„AMCO-Fabrikerweiterungsgebäude“ – Versionsunterschied

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* [https://www.ndr.de/kultur/Gropius-Bau-in-Kirchbrak-Versteckt-und-vergessen,gropius108.html ''Gropius-Bau in Kirchbrak: Versteckt und vergessen''] bei ndr.de vom 27. März 2019
* [https://www.ndr.de/kultur/Gropius-Bau-in-Kirchbrak-Versteckt-und-vergessen,gropius108.html ''Gropius-Bau in Kirchbrak: Versteckt und vergessen''] bei ndr.de vom 27. März 2019
* [http://www.kirchbrak.de/chronik/industrie/amco/werksgeschichte/pages/seite03.html Bildliche Darstellung des Unternehmens „August Müller & Co. Kirchbrak. Sägewerk und Holzwarenfabrik. Mühlenbetrieb.“] vermutlich Anfang des 20. Jahrhunderts
* [http://www.kirchbrak.de/chronik/industrie/amco/werksgeschichte/pages/seite03.html Bildliche Darstellung des Unternehmens „August Müller & Co. Kirchbrak. Sägewerk und Holzwarenfabrik. Mühlenbetrieb.“] vermutlich Anfang des 20. Jahrhunderts
* [http://www.weserbergland-nachrichten.de/holzminden/14069-2019-03-27-09-51-05 ''Ein zweites Gropius-Schätzchen schlummert im Weserbergland im Dornröschenschlaf.''] In: ''Holzmindener-Nachrichten.'' 27. März 2019
* [https://www.tah.de/lokales/lokalnachrichten/news-single/lange-vergessen-gropius-bau-in-kirchbrak-entdeckt.html ''Lange vergessen: Gropius-Bau in Kirchbrak entdeckt.''] In: ''[[Täglicher Anzeiger Holzminden]].'' 27. März 2019
*[https://www.dewezet.de/region/weserbergland_artikel,-sensation-gropiusbau-in-kirchbrak-entdeckt-_arid,2533566.html ''Sensation: Gropius-Bau in Kirchbrak entdeckt''] In: ''[[Deister- und Weserzeitung]].'' 28. März 2019.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Version vom 31. März 2019, 15:20 Uhr

Ostansicht mit dem dreigeschossigen Hauptbau, rechts der ursprünglich eingeschosssige Vorbau mit nachträglicher Aufstockung, davor Schienen der früheren Bahnstrecke (2019)

Das AMCO-Fabrikerweiterungsgebäude ist ein im Jahr 1925 in Kirchbrak in Niedersachsen errichtetes Fabrikgebäude, das der Erweiterung des holzverarbeitenden Unternehmens „August Müller & Co“ (AMCO) diente. Es wurde von den Architekten Walter Gropius und Ernst Neufert entworfen und war ihr erster Auftrag nach der Übersiedlung des Bauhauses von Weimar nach Dessau.

Beschreibung

Das dreigeschossige und teilunterkellerte Fabrikgebäude hat in seiner ursprünglichen Form eine Länge von 26 Meter und eine Breite von 16 Meter und stellt einen sogenannten „abgetreppten Kopfbau“ dar. Es ist über 14 Meter hoch und verfügt über ein begehbares Flachdach aus Hohlblocksteinen. Das Gebäude erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung. An der Nordseite setzt ein eingeschossiger Vorbau von 20 Meter Länge und fünf Meter Breite an. Der Bau ist eine Stahlskelettkonstruktion mit Geschosshöhen von vier Metern. Der Grundriss weist ein Raster von 7,6 × 5 Meter auf und ist durch sechs Stützen gegliedert. Die nichttragenden Giebelwände bestehen aus Mauerwerk. Die östliche Gebäudeflucht von insgesamt 46 Meter Länge liegt entlang der stillgelegten Bahnstrecke der ehemaligen Vorwohle-Emmerthaler Eisenbahn-Gesellschaft.

Westansicht des Erweiterungsgebäudes mit Turmbau (2019)

An der westlichen Gebäudeseite befindet sich ein Turmbau mit Treppenhaus und Fahrstuhl. Auf der West- und der Ostseite wird jedes der drei Geschosse auf der gesamten Front durch ein 3,3 Meter hohes Fensterband belichtet, das drei Reihen von hochrechteckigen und eisengerahmten Fenstern mit blauem Anstrich bilden. Ursprünglich hatte das Fabrikerweiterungsgebäude eine Bauhaus-typische weiße Fassade, die heute einen gelben Anstrich aufweist.

Das Gebäude ist, abgesehen von der Front zur ehemaligen Bahnstrecke, an den übrigen drei Seiten von weiterem Gebäudebestand des Betriebes umgeben. Die späteren An- und Umbauten haben den Grundcharakter des Gebäudes nicht wesentlich verändert. In den 1930er Jahren kam es zu einer Aufstockung des eingeschossigen Vorbaus um ein Stockwerk und eine Gebäudeerweiterung nach Süden durch ein stilgleiches Fabrikgebäude.

Die drei Geschosse des Fabrikerweiterungsgebäude dienten ursprünglich als Produktionsetagen in der Holzverarbeitung. Heute werden sie als Lagerhalle genutzt.

Geschichte

AMCO-Unternehmensgeschichte

Betriebsgelände der Firma AMCO in Kirchbrak (2019)

Das Unternehmen August Müller & Co (AMCO) ging aus der Oberen Mühle in Kirchbrak hervor, die der aus dem Nachbarort Breitenkamp stammende August Müller 1849 pachtete. Sein Neffe August Müller übernahm 1878 die an der Lenne liegende Wassermühle und nutzte sie zum Antrieb von Kreissägen zur Holzbearbeitung.[1] Daraus entstand ein Holzwerk mit 250 Beschäftigten, das wesentlich zum Wohlstand der Gemeinde Kirchbrak und ihrer Bewohner beitrug. Anfang der 1920er Jahre partizipierte das Unternehmen am Aufschwung der deutschen Wirtschaft durch den Dawes-Plan. Dadurch verbesserte sich die Auftragslage derart, dass dringender Bedarf an einer Erweiterung der Produktionsanlagen bestand, was 1925 zum Bau des Fabrikerweiterungsgebäudes führte. 1987 kam es zu einer Neuausrichtung des Betriebes[2] und 2016 zur Übernahme durch ein Holzverarbeitungsunternehmen aus Bargteheide, wobei der Standort in Kirchbrak weiterhin unter dem Namen AMCO firmiert.[3]

Fabrikerweiterung

Im Jahr 1925 beauftragte der Unternehmer August Müller als Inhaber der AMCO das Bauatelier Walter Gropius mit der Errichtung eines Erweiterungsbaus, den die angestiegene Produktion erforderlich machte. Der Kontakt kam auf Vermittlung von Carl Benscheidt aus dem nahe gelegenen Alfeld zustande, für den Gropius das Fagus-Werk als modernen Industriebetrieb errichtet hatte. Es wird angenommen, dass August Müller sich als Anhänger der Mazdaznan-Bewegung für Gropius als Architekt entschieden hatte, da die Bewegung durch Johannes Itten das Bauhaus kurzzeitig prägte. Das Bauatelier Walter Gropius arbeitete einen detaillierten Kostenvoranschlag aus und schrieb die Bauarbeiten aus, worauf sich fünf lokale und auswärtige Unternehmen bewarben. Die Angebote beliefen sich auf Summen zwischen 70.000 und 100.000 Reichsmark und eine Bauzeit zwischen 54 und 80 Tagen.

Bauarbeiten

Den Zuschlag für die Bauarbeiten erhielt die Eisenbetonfirma Robert Grastorf GmbH aus Hannover-Wülfel, die die Arbeiten mit rund 50 Mitarbeitern ausführte und auch für die statischen Berechnungen verantwortlich war. Sie hatte die kürzeste Bauzeit angegeben und erschien dem Bauatelier Walter Gropius als hinreichend erfahren im Umgang mit dem Eisenbetonbau, da sie das Pförtnerhaus des Fagus-Werkes errichtet hatte. Die Kosten für den Neubau wurden mit 75.870,61 Reichsmark veranschlagt. Der Zeitplan für die Errichtung war zunächst auf den 9. Juli 1925 und eine Fertigstellung am 9. September desselben Jahres festgesetzt („sofern nicht streiks, eingriffe höherer gewalt, feuer usw. die arbeit hindern […] für den fall nicht rechtzeitiger fertigstellung der bauarbeiten ist die bauleitung befugt für jeden tag […] eine vertragsstrafe von mk 100 Mark (…) zu erheben“). Am 18. Juli 1925 wurde durch das Atellier Walter Gropius beim Hochbauamt Holzminden ein Antrag auf „sofortige vorläufige baugenehmigung“ für den „fabrikneubau August Müller & Co. Kirchbraack“ gestellt. Die zusätzlich anfallenden Putz- und Maurerarbeiten erfolgten durch die Firma des Maurermeisters Ferdinand Lieben aus Scharfoldendorf. Es entstand ein dreistöckiger Massivbau mit einer lichten Durchgangshöhe von 4 m sowie ein einstöckiger Vorbau und eine Unterkellerung des Treppenhauses einschließlich Fahrstuhlschacht. Architektonisch sollte der Komplex sich an folgende Vorgaben halten „schlichten formen dem zweck entsprechend, aussenputz, als anpassung an die umliegenden bauernhäuser, fenster aus eisen, farbig gestrichen“.[4] Der Rohbau war am 26. Oktober 1925 fertiggestellt und die Bauabnahme durch das Hochbauamt Holzminden erfolgte am 31. Oktober 1925. Mit der Produktion von Möbeleinzelteilen im Erweiterungsgebäude konnte nach der Erteilung der Betriebsgenehmigung am 20. April 1926 nach 10 Monaten Planungs- und Bauzeit begonnen werden.

Baumängel

Kurz vor Ablauf der zweijährigen Garantiezeit traten Anfang 1928 schwerwiegende Baumängel durch Risse am Fabrikerweiterungsgebäude auf; es war in der Horizontalen um einige Zentimeter verschoben. Der Architekt Ernst Neufert ließ durch seinen Kollegen Max Weber aus Weimar ein Gutachten zur Schadensursache erstellen. Er kam zu dem Schluss, dass die Ursache in dem nicht fachgerechten Verbau von Eisenträgern in der Dachkonstruktion zu suchen war. Laut Neufert habe das Bauunternehmen unerfahrene örtliche Handwerker beschäftigt, um den Kostennachlass in der Angebotskalkulation wett zu machen. Das Bauunternehmen wiederum schob die Schuld für die Baumängel den Architekten Gropius und Neufert wegen ungenügender Bauleitung zu. Sie hätten den Bau über Telefon und Briefe abgewickelt und seien nur im Abstand von 30 Tagen vor Ort gewesen. Tatsächlich waren Gropius und Neufert während der Bauphase in zahllose Bauhaus-Projekte eingebunden und mit der Neuorganisation des Bauhauses in Dessau beschäftigt, sodass der Fabrikbau in Kirchbrak nur am Rande mitlief. Letztendlich behob das Bauunternehmen die Baumängel.

Denkmalschutz

Das Fabrikerweiterungsgebäude ist eines der wenigen Produktionsbauten von Walter Gropius im heutigen Niedersachsen. Weitere Gebäude dieser Art sind neben dem als UNESCO-Welterbe ausgezeichnete Fagus-Werk in Alfeld ein Lagergebäude einer Landmaschinenfabrik in Alfeld von 1924 und eine Papierfabrik in Gronau von 1923. Als Bauwerk von Gropius wurde das AMCO-Fabrikerweiterungsgebäude einer breiten Öffentlichkeit erst durch einen Pressebericht des NDR im März 2019 bekannt. Die Berichterstattung stand im Zusammenhang mit dem 100-jährigen Jubiläum der Gründung des Bauhauses im Jahr 1919. Bereits um das Jahr 2009 will ein Bürger aus Kirchbrak das Fabrikgebäude der Denkmalschutzbehörde des Landkreises Holzminden als mögliches schutzwürdiges Bauwerk gemeldet haben. Dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege war das Fabrikgebäude als Werk von Walter Gropius bis 2019 nicht bekannt und wurde deshalb nicht als Baudenkmal in der niedersächsischen Denkmalliste geführt, was nachgeholt werden soll.

Bedeutung

Detail eines Fensterbandes aus hochrechteckigen und eisengerahmten Fenstern
Fensterbänder auf der Ostseite

Architekturkritiker bewerten das AMCO-Fabrikerweiterungsgebäude folgendermaßen: „… sein äußeres demonstriert noch heute die klare sprache einer vordergründig zweckrationalen industriearchitektur, die allerdings keine architekturgeschichte schreiben konnte.“[5] Des Weiteren sei der Fabrikbau aus demselben Geist wie das Bauhausgebäude in Dessau entwickelt worden, was sich anhand der Konstruktionsprinzipien zeige. Dies gelte insbesondere für die Auflösung der Längswände durch waagerechte Fensterbänder in Glas.[6] Diese durchlaufenden Gebäudeverglasung gleicht dem zeitgleich errichteten Bauhausgebäude in Dessau und sei charakteristisch für den Bauhausstil von Gropius. Die von ihm geforderte künstlerische Überhöhung von Fabrikarchitektur ist allerdings hier nicht erkennbar.[7]

Literatur

  • Karin Wilhelm: Walter Gropius Industrie Architekt (= Schriften zur Architekturgeschichte und Architekturtheorie). Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig / Wiesbaden 1983, ISBN 3-322-93810-7, S. 107–115, doi:10.1007/978-3-322-93810-7 (books.google.de – Pläne zum Bau mit Grundriss ab S. 270, eingeschränkte Ansicht, Zugleich Dissertation an der Universität Marburg).
  • Hartmut Probst, Christian Schädlich: Walter Gropius. Der Architekt und Theoretiker, Werkverzeichnis. Teil 1, Berlin, 1986, S. 286.
  • Bernd Krämer: Der Architekt Walter Gropius im Leine- und Weserbergland In: Jahrbuch Landkreis Holzminden. Band 10/11, 1992/93, S. 75–87.
  • Ulf Meyer, Hans Engels: Walter Gropius, Ernst Neufert, Fabrikerweiterung August Müller & Co / August Müller & Co Production Hall, Kirchbrak. In: Bauhaus: 1919–1933. Prestel, München 2006, ISBN 3-7913-3613-4, S. 38–39.
  • Wilhelm Klauser: BEL – „Da steht ein Gropius“ … In: Bauwelt. Nr. 16, 7. August 2018 (bauwelt.de).
Commons: AMCO-Fabrikerweiterungsgebäude – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Werksgeschichte August Müller & Co.
  2. Amco Möbelindustrie aus Kirchbrak bei Wer zu wem Firmendatenbank.
  3. Martina Fuchs: Amco hat einen neuen Eigentümer. In: Deister- und Weserzeitung. 4. Juli 2016.
  4. Karin Wilhelm: Walter Gropius Industrie Architekt. Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig / Wiesbaden 1983, ISBN 3-322-93810-7, S. 107–115, hier S. 108–109 (books.google.de).
  5. Siehe Literatur: Bernd Krämer: Der Architekt Walter Gropius im Leine- und Weserbergland. S. 84–85.
  6. Karin Wilhelm: Walter Gropius Industrie Architekt. S. 115.
  7. Ulf Meyer: Bauhaus 1919-1933. Prestel, München / Berlin / London / New York 2006, ISBN 3-7913-3613-4, S. 38.

Koordinaten: 51° 57′ 46,8″ N, 9° 34′ 47″ O