprozess der Monarchie aus den staatlichen Institutionen begann in Preußen mit den erfolglosen Abwehrversuchen gegen die Auswüchse der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]], die mit der [[Pillnitzer Deklaration]] begann und in der [[Schlacht bei Jena und Auerstedt]] einen für die Monarchie ersten negativen Höhepunkt erlebte. Der [[Restauration (Geschichte)|Restaurierung]] absoluter Königsmacht nach 1815 folgten [[Vormärz]] und die [[1848er Revolution]], die der Königsmacht nun auch konstitutionell verankert die Schranken wies.

Von 1848 bis 1918 war der Staat eine [[Konstitutionelle Monarchie]]. Formell blieb der König im Staat ranghöchste Institution. Spätestens mit Bismarcks Regierung lag die staatliche und politische Kontrolle bei der [[Kabinett (Politik)|Ministerregierung]] und nicht mehr beim König. Im 19. Jahrhundert nahm hier die Bedeutung des Königs im gleichen Maß ab, wie die Größe und der Aufgabenumfang des bürokratischen Staats zunahm. Das Amt entwickelte in der Ausgestaltung eine repräsentativere Bedeutung, was einem Bedeutungsverlust gleichkommt.

=== Symbole und Leitsätze ===
[[Datei:IK 1813.jpg|mini|hochkant|Ein Eisernes Kreuz aus dem Jahr 1813 – Revers, das Avers ist glatt]]
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Das [[Preußenlied]], [[Borussia (Lied)|Borussia]] und [[Heil dir im Siegerkranz]] waren Volks- beziehungsweise Nationalhymnen Preußens. Die [[Flagge Preußens]] zeigte einen schwarzen Adler auf weißem Grund, der auch auf dem [[Wappen Preußens|preußischen Wappen]] zu sehen war. In einer Reihe von Abzeichen wurde das [[Eisernes Kreuz|Eiserne Kreuz]] zu einem identitären Symbol in Bezug zu Preußen.

Die Monarchie wurde durch die [[Preußische Kronjuwelen|Preußischen Kronjuwelen]] symbolisiert.

Der preußische [[Wahlspruch]] [[Suum cuique]] war die [[Hausorden]]sdevise des 1701 von [[Friedrich I. (Preußen)|Friedrich&nbsp;I.]] gestifteten [[Schwarzer Adlerorden|Schwarzen Adlerordens]]. Der Spruch machte das Bestreben der preußischen Könige deutlich, Recht und Gerechtigkeit zu üben.<ref>Jürgen Frölich, Esther-Beate Körber, Michael Rohrschneider: ''Preußen und Preußentum vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart'' Berlin-Verlag Spitz, 2002, S.&nbsp;101.</ref> Auf den [[Koppelschloss|Koppelschlössern]] der Soldaten stand der gebräuchliche Schlachtruf [[Gott mit uns]].

Da es sich bei dem Staat Preußen um einen Monarchie und nicht um einen [[Volksstaat]] handelte, spielten die [[Politische Ideengeschichte|politischen Ideen]] von Volk, Freiheit oder materiellem Wohlstand für das Selbstverständnis des Staates keine Rolle.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S.&nbsp;446</ref>

=== Gesetze und Verordnungen ===
[[Datei:Preussische Gesetzsammlung 1907.pdf|mini|seite=191|Preußische Gesetzsammlung 1907]]

Schriftliches [[Governance|Regierungshandeln]] mündete zur Umsetzung von [[Programmatik|Programmen]] oder Handlungen final in die Erstellung eines Dokuments, das die Regeln oder Handlungsanweisungen fest bestimmte. Deren Publikation und Verbreitung bildete den Grundstock für die erfolgreiche Umsetzung der getroffenen Maßnahmen.

Die preußischen Gesetze und Verordnungen wurden in der [[Preußische Gesetzessammlung|Preußischen Gesetzessammlung]] veröffentlicht und damit vergegenwärtigt. Diese wurden ab 1810 fortlaufend nummeriert. Während die so genannten [[Kabinettsorder|Kabinettsordren]] als [[Verwaltungsanordnung]] mit [[Gesetz]]statut aufzufassen sind, hatten Verordnungen einen allgemeinbestimmenden Charakter.

Die Schriftdokumente hatten einen Anordnungscharakter, die in einzelnen [[Gesetzesartikel|Artikeln]] und Abschnitten untergliedert wurden und darin Einzelbestimmungen mit teilweisen Erläuterungs- und Beschreibungscharakter aufwiesen. Die Länge eines Gesetzes differierte je nach Subjekt von wenigen Seiten bis zu mehreren Dutzend. Die Schriftform des Dokuments eröffnete bei den nach außen gerichteten Staatsgesetzen in der Regel mit einer persönlichen Bezugnahme des Königs (''Wir ''Name des Königs,'' [[von Gottes Gnaden]], König von Preußen thun kund und fügen hiermit zu wissen'' Inhalt). Der Schluss eines Gesetzesdokuments bildete die Nennung des Königsnamens samt Orts- und Datumsangabe.

Die Dokumentenbezeichnungen im 19. Jahrhundert unterlagen einem Wandel der [[Nomenklatur]] und waren abhängig vom Bestimmungskreis (nach innen oder an das Volk) und gliederten sich hauptsächlich nach:
* [[Allerhöchste Kabinettsordre]] (Staatsinterner Bestimmungskreis)
* ''Allerhöchste Verordnung'', [[Staatsvertrag]] mit einem anderen Rechtsobjekt

Nicht als Gesetz wurden im 19. Jahrhundert ''Privilegien'' oder ''Allerhöchste Erlasse'' bezeichnet, die Regelungen mit Einzelfallcharakter trafen.
Im 18. Jahrhundert waren die Gesetzesdokumente als [[Reskript]], [[Reglement]], ''Circulare'', [[Edikt]], [[Patent]], Declaration benannt.

Die Zahl der Gesetze nahm bis 1870 bedingt durch eine allgemeine Zunahme der staatlichen Aufgaben zu. Mehr und mehr Teilaspekte von Gesellschaft und Lebensverhältnissen mussten normiert und geregelt werden.<ref>[https://www.digizeitschriften.de/dms/toc/?PID=PPN78153061X digizeitschriften.de]</ref> Danach wandelte sich die Formenstruktur der Anordnungen in eine striktere Aufteilung von Dokumenten mit Gesetzescharakter und Normenblätter unterhalb der Gesetzesebene, so dass die Zahl der Gesetze abnahm, nicht aber die Regelungsdichte als solche.
* vom 1. Januar 1800 bis 31. Dezember 1809 wurden 567 Gesetze erlassen
* vom 1. Januar 1810 bis 31. Dezember 1819 wurden 613 Gesetze erlassen
* vom 1. Januar 1820 bis 31. Dezember 1829 wurden 661 Gesetze erlassen
* vom 1. Januar 1830 bis 31. Dezember 1839 wurden 842 Gesetze erlassen
* vom 1. Januar 1840 bis 31. Dezember 1849 wurden 1124 Gesetze erlassen
* vom 1. Januar 1850 bis 31. Dezember 1859 wurden 1960 Gesetze erlassen
* vom 1. Januar 1860 bis 31. Dezember 1869 wurden 2404 Gesetze erlassen
* vom 1. Januar 1870 bis 31. Dezember 1879 wurden 1103 Gesetze erlassen
* vom 1. Januar 1880 bis 31. Dezember 1889 wurden 696 Gesetze erlassen
* vom 1. Januar 1890 bis 31. Dezember 1899 wurden 795 Gesetze erlassen

=== Kampf um die Verfassung ===
Die politischen Auseinandersetzungen um die Einführung einer [[Verfassung]] knüpften an einen politischen Evolutionsprozess an, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts an Fahrt aufnahm. Das zu der Zeit etablierte frideridzianische Herrschaftssystem des [[Aufgeklärter Absolutismus|aufgeklärten Absolutismus]] trug den Anspruch in sich, als Monarch nur «ein erster Diener des Staates zu sein», womit dieser sich gegenüber der Institution [[Staat]] zunächst trennte und dann in einem zweiten Schritt sich selbst im Verhältnis zueinander herabsetzte, womit der Monarch nicht mehr allumfassende Verfügungshoheit gegenüber den Staat stellen konnte. Um 1740 war dies noch ein bedeutender gesellschaftlicher Fortschritt, galt bis dahin der monarchische Ausspruch, [[L’état, c’est moi]] in Kontinentaleuropa als weiterhin zulässig. Der Ausspruch [[Ludwig XIV.|Ludwigs&nbsp;XIV.]] bedeutete die Selbsterhöhung des Königs über den Staat, in sich vereint. Im Ergebnis dieses in Europa zwischen 1650 und 1750 real existierenden politischen Systemanspruchs war der Staat eine rechtlich unselbständige Organisation ohne Rechtspersönlichkeit, die als [[Schatulle (Grundbesitz)|Privatschatulle]] als quasi-überdimensioniertes Privatgrundstück des Königs fungierte. Diese erste in Preußen in den 1740er Jahren vollzogene Systemtransformation sollte in einem allgemeinen Gesetzeswerk festgehalten und verbindlich gemacht werden.

Entsprechend der Kräfteverteilung im preußischen politisch-administrativen System überwogen lange Zeit die [[Vetospielertheorem|reaktionären Kräfte]] gegenüber den progressiven Fraktionen. Zwar wurde seit den 1780er Jahren das Gesetzeswerk erarbeitet und es gewann einen [[Grundgesetz]]charakter. Nach Verabschiedung des fertigen [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Allgemeinen Landrechts]] war dieses aber schon wieder veraltet. Es kodifizierte lediglich die bereits bestehenden Verhältnisse, war also folglich nur eine Abbildung des [[Status quo]] der herrschenden Machtverhältnisse ohne einen neuen Systemansatz zu verwirklichen. Aufgrund seiner veralteten Systemkonstruktion blieben von dem Gesetzeswerk letztlich für eine echte Verfassung unzureichend, nur Nebenaspekte bedeutend. Dazu gehörte, das es als oberstes Gesetzeswerk des [[Absolutismus|Absoluten]] Monarchenstaates diesem eine umfassende [[Rechtsordnung]] verlieh, die für alle Provinzen gleichermaßen galt. An eine Beteiligung der Staatsbürger am politischen Prozess war dagegen nicht gedacht worden. In der Historiografie wurde das noch lange fortbestehende Gesetzeswerk als wichtige Grundvoraussetzung für die nachfolgenden Reformansätze gewertet.<ref>Otto Büsch: ''Handbuch der preussischen Geschichte''. Band 2. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992, S. 603–619</ref>

Mit dem Erstarken der bürgerlichen Kräfte in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts und den zeitgleichen globalen Entwicklungen (Erklärung der [[Virginia Declaration of Rights]] 1776 und die [[französische Revolution]] von 1789), dem Wirken der aufklärerischen Schriften [[Rousseau]]s und [[Montesquieu]]s, die die Bildung einer [[Volkssouveränität]] auf Basis einer verankerten [[Gewaltenteilung]] forderten, gewannen nach 1800 die politischen Auseinandersetzungen im preußischen Staat zwischen den verschiedenen Strömungen an Kontur und Intensität.<ref>Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947, Pantheon Verlag; Auflage: 1, 2008, S. 330</ref>

Die monarchische Gewalt geriet dabei erheblich unter Druck und versuchte unter dem Einsatz von taktischen Verzögerungen, Lavieren, Hinhalten und losen Versprechungen dem Druck der vornehmlich bürgerlichen und idealistisch denkenden Staatsreformern auszuweichen. Dies gelang dem Königtum letztlich mit Erfolg. Mehrfach, einmal nach 1815 und auch 1848 gelang es den Monarchen, ihre politische Stellung im politischen System zu [[Restauration (Geschichte)|restaurieren]] und sich im Zentrum des Staates als oberste politische Instanz zu halten.

Das änderte auch (noch) nicht die letztlich am 6. Februar 1850 eingeführte [[Preußische Verfassung (1848/1850)|Verfassung Preußens]]. Zumindest mit dem in Artikel 3 bis 42 verfassten [[Grundrechte|Grundrechtskatalog]] fanden Begriffe und Ziele der [[Liberalismus|liberalen Bewegung]] und der [[1848er Revolution]] Eingang in den Text. Mit der deklarierten [[Gleichheit]] aller [[Staatsbürger]] vor dem Gesetz (§&nbsp;4) waren die Rechtsinstitutionen der geburtsständischen Gesellschaftsordnung aufgehoben. Damit war das Grundprinzip der modernen bürgerlichen Gesellschaft deklariert worden. [[Persönliche Freiheit]] des religiösen Bekenntnisses, der Wissenschaft und der Presse, Unverletzlichkeit von Wohnung und [[Unverletzlichkeit des Eigentums|Eigentum]], Vereins- und [[Versammlungsfreiheit]] waren ebenso festgelegt. [[Allgemeine Schulpflicht]] und [[Allgemeine Wehrpflicht]] bildeten weitere Säulen des Staates.<ref>Otto Büsch: ''Handbuch der preussischen Geschichte''. Band 2. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992, S. 303</ref>

Der Monarch blieb aber Herrscher aus eigenem Recht, während Volk und Volksvertreter ihre Rechte aus der Verfassungsurkunde ableiteten. Infolgedessen war der Monarch unverletzlich und trug für die Regierung keine Verantwortung. Dem König allein lag die vollziehende Gewalt zu. Er führte den Oberbefehl über das Heer, erklärte Krieg und Frieden und schloss völkerrechtliche Verträge.<ref>Otto Büsch: ''Handbuch der preussischen Geschichte''. Band 2. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992, S. 304</ref>

Mit der Einführung der Verfassung glich sich das [[Politisches System|politische System]] Preußens den internationalen Entwicklungen und Standards an, beziehungsweise folgte diesen nach. Diese Entwicklung bedeutete die Beendigung eines überlebten und aus [[verfassungsrecht]]licher Perspektive gesehenen „quasi-[[despotisch]]en“ [[Regime|Herrschaftsregime]] und die Nachfolge durch den [[Verfassungsstaat]]. [[Legitimation (Politikwissenschaft)|Legitimation]] und Herrschaftsfolge standen damit auf einer breiteren Basis als zuvor.

Der erreichte Entwicklungsstand bildete allerdings nur die erste Hälfte des Weges zu einer echten [[Demokratie|demokratisch]] legitimierten Volkssouveränität, wie sie erstmals mit der [[Weimarer Republik]] Wirklichkeit werden sollte.

=== Staatshaushalt ===
{| class="wikitable"
|+ Staatsausgaben und Staatseinnahmen,<ref>Georg Hassel: ''Statistischer Umriss der sämtlichen europäischen Staaten in Hinsicht ihrer Größe, Bevölkerung, Kulturverhältnisse, Handlung, Finanz- und Militärverfassung und ihrer aussereuropäischen Besitzungen''. 2 Teile. Vieweg, Braunschweig 1805, S. 26</ref> einschließlich Rücklagen und Schulden in Reichstaler
|-
! Überschrift !! 1688 !! 1713 !! 1740 !! 1786 !! 1796 !! 1800 !! 1820!! 1830!! 1848
|-
| Einnahmen || 1.553.795 || 3.400.000<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;25</ref> || 7.400.000 || 27.000.000 || 30.000.000 || 35.000.000 ||
|-
| Ausgaben || || || 6.850.000<ref name="Treue-49">[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;49</ref> || || || ||
|-
| Staatsschatz ||style="text-align:center"| – ||style="text-align:center"| – || 8.700.000 || 60.000.000 ||style="text-align:center"| – || || 4.000.000<ref name="Herbert Obenaus 1848">Herbert Obenaus: ''Anfänge des Parlamentarismus in Preussen bis 1848''. Droste Verlag, 1984, S.&nbsp;257</ref> ||18.000.000<ref>[[David Justus Ludwig Hansemann]]: ''Preussen und Frankreich: staatswirthschaftlich und politisch, unter vorzüglicher Berücksichtigung der Rheinprovinz''. Brüggemanns Verlagsexpedition, Leipzig 1833, S. 241</ref>|| 19.000.000<ref name="Herbert Obenaus 1848" />
|-
| Staatsschulden ||style="text-align:center"| – ||style="text-align:center"| – ||style="text-align:center"| – ||style="text-align:center"| – || 30.000.000<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;162</ref> || ||
|}

Die Staatseinnahmen setzten sich bei der Staatsbildung Preußens vor allem aus den (privaten königlichen) Dominaleinkommen zusammen. Dazu gehörten die Einnahmen aus den [[Domänengut|Domänenämtern]] bzw. -gütern, die [[Regalien]]einnahmen aus Münze, Post, Zölle, [[Salzmonopol]], sowie die [[Chargensteuer]] (eine Art Einkommenssteuer für Staatsbedienstete). Um 1700 betrugen diese Einnahmen rund 1,9 bis 2,0 Millionen RT. Davon gehörten 700.000&nbsp;Rt zum Privatvermögen des Königs ([[Schatullkasse]], vgl. [[Schatullrechnungen Friedrichs des Großen]]). Vom Rest wurde der Hofstaat und Löhne und Gehälter beglichen. Die Diskrepanzen in der Verwendung der Staatsmittel zeigten sich besonders im Pestjahr 1711, als für die gebeutelte Provinz in Ostpreußen mit vielen Tausenden Opfern lediglich 100.000&nbsp;RT verwendet wurden.<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;6</ref>

Seit der Zeit des Großen Kurfürsten wurde eine indirekte Verbrauchssteuer auf Konsumwaren, die [[Akzise]] an den Stadtein- und Ausgängen erhoben. Diese wurde von den Steuer- und Kriegskommissaren erhoben.<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;12</ref>

Durch stetige Reformmaßnahmen stiegen die Einnahmen aus den Domänengütern zwischen 1713 und 1740 von 1,8 Millionen RT auf 3,3 Millionen RT an. Auch die Einnahmen aus den [[Grundsteuer]]n erhöhten sich in dem Zeitraum. Dazu gehörte der zwischen 1716 und 1720 eingeführte [[Generalhufenschoß]] auf Bodenbesitz, der erstmals auch den Grundbesitzenden Adel miteinbezog.<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;29</ref> Die Einführung einer Ablöseabgabe für den überkommenen [[Lehnskanon]] führte zu erbitterten Auseinandersetzungen mit dem einheimischen Adel, wurde aber vom König durchgesetzt. Bauern hatten [[Kontribution]]en (Grundsteuer) an den Staat zu leisten, der 40 Prozent des Reinertrags ausmachte. Danach waren von den verbliebenen 60 Prozent noch die Ansprüche der Gutsbesitzers zu bedienen.<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;30</ref>

Die Staatseinnahmen setzten sich 1740 aus folgenden Einnahmequellen zusammen: Domänengüter 2,6 Millionen RT, Kontributionen 2,4 Millionen RT, Akzise 1,4 Millionen RT, Postregal 0,5 Millionen RT, Salzregal 0,2 Millionen RT. Davon wurden sechs Millionen RT für den Unterhalt des Heeres verwendet. 0,65 Millionen RT wurden dem Staatsschatz zugeführt. Der Aufbau eines Staatsschatzes in Form von Münz- und Silberwaren die in Truhen im Berliner Stadtschloss lagerten, führte zu wirtschaftlich schädlichen [[Deflation]]stendenzen, da diese volkswirtschaftlich bedeutenden Mittel dem [[Geldumlauf]] entzogen wurden und nicht in neue Aktivitäten gebunden wurden. Der [[Wirtschaftskreislauf]] wurde durch das staatliche Horten geschädigt. Der Hof erhielt 740.000 RT für seine Ausgaben. Von den höfischen Ausgaben entfielen die meisten Ausgaben auf Lohnkosten, Handwerker- und Manufakturaufträge.<ref name="Treue-49" />
Im Zeitraum von 1713 bis 1740 entstanden folgende Investitionsaufwendungen:
* 5 Millionen RT für den Erwerb von Domänengütern
* 2,5 Millionen RT für den Festungsbau
* 2 Millionen RT für den zivilen Bau
* 6 Millionen RT für das [[Rétablissement (Ostpreußen)|Rétablissement]] in Ostpreußen
* 2 Millionen RT für die Erwerbung Schwedisch-Pommerns bis zur Peene
* 12 Millionen RT für die [[Werbung (Militär)|Soldatenwerbung]] im Ausland

1785, ein Jahr vor dem Tod Friedrichs&nbsp;II. betrugen die Einnahmen für den Staatshaushalt 27 Millionen RT. Der preußische Hofstaat kostete in dem Jahr 1,2 Millionen RT, die preußische Armee hatte ein Budget von 12,5 Millionen RT, das [[Diplomatisches Corps|diplomatische Korps]] verfügte über 80.000 RT, [[Pension (Altersversorgung)|Pensionen]] machten einen [[Budget|Etat]] von 130.000 RT aus, die sonstigen Ausgaben betrugen fünf Millionen RT. 1797 wurde vom Gesamthaushalt von 20,5 Millionen RT 14,6 Millionen RT für die preußische Armee, 4,3 Millionen RT für Hof- und Zivilverwaltung und 1,5 Millionen RT für Schuldentilgung und den Zinsdienst aufgewendet.<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;160</ref>

1740 im Jahr der Amtsübernahme Friedrichs&nbsp;II. hatte der Staatsschatz einen Umfang von sieben Millionen RT erreicht. 1786 betrugen die Staatsrücklagen 60 bis 70 Millionen RT. Der preußische Staat war durch seine finanzielle Autarkie machtpolitisch unabhängig geworden. In wenigen Jahren danach wurden diese Rücklagen unter der Ägide von Friedrich Wilhelm&nbsp;II. komplett aufgebraucht und Staatsschulden aufgenommen, und Preußen wieder auf dem Weg zur Schuldenwirtschaft und Subsidienabhängigkeit. Unter dem nachfolgenden König Friedrich Wilhelm&nbsp;III. wurden die Schulden wieder abgetragen.

=== Staatliche Aufgaben ===
==== Innere Sicherheit ====
Bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts lag die staatliche Gewalt beim besitzenden Landadel, der auf seinen Gütern über rund 75 bis 80 Prozent der ländlichen Bevölkerung verfügte. Neben der Gerichtsbarkeit beinhaltete das auch Polizeiaufgaben.<ref>Wolfgang Knöbl: ''Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozess: Staatsbildung und innere Sicherheit in Preußen, England und Amerika 1700–1914''. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 1998, S. 78</ref>

Reine Exekutivbeamte mit sicherheitspolitischen Aufgaben gab es zu Anfang des 18. Jahrhunderts noch nicht. Die [[Polizei]]gewalt lag bei den [[Magistrat (Deutschland)|Magistraten]] und von ihnen beauftragten Stadtdienern; besondere Polizeiabteilungen gab es in den Stadtverwaltungen nicht.

Die ersten acht Polizisten mit Sicherheitsaufgaben wurden 1735 eingestellt.<ref>Wolfgang Knöbl: ''Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozess: Staatsbildung und innere Sicherheit in Preußen, England und Amerika 1700–1914''. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 1998, S. 79</ref> Berlin erhielt 1742 [[Polizeibezirk]]e, denen jeweils ein [[Kommissar]] vorstand. Um die Jahrhundertmitte bestand die nichtmilitärische Sicherheitsinstitution in Berlin aus 18 Kommissaren, acht Polizisten und 40 Nachtwächtern. Auch von anderen Städten wurde das Berliner Polizeisystem übernommen. Das Militär besaß allerdings überall die beherrschende Stellung.<ref>Wolfgang Knöbl: ''Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozess: Staatsbildung und innere Sicherheit in Preußen, England und Amerika 1700–1914''. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 1998, S. 80</ref> In Berlin kamen noch 1848 auf gut 400.000 Einwohner nur 204 Polizisten.<ref>Otto Büsch (Hrsg.): ''Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens''. In: ''Handbuch der preußischen Geschichte, Band&nbsp;2''. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992–2001, S. 193</ref>

==== Stadt- und Raumplanung und -ordnung ====
[[Datei:Dismar Dägen Bau der Friedrichstraße 1735.jpg|mini|Das abgebildete Gemälde findet sich in vielen Büchern und Zeitschriften wieder. Es zeigt den Bau eines Straßenzugs in der Vorstadt [[Berlin-Friedrichstadt|Friedrichstadt]] in Berlin in der Phase der [[Pfahlgründung]] als Fundamentsetzung. Das Stadtgebiet Berlins wurde unter [[Friedrich Wilhelm I. (Preußen)|Friedrich Wilhelm&nbsp;I.]] erheblich vergrößert. Die südliche Friedrichstadt, der wichtigste neue Stadtteil Berlins, erhielt seit 1735 eine geschlossene Bebauung mit zwei(voll-)geschossigen Typenhäusern unter durchlaufenden [[Mansarddach|Mansarddächern]]. Überwacht wurde der Ausbau von Oberst [[Christian Reinhold von Derschau]]. Die meisten Bauten entstanden erst, nachdem preußische Offizielle oder der König selbst entsprechenden Druck auf die (unfreiwilligen) privaten Bauherren ausgeübt hatten.<ref>Werner Hegemann: ''Das steinerne Berlin: 1930 – Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt''. Verlag Ulstein, Berlin 1963, S.&nbsp;97&nbsp;f.</ref> In der Friedrichstadt wurden von 1721 bis 1737 beinahe 1000 neue Häuser errichtet (Ganz Berlin 1711: 4100 Häuser, 1740: 5400 Häuser). Der schlechte Baugrund machte aufwendige Pfahlgründungen notwendig. Um die Fertigstellung des Viertels auf kostensparende Weise und in kürzester Zeit zu ermöglichen, wurde der Einsatz von Soldaten angeordnet.<ref>Ger Spitzer, Waltraud Huber: ''Barock und Klassik: Kunstzentren des 18. Jahrhunderts in der Deutschen Demokratischen Republik''; 5. Mai – 14. Oktober. Schallaburg 1984, S.&nbsp;176</ref>]]
Im 18. Jahrhundert setzten europaweit größere Stadtbauprojekte ein. Wesentlicher Treiber dieser zentralstaatlichen Ausbauprogramme waren auch verteidigungspolitische Aspekte. So dominierten zunächst militärische Funktionalbauten und Einrichtungen neben den [[Wohnbau]]programmen die staatlichen Aktivitäten.

In Preußen hingegen verzögerten sich im 18. Jahrhundert einige dieser raumplanerischen Entwicklungen. Dazu gehörte zunächst die erst spät durchgeführte [[Landesvermessung]] und die Erstellung von Landkarten. Auch der Verkehrswegeausbau und [[Wegeleitsystem]]e wurden in Preußen später als in anderen deutschen Staaten eingeführt. Oft behinderten verteidigungspolitische Erwägungen ambitionierte Vorhaben. Ein gut ausgebautes Wege- und Leitsystem oder auch öffentlich zugängliche exakte Kartenwerke hätten ja einem militärischen Gegner Vorteile ermöglichen können.
Erneuerungen in den Städten beschränkten sich darauf, Altes durch Neues in ähnlicher Größenordnung zu ersetzen. Anlässe dafür waren [[Stadtbrand|Stadtbrände]] (zwei von 100 Städten brannten jedes Jahr in Preußen ab), Kriegszerstörungen oder Naturgewalten. Stadt- und Raumplanung dienten hauptsächlich dem Erhalt und Wiederaufbau. Gebündelt wurden solche Aktivitäten im Oberbau-Departement des [[Generaldirektorium]]s.

Der Staat investierte seit dem 18. Jahrhundert in zunehmendem Maße in die Errichtung von zivilen und militärischen Bauten. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wurden [[Kaserne]]n errichtet, so zwischen 1763 und 1767 zwei Artillerie- und fünf Infanteriekasernen mit [[Stall|Ställen]] und [[Magazin (Waffentechnik)|Magazinen]], denen fortan weitere folgten. In Berlin wurden zwischen 1769 und 1777 149 [[Bürgerhaus|Bürgerhäuser]] auf Staatskosten errichtet. Zwischen 1780 und 1785 wurden aus königlichen Mitteln insgesamt 1,2 Millionen RT für die Errichtung von Kasernen, Kirchen, die [[Königliche Bibliothek zu Berlin|königliche Bibliothek]], 91 große Wohnhäuser, das [[Palais des Prinzen Heinrich]] und zahlreichen Manufakturen ausgegeben. In und um Potsdam investierte der König zwischen 1740 und 1786 insgesamt 3,5 Millionen RT für die Errichtung von 720 Wohn- und [[Kolonistenhaus|Kolonistenhäusern]]. Zusätzlich kamen Ausgaben von 216.000 RT für Fabriken, 450.000 RT für Militärgebäude und 1,1 Millionen RT für das [[Großes Militärwaisenhaus|Große Militärwaisenhaus]], Kirchen und Stadttore dazu. Insgesamt 10,5 Millionen RT investierte Friedrich&nbsp;II. für den Ausbau Potsdams. Für die sonstige [[Kurmark]] wurden in dem Zeitraum von 1740 bis 1786 9,2 Millionen RT für die Errichtung von Wohn- und Fabrikbauten und die Hebung der [[Landeskultur]] eingesetzt.<ref>[[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984, S.&nbsp;154&nbsp;f.</ref>

==== Währungspolitik und Münzregal ====
[[Datei:18-10-04-Silbertaler-Alter-Fritz-Avers.jpg|mini|hochkant|Ein Reichs Thaler Friedrich II 1777]]
{{Hauptartikel|Preußische Münzgeschichte}}
Der [[Preußische Reichstaler]] war die [[Währung]] Preußens bis 1857.

Formell galt für das Heilige Römische Reich die in den Münzedikten von 1551, 1559 und 1566 geschaffene [[Reichsmünzordnung]] auch im 17. Jahrhundert bestehen. Die Normen wurden allerdings nicht beachtet, so dass der brandenburgische Kurfürst zusammen mit dem sächsischen Kurfürsten eine eigene Münzkonvention erließ. Seit 1667 galt für Brandenburg-Preußen die [[Zinnaer Münzvertrag|Münzkonvention von Zinna]]. Der preußisch-österreichische Dualismus führte zu währungspolitischen Umwälzungen, die das Gebiet des Heiligen Römischen Reiches in zwei [[Währungsgebiet]]e aufteilte. 1750 führte Friedrich&nbsp;II. nach dem Plan seines Münzdirektors [[Johann Philipp Graumann]] eine Münzreform durch. Durch die [[Graumannscher Münzfuß|Graumann’sche Münzreform]] wurde der 14-Talerfuß in Preußen eingeführt. Außerdem gab Preußen die etwas leichtere Reichstaler und Goldmünzen, die [[Friedrich d’or]] aus. Durch die Reform wurde Preußen währungspolitisch unabhängig vom Ausland. 1821 Im Rahmen einer Münzreform wurde der preußische Taler in 30 Silbergroschen zu je 12 Pfennigen eingeteilt.<ref>Willi Albers, Anton Zottmann: ''Handworterbuch Der Wirtschaftswissenschaft'' (Hdww). Band 3. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1981, S.&nbsp;368&nbsp;f.</ref>

Bis dahin wurde der Taler in 24 Groschen, die jeweils 12 Pfennige wert waren, unterteilt. Daneben existierten in den östlichen Landesprovinzen weitere Unterteilungen. Preußens Währung wurde im Jahre 1821 vereinheitlicht, wodurch diese Unterteilungen wegfielen. Im Jahr 1857 wurde der preußische Taler durch den [[Vereinstaler]] ersetzt.

==== Königliche Post ====
[[Datei:1720 Preußisches Posthausschild.jpg|mini|hochkant|Preußisches Posthausschild]]
{{Hauptartikel|Postorganisation#Preußen}}
{{Hauptartikel|Preußisches Postwesen}}
Die Königliche Preußische Post bildete bis zur Etablierung eines dichten Eisenbahnstreckennetzes das erste öffentlich betriebene [[Verkehrsnetz]], das alle Provinzen und Landesteile Preußens verband und damit eine zentrale Integrationsfunktion für das Zusammenwachsen des preußischen Staates innehatte.

1786 gab es 760 Postanstalten in Preußen, vier [[Ober-Postamt|Oberpostämter]] in Berlin, Breslau, Königsberg und [[Stolzenberg (Preußen)|Stolzenberg]], 246 [[Postamt|Postämter]] sowie 510 Postwärterämter, die als nicht eigenständige Postanstalten dem nächstgelegenen Postamt zugeteilt waren.
Oberste Dienststelle war das 1741 zur selbständigen Behörde erhobene [[Generalpostamt]]. Der Generalpostmeister bekleidete den Rang eines Staatsministers und stand zugleich dem Fabrik-, Handels- und Salzdepartement des [[Generaldirektorium]]s vor. Später folgte dann die Eingliederung in das neu geschaffene Innenministerium.

Im Jahre 1850 beschäftigte die preußische Post insgesamt 14.356 Bedienstete in 1.723 Postanstalten.<ref>Eckart Schremmer (Hrsg.): ''Wirtschaftliche und soziale Integration in historischer Sicht: Arbeitstagung''. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1996, S.&nbsp;131</ref> Die Postverwaltung unterhielt 6.534 Postwagen und 12.551 Pferde. Über 2,1 Millionen Reisende wurden befördert.

=== Föderale Gliederung ===
[[Datei:Karte Deutsches Reich, Verwaltungsgliederung 1900-01-01.png|mini|Verwaltungsgliederung am 1.&nbsp;Januar 1900]]
Die „Staaten des Königs von Preußen“, für deren Gesamtheit sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts der Name „Preußen“ einbürgerte, bestanden Anfang des 18. Jahrhunderts aus den Landesteilen [[Ostpreußen|Königreich Preußen]], [[Mark Brandenburg|Markgrafschaft Brandenburg]], [[Herzogtum Pommern]], [[Herzogtum Geldern|Geldern]], [[Herzogtum Kleve|Kleve]], [[Moers]], [[Tecklenburg]], [[Grafschaft Lingen|Lingen]], [[Fürstentum Minden|Minden]], [[Grafschaft Mark|Mark]], [[Grafschaft Ravensberg|Ravensberg]], [[Lippstadt]], [[Herzogtum Magdeburg]], [[Bistum Halberstadt|Halberstadt]], dem souveränen Fürstentum [[Kanton Neuenburg|Neuenburg]] und der souveränen Grafschaft [[Valangin]]. 1713 wurden die Landesteile in folgende [[Provinz]]en gegliedert: Mittel-, Ucker- und Altmark, Neumark-Pommern-Kassuben, Preußen, Geldern-Kleve, Minden-Mark-Ravensberg, Magdeburg-Halberstadt, Neuenburg (Land) und Valangin (Land). 1740 wurden die Provinzialbehörden in [[Kriegs- und Domänenkammer]]n überführt oder neu gegliedert. Auch deren Gestalt änderte sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte mehrmals, als weitere Gebiete, darunter [[Schlesien]] als souveräner Besitz, zu Preußen kamen.

Nach dem [[Wiener Kongress]] 1815 wurde der Staat Preußen mit der ''Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden'' vom 30. April 1815 in zehn Provinzen eingeteilt, die mit Ausnahme von Ostpreußen, Westpreußen und Posen als Verwaltungseinheiten Preußens zum Territorium des [[Deutscher Bund|Deutschen Bundes]] zählten. Nach der bereits 1822 erfolgten Fusion der beiden rheinischen Provinzen waren dies neun Provinzen (in Klammern die [[Hauptstadt]]):
# [[Provinz Brandenburg]] ([[Potsdam]])
# [[Ostpreußen|Provinz Ostpreußen]] ([[Königsberg (Preußen)|Königsberg]])
# [[Westpreußen|Provinz Westpreußen]] ([[Danzig]])
# [[Provinz Pommern]] ([[Stettin]])
# [[Provinz Schlesien]] ([[Breslau]])
# [[Provinz Posen]] ([[Posen]])
# [[Rheinprovinz]] ([[Koblenz]]), 1822 entstanden aus
## [[Provinz Jülich-Kleve-Berg]] ([[Köln]])
## [[Provinz Großherzogtum Niederrhein]] (Koblenz)
# [[Provinz Westfalen]] ([[Münster]])
# [[Provinz Sachsen]] ([[Magdeburg]])

1829–1878 waren Ost- und Westpreußen zur [[Provinz Preußen]] (Hauptstadt Königsberg) vereinigt.

Nach dem [[Deutscher Krieg|Deutschen Krieg]] von 1866 annektierte Preußen das [[Königreich Hannover]], das [[Kurfürstentum Hessen]], das [[Herzogtum Nassau]], die [[Herzogtum Schleswig|Herzogtümer Schleswig]] und [[Herzogtum Holstein|Holstein]] sowie die [[Freie Stadt Frankfurt]]. Aus diesen Gebieten wurden drei Provinzen gebildet:
# [[Provinz Hannover]] ([[Hannover]])
# [[Hessen-Nassau|Provinz Hessen-Nassau]] ([[Kassel]])
# [[Provinz Schleswig-Holstein]] ([[Kiel]], 1879–1917 [[Schleswig]])

Preußen umfasste damit zwölf Provinzen. Diese Einteilung blieb bis zum Inkrafttreten des [[Versailler Vertrag]]s im Jahre 1920 bestehen.

=== Oberste Staatsbehörden und Provinzverwaltung ===
Die preußischen Könige regierten „im [[Kabinett (Politik)|Kabinett]]“, das zu Zeiten [[Friedrich II. (Preußen)|Friedrichs&nbsp;II.]] aus zwei bis drei [[Geheimes Zivilkabinett#Organisation|Geheimen Kabinettsräten]] und mehreren [[Kabinettssekretariat|Kabinettssekretären]] bestand, was bedeutete, dass der König vor allem schriftlich mit seinen Ministern kommunizierte. Seine Anweisungen, die berühmten [[Kabinettsorder|Kabinettsordren]], kamen [[Gesetz]]en gleich. Die Kabinetts-, Justiz- und Staatsminister sowie ranghohe Diplomaten gehörten zugleich dem ursprünglich zentralen [[Geheimes Ratskollegium (Brandenburg-Preußen)|Geheimen Rat]] an, der aber zunehmend an Bedeutung verlor. Die eigentliche Zentralverwaltung übernahmen im späten 18. Jahrhundert das Justiz- und das Kabinettsministerium sowie das [[Generaldirektorium]]. Das Kabinettsministerium, das den König außenpolitisch beriet, bestand aus ein bis zwei Ministern und fünf bis sechs [[Legationsrat|Geheime Legationsräten]]. Seit 1723 war das Generaldirektorium zuständig für die Finanz-, innere und Militärverwaltung Preußens. In den Provinzen gab es im Jahr 1772 insgesamt 12 so genannte [[Kriegs- und Domänenkammer]]n, die für die Finanz-, Polizei- und Militärverwaltung zuständig waren. Ihnen stand ein adeliger Kammerpräsident vor, dem ein bis zwei Direktoren assistierten. Sie verfügten über mehrere [[Oberforstmeister]], einen Baudirektor sowie, je nach Größe und Bedeutung der Provinz, zwischen fünf und 20 ''[[Kriegsrat|Kriegsräte]]'' und auch ''Steuerräte'', die mit lokaler Überwachung in Polizei-, Handels-, Gewerbe- und [[Akzise]]fragen betreut waren. Dazu kamen noch die adeligen [[Landrat (Deutschland)|Landräte]], die den [[Kreis (Gebiet)|Landkreisen]] der Provinzen vorstanden; diese waren königliche Gefolgsleute und zugleich, als gewählte Repräsentanten der [[Kreistag]]e, Vertreter der [[Landstände]]. Es gab auch eine Oberrechenkammer, die mit 25 Räten und 13 Sekretären eine Art [[Rechnungsprüfung]]skammer war. In enger Verbindung mit dem Generaldirektorium standen die [[Königliche Hauptbank]], die [[Seehandlungsgesellschaft|Seehandlungssozietät]] und die [[General-Salz-Administration]], die von jeweils einem eigenen Finanzminister geleitet wurden. Jeder Abteilung des Generaldirektoriums stand ein Minister vor. Bis 1806 erweiterte sich der Zuständigkeitsbereich dieses „Superministeriums“ durch Gründung neuer [[Abteilung (Organisation)|Abteilungen]]. 1806 gab es sieben Ressortchefs, die Zahl der Räte betrug 52, die Zahl der Sekretäre betrug 73. Neben dem Generaldirektorium stand das [[Schlesisches Finanzdepartement|Schlesische Finanzdepartement]] mit Sitz in [[Breslau]]. Diese Behörde besaß eine eigene Zuständigkeit für die beiden Kriegs- und Domänenkammern in Breslau und [[Glogau]]. Damit nahmen im 18. Jahrhundert die [[Fürstentümer in Schlesien|Fürstentümer Schlesiens]] in Preußen eine Sonderstellung ein.<ref>Rolf Straubel: ''Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten 1740–1806/15''. Teil 1 – Biographien ''A-L''. K.G. Saur Verlag, München 2009, S. XVIII</ref> Das Justizministerium wurde von vier Ministern und sieben Räten geführt. Es war zugleich zuständig für Religionsangelegenheiten. Ihm unterstanden die „Regierungen“ sowie [[Hofgericht|Hof-]] und [[Obergericht (Preußen)|Obergerichte]], die die Rechtsprechung vertraten; diese verwalteten zudem Hoheits-, Grenz-, Lehens-, Kirchen- und Schulangelegenheiten.<ref>Rolf Straubel: ''Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten 1740–1806/15''. Teil 1 – Biographien ''A-L''. K.G. Saur Verlag, München 2009, S. XIX</ref>
{{Evolutionsdiagramm der preußischen obersten Staatsbehörden bis 1918}}

=== Rechtsstaat ===
Die seit Friedrich Wilhelm&nbsp;I. gesamtstaatlich ausgerichtete Organisation der Verwaltungsbehörden führte dazu, dass auch im Bereich der Justizverfassung ein zentralstaatlicher [[Instanzenzug|Gerichtsaufbau]] etabliert wurde. Dieser sollte die bis dahin unverbundenen, für die verschiedenen Landesteile zuständigen Spitzengerichte vereinigen. Als zentralstaatliches höchstes Gericht wurde 1748 das sogenannte [[Großes Friedrichs Kollegium|Große Friedrichs Kollegium]] errichtet, in welchem das [[Kammergericht]] und die in Berlin befindlichen [[Oberappellationsgericht]]e zusammengeschlossen wurden. Eine organische Justizorganisation mit einer einheitlichen für alle preußischen Staaten zuständigen Spitze wurde erst 1782 verwirklicht, als das mit dem Kammergericht verbundene [[Obertribunal Berlin|Obertribunal]] selbständig wurde und fortan als [[Preußisches Obertribunal|Geheimes Obertribunal]] höchste Instanz für die gesamte Monarchie wurde. Als [[Mittelinstanz]]en in den Provinzen fungierten fortan das brandenburgische Kammergericht, das [[Tribunal|ostpreußische Tribunal]], die schlesischen [[Oberamtsregierung]]en und in den anderen Landesteilen die so genannten „Regierungen“.<ref>Otto Büsch: ''Handbuch der preussischen Geschichte''. Band 2. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992, S. 629&nbsp;f.</ref>

Die wesentliche Ausformung des preußischen Rechtssystems im 18. Jahrhundert wurden von [[Samuel von Cocceji]] und [[Johann Heinrich von Carmer]] erarbeitet und geleitet.

=== Auswärtiges ===
==== Staatsbeziehungen ====
[[Datei:Matthias Krönung - Kurfürsten reiten zur Wahl.jpg|mini|Einzug der Kurfürsten 1612 in Frankfurt am Main. Entsprechend der Bildbeschriftung(„…, Brandenburg schlecht“), galt Brandenburg (und damit auch Preußen) in der [[Reichsöffentlichkeit]]/ Reichsmeinung bis Ende des 17. Jahrhunderts als „schlechtestes“ der Kurfürstentümer im Reichsgefüge und die Hohenzollern als „arme Emporkömmlinge“]]

Mit seiner Machtpolitik, baute Preußen seine Stellung im internationalen Gefüge des [[Pentarchie (Europa)|europäischen]] [[Mächtegleichgewicht]]s aus. Es galt als aufstrebende [[Militärmacht]] und wurde deshalb von den europäischen [[Großmacht|Großmächten]] bis 1740 als Auxiliarmacht umworben. Ohne natürliche Grenzen hatte Preußen keine Sicherheitszone, was eine zunehmende Bedenkenlosigkeit bei der Wahl seiner außenpolitischen Mittel nach sich zog und ihm den Vorwurf der Unzuverlässigkeit einbrachte.<ref>Frank Göse, Winfried Müller, Kurt Winkler, Anne-Katrin Ziesak (Hrsg.): ''Preußen und Sachsen – Szenen einer Nachbarschaft''. Sandstein Verlag, 2014, S.&nbsp;50</ref>
[[Datei:East Wing of Carlton House Terrace.jpg|mini|No. 8 & No. 9 [[Carlton House Terrace]], [[The Mall]] (ehemals Preußische Gesandtschaft und [[Deutsche Botschaft London|Deutsche Botschaft]] bis 1955), siehe auch: [[Liste der preußischen Gesandten im Vereinigten Königreich]]]]
Preußens Außenpolitik war daher wechselhaft und richtete sich stets nach den eigenen Erfordernissen; daraus ergab sich bisweilen eine „Schaukelpolitik“. Bündnisse wurden mit kurzfristiger Laufzeit und auf die Erreichung von Einzelzielen hin geschlossen, die Treue zu internationalen Verträgen war „lax“. Daraus ergaben sich Unberechenbarkeit und Unsicherheit für seine Nachbarn.<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 287</ref>

Direkte und enge Beziehungen unterhielt Preußen zum [[Kaiserreich Russland]], mit dem es im 18. und 19. Jahrhundert [[Preußisch-russischer Allianzvertrag|diverse Allianzverträge]] geschlossen hatte. Zu [[Schwedisches Reich|Schweden]], das als niedergehender Hegemon im Kampf um das [[Dominium maris Baltici]] lange Zeit aggressive Tendenzen gegenüber seinen südlichen Nachbarn unterhielt, hatte Preußen ein konfrontatives, häufig kriegerisches Verhältnis. Zwischen 1630 und 1763 führte es insgesamt fünf Kriege gegen Schweden. Das [[Königreich Dänemark]] war für Preußen dagegen ein natürlicher Bündnispartner und wichtige Bezugs- und Orientierungsmacht. Ähnlich positiv gestaltete sich das Verhältnis zu den [[Republik der Sieben Vereinigten Provinzen|Niederlanden]], deren Bedeutung für den Frühpreußischen Staat und seine Eliten vor allem in kultureller Adaption, Bezugnahme und [[Selbstreferenzialität|Referenzialität]] bestand. Zur [[Weltmacht]] [[Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Irland|Großbritannien]] überwog ein positiver gegenseitiger Austausch. Zur kontinentalen Führungsmacht [[Frankreich]] stand Preußen mehrfach und anhaltend in Konflikt. Von 1674 bis 1807 ergaben sich insgesamt sechs kriegerische Auseinandersetzungen mit Frankreich. Die im 18. Jahrhundert stagnierende ehemalige Großmacht [[Polen-Litauen|Polen]] wurde zum Opfer der preußisch-russisch-österreichischen Teilungspolitik.

Die preußische Politik gegenüber dem Heiligen Römischen Reich führte im 18. Jahrhundert zu einer erheblichen Schwächung des Reichszusammenhalts. Zum einen war der Einmarsch preußischer Truppen in Schlesien Ende 1740 ein eklatanter Verstoß gegen die Rechtsordnung des Reiches. Außerdem war Friedrich II. darauf bedacht, die Autonomie seines Königreichs gegenüber dem Reich auszubauen. Damit positionierte es sich vor allem gegen die [[Habsburgermonarchie]] mit dem Kaiser an der Spitze, der als mächtigster Fürst im Reich für dessen Erhaltung eintrat. Daraus entwickelte sich der bis 1866 anhaltende [[Deutscher Dualismus|deutsche Dualismus]].<ref>Christopher Clark: ''Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Pantheon Verlag, 2008, S. 288</ref>

Mit den sonstigen deutschen Staaten gab es einen vielfältigen und dichten Austausch. Preußen übernahm im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Führungsrolle als erster protestantischer Reichsstand vor Sachsen. Dass gegen Preußen keine wesentlichen Veränderungen an den rechtlichen und territorialen Verhältnissen des Reichs mehr möglich war, demonstrierte es 1785 mit dem von ihm initiierten [[Fürstenbund (1785)|Fürstenbund]].

==== Diplomatisches Korps ====
Seit 1700 entstanden überall in Europa [[Gesandtschaft|ständige Gesandtschaften]], die die temporären Missionsgesandtschaften, die bis dahin in der europäischen [[Diplomatie]] üblich waren, verdrängten. Im Westfälischen Frieden 1648 hatten alle Reichsfürsten auch formell das Bündnisrecht und damit auch das Recht auf eine eigenständige Außenpolitik erhalten.

In der Folge baute auch Preußen ein europaweites Gesandtschaftswesen an den europäischen [[Hofstaat|Herrscherhöfen]] auf.
Als die 1728 als „Departement der Auswärtigen Affären“ eingerichtete Behörde 1867 zunächst als [[Auswärtiges Amt]] an den [[Norddeutscher Bund|Norddeutschen Bund]] und dann ab 1871 zum Deutschen Kaiserreich übertragen wurde, bestand das [[Diplomatisches Corps|diplomatische Korps]] der ehemals preußischen Behörde aus insgesamt 60 Etatstellen. Die Behörde unterhielt insgesamt vier [[Botschaft (Diplomatie)|Botschaften]] in London, Paris, Petersburg und Wien, 16 [[Gesandtschaft]]en, acht Gesandtschaften innerhalb des Reichs, acht [[Ministerresidentur]]en, sieben [[Generalkonsulat]]e mit diplomatischen Status, 33 [[Berufskonsulat]]e und vier Berufsvizekonsulate.<ref>Klaus Schwabe: ''Das diplomatische Korps: 1871–1945''. In: ''Deutsche Führungsschichten in der Frühen Neuzeit'', Band 16. Harald Bold Verlag, Boppard am Rhein 1985, S.&nbsp;41&nbsp;f.</ref>

== Historische Geografie ==
{{Galerie
|Größe =
|Name = '''Territoriale Veränderungen Preußens zwischen 1415 und 1803'''
| Datei:Prusse1415.gif | Die Mark Brandenburg 1415
| Datei:Prusse1618.gif | Erwerbungen von 1415 bis 1618
| Datei:Prusse1648.gif | Erwerbungen von 1618 bis 1648
| Datei:Prusse1740.gif | Erwerbungen von 1648 bis 1740
| Datei:Prusse1786.gif | Erwerbungen von 1740 bis 1786
| Datei:Prusse1803.gif | Erwerbungen von 1786 bis 1803
}}
=== Überblick ===
[[Datei:Europe landforms - North European Plain.svg|mini|Das norddeutsche Tiefland ist ein Teilbereich des [[Mitteleuropäisches Tiefland|mitteleuropäischen Tieflandes]] (grüne Flächensignatur), das sich von [[Belgien]] im Westen bis nach [[Polen]] im Osten erstreckt]]

Die einzelnen Landesteile Preußens waren landschaftlich, gesellschaftlich und strukturell sehr unterschiedlich. Zwischen der Stadt [[Klaipėda|Memel]] im Osten und der westlichsten preußischen Stadt [[Geldern]] lagen 1080 Kilometer Luftlinie. Zwischen Memel im Norden und dem schlesischen [[Pszczyna|Pless]] im Süden betrug die Entfernung in Luftlinie 655 Kilometer.
Die bedeutendsten Nachbarstaaten im Osten waren [[Polen-Litauen]] und ab 1720 das [[Russisches Kaiserreich|russische Kaiserreich]]. Bis 1815 hatte Preußen eine Landgrenze mit [[Schwedisches Reich|Schweden]], mit [[Dänemark]] war es ab 1866 benachbart. Zum [[Kaisertum Österreich]] gab es über Schlesien eine direkte Landverbindung. Im Westen hatte Preußen eine direkte Grenze zu den [[Niederlande]]n, [[Belgien]], [[Luxemburg]] und [[Frankreich]].
Die westlichen preußischen Provinzen waren eher gewerblich und städtisch geprägt, die östlichen Provinzen dagegen agrarisch mit minderprivilegierter, bäuerlicher Bevölkerung. In der strukturschwachen östlichen Region waren städtische Zentren selten. Wirtschaftliche Kernregionen waren der Berliner Raum, Schlesien als gewerbezentrierte Region und seit 1850 stark anwachsend das Rhein- und Ruhrgebiet. Bedeutende Rohstofflager gab es im Ruhrgebiet und im [[Oberschlesisches Industriegebiet|Schlesischen Montanrevier]].

Geografisch ist der überwiegende Teil des Staatsgebiets der [[Norddeutsche Tiefebene|Norddeutschen Tiefebene]] zuzuordnen. Die [[Ostsee]] bildete für den preußischen Staat eine bedeutende und lange maritime Nordgrenze. Die Teilnahme am [[Ostseehandel]] aber auch am kontinentalen [[Ost-West Handel]] (u.&nbsp;a. über die [[Via Regia]], [[Leipziger Messe]], [[Messe Frankfurt an der Oder]]) war für den preußischen Staat von grundlegendem wirtschaftlichen Interesse.

Das Territorium zerfiel einerseits in mehrere voneinander isolierte Gebietsblöcke und war zeitlich von einer starken Veränderungsdynamik geprägt. Viele spätere Territorien Preußens wechselten ihre Staatsangehörigkeit im Zuge von Kriegsniederlagen fremder Mächte oder der Übertragung von Erbschaftsansprüchen, Kauf oder im diplomatischen Tausch gegen andere Territorien in den Besitz Preußens.

Vier wesentliche geografische Blöcke mit ähnlichen soziokulturellen Zusammenhängen formten die altpreußische Monarchie bis 1806. Dies war zunächst das Kerngebiet Preußens mit den mittleren Provinzen um die Mark Brandenburg, dann die östlichen Provinzen mit ihren idellen Zentrum in Königsberg, der Nordwesten mit verschiedenen kleineren Landesteilen kam seit Anfang des 17. Jahrhunderts in den Besitz der Hohenzollerndynastie. Die südlichen Provinzen bildeten eine kurz währende Ausnahmeerscheinung des preußischen Staatsgebiets. Diese Territorien wurden bereits 1805 im Tausch gegen [[Kurhannover]] wieder abgetreten, das ebenso binnen Jahresfrist wegen der Kriegsniederlage gegen Frankreich abgetreten wurde.

{{:Verwaltungsgliederung Preußens}}

=== Staatsgebiet ===
Die Entwicklung der Staatsfläche Preußens zwischen 1701 und 1939 zeigt eine stark steigende Tendenz:<ref>Siehe auch Kurt Hinze: ''Die Bevölkerung Preußens im 17. und 18. Jahrhundert (…).'' In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Moderne Preußische Geschichte'' Band I, S. 282–315. Wolfgang Köllmann: ''Demographische „Konsequenzen“ der Industrialisierung in Preußen'', ebda, S. 447–465.</ref> Von 1608, kurz vor den ersten außerbrandenburgischen Territorialerwerbungen der Hohenzollern bis zum Zusammenbruch des altpreußischen Staats knapp 200 Jahre später, expandierte das feudale Staatswesen um nahezu das zehnfache seiner Ursprungsgröße. Ausgehend von der Bevölkerungsentwicklung betrug der Wachstumsfaktor in diesem Zeitraum 1:23,6.

Das 1701 zum Königreich erhobene [[Herzogtum Preußen|Herzogtum Preußen]] hatten die brandenburgischen Hohenzollern 1618 durch Erbschaft erworben. Zudem waren im letzten Jahrhundert das [[Jülich-Klevischer Erbfolgestreit|Clevische Erbe]] und die im Westfälischen Frieden zugesprochenen Gebiete wie Hinterpommern oder [[Herzogtum Magdeburg]] an Brandenburg-Preußen gefallen.

{| class="wikitable float-right" style="text-align:right;"
|-
! Jahr || Bevölkerung || Fläche<ref name="digitalis.uni-koeln.de" />
|-
|style="text-align:center"| 1608
| 0,41 Mio.
| 35.728 km²
|-
|style="text-align:center"| 1640
|k.&nbsp;A.
| 80.826 km²
|-
|style="text-align:center"| 1686
| <1,5 Mio.<ref>Stanisław Salmonowicz: ''Preussen: Geschichte von Staat und Gesellschaft''. Stiftung Martin-Opitz-Bibliothek, 1995, S.&nbsp;50</ref>
| 109.830 km²
|-
|style="text-align:center"| 1713
| 1,6 Mio.
| 111.574 km²
|-
|style="text-align:center"| 1740
| 2,4 Mio.
| 117.928 km²
|-
|style="text-align:center"| 1786
| 5,4 Mio.
| 190.223 km²
|-
|style="text-align:center"| 1797
| 8,7 Mio.
| 307.785 km²
|-
|style="text-align:center"| 1804
| 9,7 Mio.
| 316.232 km²
|-
|style="text-align:center"| 1807
| 4,94 Mio.
| 158.000 km²
|-
|style="text-align:center"| 1816
| 10,3 Mio.
| 280.000 km²
|-
|style="text-align:center"| 1840
| 15 Mio.
| 280.000 km²
|-
|style="text-align:center"| 1861
| 18,5 Mio.
| 280.000 km²
|-
|style="text-align:center"| 1871
| 24,6 Mio.
| 348.780 km²
|-
|style="text-align:center"| 1880
| 27 Mio.
| 348.780 km²
|-
|style="text-align:center"| 1910
| 40,16 Mio.
| 348.780 km²
|}

1715 kam Schwedisch-Pommern bis zur [[Peene]] zum preußischen Staat dazu. Durch Erbschaft gelangte [[Ostfriesland]] zu den preußischen Staaten. 1742 wurden die [[Fürstentümer in Schlesien|Fürstentümer Schlesiens]] als Provinz für Preußen erobert und gehalten. Durch die [[Teilungen Polens]] gab es weitere große territoriale Zugewinne wie 1772 die [[Provinz Westpreußen]]. Nach dem Erwerb der Hohenzollerngebiete in Franken 1791 kamen durch die [[Säkularisation]] und den [[Reichsdeputationshauptschluss]] große Gebiete im Nordwesten Deutschlands zu Preußen. Der Staatscharakter Preußens war dadurch in wenigen Jahren völlig verändert worden. Die Neupreußischen Territorien im Westen Deutschlands und im altpolnischen Siedlungsraum hatten keinerlei preußisch-(deutsche) Traditionen, wiesen ganz eigene oder andere Raumbindungsgefüge auf und gingen durch die Bestimmungen des [[Frieden von Tilsit|Friedens von Tilsit]] 1807 wieder verloren. Preußen erhielt jedoch im Zuge des [[Wiener Kongress]]es im Jahre 1815 seine ungefähre frühere Größe zurück. Die bisher vereinzelten preußischen Provinzen am Rhein wurden nun in einen Gesamtrheinisch-westfälischen Territorialkomplex zusammengefasst. Das war eine britische Idee und keine preußische, deren Akteure lieber das gesamte Sachsen erhalten hätten. Stattdessen sollte nach Britischem Willen Preußen als Ersatz für das ausgeschiedene Habsburg die Rolle des „[[Die Wacht am Rhein|Wächters am Rhein]]“ gegenüber Frankreich übernehmen.<ref name="Christopher Clark 1947" /> Diese neue Gebietseinheit veränderte den preußischen Staat nach 1815 erheblich. Die bis dahin dominanten mittleren Provinzen Preußens verloren bis 1918 einen Teil ihrer Bedeutung zugunsten der rheinischen Provinzen. Das außenpolitische Streben der preußischen Regierung nach 1815 zielte insgeheim darauf ab, die beiden großen geografisch durch eine 40 Kilometer breite Lücke getrennten Gebiete im Westen und in „Altpreußen“ zu vereinen. Die dazwischen liegenden Fürstentümer wie das [[Königreich Hannover]] wurden dadurch, wie zuvor schon bei der Reduktion des [[Königreich Sachsen|Königreichs Sachsen]] erfolgt, zu einer territorialen Verfügungsgröße Preußens in dessen außenpolitischen Ambitionen. Da nur ein Teil der Erwerbungen aus der dritten Teilung Polens erneut Preußen zugeschlagen wurde, erhielt der Gesamtstaat Preußen wieder eine eher Gesamtdeutsche Position.<ref name="Clark/Aufstieg-451" />

=== Bevölkerung ===
Der Anstieg der Bevölkerungszahl im 17. und 18. Jahrhundert beruhte auf Gebietsgewinnen und einer intensiv betriebenen [[Peuplierung]]spolitik. Die gezielte Werbung und Ansiedlung von ausländischen [[Kolonist]]en, häufig [[Exulanten]] und [[Glaubensflüchtling]]e aus [[Habsburgische Monarchie|habsburgischen Ländern]], in den eher bevölkerungsarmen östlichen Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Neumark und Hinterpommern beförderte den [[Landesausbau]], der auch die Kultivierung und Urbarmachung von Sumpfgebieten einbezog. In den menschenleeren Gebieten entlang der regulierten Ströme [[Warthe]] und Oder entstanden im 18. Jahrhundert viele hundert Kolonistendörfer. Typenbildende Ortsgründungen bildeten die Webersiedlungen [[Nowawes]] und [[Kloster Zinna (Jüterbog)|Zinna]]. Weiterer Bevölkerungszugewinn erfolgte über Gebietserweiterungen infolge der [[Deutsche Einigungskriege|Einigungskriege]] und beruhte auch auf einem hohen natürlichen [[Bevölkerungswachstum]] im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Um 1800 galten knapp 43 Prozent der Bevölkerung als [[Slawen]]. Darunter zählten vorwiegend [[Polen (Ethnie)|Polen]], [[Sorben]], [[Litauer]], [[Kaschuben]], [[Kuren]] und [[Letten]].
Eine weitere Minorität waren die im 17. Jahrhundert eingewanderten französischen Hugenotten, die, Nachkommen eingeschlossen, eine Gesamtheit von 65.000 Personen umfasste. Insgesamt 250.000 [[Juden]] wurden von den damaligen Erhebungen als „Ethnie“ eingestuft und erfasst.

50,6 Prozent der Bewohner waren [[lutherisch]], 44,1 Prozent [[Katholizismus|katholisch]], der Rest waren [[Reformierte]], [[Mennoniten]], [[Griechisch-orthodoxe Kirche|Griechisch-orthodoxe]] und [[Hussiten]].<ref name="Georg Hassel 1805">Georg Hassel: [http://www.digitalis.uni-koeln.de/Hassel/hassel_index.html ''Statistischer Umriss der sämtlichen europäischen Staaten in Hinsicht ihrer Größe, Bevölkerung, Kulturverhältnisse, Handlung, Finanz- und Militärverfassung und ihrer aussereuropäischen Besitzungen''.] 2 Teile. Vieweg Verlag, Braunschweig 1805, S.&nbsp;9</ref>

Die Bevölkerung setzte sich 1804 aus folgenden [[soziale Schicht]]en zusammen:

* 328.000 Personen von adeligem Stand, in den überwiegend polnisch geprägten Provinzen Neuostpreußen und Südpreußen war der polnische Kleinadel, [[Szlachta]], mit 34.000 von insgesamt 54.000 Personen vertreten.
* 2,7 Millionen Personen wurden dem Bürgerstand zugerechnet.
* 6,828 Millionen Personen waren Landbewohner und zum Teil unfreie Bauern.
* Der [[Klerus]] war mit 40.000 Personen vertreten.<ref name="Georg Hassel 1805" />

=== Städte ===
{| class="wikitable float-right"
|-
|+ Die größten altpreußischen Städte (ohne Warschau)
! Rangfolge 1804 !! Rangfolge 1910 !! Stadt !! Einwohner 1804<ref>Georg Hassel: ''Statistischer Umriss der sämtlichen europäischen Staaten in Hinsicht ihrer Größe, Bevölkerung, Kulturverhältnisse, Handlung, Finanz- und Militärverfassung und ihrer aussereuropäischen Besitzungen''. 2 Teile. Vieweg, Braunschweig 1805, S. 28–52</ref> !! Einwohner 1850<ref>Michel Hubert: ''Deutschland im Wandel: Geschichte der deutschen Bevölkerung seit 1815''. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1998, S.&nbsp;63</ref> !! Einwohner 1875!! Einwohner 1910<ref name="Kiesewetter">Hubert Kiesewetter: ''Industrielle Revolution in Deutschland: Regionen als Wachstumsmotoren''. S.&nbsp;135</ref>
|-
|1 ||1 ||[[Berlin]] || 178.308 || 419.000|| 966.859||2.071.257
|-
|2 ||3 ||[[Breslau]] || 60.950 || 114.000 || 239.050||512.105
|-
|3 ||10|| [[Königsberg (Preußen)|Königsberg]] ||60.690 ||76.000 ||122.636||245.994
|-
|4 ||16|| [[Danzig]] || 46.213 ||style="text-align:center"| – ||97.931||170.337
|-
|5 ||9|| [[Magdeburg]] || 37.451||72.000||87.925||279.629
|-
|6 ||style="text-align:center"| – || [[Potsdam]] || 26.980||style="text-align:center"| – ||45.003||62.243
|-
|7 ||11|| [[Stettin]] || 22.335|| 49.000 || 80.972 || 236.113
|-
|8 ||15|| [[Halle (Saale)]] ||21.350||style="text-align:center"| – ||60.503||180.843
|-
|9 ||style="text-align:center"| – || [[Elbing]] || 18.805||style="text-align:center"| – ||33.520||55.000
|-
|10 ||17|| [[Posen]] || 15.253|| 45.000||60.998||156.691
|-
|11 ||style="text-align:center"| – ||[[Frankfurt an der Oder]] || 17.501||29.969||47.180||68.277
|-
|12 ||style="text-align:center"| – ||[[Halberstadt]] || 13.816||20.395||style="text-align:center"| – ||46.481
|-
|13 ||style="text-align:center"| – || [[Brandenburg an der Havel]] || 12.499||21.000||27.776||68.277
|-
|14 ||style="text-align:center"| – || [[Quedlinburg]] || 10.023 ||13.886||18.437||27.233
|-
|15 ||style="text-align:center"| – || [[Emden]] || 10.416 || zu Hannover || 13.400 || 24.500
|-
| ||6|| [[Berlin-Charlottenburg|Charlottenburg]] ||style="text-align:center"| – ||style="text-align:center"| – || 25.847||305.978
|}
{| class="wikitable"
|-
|+ Die größten neupreußischen Städte mit Zugehörigkeit zum preußischen Staatsgebiet ab 1815/1866 (m.A. von Duisburg)
! Rangfolge<br />unter den<br />neupreußischen<br />Städten!!Rangfolge in<br />Gesamtpreußen 1910 !! Stadt !! Einwohner 1850!! Einwohner 1875!! Einwohner 1910<ref name="Kiesewetter" />
|-
|1 ||2|| [[Köln]]||97.000||135.371||516.527
|-
|2 ||4|| [[Frankfurt am Main]] ||style="text-align:center"| – ||103.136||414.576
|-
|3 ||5|| [[Düsseldorf]]|| 27.000||80.695||358.728
|-
|4 ||7|| [[Hannover]]||style="text-align:center"| – ||106.677||302.375
|-
|5 ||8|| [[Essen]]||style="text-align:center"| – ||54.790||294.653
|-
|6 ||12|| [[Duisburg]]||style="text-align:center"| – ||37.380||229.438
|-
|7 ||13|| [[Dortmund]]||style="text-align:center"| – ||57.742||214.226
|-
|8 ||14|| [[Kiel]]||style="text-align:center"| – ||37.246||211.627
|}
Die Städtedichte nahm von Westen nach Osten hin ab. Die Stadt Berlin durchlief von 1700 bis 1918 ein außergewöhnlich starkes Wachstum und besaß am Ende der Monarchie die größte Stadtregion. Mit Berlin bildeten die Städte Brandenburg an der Havel (Gericht und frühe Hauptstadt), Potsdam (Residenz) und Frankfurt an der Oder (Messe, Universität) den traditionellen Kern des expandierenden preußischen Staats. Die Städte der preußischen Rheinprovinzen erlangten erst im 19. Jahrhundert eine gesteigerte Bedeutung. Die Städte im heutigen Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Halle, Quedlinburg und Halberstadt, waren aufgrund ihrer zentralen Lage strategisch bedeutsam und deshalb lange zwischen Sachsen und Brandenburg umstritten. Die östlichen Metropolen Danzig und Königsberg bildeten dominante [[Monozentrische Struktur|Monozentren]] in ihren jeweiligen Provinzen.

Die Liste von 1804 der einwohnerstärksten preußischen Städte weicht in der Zusammensetzung erheblich von der für das Jahr 1910 ab. Das 19. Jahrhundert war insgesamt ein Jahrhundert der [[Verstädterung]] und der [[Landflucht]] in Europa, so dass nach dem eher stagnierenden Verlauf der Frühen Neuzeit, die Städte an Einwohnern zulegten. Da zeitgleich eine große Migrationsbewegung aus den östlichen Provinzen Preußens in die wirtschaftlich boomenden Rheinprovinzen einsetzte, wuchsen zwischen 1850 und 1910 die Städte im Rhein- und [[Ruhrgebiet]] schneller als diejenigen im zentralen und östlichen Staatsgebiet.

=== Flüsse ===
Als Handelswege bedeutsam waren die Flüsse [[Havel]], [[Spree]], [[Elbe]], [[Oder]] und später der [[Rhein]].
Spree, Havel, Oder und Elbe wurden durch den Bau künstlicher Wasserstraßen ab dem 17. Jahrhundert miteinander verbunden und bildeten ein gemeinsames Flusswegenetz, über das ein erheblicher Anteil des preußischen Getreidexports aber auch anderer Güter (z.&nbsp;B. [[Kalksteinbruch Rüdersdorf|Kalksteine von Rüdersdorf]] nach Berlin) zu den Häfen an Ost- und Nordsee transportiert wurden.

=== Gebirge ===
Preußen bestand zu großen Teilen aus [[Ebene (Geographie)|Ebenen]] oder wies einen flachwelligen Charakter auf, nur im südlichen Staatsgebiet gab es markante Erhebungen. Das seit 1741 zu Preußen gehörende Schlesien war mit dem [[Riesengebirge]] als Teil der [[Sudeten]] seine gebirgigste Provinz. Daneben war der [[Harz (Mittelgebirge)|Harz]] das nächstbedeutende Gebirge, auf das Preußen seit Ende des 18. Jahrhunderts zumindest zum Teil Zugriff erhielt und diesen dann nach den Gebietserwerbungen von 1866 komplett in sein Staatsterritorium einschloss.

Mit der Vergrößerung des preußischen Territoriums seit 1815 um große Teile des deutschen Rheinlandes, gehörten dazu auch die kleinflächigeren Mittelgebirge [[Hunsrück]], [[Westerwald]] und [[Eifel]]. Auch Westfalens Mittelgebirge, das [[Rothaargebirge]] und das [[Weserbergland]], gehörten ab dann zu Preußen.

Der höchste preußische Berg war die [[Schneekoppe]] mit 1.603 Metern Höhe, gefolgt vom [[Reifträger]] mit 1.362 Metern Höhe, der [[Brocken]] mit 1.141 Metern Höhe und der [[Wołowa Góra|Ochsenberg]] mit 1.033 Metern Höhe.

=== Vegetation, Böden und Landschaften ===
Größere Anteile des Staatsgebiets waren im 18. und 19. Jahrhundert von [[Sumpf|Sümpfen]], [[Heide (Landschaft)|Heiden]] und [[Düne]]n geprägt gewesen. Menschliche Eingriffe haben diese Naturlandschaften im 20. Jahrhundert größtenteils den Zivilisationsbedürfnissen zugunsten von Siedlungs- und Landwirtschaftsflächen angepasst und die ursprünglichen Erscheinungsformen erheblich zurückgedrängt,.

Die Güte der [[Boden (Bodenkunde)|Böden]] variierte erheblich je nach Region. Es gab sehr nährstoffreiche und ertragreiche Böden wie in der [[Magdeburger Börde]], in Südpreußen oder dem westlichen Schlesien. Weite Teile der mittleren Provinzen oder auch Ostpreußen hatten dagegen nährstoffarme [[Sandböden]].

Mit neu errichteten Deiche, Flussbegradigungen und Kanalbauten wurden tausende Quadratkilometer Sumpfland dauerhaft [[Melioration|trockengelegt]]. Die Erschließung landwirtschaftlicher Flächen war ein bedeutender Teil staatlicher Politik. 21,5 Prozent der Landesfläche war 1804 bewaldet, das größte Waldgebiet bildeten die [[Johannisburger Heide]] und die [[Rominter Heide]] in Ostpreußen. Die Provinz Westfalen war im Vergleich eher waldarm.

=== Seen, Buchten und Inseln ===
Die zu den verschiedenen Zeitpunkten zu Preußen gehörenden Küstenabschnitte wiesen insgesamt eine starke Gliederung auf. Markante Buchten bildeten das [[Stettiner Haff]], das [[Frisches Haff|Frische Haff]] und das [[Kurisches Haff|Kurische Haff]] mit seiner [[Kurische Nehrung|Kurischen Nehrung]]. Die bedeutendsten altpreußischen Inseln waren [[Usedom]] und [[Wolin|Wollin]], seit 1815 auch [[Rügen]], nach 1866 kamen auch die Inselketten [[Niedersachsen]]s und [[Schleswig-Holstein]]s dazu.

Die größte Seenkette Preußens bildete die [[Masurische Seenplatte]] in Ostpreußen, darunter der [[Spirdingsee]].

=== Klima ===
Während in den westlichen Provinzen Westfalen und Rheinland [[Seeklima|maritimes]] ''[[Cfb-Klima|Buchenklima]]'' vorherrscht, sind die östlichen Gebiete von [[Kontinentalklima|kontinentalerem]] ''[[Dfb-Klima|Eichenklima]]'' geprägt. Dies bedeutete für den Osten tendenziell kältere Winter bei wärmeren Sommern und für die Westgebiete ganzjährig geringere Temperaturschwankungen mit etwas längerer [[Vegetationsperiode]] und mehr Niederschlägen.

Im Bestehenszeitraum der preußischen Monarchie machte sich die durch die Industrialisierung bedingte und menschengemachte [[globale Erwärmung]] noch nicht bemerkbar. In der Anfangszeit war die [[Kleine Eiszeit]] auf ihrem Höhepunkt, die Winter brachten in der Regel überall strenge und anhaltende Frostperioden mit sich.

== Historiografie ==
{{Hauptartikel|Geschichte der Geschichtsschreibung zu Preußen}}
Die [[Geschichtsschreibung]] zur preußischen Monarchie ist äußerst umfangreich und thematisch facettenreich. Ihre inhaltliche Ausrichtung unterliegt Zeitströmungseinflüssen und sich wandelnden Werturteilen. Forschungsschwerpunkte sind: Transnationalen Verflechtungen und Transferprozesse, strukturelle Lage zwischen Ost und West, Akteure interner Staatsbildung, regionale Akteure, Militärsystem, Folgen staatlicher Wirtschaftspolitik, Wirkungsmacht von Elitengruppen, Umgang mit [[Minderheit]]en, Bedeutung von Kultur, Wissenschaft, Bildung und Kirchen, [[Demokratisierung]] und [[Nationsbildung]].<ref>Wolfgang Neugebauer: ''Preußische Geschichte als gesellschaftliche Veranstaltung: Historiographie vom Mittelalter bis zum Jahr 2000''. Ferdinand Schöningh Verlag, 2018, S. 17</ref>

Erst im 19. Jahrhundert bildeten sich einzelne fachhistorische Forschungsfelder zur preußischen Geschichte aus dem Hauptfeld der [[Ereignisgeschichte]].<ref name="Wolfgang Neugebauer 2000">Wolfgang Neugebauer: ''Preußische Geschichte als gesellschaftliche Veranstaltung: Historiographie vom Mittelalter bis zum Jahr 2000''. Ferdinand Schöningh Verlag, 2018, S. 303</ref> Dazu gehörten die [[Agrargeschichte]] ([[Georg Friedrich Knapp]]), die Staatsstrukturgeschichte und die [[Verwaltungsgeschichte]] (z.&nbsp;B. [[Siegfried Isaacsohn]]).

Bis 1945 war die deutsche Geschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vorwiegend „borussophil“ geprägt. Die zwei wichtigsten Vertreter dieser Periode waren [[Otto Hintze]] und [[Johann Gustav Droysen]]. Nachfolgend bedeutsam waren auch [[Heinrich von Sybel]] und [[Leopold von Ranke]]. Viele der damaligen Geschichtsschreiber waren Oberlehrer und Juristen, mithin prägnante Typen des historisch interessierten preußischen Bildungsbürgertums.<ref>Wolfgang Neugebauer: ''Preußische Geschichte als gesellschaftliche Veranstaltung: Historiographie vom Mittelalter bis zum Jahr 2000''. Ferdinand Schöningh Verlag, 2018, S. 309</ref> Als umfassendstes Werk dieser Periode erschien die von [[Gustav von Schmoller (Ökonom)|Gustav von Schmoller]] begründete [[Acta Borussica]].

Der deutsche Nationalismus von 1871 bis 1945 prägte das [[Geschichtsbild|Bild]] einer gesamtdeutschen Mission Preußens, der sich das Haus Hohenzollern von Anfang an verschrieben haben soll.<ref>[[Michael Stürmer]]: ''IV. Preußen als Problem der Forschung. Moderne Preußische Geschichte 1648–1947''. Band 1: ''Eine Anthologie''. 1981, S. 74–102, hier S. 74.</ref> Nach Wolfgang Neugebauer trifft hierfür der Begriff ''national[[teleologisch]]e Geschichtsschreibung'' zu.<ref name="Wolfgang Neugebauer 2000" /> Zudem herrschte eine starke personenfixierte Geschichtsschreibung vor, die das Geschehen in der Zeit von 1640 bis 1786 auf das Wirken der Monarchen verkürzte, nach dem wiederkehrenden Muster:

* Friedrich&nbsp;I. war ein Verschwender auf dem Thron.
* Der Große Kurfürst und der Soldatenkönig haben die Fundamente des preußischen Staats gesetzt.
* Friedrich&nbsp;II. habe aus Preußen eine Großmacht gemacht.
* Danach kehrte wieder Verschwendung, Unzucht und Müßiggang ein.
* Die Niederlage von 1806 führte zu einem Wachstum neuer Kräfte und zu einer Erneuerung.
* Mit erwachtem Nationalgeist und äußerster Kraftanstrengung befreite Preußen sich selbst und das deutsche Vaterland von den französischen Besatzern.

Nach dem Ende des ''Dritten Reichs'' wurde Preußen aufgrund seiner starken Militarisierung und dem ausgeprägten [[Obrigkeit]]sdenken eine geistige Nähe zum Faschismus unterstellt, die den Nährboden für die totalitäre [[NS-Diktatur]] geliefert haben soll (''Kontinuitätsthese'': Von Friedrich&nbsp;II. über Bismarck zu Hitler).<ref>Wolfgang Neugebauer: ''Preußische Geschichte als gesellschaftliche Veranstaltung: Historiographie vom Mittelalter bis zum Jahr 2000''. Ferdinand Schöningh Verlag, 2018, S. 578</ref> [[Gordon A. Craig]] ist ein bedeutender Autor dieser Strömung.

Neuere Themenschwerpunkte bilden seit 1990 die Konstruktion und Dekonstruktion preußischer [[Geschichtsmythos|Geschichtsmythen]] und [[Erinnerungskultur]], die sozialhistorische [[Militärgeschichte]], die mikrohistorische Rekonstruktion von Lebenswelten, die [[Geschlechtergeschichte]] sowie die internationale Verflechtung und der transnationale Austausch in der preußischen Politik.<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S.&nbsp;7</ref>

Die DDR-Historiographie brachte eine Reihe bekannterer Fachautoren hervor, darunter [[Erika Hertzfeld]] und [[Ingrid Mittenzwei]]. Thematisch stand die klassenzentrierte Verlaufsgeschichte im Vordergrund, indem das Verhältnis von Feudalklasse, Bürgerklasse und Arbeiterklasse zueinander immer wieder nach einem festen Ablaufschema und mit feststehendem Ergebnis analysiert wurde: Am Ende siegte die [[Arbeiterklasse]] und der feudale Adel befand sich fortdauernd in einem verzweifelten Abwehrkampf. Zudem war die [[Bourgeoisie|bourgeoise]] Elite im 19. Jahrhundert angeblich ein Bündnis mit dem adeligen [[Junker (Preußen)|Junkertum]] eingegangen, das alles Fortschrittliche bekämpfte. Ein solches Bündnis wurde nie in Frage gestellt und sein Vorhandensein konnte auch nicht bewiesen werden, es wurde nur als gegebene Tatsache im geschichtlichen Weltsystem der DDR-Historiker verankert.

Die Rückführung der wichtigsten Archivalien aus den Sammlungen der früheren DDR brachte für die Preußenforschung noch einmal einen zusätzlichen Schub.<ref>Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Handbuch der preußischen Geschichte. Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußen''. Band 3. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 2001, S. 2</ref> Als historiographische Standardwerke gelten das ''Handbuch der Preußischen Geschichte'' und die ''Moderne Preußische Geschichte 1648–1947''. Die ''Historische Kommission zu Berlin'', die sich seit ihrer Gründung 1958 der preußischen Geschichte in Monographien, Aufsatzsammlungen, Editionen und internationalen Fachtagungen angenommen hatte, verlor durch Beschluss des Senats von Berlin 1996 ihren Forschungsauftrag, wodurch das Institut schließen musste, aber als Gelehrtenvereinigung weiterbesteht.<ref>Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Handbuch der preußischen Geschichte. Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußen''. Band 3. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 2001, S. 3&nbsp;f.</ref>
Die am häufigsten zitierten aktuellen Autoren zur preußischen Geschichte sind [[Wolfgang Neugebauer (Historiker, 1953)|Wolfgang Neugebauer]], [[Otto Büsch]] und [[Christopher Clark]]. Sie waren oder sind Mitglieder der [[Preußische Historische Kommission|Preußischen Historischen Kommission]], die eine zentrale Schnittstelle für Forschungen zur preußischen Geschichte ist. Das ''[[Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz|Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz]]'' verwahrt die wichtigsten Primärquellen, die ''[[Stiftung Preußischer Kulturbesitz]]'' verwaltet den kulturellen und dinglichen Nachlass der preußischen Monarchie.

== Erinnerungskultur ==
[[Datei:FriedrichII10Euro.JPG|mini|hochkant|10-Euro-Gedenkmünze der Bundesrepublik Deutschland, Friedrich&nbsp;II., Motivseite]]
[[Datei:300.Geburtstag FriedrichII Schuschke.JPG|mini|Ehrenwache am Grab Friedrich&nbsp;II. aus Anlass des 300. Geburtstag]]
[[Datei:Federico II Sanssouci 01.JPG|mini|Das beschmückte Grab Friedrichs&nbsp;II. 2011, Bestandteil eines volkstümlichen und nachhallenden Friedrichkkults]]
Museale Erinnerung betreiben das [[Preußen-Museum Minden]], das [[Preußen-Museum Wesel]] und das [[Brandenburg-Preußen Museum]]. [[Kriegerdenkmal|Kriegerdenkmäler]] oder monarchische Denkmäler wurden im Deutschen Kaiserreich an vielen Orten errichtet und werden auch heute noch gepflegt. Seit der Preußenausstellung ''[[Preußen – Versuch einer Bilanz]]'' von 1981 hat sich der Umgang mit dem Thema Preußen insgesamt entspannt,<ref>Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, S.&nbsp;7f.</ref> so dass man auch von einer ''Preußenrenaissance'' spricht.<ref>[[Barbara Vogel (Historikerin)|Barbara Vogel]]: ''Review: Das alte Preußen in der modernen Geschichtswissenschaft, Vandenhoeck & Ruprecht''. In: ''[[Geschichte und Gesellschaft]]'', 1985, 11. Jahrg., Heft 3, S. 377–396, S. 377.</ref>
[[Datei:LaKeCecilienhof.JPG|mini|Lange Kerls anlässlich des Besuchs der [[Elisabeth II.|Queen]] im Jahre 2004 auf [[Schloss Cecilienhof]]]] Wesentlich getrieben wird die auch staatlich unterstützte ''Preußenerinnerung'' durch die Person Friedrichs&nbsp;II. Im wiedervereinigten Deutschland erlangte die Rückführung seiner Gebeine von der [[Burg Hohenzollern]] nach Potsdam 1991 Bedeutung, indem das Land Brandenburg die Bestattung Friedrichs&nbsp;II. auf Schloss Sanssouci und dessen Vaters im Mausoleum der Potsdamer Friedenskirche ermöglichte. Ein Gottesdienst und eine Gedenkfeier wurden aus diesem Anlass organisiert. Eine Einheit der Bundeswehr eskortierte den Sarg und der damalige Bundeskanzler Kohl nahm als Privatmann an der Feier teil.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.deutschlandfunk.de/beerdigung-nach-200-jahren.871.de.html |titel=Beerdigung nach 200 Jahren |hrsg=[[Deutschlandfunk]] |datum=2011-08-17 |sprache=de |abruf=2021-03-16}}</ref>

Medial ist Preußens Geschichte zudem präsent in öffentlichen Veranstaltungen wie dem [[Preußenjahr 2001]] oder den Feierlichkeiten zum 300. Geburtstag Friedrichs&nbsp;II. Regelmäßig wiederkehrende anlassbezogene Sonderausgaben der Zeitschriften [[Geo (Zeitschrift)|Geo]], [[Der Spiegel]] und [[Stern (Zeitschrift)|Stern]] sind auf eine große Leserschaft ausgerichtet. Auch Fernsehserien oder mehrteiliger Fernsehfilme wie ''[[Sachsens Glanz und Preußens Gloria]]'' und ''Der Thronfolger'' (1980) befassten sich mit dem Thema. Die militärische Komponente Preußens findet heute in Vereinen zum Thema ''[[Reenactment]]'' Widerhall: Zu bestimmten Anlässen stellen Amateurdarsteller in zeitgenössischen Uniformen Kriegsereignisse nach, wie beispielsweise die ''[[Lange Kerls#Tradition und Traditionspflege|Potsdamer Langen Kerls]]''.

== Siehe auch ==
* [[Geschichte Brandenburgs]]
* [[Hohenzollern]]
* [[Liste der Herrscher von Brandenburg#Könige in Preußen|Könige in Preußen]]
* [[Liste der Herrscher von Brandenburg#Könige von Preußen|Könige von Preußen]]
* [[Deutsches Kaiserreich]]
* [[Freistaat Preußen]]
* [[König von Preußen (Schiff)]]
* [[Verpreußung]]

== Literatur ==
=== Moderne Abhandlungen ===
* Otto Büsch, [[Wolfgang Neugebauer (Historiker, 1953)|Wolfgang Neugebauer]]: ''Moderne preussische Geschichte: 1648–1947.'' 3 Bände. De Gruyter Verlag, Berlin 1981, ISBN 3-11-008324-8.
* ''Handbuch der preussischen Geschichte''. Walter de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1992–2001
** Band 1, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Das 17. und 18. Jahrhundert und große Themen der Geschichte Preußens''.
** Band 2, Otto Büsch (Hrsg.): ''Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Handbuch der Preußischen Geschichte''.
** Band 3, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): ''Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens''.
* [[Christopher Clark]]: ''Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947''. Deutsche Verlagsanstalt, München 2007, ISBN 978-3-421-05392-3 (weitere Ausgaben als Taschenbuch).
* [[Ingrid Mittenzwei]], Erika Herzfeld: ''Brandenburg-Preußen 1648–1789.'' 1. Auflage. Verlag der Nation, Berlin 1987, ISBN 3-373-00004-1.
* Uwe A. Oster: ''Preußen. Geschichte eines Königreichs.'' München 2010, ISBN 978-3-492-05191-0.
* Hartwin Spenkuch: ''Preußen – eine besondere Geschichte: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648–1947''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019
* [[Wilhelm Treue]]: ''Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens''. de Gruyter Verlag, Berlin / New York 1984.

=== Digitalisiertes älteres Schrifttum ===
* [[Franz Heinrich Ungewitter]]: ''Die preußische Monarchie nach den zuverlässigsten Quellen geographisch, statistisch, topographisch und historisch ausführlich und übersichtlich dargestellt. Ein Handbuch für Staats- und Communalbehörden, so wie zum Privatgebrauch.'' Nicolai, Berlin 1859 ([https://books.google.de/books?id=XKYCAAAAcAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
* Königl. Statistisches Bureau (Hrsg.): ''Vorläufige Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1890 im Königreiche Preußen sowie in den Fürstenthümern Waldeck und Pyrmont'', Berlin 1891 ([https://books.google.de/books?id=PQE4AQAAMAAJ&pg=PR1 Google Books])
* ''Handbuch über den Königlich Preussischen Hof und Staat für das Jahr 1803'', Unger, Berlin 1803 ([https://books.google.de/books?id=tdZSAAAAcAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
* ''Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat für das Jahr 1896''. Verlag G. Schenck, Berlin 1895 ([https://books.google.de/books?id=TuHOrAEv9dgC&pg=PR1 Google Books]).
* [[Christian Gottfried Daniel Stein]]: ''Handbuch der Geographie und Statistik des preußischen Staats, nach seinen neuesten Bestimmungen''. Vossische Buchhandlung, Berlin 1919 ([https://books.google.de/books?id=AdpLAAAAcAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
* Alexander August Mützell, [[Leopold Krug (Ökonom)|Leopold Krug]] (Hrsg.): ''Neues topographisch-statistisch-geographisches Wörterbuch des preußischen Staats''
** Band 1: ''A-F''. Bei Karl August Kümmel, Halle 1821 ([https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10000945/bsb:BV011481359?page=5 Digitalisat]) ([https://books.google.de/books?id=yTjRAAAAMAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
** Band 2: ''G–Ko''. Bei Karl August Kümmel, Halle 1821 ([https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10000946/bsb:BV011481374?page=1 Digitalisat]) ([https://books.google.de/books?id=m7dIAAAAcAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
** Band 3: ''Kr–O''. Bei Karl August Kümmel, Halle 1822 ([https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10000947/bsb:BV011481381?page=1 Digitalisat]) ([https://books.google.de/books?id=hjnRAAAAMAAJ&printsec=frontcover Google Books])
** Band 4: ''P–S''. Bei Karl August Kümmel, Halle 1823 ([https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10000948/bsb:BV011481392?page=7 Digitalisat]) ([https://books.google.de/books?id=MQKbGMwLPBcC&pg=PP5 Google Books]).
** Band 5: ''T–Z Und eine tabellarische Übersicht der wichtigsten statistischen Verhältnisse der 857 kleinern Städte des Staats enthaltend''. Bei Karl August Kümmel, Halle 1823 ([https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10000949/bsb:BV011481409?page=1 Digitalisat]) ([https://books.google.de/books?id=cDzRAAAAMAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
** Band 6: ''Tabellarische Übersicht der wichtigsten statistischen Verhältnisse der einzelnen Städte, Landrätlichen Kreise und Regierungsbezirke des preußischen Staats''. Karl August Kümmel, Halle 1825 ([https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10000950/bsb:BV011481435?page=5 Digitalisat]) ([http://books.google.de/books?id=rRc_AAAAcAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
* {{Handbuch Preußischer Staat 1856}} ([https://books.google.de/books?id=g7QDAAAAcAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
* ''Uebersicht des Flächenraums und der Einwohnerzahl des Preussischen Staats, und Alphabetisches Verzeichniß der Städte in demselben, mit Angabe der Civil-Einwohnerzahl am Schlusse des Jahres 1855'', Verlag R. Decker, Berlin 1857 ([https://books.google.de/books?id=qmgOznLoSn4C&printsec=frontcover Google Books]).
* [[Karl Friedrich Rauer]]: ''Die ständische Gesetzgebung der Preußischen Staaten. (Neue Folge)''. Heymann, Berlin 1853.
** Teil I: ''Texte der ständischen Gesetze'' ([http://books.google.de/books?id=KGziAAAAMAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
** Teil II: ''Systematische Darstellung der ständischen Gesetzgebung'' ([http://books.google.de/books?id=YplGAAAAcAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
* [[Karl Friedrich Rauer]]: ''Alphabetischer Nachweis (Adressbuch) des in den Preussischen Staaten mit Rittergütern angesessenen Adels''. Berlin 1857 ([http://books.google.de/books?id=4rFAAAAAcAAJ&printsec=frontcover Google Books]).
* [[Karl Friedrich Rauer]]: ''Hand-Matrikel der in sämmtlichen Kreisen des Preussischen Staats auf Kreis- und Landtagen vertretenen Rittergüter''. Berlin 1857 ([http://books.google.de/books?id=ZpZpAAAAcAAJ&pg=PR1 Google Books]).

== Weblinks ==
{{Wikisource|Preußen}}
* [https://actaborussica.bbaw.de/index.xql Akademienvorhaben zur späten preußischen Monarchie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften]
* {{cite web|url=http://www.preußenweb.de/|title=Darstellung der Geschichte Preußens|accessdate=2009-02-07|author=Reinhard Nelke}}
* [http://hgisg.geoinform.fh-mainz.de/multi4/startTempl.php?gliederung=1&gebiet=45&txtArea=Thema Statistische und historische Informationen zu Preußen bei ''HGIS'']
* {{cite web|url=http://www.preußenchronik.de/|title=Preußen – Chronik eines Deutschen Staats|accessdate=2009-02-07|author=rbb online}}
* {{Webarchiv |url=http://www.raether-buch.de/History_Maps.htm |text=Sammlung historischer Landkarten zur preußisch/deutsch-polnischen Geschichte |wayback=20070616044924}}

== Einzelnachweise ==
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[[Kategorie:Aufgelöst 1918]]

[[sv:Kungariket Preussen]]

Version vom 18. August 2023, 20:47 Uhr

Königreich Preußen steht für

  • Preußen als umgangssprachlich gebrauchte, erweiterte Bezeichnung für den 1701 bis 1918 bestehenden, von den preußischen Königen regierten Staat Preußen
  • das Herzogtum Preußen, ein relativ kleiner bzw. der namengebende Teil des Staates Preußen, nachdem dieses 1701 vom brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. (Friedrich I. als preußischer König) zu einem Königreich erhoben worden war. Das umgewandelte Herzogtum bekam von Friedrich II. 1793 den verwaltungstechnischen (später Provinz-) Namen Ostpreußen, der umgangssprachlich bald ausschließlich gebraucht wurde. Dadurch entfiel die Verwechslung beim umgangssprachlichen Gebrauch von Königreich Preußen für Preußen als Gesamtes.