„D’Alembertsches Prinzip“ – Versionsunterschied

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Das '''d’Alembertsche Prinzip''' (nach [[Jean-Baptiste le Rond d’Alembert]]) der [[Klassische Mechanik|klassischen Mechanik]] erlaubt die Aufstellung der [[Bewegungsgleichung]]en eines mechanischen Systems mit [[Zwangsbedingung]]en. Das Prinzip beruht auf dem Satz, dass die [[Zwangskraft|Zwangskräfte]] bzw. -momente in einem mechanischen System keine [[virtuelle Arbeit]] leisten.<ref name="Dankert" /><ref name="Schnelle" /><ref>{{Webarchiv |url=http://people.physik.hu-berlin.de/~ede/05mechanik/051209.pdf |text=Skript TU Berlin, PDF 120 kB |wayback=20160305030524}}</ref>
Das '''d’Alembertsche Prinzip''' (nach [[Jean-Baptiste le Rond d’Alembert]]) der [[Klassische Mechanik|klassischen Mechanik]] erlaubt die Aufstellung der [[Bewegungsgleichung]]en eines mechanischen Systems mit [[Zwangsbedingung]]en. Das Prinzip beruht auf dem Satz, dass die [[Zwangskraft|Zwangskräfte]] bzw. -momente in einem mechanischen System keine [[virtuelle Arbeit]] leisten.<ref name="Schiehlen" /><ref name="Dankert" /> Es zählt neben dem [[Prinzip der virtuellen Leistung|Jourdainschen Prinzip]] zu den wichtigsten Prinzipien der klassischen Mechanik.


Der Name „d’Alembertsches Prinzip“ wird von manchen Autoren für das [[Dynamisches Gleichgewicht (Technische Mechanik)|Dynamische Gleichgewicht]] zwischen äußerer Kraft und d’Alembertscher Trägheitskraft verwendet,<ref>Hans J. Paus: ''Physik in Experimenten und Beispielen.'' Hanser 2007, S. 34.</ref> während andere Autoren dies mit heftigen Worten als eine unzulässige Verkürzung ablehnen.<ref>Istvan Szabo: ''Geschichte der Mechanischen Prinzipien.'' Springer-Verlag, 1987, S. 40.</ref>
Der Name „d’Alembertsches Prinzip“ wird von manchen Autoren für das [[Dynamisches Gleichgewicht (Technische Mechanik)|Dynamische Gleichgewicht]] zwischen äußerer Kraft und d’Alembertscher Trägheitskraft verwendet,<ref>Hans J. Paus: ''Physik in Experimenten und Beispielen.'' Hanser 2007, S. 34.</ref> während andere Autoren dies mit heftigen Worten als eine unzulässige Verkürzung ablehnen.<ref>Istvan Szabo: ''Geschichte der Mechanischen Prinzipien.'' Springer-Verlag, 1987, S. 40. Die geistige Tat eines bedeutenden Mannes wird zu einer Gleichungsumstellung degradiert. (Fußnote). Mit derselben Berechtigung könnte man sagen: sin(alpha)/sin(beta)=a/b ist in der Form sin(alpha)/sin(beta)-a/b=0 ein neuer geometrischer Satz!
</ref>


== Vorüberlegungen ==
== Vorüberlegungen ==
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: <math>\vec F - m \vec a = \vec 0</math>
: <math>\vec F - m \vec a = \vec 0</math>


gebracht werden. Der Term <math>-m \vec a</math> wird als Kraft aufgefasst und als '''d'Alembertsche Trägheitskraft''' <math>\vec{F}_T</math> bezeichnet.
gebracht werden. Der Term <math>-m \vec a</math> wird formal als Kraft aufgefasst und als '''d'Alembertsche Trägheitskraft''' <math>\vec{F}_T</math> bezeichnet.<ref name="gross" />


: <math>\vec F + \vec{F}_T = \vec 0</math>
: <math>\vec F + \vec{F}_T = \vec 0</math>
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Dabei ist <math>\vec F_i</math> die resultierende äußere Kraft auf den Massenpunkt&nbsp;''i''. Sie ist die Summe aus ''eingeprägter Kraft'' <math>\vec{F_i^e}</math> und Zwangskraft <math>\vec{F_i^z}</math>:
Dabei ist <math>\vec F_i</math> die resultierende äußere Kraft auf den Massenpunkt&nbsp;''i''. Sie ist die Summe aus ''eingeprägter Kraft'' <math>\vec{F_i^e}</math> und Zwangskraft <math>\vec{F_i^z}</math>:


:<math>\vec F_i = \vec{F_i^e} + \vec{F_i^z}\;.</math>
:<math>\vec F_i = \vec F_i^e + \vec F_i^z\;.</math>


Eingesetzt in die Newtonsche Bewegungsgleichung:
Eingesetzt in die Newtonsche Bewegungsgleichung:


:<math>m_i \ddot{\vec r}_i = \vec{F_i^e} + \vec{F_i^z}\;.</math>
:<math>m_i \ddot{\vec r}_i = \vec F_i^e + \vec F_i^z\;.</math>


Die Zwangskraft berechnet sich somit zu
Die Zwangskraft berechnet sich somit zu
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:<math>\sum_{i=1}^N \left(\vec F_i^z \cdot \delta \vec {r}_i \right)=0 \; .</math>
:<math>\sum_{i=1}^N \left(\vec F_i^z \cdot \delta \vec {r}_i \right)=0 \; .</math>


Man erhält das d’Alembertsche Prinzip (in der Formulierung von [[Joseph-Louis Lagrange|Lagrange]]):<ref name="Dankert" /><ref name="Szabo">{{cite book|first=István |last=Szabó|title=Geschichte der mechanischen Prinzipien und ihrer wichtigsten Anwendungen|url=https://books.google.de/books?id=JCxcfdIh3fkC&pg=PA39&hl=de|accessdate=8. Februar 2013|year=1987|publisher=Springer DE|isbn=978-3-7643-1735-5|pages=39–}}</ref><ref name="Magnus" />
Man erhält das d’Alembertsche Prinzip (in der Formulierung von [[Joseph-Louis Lagrange|Lagrange]]):<ref name="Dankert" /><ref name="Schiehlen" />


:<math>{\sum_{i=1}^N \left( m_i \ddot{\vec r}_i - \vec{F}_i^e \right) \cdot \delta \vec {r}_i = 0 }</math>
:<math>{\sum_{i=1}^N \left( m_i \ddot{\vec r}_i - \vec{F}_i^e \right) \cdot \delta \vec {r}_i = 0 }</math>
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Für holonome Zwangsbedingungen und [[Konservative Kraft|konservative Kräfte]] (die sich aus einer [[Potentialfunktion]] ableiten lassen) ist das D’Alembert-Prinzip dann äquivalent zu den [[Lagrangegleichung]]en erster Art.
Für holonome Zwangsbedingungen und [[Konservative Kraft|konservative Kräfte]] (die sich aus einer [[Potentialfunktion]] ableiten lassen) ist das D’Alembert-Prinzip dann äquivalent zu den [[Lagrangegleichung]]en erster Art.


Gelegentlich wird schon die eingangs wiedergegebene einfache Umstellung der newtonschen Bewegungsgleichung als das d’Alembertsche Prinzip bezeichnet. Das übersieht aber wesentliche Folgerungen wie die Elimination von Zwangskräften, die keine virtuelle Arbeit leisten und kommt in den Worten von [[Georg Hamel]] „fast einer Beleidigung von d’Alembert gleich“.<ref name="Hamel" /> Es ist zudem zu beachten, dass das verwendete Prinzip der virtuellen Arbeit nicht aus den [[Newtonsche Axiome|Newtonschen Axiomen]] folgt, sondern ein eigenes Grundpostulat darstellt.
Gelegentlich wird schon die eingangs wiedergegebene einfache Umstellung der newtonschen Bewegungsgleichung als das d’Alembertsche Prinzip bezeichnet. Das übersieht aber wesentliche Folgerungen wie die Elimination von Zwangskräften, die keine virtuelle Arbeit leisten und kommt in den Worten von [[Georg Hamel]] „fast einer Beleidigung von d’Alembert gleich“.<ref name="Hamel" /> Es ist zudem zu beachten, dass das verwendete Prinzip der virtuellen Arbeit nicht aus den [[Newtonsche Axiome|Newtonschen Axiomen]] folgt, sondern ein eigenes Grundpostulat darstellt.<ref name="Wachter" />

Angewandt auf Systeme ohne Zwangsbedingungen verliert das d'Alembertsche Prinzip seine Vorteile gegenüber der Newtonschen Bewegungsgleichung oder dem dynamischen Gleichgewicht. Da die virtuellen Verschiebungen beliebig gewählt werden können, muss in:

:<math>{\sum_{i=1}^N \left( m_i \ddot{\vec r}_i - \vec{F}_i^e \right) = \vec 0 }</math> der Klammerausdruck für jedes <math>i</math> Null sein.<ref name="Magnus" />

Dies ist die umgestellte Newtonsche Bewegungsgleichung für jede Einzelmasse bzw. in der Kontinuumsmechanik das Massenelement <math>d m</math>. Da es keine Zwangskraft gibt, ist hier die eingeprägte Kraft zugleich auch die resultierende äußere Kraft. Das d'Alembertsche Prinzip ist für diesen Spezialfall identisch mit dem zweiten Newtonschen Gesetz. In dieser Form wird diese Beziehung auch als ''dynamisches Gleichgewicht'' bezeichnet. Da sich diese Beziehung direkt aus dem Impulssatz ableitet, stellt sie auch kein neues eigenständiges Axiom dar. Man sollte sich bei Beispielen dieser Art deshalb nicht auf das d'Alembertsche Prinzip berufen, wie dies in älteren Lehrbüchern zur Klassischen und Technischen Mechanik noch zu lesen ist.<ref>Georg Hamel: ''Elementare Mechanik.'' Leipzig, Berlin 1912, Kap. VII, §37, S. 301–302 (Hamel verwendet das dynamische Gleichgewicht. „Diese Gleichung, die eigentlich keine andere als die Newtonsche Grundgleichung ist, heiße in dieser Form der D'Alembertsche Ansatz.“{{archive.org|elementaremecha00hamegoog|Blatt=301}}).</ref>


== Erweiterung auf Mehrkörpersysteme ==
== Erweiterung auf Mehrkörpersysteme ==
Im allgemeinen Fall von [[Mehrkörpersystem]]en wird berücksichtigt, dass auch die virtuelle Arbeit der Zwangsmomente auf den virtuellen Verdrehungen verschwindet. Zur Berechnung der Zwangsmomente wird die [[Eulersche Gleichungen (Kreiseltheorie)|Eulersche Gleichung]] verwendet.
Im allgemeinen Fall von [[Mehrkörpersystem]]en wird berücksichtigt, dass auch die virtuelle Arbeit der Zwangsmomente auf den virtuellen Verdrehungen verschwindet. Zur Berechnung der Zwangsmomente wird die [[Eulersche Gleichungen (Kreiseltheorie)|Eulersche Gleichung]] verwendet.<ref name="Schiehlen" />


:<math> {\sum_{i=1}^N \left( \left [ m_i \ddot{\vec r}_i - \vec{F}_i^e \right] \delta \vec {r}_i^{\,T} + \left[ I_i \, \dot {\vec \omega}_i + \vec {\omega}_i \times I_i \, \vec {\omega}_i - \vec M_i^e \right] \delta \vec {\varphi}_i^{\,T} \right) = 0}. </math>
:<math> {\sum_{i=1}^N \left( \left [ m_i \ddot{\vec r}_i - \vec{F}_i^e \right] \delta \vec {r}_i^{\,T} + \left[ I_i \, \dot {\vec \omega}_i + \vec {\omega}_i \times I_i \, \vec {\omega}_i - \vec M_i^e \right] \delta \vec {\varphi}_i^{\,T} \right) = 0}. </math>
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Bei N&nbsp;Körpern und k&nbsp;Bindungen ergeben sich <math>f = 6 \, N -k</math> Freiheitsgrade.
Bei N&nbsp;Körpern und k&nbsp;Bindungen ergeben sich <math>f = 6 \, N -k</math> Freiheitsgrade.


Die virtuellen Verschiebungen bzw. Verdrehungen erhält man aus den [[Partielle Ableitung|partiellen Ableitungen]] der translatorischen bzw. rotatorischen Lagekoordinaten nach den verallgemeinerten Koordinaten:
Die virtuellen Verschiebungen bzw. Verdrehungen erhält man aus den [[Partielle Ableitung|partiellen Ableitungen]] der translatorischen bzw. rotatorischen Lagekoordinaten nach den verallgemeinerten Koordinaten. Diese partiellen Ableitungen können auch bei komplizierten räumlichen Mechanismen bei der [[Koppelgetriebe#Analyse|kinematischen Analyse]] numerisch bestimmt werden:


:<math>\delta{\vec{r}_i}=\sum_{j=1}^f \frac {\partial \vec{r}_i}{\partial q_j} \, \delta q_j \,</math>
:<math>\delta{\vec{r}_i}=\sum_{j=1}^f \frac {\partial \vec{r}_i}{\partial q_j} \, \delta q_j \,</math>
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Für die Komponenten verallgemeinerten Kräfte bzw. Momente ergibt sich:
Für die Komponenten verallgemeinerten Kräfte bzw. Momente ergibt sich:
:<math>F_m^*=\sum_{i=1}^N \left(\frac {\partial \vec{r}_i^{\,T}}{\partial q_m}\left[\vec{F}_i{^e}-m_i\,\vec{a}_i^{\,*}\right]\right)</math>
:<math>F_m^*=\sum_{i=1}^N \left(\frac {\partial \vec{r}_i^{\,T}}{\partial q_m}\left[\vec{F}_i^e-m_i\,\vec{a}_i^{\,*}\right]\right)</math>


:<math>M_m^*=\sum_{i=1}^N \left(\frac {\partial \vec{\varphi}_i^{\,T}}{\partial q_m}\left[\vec{M}_i{^e}-I_i\,\vec{\alpha}_i^{\,*}-\vec {\omega}_i \times I_i \, \vec {\omega}_i \right]\right)</math>
:<math>M_m^*=\sum_{i=1}^N \left(\frac {\partial \vec{\varphi}_i^{\,T}}{\partial q_m}\left[\vec{M}_i^e-I_i\,\vec{\alpha}_i^{\,*}-\vec {\omega}_i \times I_i \, \vec {\omega}_i \right]\right)</math>


Die Berechnung der Massenmatrix sowie der verallgemeinerten Kräfte und Momente kann [[Numerische Mathematik|numerisch]] im Rechner durchgeführt werden. Das Differentialgleichungssystem kann ebenfalls numerisch mit gängigen Programmen gelöst werden. Die Behandlung großer Mehrkörpersysteme mit kinematischen Bindungen wird so erst möglich.
Die Berechnung der Massenmatrix sowie der verallgemeinerten Kräfte und Momente kann [[Numerische Mathematik|numerisch]] im Rechner durchgeführt werden. Das Differentialgleichungssystem kann ebenfalls numerisch mit gängigen Programmen gelöst werden. Die Behandlung großer Mehrkörpersysteme mit kinematischen Bindungen, wie sie z.&nbsp;B. bei räumlichen Mechanismen von Radaufhängungen auftreten, wird so erst möglich.


== Beispiele ==
== Beispiele ==
=== Aus der Punktmechanik: das Fadenpendel ===
=== Aus der Punktmechanik: das Fadenpendel ===
[[Datei:Pendel.PNG|mini|'''Abb. 1:''' Fadenpendel:<br />''<math>\varphi</math>'' ist die Auslenkung aus der [[Kritischer Punkt (Dynamik)|Gleichgewichtslage]] und generalisierte Koordinate]]
[[Datei:Pendel.PNG|mini|'''Abb. 1:''' Fadenpendel:<br />''<math>\varphi</math>'' ist die Auslenkung aus der [[Kritischer Punkt (Dynamik)|Gleichgewichtslage]] und generalisierte Koordinate]]
Beim ebenen [[Mathematisches Pendel|Fadenpendel]] mit der Masse <math>m</math> wird der Winkel <math>\varphi</math>, mit dem der Faden aus der Ruheposition ausgelenkt ist, als Freiheitsgrad gewählt. Die konstante Fadenlänge <math>l</math> stellt eine holonome Zwangsbedingung dar. Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung der Masse können daher in Abhängigkeit dieses Winkels ausgedrückt werden:
Beim ebenen [[Mathematisches Pendel|Fadenpendel]] mit der Masse <math>m</math> wird der Winkel <math>\varphi</math>, mit dem der Faden aus der Ruheposition ausgelenkt ist, als Freiheitsgrad gewählt. Die konstante Fadenlänge <math>l</math> stellt eine holonome Zwangsbedingung dar, welche die Masse auf eine kreisförmige Bahn zwingt. Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung der Kreisbewegung können in Abhängigkeit des Winkels ausgedrückt werden:
:<math>\vec{r}=
:<math>\vec{r}=
\begin{bmatrix}
\begin{bmatrix}
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l \sin{\varphi}
l \sin{\varphi}
\end{bmatrix} \dot{\varphi}
\end{bmatrix} \dot{\varphi}
= \vec {\tilde v} \dot{\varphi}
</math>
</math>


:<math>\ddot{\vec{r}}=
:<math>\ddot{\vec{r}}=\vec {\tilde v} \ddot{\varphi}-\vec r \dot{\varphi}^2
\begin{bmatrix}
l \cos{\varphi} \\
l \sin{\varphi}
\end{bmatrix} \ddot{\varphi}+
\begin{bmatrix}
-l \sin{\varphi} \\
l \cos{\varphi}
\end{bmatrix} \dot{\varphi}^2
</math>
</math>


Die virtuelle Verschiebung ergibt sich zu:
Die virtuelle Verschiebung ergibt sich zu:
:<math>\delta\vec{r}=\frac {\partial \vec r}{\partial \varphi} \, \delta \varphi=
:<math>\delta\vec{r}=\frac {\partial \vec r}{\partial \varphi} \, \delta \varphi=
\vec {\tilde v} \delta\varphi
\begin{bmatrix}
l \cos{\varphi} \\
l \sin{\varphi}
\end{bmatrix} \delta\varphi
</math>
</math>


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</math>
</math>


Die Bewegungsgleichung ergibt sich aus der Bedingung, dass die virtuelle Arbeit der Zwangskräfte verschwindet.
Die Bewegungsgleichung ergibt sich aus der Bedingung, dass die virtuelle Arbeit der Zwangskraft <math>m \ddot{\vec r} - \vec{G}</math> die in Seilrichtung wirkt, verschwindet.
:<math> \left( m \ddot{\vec r} - \vec{G} \right) \cdot \delta \vec {r} = 0
:<math> \left( m \ddot{\vec r} - \vec{G} \right) \cdot \delta \vec {r} = 0
\Rightarrow \left( m \ddot{\vec r} - \vec{G} \right)\cdot \frac {\partial \vec r}{\partial \varphi}\, \delta\varphi = 0.
\Rightarrow \left( m (\vec {\tilde v} \ddot{\varphi}-\vec r \dot{\varphi}^2) - \vec{G} \right)\cdot \vec {\tilde v} \delta\varphi = 0.
</math>
</math>


Da die virtuelle Verdrehung beliebig ist, gilt:
Durch Auswertung der Skalarprodukte erhält man schließlich:

:<math>\left( m (\vec {\tilde v} \ddot{\varphi}-\vec r \dot{\varphi}^2) - \vec{G} \right)\cdot \vec {\tilde v} = 0.</math>

Durch Auswertung der Skalarprodukte erhält man schließlich (<math> \vec {\tilde v}\cdot \vec {\tilde v}=l^2</math>, <math> \vec r \perp \vec {\tilde v})</math>:

:<math>m \, l^2 \, \ddot \varphi = - m \, g \,l \,\sin \varphi</math>
:<math>m \, l^2 \, \ddot \varphi = - m \, g \,l \,\sin \varphi</math>


Diese Gleichung kann auch als Drallsatz interpretiert werden mit dem Trägheitsmoment <math>\theta=m \, l^2</math> und dem Rückstellmoment <math>M= - m \, g \,l \,\sin \varphi</math>.
Masse und Fadenlänge lassen sich kürzen, so dass man die bekannte Differentialgleichung:
:<math>\ddot \varphi = -\frac{g}{l} \,\sin \varphi</math>
erhält.


Aufgelöst nach der Winkelbeschleunigung erhält man die bekannte Differentialgleichung:
Die Vorgehensweise erscheint bei diesem einfachen Beispiel sehr umständlich. Da aber nur Skalarprodukte ausgewertet werden müssen, kann dies bei großen Systemen automatisiert werden und numerisch im Rechner durchgeführt werden. Dies erleichtert die Aufstellung von Bewegungsgleichungen wesentlich.
:<math>\ddot \varphi = -\frac{g}{l} \,\sin \varphi</math>.


Die Vorgehensweise erscheint bei diesem einfachen Beispiel sehr umständlich, denn durch den Ansatz z.&nbsp;B. über den Drallsatz wäre man zum selben Ergebnis gelangt. Bei großen Mehrkörpersystemen ist dies nicht so leicht möglich. Da aber nur Skalarprodukte ausgewertet werden müssen, kann dies bei solchen Systemen automatisiert werden und numerisch im Rechner durchgeführt werden. Dies erleichtert die Aufstellung von Bewegungsgleichungen wesentlich.
=== Aus der Mechanik starrer Körper: der Drallsatz ===
In älteren Lehrbüchern zur Klassischen und Technischen Mechanik findet man oft eine elegante wie kurze Herleitung des kinetischen Momentensatzes (oder [[Drallsatz#Drallsatz am Starren Körper|Drallsatz für starre Körper]] oder auch ‚Grundgleichung der Drehbewegung‘ genannt) aus dem d'Alembertschen Prinzip.<ref>István Szabó, ''Einführung in die Technische Mechanik.'' 5. Auflage, 1961, Kap. V, §28, S. 397&nbsp;f. (Szabó folgt der Lagrangeschen Fassung.)<br />Georg Hamel: ''Elementare Mechanik.'' Leipzig, Berlin 1912, Kap. VII, §37, S. 302&nbsp;f. (Hamel folgt der d’Alembertschen Fassung. {{archive.org|elementaremecha00hamegoog|Blatt=302}}).<br/>Georg Hamel, Theoretische Mechanik. 2. Auflage. Berlin, Heidelberg, New York 1967. Seite 118 f. und Seite 225.<br /> Arnold Sommerfeld: ''Mechanik.'' Band I der ''Vorlesungen über Theoretische Physik.'' 8. Auflage. Thun, Frankfurt a.&nbsp;M. 1977, Kap. II §11, S. 54.</ref>


=== Aus der Mechanik starrer Körper: der Drallsatz ===
Wenn die Drehachse fest bleibt und somit keine Reaktionen an der Achse auftreten, so wirkt auf einen starren ausgedehnten Körper das ''Drehmoment'' der Größe
Wenn die Drehachse fest bleibt und somit keine Reaktionen an der Achse auftreten, so wirkt auf einen starren ausgedehnten Körper das ''Drehmoment'' der Größe
:<math> \vec M = I \ \dot{\vec \omega}= \int \vec{r}_{\perp}^2 dm \, \cdot \dot{\vec \omega} </math>&nbsp;&nbsp;&nbsp; ([[Rotation (Physik)#Vergleich mit der Translationsbewegung|''Grundgleichung der Drehbewegung'']]).
:<math> \vec M = I \ \dot{\vec \omega}= \int \vec{r}_{\perp}^2 dm \, \cdot \dot{\vec \omega} </math>&nbsp;&nbsp;&nbsp; ([[Rotation (Physik)#Vergleich mit der Translationsbewegung|''Grundgleichung der Drehbewegung'']]).
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'''Herleitung der Grundgleichung aus dem d’Alembertschen Prinzip:'''
'''Herleitung der Grundgleichung aus dem d’Alembertschen Prinzip:'''


Man greife zunächst ein beliebiges Massenelement ''dm'' des Körpers heraus, auf das die externe Kraft <math>d\vec{F}^e </math> einwirke und die Rotation um die Achse verursacht.
Man greife zunächst ein beliebiges Massenelement ''dm'' des Körpers heraus, auf das die eingeprägte Kraft <math>d\vec{F}^e </math> einwirke und die Rotation um die Achse verursacht. Die Zwangskraft <math> d\vec{F}_{r}</math> hält das Massenelement auf der Kreisbahn. Die Newtonsche Bewegungsgleichung lautet:
Bei jeder Kreisbewegung treten nun an diesem Körperelement radiale und tangentiale [[Zentrifugalkraft#Bezugssystemabhängige Scheinkräfte|Massenbeschleunigungen]] auf:
:<math>dm \cdot \ddot{\vec{r}} = dm (\vec{a}_r\, +\, \vec{a}_t) = d\vec{F}_r + d\vec{F}_t </math>.
In der ''Lagrange''schen Fassung betrachtet man nur die Zwangskraft, die den starren Körper auf der Kreisbahn hält und die infolge der Massenreaktion ‚verloren‘ geht. Das ist der in radialer Richtung nach außen reagierende Kraftanteil
:<math> - d\vec{F}_{r} = d\vec{F}_t - dm \cdot \ddot{\vec{r}} </math>.<ref group="Anm."> Das Minuszeichen deutet an, dass diese Massenreaktion gleichbedeutend mit der [[Zentrifugalkraft]] ist. Es ist zugleich der algebraische Ausdruck für den Kraftverlust an der starren Bindung. </ref>
Die Zwangskraft verrichtet keine virtuelle Arbeit: <math> - d\vec{F}_{r}\cdot \delta \vec{r}=0</math>. Sie steht senkrecht zu der mit den Zwangsbedingungen verträglichen virtuellen Verschiebung: <math>d\vec{F}_{r}\perp \delta \vec{r}</math>.


:<math>dm \cdot \ddot{\vec{r}} = d\vec{F}^e + d\vec{F}_{r}</math>.
Äquivalent dazu bildet man also den Ausdruck
:<math> { \left(d \vec{F}_t - dm \cdot \ddot{\vec{r}} \right) \cdot \delta \vec{r}= 0 }</math>.
<math> d \vec{F}_t</math> entspricht hierbei der ''tangential'' einwirkenden und ‚real ersichtlichen‘ [[Zentrifugalkraft#Bezugssystemabhängige Scheinkräfte|Drehbeschleunigung]]: <math> d \vec{F}_t= dm\, r\,\dot{\omega}\cdot \vec{t} </math>. Die dazugehörige d’Alembertsche [[Trägheitskraft]] <math> - d \vec{F}_t </math> wird auch [[Eulerkraft]] genannt. Dabei ist <math>\vec t</math> der Einheitsvektor in tangentialer Richtung. Es ist dieser Kraftanteil der eingeprägten Kraft <math>d\vec{F}^e</math>, der nach dem d’Alembertschen Prinzip gegenüber der Drehbeschleunigung ‚verloren‘ geht und somit keine Arbeit verrichten soll. Als Gleichung folgt daraus, aufintegriert für alle (infinitesimal kleinen) Massenelemente des starren Körpers:
:<math> { \int \left(d \vec{F}_t - dm\, r\,\dot{\omega} \vec{t} \right) \cdot \delta \vec {r}= 0 }</math>.
Wegen der rein geometrischen Beziehungen <math> \delta \vec{r}=r\, \delta \phi \, \vec{t} </math> und <math>\vec{t}^2=1</math> und wegen <math> d\vec{F}_t = dF_t \cdot \vec{t} </math> folgt:
:<math>{\int \left(d F_t\cdot r - \, dm\, r^2\, \dot{\omega} \right) \cdot \delta \phi= 0 }</math>.
Hier erkennt man nun die ''d‘Alembert''sche Fassung des Prinzips, wie es auch ursprünglich von seinen geistigen Urhebern Jakob Bernoulli, Jean d’Alembert und Leonhard Euler verstanden wurde: Sämtliche inneren ''Drehmomente'' <math> dM = d F^e\cdot r </math> sollen sich bei der Drehung des starren Körpers im Gleichgewicht halten.
Es folgt
:<math>{ \left(M - \dot{\omega} \int \, r^2 \,dm \right) \cdot \delta \phi= \left(M - I \, \dot{\omega} \right) \cdot \delta \phi = 0 }</math>.
Und da <math>\delta \phi </math> beliebig ist, folgt die Grundgleichung der Drehbewegung
<math> M = I \cdot \dot{\omega} </math>.


Umgestellt nach der Zwangskraft:
=== Zweikörpersysteme: Wellrad und Trommelwinde ===
[[Ernst Mach]] verwendet in seinem vielbeachteten Mechanikbuch das Beispiel eines [[Wellrad]]es, um das d’Alembertsche Prinzip zu veranschaulichen.<ref name="EM">[[Ernst Mach]], ''Die Mechanik in ihrer Entwicklung, historisch – kritisch dargestellt''. 3. Auflage. (Brockhaus) Leipzig 1897. Kap. 3, §5 (''Der D’Alembertsche Satz''), Seite 331 f. {{archive.org |bub_gb_tYumOJPD7n8C |Blatt=331}} (Zugriff: 22. November 2022).</ref> Diesem Beispiel folgend, können gleich mehrere Varianten von [[Einfache Maschine|einfachen Maschinen]] dynamisch beschrieben werden.
[[File:Aufzug (Masse an Trommel).png|mini|300px|'''Abb. 3:''' Veranschaulichung eines Zweikörpersystems. Das Wellrad (links) und eine Masse an einer Trommelwinde (rechts)]]
'''Das Wellrad'''


:<math> d\vec{F}_{r} = dm \cdot \ddot{\vec{r}}- d\vec{F}^e </math>.
In vereinfachter Darstellung handelt es sich bei einem [[Wellrad]] um ein System aus zwei Schwerpunktmassen <math> m_1 </math> und <math> m_2 </math>, die über zwei befestigte Rollen von unterschiedlichen Radien <math> r_1 </math> und <math> r_2 </math> miteinander verbunden sind. (Siehe ''Abb. 3'' links: Zur Vereinfachung der Vorzeichen wähle man die positive y-Richtung nach unten.)
Die Zwangskraft verrichtet keine virtuelle Arbeit: <math> d\vec{F}_{r}\cdot \delta \vec{r}=0</math>. Sie steht senkrecht zu der mit den Zwangsbedingungen verträglichen virtuellen Verschiebung: <math>d\vec{F}_{r}\perp \delta \vec{r}</math>.
Nach Voraussetzung bestehe kein Gleichgewicht, und die Gewichtskraft <math> m_2\cdot \vec{g} </math> zieht die Last <math> m_1 </math> hinauf. Auch ohne Reibung erzeugt die Seilverbindung eine innere Verlustwirkung, hervorgerufen durch ''Zwangskräfte'' des Systems <math> \vec F_1^z, \vec F_2^z</math>. Der jeweilige Kraftverlust an den zwei Körpern lässt sich dynamisch auf die Trägheitswirkung durch die Richtungsänderung an den Rollen zurückführen.


Äquivalent dazu bildet man also den Ausdruck
Die Verbindung und Dynamik der zwei Körper ist durch folgende Annahmen vollständig bestimmt:
:<math> { \left( dm \cdot \ddot{\vec{r}}-d \vec{F}^e \right) \cdot \delta \vec{r}= 0 }</math>,
:1.) ''Prinzip von d’Alembert'': Es verrichten die Zwangskräfte <math> \vec F_1^z, \vec F_2^z</math> keine virtuelle Arbeit.
mit <math> \ddot{\vec{r}} = r\,\dot{\omega}\cdot \vec{t} -\omega^2 \cdot \vec r</math>. Dabei ist <math>\vec t</math> der Einheitsvektor in tangentialer Richtung. Der Term <math>-\omega^2\cdot \vec r</math> steht senkrecht zu den virtuellen Verschiebungen. Als Gleichung folgt daraus, aufintegriert für alle (infinitesimal kleinen) Massenelemente des starren Körpers:
:2.) Durch die Richtungsumkehr am Wellrad sind sowohl die virtuellen Verschiebungen als auch alle Trägheitskräfte an <math> m_1 </math> und <math> m_2 </math> gegenläufig zueinander. Ihre Vorzeichen ändern sich jeweils, wobei <math> ~ \delta \vec y := \delta \vec y_2 = -\delta \vec y_1 </math> vereinbart wird.
:<math> { \int \left(dm\, (r\,\dot{\omega} \vec{t} -\omega^2\cdot \vec r) - d \vec{F}^e \right) \cdot \delta \vec {r}= 0 }</math>.
:3.) Im ''gebundenen'' System kann nur die Trägheitswirkung der ''eingeprägten'' Kräfte <math> \vec F_1^e, \vec F_2^e</math> festgestellt werden. Gegenüber den als ‚befreit‘ angenommenen Körpern gehen sie als Kraftkomponente ein:
::<math>\vec F_1^z = m_1\cdot \vec{g} + \vec F_1^e </math> und <math>\vec F_2^z = m_2\cdot \vec{g} - \vec F_2^e </math>.
Wegen der rein geometrischen Beziehungen <math> \delta \vec{r}=r\, \delta \phi \, \vec{t} </math> folgt:
:<math>{\int \left( dm\, r^2\, \dot{\omega} - d \vec{F}^e \cdot \vec t r \, \right) \cdot \delta \phi= 0 }</math>.
1.) und 2.) ergeben zusammengefasst die Ausgangsgleichung:
::<math>\vec F_1^z \cdot (-\delta \vec y) - \vec F_2^z \cdot \delta \vec y = 0 ~~\Rightarrow ~~\vec F_1^z \cdot \delta \vec y + \vec F_2^z \cdot \delta \vec y = 0 </math>.
Mit <math> dM = d \vec{F}^e \cdot \vec t \cdot r </math> folgt
:<math>{ \left(\dot{\omega} \int \, r^2 \,dm - M \right) \cdot \delta \phi= \left( I \, \dot{\omega} - M \right) \cdot \delta \phi = 0 }</math>.
Mit Einsetzung von 3.) nimmt das d’Alembertsche Prinzip hier die folgende Form an:
Und da <math>\delta \phi </math> beliebig ist, folgt die Grundgleichung der Drehbewegung
::<math>\left( m_1\cdot \vec{g} + \vec F_1^e \right)\cdot \delta \vec y + \left( m_2\cdot \vec{g} - \vec F_2^e \right) \cdot \delta \vec y = 0 </math>.
<math> I \cdot \dot{\omega} = M </math>.

Alles Weitere sind analytische Umformungen, um den Drehwinkel <math>\vec{\varphi}</math> als generalisierte Koordinate zu verwenden. Dafür werden weitere Bewegungsgesetze benötigt:
:4.) Die tangential gerichteten, eingeprägten Systemreaktionen <math>\vec F_i^e, ~ i \in \{1,2\}</math> folgen der [[Newtonsche_Gesetze#Zweites_Newtonsches_Gesetz|Grundgleichung der Mechanik]]
::<math> \vec F_i^e = m_i \cdot \vec{\ddot{y}}_{i}</math>.
:5.) Die gesamte Dynamik der Kräfte und Verschiebungen findet (anti-)parallel zur y-Achse statt. Damit kann in allen Produkten direkt zu den ''Beträgen'' übergegangen werden.
:6.) Für die Beträge der [[Tangentialbeschleunigung]] an den beiden Rollen <math>r_i,\, i=\{1,2\} </math> gilt
::(i)<math> ~~\ddot{y}_i = r_i \cdot \ddot{\varphi}, </math>
::(ii)<math> ~~\delta y_i = r_i \cdot \delta\varphi.</math>
Das eingesetzt lautet die Gleichung:
::<math>\left(m_1 g + m_1 \cdot (r_1\ddot{\varphi})\right)\cdot r_1\, \delta \varphi + \left(m_2 g - m_2 \cdot (r_2\ddot{\varphi})\right)\cdot r_2\, \delta \varphi =0,</math>
und umgestellt:
::<math>\left(m_1 g\cdot r_1 - m_2 g \cdot r_2 + m_1 r_1^2 \ddot{\varphi} + m_2 r_2^2 \ddot{\varphi}\right) \cdot\, \delta \ddot{\varphi} =0</math>.<ref group="Anm.">Man beachte, dass hier das ‚dynamische Gleichgewicht‘ steht, das d’Alembert und Lagrange ursprünglich mit ihrem Formalismus beabsichtigt haben. Der Anteil <math>\delta W = \left(m_1 g\cdot r_1 - m_2 g \cdot r_2 \right) \cdot\, \delta \ddot{\varphi} =0\,</math> entspricht der ''statischen'' Gleichgewichtsbedingung nach dem [[Virtuelle_Arbeit#Prinzip_der_virtuellen_Arbeit|Prinzip der virtuellen Arbeit]]. Man erhält daraus die bekannte statische Gleichung
: <math>\frac{ m_1}{m_2}=\frac{r_2}{r_1}~</math> (siehe dazu auch die Beschreibung im Eintrag [[Wellrad#Mechanische_Beschreibung|Wellrad]]).
Der Zusatzterm <math> \delta M := \left(m_1 r_1^2 \cdot \ddot{\varphi} + m_2 r_2^2 \cdot \ddot{\varphi}\right) \cdot\, \delta \ddot{\varphi} </math> hingegen bringt die ‚dynamische‘ Erweiterung zum Ausdruck. Mechanisch handelt es sich um das [[Trägheitsmoment]] der Massen <math>m_1, m_2</math> beim Umlenken um die jeweiligen Rollen.</ref>
Da nun die Richtung der Variation <math>\delta \vec \varphi </math> beliebig ist, wird die Gleichung erfüllt, wenn der Klammerterm verschwindet. Dieser ergibt schließlich das Beschleunigungsgesetz des Wellrades:
::<math>\ddot \varphi=\frac{m_2 \cdot r_2 - m_1 \cdot r_1}{ m_1 \cdot r^2_1 + m_2 \cdot r^2_2}\cdot g\,</math>.
'''Die Trommelwinde''':

Eine direkte Folgerung aus der dynamischen Beschreibung des Wellrades ist die Gleichung zur ''Masse an einer Trommel'' (Aufzug), wie sie bereits aus dem Lagrange-Formalismus hergeleitet wurde:
{{Hauptartikel|Lagrange-Formalismus}}
Hierbei wird die Schwerpunktmasse <math> m_2 </math> ersetzt durch die Rolle <math> I </math> mit Radius <math> r </math>. Diese prägt der Last <math> m </math> das Drehmoment <math>\vec M = F_2^e\times \vec{r}</math> ein (siehe ''Abb. 3'' rechts).
Aus der Mechanik starrer Körper ist dann folgende Annahme zu ergänzen:
:7.) Die Drehung der Rolle an den jeweiligen Rollen folgt betragsmäßig der [[Rotation (Physik)#Vergleich mit der Translationsbewegung|Grundgleichung der Drehbewegung]]
::<math> M = I \cdot \ddot{\varphi}~ </math> (siehe auch das zweite Beispiel oben).
Hieraus ergibt sich direkt die d’Alembertsche Gleichung in der Form
::<math>\left(m g + m \ddot{y}\right)\delta y + \left(I \cdot \ddot{\varphi} - M \right) \delta \varphi =0\,</math>.<ref group="Anm.">Man beachte, dass hier die Differentialgleichung der ''Kompaktformel'' aus obigem Abschnitt für Mehrkörpersysteme steht: <math>i=\{1,2\} </math> und <math> m_1 =m , I_1=0;\, m_2=0, I_2 = I </math>. Das heißt die erste Masse ist eine reine Punktmasse ohne Drehung, und die Trommel ist ein drehbarer starrer Körper ohne Unwucht, deren Schwerpunkt keine Beschleunigungen erfährt.</ref>
::<math>\Rightarrow~\left(m g \, r+ m \cdot r^2\, \ddot{\varphi} + I \cdot \ddot{\varphi} - M \right) \cdot \delta \varphi =0~ </math>
::<math>\Rightarrow~\ddot {\varphi}=\frac{ M -mgr }{ m r^2 + I }.</math>


== Literatur ==
== Literatur ==
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* Werner Schiehlen: ''Technische Dynamik.'' Teubner Studienbücher, Stuttgart, 1986.
* Werner Schiehlen: ''Technische Dynamik.'' Teubner Studienbücher, Stuttgart, 1986.
* [[Craig Fraser]]: ''D’Alembert’s Principle: The Original Formulation and Application in Jean D'Alembert's Traité de Dynamique (1743).'' Teil 1,2, Centaurus, Band 28, 1985, S. 31–61, 145–159.
* [[Craig Fraser]]: ''D’Alembert’s Principle: The Original Formulation and Application in Jean D'Alembert's Traité de Dynamique (1743).'' Teil 1,2, Centaurus, Band 28, 1985, S. 31–61, 145–159.
* [[István_Szabó_(Ingenieur)|István Szabó]]: ''Einführung in die Technische Mechanik.'' 5. Auflage. Berlin, Göttingen, Heidelberg 1961.
* [[István Szabó (Ingenieur)|István Szabó]]: ''Einführung in die Technische Mechanik.'' 5. Auflage. Berlin, Göttingen, Heidelberg 1961.


== Anmerkungen ==
== Anmerkungen ==
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== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references>
<references>
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{{Literatur| Autor = Werner Schiehlen| Titel = Technische Dynamik: Eine Einführung in die analytische Mechanik und ihre technischen Anwendungen| Verlag = Teubner| Jahr = 1986| Seiten = 87-88| Online =
Klaus-Peter Schnelle: ''Simulationsmodelle für die Fahrdynamik von Personenkraftwagen unter Berücksichtigung der nichtlinearen Fahrwerkskinematik.'' VDI-Verlag, Düsseldorf 1990, ISBN 3-18-144612-2. (Fortschrittsberichte VDI Nr. 146), S. 73.
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Bewegungsgleichungen ohne direkte Berücksichtigung der Reaktionskräfte.
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|Zitat=Im Allgemeinen folgt das d'Alembertsche Prinzip nicht aus den Newtonschen Gesetzen, sondern kann als weiteres Axiom der klassischen Mechanik angesehen werden. Auf ihm baut der Lagrangesche Formalismus auf.}}
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</references>

Version vom 15. August 2023, 18:25 Uhr

Das d’Alembertsche Prinzip (nach Jean-Baptiste le Rond d’Alembert) der klassischen Mechanik erlaubt die Aufstellung der Bewegungsgleichungen eines mechanischen Systems mit Zwangsbedingungen. Das Prinzip beruht auf dem Satz, dass die Zwangskräfte bzw. -momente in einem mechanischen System keine virtuelle Arbeit leisten.[1][2] Es zählt neben dem Jourdainschen Prinzip zu den wichtigsten Prinzipien der klassischen Mechanik.

Der Name „d’Alembertsches Prinzip“ wird von manchen Autoren für das Dynamische Gleichgewicht zwischen äußerer Kraft und d’Alembertscher Trägheitskraft verwendet,[3] während andere Autoren dies mit heftigen Worten als eine unzulässige Verkürzung ablehnen.[4]

Vorüberlegungen

Die Bewegungsgleichung für einen Massenpunkt wird in einem Inertialsystem formuliert. Sie lautet nach dem zweiten newtonschen Gesetz:

Darin sind die Masse, die Absolutbeschleunigung und die äußere Kraft. Diese Grundgleichung der Mechanik kann auf die Form:

gebracht werden. Der Term wird formal als Kraft aufgefasst und als d'Alembertsche Trägheitskraft bezeichnet.[5]

Das dynamische Problem ist auf ein Gleichgewichtsproblem der Statik zurückgeführt. Man bezeichnet die Beziehung deshalb auch als dynamisches Gleichgewicht. Ein Problem der Dynamik kann somit auch mit Methoden der Statik behandelt werden, wenn Trägheitskräfte berücksichtigt werden.[6] Beim d'Alembertschen Prinzip wird im Folgenden das Prinzip der virtuellen Arbeit ausgenutzt, das in der Statik zur Berechnung unbekannter Lagerkräfte eingesetzt werden kann.

Einführung

Bei einem System von N Massenpunkten, welches Zwangsbedingungen unterliegt, lautet die Bewegungsgleichung für die Masse i:

.

Dabei ist die resultierende äußere Kraft auf den Massenpunkt i. Sie ist die Summe aus eingeprägter Kraft und Zwangskraft :

Eingesetzt in die Newtonsche Bewegungsgleichung:

Die Zwangskraft berechnet sich somit zu

Man bildet das Skalarprodukt der Zwangskräfte mit den virtuellen Verschiebungen[Anm. 1] . Wenn nach dem Prinzip der virtuellen Arbeit die Zwangskräfte insgesamt keine virtuelle Arbeit verrichten, verschwindet die Summe der Skalarprodukte von Zwangskräften und virtuellen Verschiebungen:

Man erhält das d’Alembertsche Prinzip (in der Formulierung von Lagrange):[2][1]

In der Gleichung treten die Zwangskräfte nicht mehr auf – nur die eingeprägten Kräfte. Die Zwangsbedingungen verstecken sich noch in den virtuellen Verschiebungen, denn es sind nur solche erlaubt, die mit den Zwangsbedingungen vereinbar sind.

Um daraus Bewegungsgleichungen zu gewinnen, geht man bei (holonomen) Zwangsbedingungen zu unabhängigen Koordinaten (Freiheitsgraden) über und drückt Lage, Geschwindigkeit, Beschleunigung und virtuelle Verschiebungen der N Massen durch diese neuen Lagekoordinaten („generalisierte Koordinaten“) aus:

Da sich die neuen Koordinaten unabhängig variieren lassen, ergeben sich Differentialgleichungen zweiter Ordnung, die sich nach auflösen lassen. Die konkrete Vorgehensweise zur Aufstellung der Bewegungsgleichungen ist dem nächsten Abschnitt zu entnehmen.

Für holonome Zwangsbedingungen und konservative Kräfte (die sich aus einer Potentialfunktion ableiten lassen) ist das D’Alembert-Prinzip dann äquivalent zu den Lagrangegleichungen erster Art.

Gelegentlich wird schon die eingangs wiedergegebene einfache Umstellung der newtonschen Bewegungsgleichung als das d’Alembertsche Prinzip bezeichnet. Das übersieht aber wesentliche Folgerungen wie die Elimination von Zwangskräften, die keine virtuelle Arbeit leisten und kommt in den Worten von Georg Hamel „fast einer Beleidigung von d’Alembert gleich“.[7] Es ist zudem zu beachten, dass das verwendete Prinzip der virtuellen Arbeit nicht aus den Newtonschen Axiomen folgt, sondern ein eigenes Grundpostulat darstellt.[8]

Angewandt auf Systeme ohne Zwangsbedingungen verliert das d'Alembertsche Prinzip seine Vorteile gegenüber der Newtonschen Bewegungsgleichung oder dem dynamischen Gleichgewicht. Da die virtuellen Verschiebungen beliebig gewählt werden können, muss in:

der Klammerausdruck für jedes Null sein.[9]

Dies ist die umgestellte Newtonsche Bewegungsgleichung für jede Einzelmasse bzw. in der Kontinuumsmechanik das Massenelement . Da es keine Zwangskraft gibt, ist hier die eingeprägte Kraft zugleich auch die resultierende äußere Kraft. Das d'Alembertsche Prinzip ist für diesen Spezialfall identisch mit dem zweiten Newtonschen Gesetz. In dieser Form wird diese Beziehung auch als dynamisches Gleichgewicht bezeichnet. Da sich diese Beziehung direkt aus dem Impulssatz ableitet, stellt sie auch kein neues eigenständiges Axiom dar. Man sollte sich bei Beispielen dieser Art deshalb nicht auf das d'Alembertsche Prinzip berufen, wie dies in älteren Lehrbüchern zur Klassischen und Technischen Mechanik noch zu lesen ist.[10]

Erweiterung auf Mehrkörpersysteme

Im allgemeinen Fall von Mehrkörpersystemen wird berücksichtigt, dass auch die virtuelle Arbeit der Zwangsmomente auf den virtuellen Verdrehungen verschwindet. Zur Berechnung der Zwangsmomente wird die Eulersche Gleichung verwendet.[1]

mit
Trägheitstensor des Körpers i
Winkelbeschleunigung des Körpers i
Winkelgeschwindigkeit des Körpers i
eingeprägtes Moment auf den Körper i
virtuelle Verdrehung des Körpers i.

Bei N Körpern und k Bindungen ergeben sich Freiheitsgrade.

Die virtuellen Verschiebungen bzw. Verdrehungen erhält man aus den partiellen Ableitungen der translatorischen bzw. rotatorischen Lagekoordinaten nach den verallgemeinerten Koordinaten. Diese partiellen Ableitungen können auch bei komplizierten räumlichen Mechanismen bei der kinematischen Analyse numerisch bestimmt werden:

Die Beschleunigungen lassen sich in einen Teil, der nur von den zweiten Ableitungen der verallgemeinerten Koordinaten abhängt, und einen Restterm zerlegen:

und
.

Damit lässt sich das Differentialgleichungssystem zweiter Ordnung in Matrixform darstellen.

Dabei sind:

die f × f Massenmatrix
der Vektor der verallgemeinerten Kräfte
der Vektor der verallgemeinerten Momente

Die Elemente der Massenmatrix berechnen sich zu:

Für die Komponenten verallgemeinerten Kräfte bzw. Momente ergibt sich:

Die Berechnung der Massenmatrix sowie der verallgemeinerten Kräfte und Momente kann numerisch im Rechner durchgeführt werden. Das Differentialgleichungssystem kann ebenfalls numerisch mit gängigen Programmen gelöst werden. Die Behandlung großer Mehrkörpersysteme mit kinematischen Bindungen, wie sie z. B. bei räumlichen Mechanismen von Radaufhängungen auftreten, wird so erst möglich.

Beispiele

Aus der Punktmechanik: das Fadenpendel

Abb. 1: Fadenpendel:
ist die Auslenkung aus der Gleichgewichtslage und generalisierte Koordinate

Beim ebenen Fadenpendel mit der Masse wird der Winkel , mit dem der Faden aus der Ruheposition ausgelenkt ist, als Freiheitsgrad gewählt. Die konstante Fadenlänge stellt eine holonome Zwangsbedingung dar, welche die Masse auf eine kreisförmige Bahn zwingt. Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung der Kreisbewegung können in Abhängigkeit des Winkels ausgedrückt werden:

Die virtuelle Verschiebung ergibt sich zu:

Als eingeprägte Kraft wirkt die Gewichtskraft:

Die Bewegungsgleichung ergibt sich aus der Bedingung, dass die virtuelle Arbeit der Zwangskraft die in Seilrichtung wirkt, verschwindet.

Da die virtuelle Verdrehung beliebig ist, gilt:

Durch Auswertung der Skalarprodukte erhält man schließlich (, :

Diese Gleichung kann auch als Drallsatz interpretiert werden mit dem Trägheitsmoment und dem Rückstellmoment .

Aufgelöst nach der Winkelbeschleunigung erhält man die bekannte Differentialgleichung:

.

Die Vorgehensweise erscheint bei diesem einfachen Beispiel sehr umständlich, denn durch den Ansatz z. B. über den Drallsatz wäre man zum selben Ergebnis gelangt. Bei großen Mehrkörpersystemen ist dies nicht so leicht möglich. Da aber nur Skalarprodukte ausgewertet werden müssen, kann dies bei solchen Systemen automatisiert werden und numerisch im Rechner durchgeführt werden. Dies erleichtert die Aufstellung von Bewegungsgleichungen wesentlich.

Aus der Mechanik starrer Körper: der Drallsatz

Wenn die Drehachse fest bleibt und somit keine Reaktionen an der Achse auftreten, so wirkt auf einen starren ausgedehnten Körper das Drehmoment der Größe

    (Grundgleichung der Drehbewegung).

Hierbei ist die Winkelbeschleunigung des starren Körpers durch die Kraftwirkung und das Massenträgheitsmoment des Körpers und der zur Rotationsachse (Winkelgeschwindigkeit) senkrechte Anteil von (siehe auch nebenstehende Abbildung). Da wir zur weiteren Vereinfachung nur die x-y-Ebene des Körpers betrachten und den Ursprung O in die Drehachse legen, fällt hierbei mit zusammen (d. h. ).

Abb. 2: Zweidimensionaler Ausschnitt eines starren Körpers, der um eine feste Achse rotiert

Herleitung der Grundgleichung aus dem d’Alembertschen Prinzip:

Man greife zunächst ein beliebiges Massenelement dm des Körpers heraus, auf das die eingeprägte Kraft einwirke und die Rotation um die Achse verursacht. Die Zwangskraft hält das Massenelement auf der Kreisbahn. Die Newtonsche Bewegungsgleichung lautet:

.

Umgestellt nach der Zwangskraft:

.

Die Zwangskraft verrichtet keine virtuelle Arbeit: . Sie steht senkrecht zu der mit den Zwangsbedingungen verträglichen virtuellen Verschiebung: .

Äquivalent dazu bildet man also den Ausdruck

,

mit . Dabei ist der Einheitsvektor in tangentialer Richtung. Der Term steht senkrecht zu den virtuellen Verschiebungen. Als Gleichung folgt daraus, aufintegriert für alle (infinitesimal kleinen) Massenelemente des starren Körpers:

.

Wegen der rein geometrischen Beziehungen folgt:

.

Mit folgt

.

Und da beliebig ist, folgt die Grundgleichung der Drehbewegung .

Literatur

  • Herbert Goldstein, Charles P. Poole, John L. Safko: Klassische Mechanik. VCH. 3. Auflage, Weinheim 2006.
  • Friedhelm Kuypers: Klassische Mechanik. VCH, 5. Auflage 1997, ISBN 3-527-29269-1.
  • Georg Hamel: Theoretische Mechanik. 2. Auflage. Springer, Heidelberg, Berlin, New York 1967.
  • Werner Schiehlen: Technische Dynamik. Teubner Studienbücher, Stuttgart, 1986.
  • Craig Fraser: D’Alembert’s Principle: The Original Formulation and Application in Jean D'Alembert's Traité de Dynamique (1743). Teil 1,2, Centaurus, Band 28, 1985, S. 31–61, 145–159.
  • István Szabó: Einführung in die Technische Mechanik. 5. Auflage. Berlin, Göttingen, Heidelberg 1961.

Anmerkungen

  1. Infinitesimale Verschiebungen heißen virtuell, wenn sie mit den Zwangsbedingungen verträglich sind. Außerdem sollen sie unmittelbar (oder instantan, zu einer festen Zeit) erfolgen.

Einzelnachweise

  1. a b c Werner Schiehlen: Technische Dynamik: Eine Einführung in die analytische Mechanik und ihre technischen Anwendungen. Teubner, 1986, S. 87–88 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche): „Bemerkenswert, aber häufig übersehen, ist die Tatsache, dass im D'Alembertschen Prinzip die eingeprägten und nicht die äußeren Kräfte erscheinen. Das D'Alembertsche Prinzip erlaubt deshalb - entsprechend dem Prinzip der virtuellen Arbeit - die Aufstellung von Bewegungsgleichungen ohne direkte Berücksichtigung der Reaktionskräfte.“
  2. a b Jürgen Dankert, Helga Dankert: Technische Mechanik: Statik, Festigkeitslehre, Kinematik/Kinetik. 7. Auflage. Springer Vieweg, 2013, ISBN 978-3-8348-2235-2 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. Hans J. Paus: Physik in Experimenten und Beispielen. Hanser 2007, S. 34.
  4. Istvan Szabo: Geschichte der Mechanischen Prinzipien. Springer-Verlag, 1987, S. 40. Die geistige Tat eines bedeutenden Mannes wird zu einer Gleichungsumstellung degradiert. (Fußnote). Mit derselben Berechtigung könnte man sagen: sin(alpha)/sin(beta)=a/b ist in der Form sin(alpha)/sin(beta)-a/b=0 ein neuer geometrischer Satz!
  5. Dietmar Gross, Werner Hauger, Jarg Schrader, Wolfgang A. Wall: Technische Mechanik. 10. Auflage. Band 3 Kinetik. Gabler Wissenschaftsverlage, 2008, S. 191 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche): „Wir schreiben nun und fassen das negative Produkt aus der Masse und der Beschleunigung formal als eine Kraft auf, die wir […] D'Alembertsche Trägheitskraft nennen: . Diese Kraft ist keine Kraft im Newtonschen Sinne, da zu ihr keine Gegenkraft existiert (sie verletzt das Axiom actio=reactio!); wir bezeichnen sie daher als Scheinkraft.“
  6. Cornelius Lanczos: The Variational Principles of Mechanics. Courier Dover Publications, New York 1986, ISBN 0-486-65067-7, S. 88–110 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche): „The addition of the force of inertia I to the acting force F changes the problem of motion to problem of equilibrium.“
  7. Hamel Theoretische Mechanik, Springer 1967, S. 220.
  8. Armin Wachter, Henning Hoeber: Repetitorium Theoretische Physik. Springer, 2013, ISBN 978-3-540-62989-4, S. 31 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche): „Im Allgemeinen folgt das d'Alembertsche Prinzip nicht aus den Newtonschen Gesetzen, sondern kann als weiteres Axiom der klassischen Mechanik angesehen werden. Auf ihm baut der Lagrangesche Formalismus auf.“
  9. Kurt Magnus, H. H. Müller-Slany: Grundlagen der Technischen Mechanik. 7. Auflage. Vieweg+Teubner, 2005, ISBN 3-8351-0007-6, S. 258 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  10. Georg Hamel: Elementare Mechanik. Leipzig, Berlin 1912, Kap. VII, §37, S. 301–302 (Hamel verwendet das dynamische Gleichgewicht. „Diese Gleichung, die eigentlich keine andere als die Newtonsche Grundgleichung ist, heiße in dieser Form der D'Alembertsche Ansatz.“Textarchiv – Internet Archive).