„Mathematische Modellierung der Epidemiologie“ – Versionsunterschied

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Gleichungen umgestellt, so dass jeweils die neu eingeführte Grösse definiert ist. Die Zahl s muss nicht notwendigerweise als Dezimalbruch geschrieben werden. Interpunktion. Überflüssiges (und im Grunde unverständliches) Adverb "schlicht" entfernt.
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Die [[Basisreproduktionszahl]] <math>R_0</math> ist die Anzahl der Sekundärfälle, die ein Infizierter während der [[Generationszeit]] in einer homogen durchmischten Population durchschnittlich ansteckt. Hierbei wird davon ausgegangen, dass in der Population noch keine [[Immunität (Medizin)|Immunität]] existiert. Sobald ein Teil der Bevölkerung entweder durch überstandener Krankheit oder durch Impfung immun ist, gilt die effektive Reproduktionszahl ''R''.
Die [[Basisreproduktionszahl]] <math>R_0</math> ist die Anzahl der Sekundärfälle, die ein Infizierter während der [[Generationszeit]] in einer homogen durchmischten Population durchschnittlich ansteckt. Hierbei wird davon ausgegangen, dass in der Population noch keine [[Immunität (Medizin)|Immunität]] existiert. Sobald ein Teil der Bevölkerung entweder durch überstandener Krankheit oder durch Impfung immun ist, gilt die effektive Reproduktionszahl ''R''.


Der Umfang der Bevölkerung wird durch das Symbol <math>N</math> erfasst. Die Zahl <math>S</math>, von {{enS|Susceptibles}}, beziffert die Anzahl der Anfälligen, womit die nicht-immune Bevölkerung gemeint ist. Entsprechend ist <math>s</math> der Anteil relativ zur Gesamtbevölkerung, so dass <math>S = N\cdot s</math>. Dies ist eine [[Dezimalzahl]] zwischen 0 und 1. Vom Robert-Koch-Institut wird während der Corona-Pandemie täglich die Zahl der neu und der insgesamt Infizierten berichtet. Dabei handelt es sich genauer gesagt um die positiv Getesteten. Davon ist die Zahl der Infektiösen, auch als aktive Infizierte bezeichnet, zu unterscheiden, die in den mathematischen Modellen beispielsweise durch das Symbol <math>I</math> dargestellt wird. Das ist der Teil der Infizierten, die ansteckend sind {{enS|infectious hosts; Invectives}}. Teil man diese Zahl durch <math>N</math>, so erhält man den Anteil der Infektiösen an der Gesamtbevölkerung <math>i</math>, so dass gilt:<math>I = N\cdot i</math>.
Der Umfang der Bevölkerung wird durch das Symbol <math>N</math> erfasst. Die Zahl <math>S</math>, von {{enS|susceptibles}}, beziffert die Anzahl der Anfälligen, womit die nicht-immune Bevölkerung gemeint ist. Entsprechend ist <math>s</math> der Anteil relativ zur Gesamtbevölkerung, so dass <math>s = S/N</math> ist. Dies ist eine Zahl zwischen 0 und&nbsp;1. Vom [[Robert Koch-Institut]] wird während der Corona-Pandemie täglich die Zahl der neu und der insgesamt Infizierten in Deutschland mitgeteilt. Dabei handelt es sich, genauer gesagt, um die positiv Getesteten. Davon ist die Zahl der Infektiösen, auch als aktive Infizierte bezeichnet, zu unterscheiden, die in den mathematischen Modellen beispielsweise durch das Symbol <math>I</math> dargestellt wird. Das ist der Teil der Infizierten, die ansteckend sind {{enS|(infectious hosts, invectives)}}. Teil man diese Zahl durch <math>N</math>, so erhält man den Anteil der Infektiösen an der Gesamtbevölkerung: <math>i = I/N</math>.


Da der [[Herdenimmunität#Effizienzfaktor E|Effizienz-Faktor E]] von Impfungen nie 1 ist, Impfungen also nicht in jedem Fall zu Immunität führen und/oder die Immunisierung mit der Zeit abnehmen kann, ist in einer Population die Quote der nicht Immunisierten stets höher als die Quote der nicht Geimpften.
Da der [[Herdenimmunität#Effizienzfaktor E|Effizienz-Faktor ''E'']] von Impfungen nie 1 ist, Impfungen also nicht in jedem Fall zu Immunität führen und/oder die Immunisierung mit der Zeit abnehmen kann, ist in einer Population die Quote der nicht Immunisierten stets höher als die Quote der nicht Geimpften.


<math>A</math> kennzeichnet das durchschnittliche Alter, in dem eine Population von der Krankheit betroffen wird.
<math>A</math> kennzeichnet das durchschnittliche Alter, in dem eine Population von der Krankheit betroffen wird.
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:<math>R_0 \cdot (1 - q) = 1 \;\iff\; 1 - q = \frac{1}{R_0} \;\iff\; q = 1 - \frac{1}{R_0}</math>
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Dies ist der Schwellenwert der Kollektivimmunität, dieser muss ''übertroffen'' werden, damit die Krankheit ausstirbt. Der hier kalkulierte Wert ist die '''kritische Immunisierungsschwelle''' <!--mnh: critical immunisation threshold. Bessere Übersetzung? --> <math>q_\text{c}</math>. Es ist der minimale Anteil der Bevölkerung, der zur Geburt (oder kurz danach) durch [[Impfung]] immunisiert werden muss, damit die Krankheit in der gegebenen Population ausstirbt. Da Impfungen nicht in jedem Fall zu Immunität führen und/oder die Immunisierung mit der Zeit abnehmen kann, muss in einer Population ein größerer Anteil geimpft werden („Durchimpfung“) als der erstrebte Anteil der Immunität beträgt.
Dies ist der Schwellenwert der Kollektivimmunität; dieser muss ''übertroffen'' werden, damit die Krankheit ausstirbt. Der hier kalkulierte Wert ist die '''kritische Immunisierungsschwelle''' <!--mnh: critical immunisation threshold. Bessere Übersetzung? --> <math>q_\text{c}</math>. Es ist der minimale Anteil der Bevölkerung, der zur Geburt (oder kurz danach) durch [[Impfung]] immunisiert werden muss, damit die Krankheit in der gegebenen Population ausstirbt. Da Impfungen nicht in jedem Fall zu Immunität führen und/oder die Immunisierung mit der Zeit abnehmen kann, muss in einer Population ein größerer Anteil geimpft werden („Durchimpfung“), als der erstrebte Anteil der Immunität beträgt.


=== Impfprogramm unterhalb der kritischen Immunisierungsschwelle ===
=== Impfprogramm unterhalb der kritischen Immunisierungsschwelle ===
Sind verwendete [[Impfserum|Seren]] nicht hinreichend effektiv oder können nicht auf hinreichend breiter Front angewendet werden, beispielsweise aufgrund gesellschaftlichen Widerstands (siehe beispielsweise [[MMR-Impfstoff]]), so ist das Impfprogramm nicht in der Lage, <math>q_\text{c}</math> zu übertreffen. Dennoch kann ein solches Programm die Infektionsbalance stören und dabei unvorhergesehene Probleme verursachen.
Sind verwendete [[Impfserum|Seren]] nicht hinreichend effektiv oder können nicht auf hinreichend breiter Front angewendet werden, beispielsweise aufgrund gesellschaftlichen Widerstands (siehe beispielsweise [[MMR-Impfstoff]]), so ist das Impfprogramm nicht in der Lage, <math>q_\text{c}</math> zu übertreffen. Dennoch kann ein solches Programm die Infektionsbalance stören und dabei unvorhergesehene Probleme verursachen.


Angenommen der bei Geburt immunisierte Anteil der Bevölkerung betrage <math>q</math> (wobei <math>q < q_\text{c}</math>) und die Krankheit habe die Basisreproduktionszahl <math>R_0 > 1</math>. Dann verändert das Impfprogramm <math>R_0</math> zu <math>R_q</math>, wobei
Angenommen, der bei Geburt immunisierte Anteil der Bevölkerung betrage <math>q</math> (wobei <math>q < q_\text{c}</math>) und die Krankheit habe die Basisreproduktionszahl <math>R_0 > 1</math>. Dann verändert das Impfprogramm <math>R_0</math> zu <math>R_q</math>, wobei


:<math>R_q := R_0 \cdot (1 - q)</math>.
:<math>R_q := R_0 \cdot (1 - q)</math>.


Diese Änderung findet schlicht aufgrund der gesunkenen Anzahl an potentiell Anfälligen statt. <math>R_q</math> ist nichts Anderes als <math>R_0</math> ohne diejenigen Individuen, welche unter normalen Umständen infiziert würden, aber aufgrund der Impfung nicht werden.
Diese Änderung findet aufgrund der gesunkenen Anzahl an potentiell Anfälligen statt. <math>R_q</math> ist nichts Anderes als <math>R_0</math> ohne diejenigen Individuen, welche unter normalen Umständen infiziert würden, aber aufgrund der Impfung nicht werden.


Aufgrund dieser gesunkenen Basisreproduktionszahl verändert sich auch das durchschnittliche Alter <math>A</math>, unter den nicht Geimpften, auf einen Wert <math>A_q</math>.
Aufgrund dieser gesunkenen Basisreproduktionszahl verändert sich auch das durchschnittliche Alter <math>A</math>, unter den nicht Geimpften, auf einen Wert <math>A_q</math>.

Version vom 18. April 2021, 19:21 Uhr

Die meisten Infektionskrankheiten können mathematisch modelliert werden, um ihr epidemiologisches Verhalten zu untersuchen oder zu prognostizieren. Mittels einiger Grundannahmen lassen sich Parameter für verschiedene Infektionskrankheiten finden, mit denen sich beispielsweise Kalkulationen über die Auswirkung von Impfprogrammen aufstellen lassen.

Konzepte

Die Basisreproduktionszahl ist die Anzahl der Sekundärfälle, die ein Infizierter während der Generationszeit in einer homogen durchmischten Population durchschnittlich ansteckt. Hierbei wird davon ausgegangen, dass in der Population noch keine Immunität existiert. Sobald ein Teil der Bevölkerung entweder durch überstandener Krankheit oder durch Impfung immun ist, gilt die effektive Reproduktionszahl R.

Der Umfang der Bevölkerung wird durch das Symbol erfasst. Die Zahl , von englisch susceptibles, beziffert die Anzahl der Anfälligen, womit die nicht-immune Bevölkerung gemeint ist. Entsprechend ist der Anteil relativ zur Gesamtbevölkerung, so dass ist. Dies ist eine Zahl zwischen 0 und 1. Vom Robert Koch-Institut wird während der Corona-Pandemie täglich die Zahl der neu und der insgesamt Infizierten in Deutschland mitgeteilt. Dabei handelt es sich, genauer gesagt, um die positiv Getesteten. Davon ist die Zahl der Infektiösen, auch als aktive Infizierte bezeichnet, zu unterscheiden, die in den mathematischen Modellen beispielsweise durch das Symbol dargestellt wird. Das ist der Teil der Infizierten, die ansteckend sind englisch (infectious hosts, invectives). Teil man diese Zahl durch , so erhält man den Anteil der Infektiösen an der Gesamtbevölkerung: .

Da der Effizienz-Faktor E von Impfungen nie 1 ist, Impfungen also nicht in jedem Fall zu Immunität führen und/oder die Immunisierung mit der Zeit abnehmen kann, ist in einer Population die Quote der nicht Immunisierten stets höher als die Quote der nicht Geimpften.

kennzeichnet das durchschnittliche Alter, in dem eine Population von der Krankheit betroffen wird.

(von englisch Life expectancy) kennzeichnet die durchschnittliche Lebenserwartung in der Bevölkerung.

Annahmen

  • Es wird von einer rechteckigen Alterspyramide ausgegangen, wie sie typischerweise in entwickelten Ländern mit geringer Kindersterblichkeit und häufigem Erreichen der Lebenserwartung zu finden ist.
  • Es wird eine homogene Mischung der Bevölkerung vorausgesetzt. Das heißt, dass die untersuchten Individuen Kontakte zufällig knüpfen und sich nicht überwiegend auf eine kleinere Gruppe beschränken. Diese Voraussetzung ist selten gerechtfertigt, sie ist jedoch zur Vereinfachung der Mathematik notwendig.

Der endemische Status

Eine Infektionskrankheit ist endemisch, wenn sie fortwährend ohne externe Einflüsse innerhalb einer Population existiert. Das bedeutet, dass im Mittel jede erkrankte Person genau eine weitere infiziert. Wäre dieser Wert geringer, würde die Krankheit aussterben, wäre er größer, würde sie sich aufgrund exponentiellen Wachstums zu einer Epidemie entwickeln. Mathematisch betrachtet heißt das:

Damit eine Krankheit mit hoher Basisreproduktionszahl (unter Annahme nicht vorhandener Immunität) endemisch bleibt, muss daher zwangsläufig die Anzahl der tatsächlich Anfälligen gering sein.

Mit der oben getroffenen Voraussetzung über die Alterspyramide lässt sich annehmen, dass jedes Individuum der Population exakt die Lebenserwartung erreicht und dann stirbt. Wenn das durchschnittliche Alter der Infektion ist, sind im Mittel jüngere Individuen anfällig, während ältere Individuen bereits durch vorherige Infektion immunisiert wurden (oder noch immer infektiös sind). Folglich ist der Anteil der für die Krankheit Anfälligen:

Im endemischen Fall gilt jedoch auch:

Damit gilt

,

was eine Abschätzung der Basisreproduktionszahl durch leicht ermittelbare Daten ermöglicht.

Für eine Bevölkerung mit exponentieller Alterspyramide zeigt sich, dass

.

Die hierbei verwendete Mathematik ist komplexer und somit außerhalb des Rahmens dieser Betrachtung.

Die Mathematik der Impfungen

Wenn der immunisierte Anteil der Bevölkerung oberhalb des für Herdenimmunität notwendigen Grades liegt, kann eine Krankheit nicht in endemischem Zustand innerhalb dieser Population verbleiben. Ein Beispiel für einen weltweiten Erfolg auf diesem Wege ist die Ausrottung der Pocken, deren letzter Fall 1977 in Somalia dokumentiert wurde. Derzeit betreibt die WHO eine ähnliche Impfstrategie zur Ausrottung von Polio.

Der Grad der Kollektivimmunität wird als bezeichnet. Da für einen endemischen Zustand

erfüllt sein muss, ist , denn ist der immune Anteil der Bevölkerung und (da in diesem vereinfachten Modell jedes Individuum entweder anfällig oder immun ist). Dann gilt:

Dies ist der Schwellenwert der Kollektivimmunität; dieser muss übertroffen werden, damit die Krankheit ausstirbt. Der hier kalkulierte Wert ist die kritische Immunisierungsschwelle . Es ist der minimale Anteil der Bevölkerung, der zur Geburt (oder kurz danach) durch Impfung immunisiert werden muss, damit die Krankheit in der gegebenen Population ausstirbt. Da Impfungen nicht in jedem Fall zu Immunität führen und/oder die Immunisierung mit der Zeit abnehmen kann, muss in einer Population ein größerer Anteil geimpft werden („Durchimpfung“), als der erstrebte Anteil der Immunität beträgt.

Impfprogramm unterhalb der kritischen Immunisierungsschwelle

Sind verwendete Seren nicht hinreichend effektiv oder können nicht auf hinreichend breiter Front angewendet werden, beispielsweise aufgrund gesellschaftlichen Widerstands (siehe beispielsweise MMR-Impfstoff), so ist das Impfprogramm nicht in der Lage, zu übertreffen. Dennoch kann ein solches Programm die Infektionsbalance stören und dabei unvorhergesehene Probleme verursachen.

Angenommen, der bei Geburt immunisierte Anteil der Bevölkerung betrage (wobei ) und die Krankheit habe die Basisreproduktionszahl . Dann verändert das Impfprogramm zu , wobei

.

Diese Änderung findet aufgrund der gesunkenen Anzahl an potentiell Anfälligen statt. ist nichts Anderes als ohne diejenigen Individuen, welche unter normalen Umständen infiziert würden, aber aufgrund der Impfung nicht werden.

Aufgrund dieser gesunkenen Basisreproduktionszahl verändert sich auch das durchschnittliche Alter , unter den nicht Geimpften, auf einen Wert .

Nach obiger Relation, welche , und verband, gilt (unter Annahme gleichbleibender Lebenserwartung):

Allerdings gilt , folglich:

Somit erhöht das Impfprogramm das mittlere Infektionsalter. Ungeimpfte Individuen unterliegen nun durch Anwesenheit der geimpften Gruppe einer reduzierten Infektionsrate.

Dieser Effekt ist jedoch bei Krankheiten nachteilig, deren Verlauf mit steigendem Alter schwerwiegender wird. Bei einer hohen Wahrscheinlichkeit für tödliche Verläufe kann ein nicht übertreffendes Impfprogramm im Extremfall mehr Opfer unter den Ungeimpften fordern, als es ohne Impfprogramm gegeben hätte.

Impfprogramme oberhalb der kritischen Immunisierungsschwelle

Überschreitet ein Impfprogramm die kritische Immunisierungsschwelle einer Population für eine signifikante Dauer, wird die Krankheit innerhalb dieser Bevölkerung gestoppt. Wird diese Eliminierung weltweit durchgeführt, führt sie ultimativ zur Ausrottung der Krankheit, wie im Beispiel der Pocken. Simulationen zeigen, dass es trotz Überschreiten der (mittleren) kritischen Immunisierungsschwelle zu weiteren Ausbrüchen kommen kann, wenn sich nicht immunisierte Personen in einem Personenkreis häufen[1].

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Emma S. McBryde: Network Structure Can Play a Role in Vaccination Thresholds and Herd Immunity: A Simulation Using a Network Mathematical Model. In: Clinical Infectious Diseases. Band 48, Nr. 5, 1. März 2009, ISSN 1058-4838, S. 685–686, doi:10.1086/597012 (oup.com [abgerufen am 3. September 2020]).