„Urbanisierung“ – Versionsunterschied

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Unter '''Urbanisierung''' ({{laS|urbs}} „Stadt“) versteht man die Ausbreitung städtischer Lebensformen. Diese kann sich einerseits im Wachstum von [[Stadt|Städten]] ausdrücken (physische Urbanisierung oder „Verstädterung“ im engeren Sinne), andererseits durch eine mit städtischen Standards vergleichbare infrastrukturelle Erschließung ländlicher Regionen (funktionale Urbanisierung) und durch verändertes Sozialverhalten der Bewohner von ländlichen Gebieten (soziale Urbanisierung).
Unter '''Urbanisierung''' ({{laS|urbs}} „Stadt“) versteht man die Ausbreitung von Nihad städtischer Lebensformen. Diese kann sich einerseits im Wachstum von [[Stadt|Städten]] ausdrücken (physische Urbanisierung oder „Verstädterung“ im engeren Sinne), andererseits durch eine mit städtischen Standards vergleichbare infrastrukturelle Erschließung ländlicher Regionen (funktionale Urbanisierung) und durch verändertes Sozialverhalten der Bewohner von ländlichen Gebieten (soziale Urbanisierung).


Während ''Verstädterung'' eher für die Ausweitung alter Städte durch Bautätigkeit, Gewerbe- und Industrieflächen steht, bezieht ''Urbanisierung'' Prozesse des sozialen Wandels mit in die Betrachtung ein.<ref>[[Horst-Günter Wagner]]: ''Die Stadtentwicklung Würzburgs 1814–2000.'' In: Ulrich Wagner (Hrsg.): ''Geschichte der Stadt Würzburg.'' 4 Bände, Band I-III/2, Theiss, Stuttgart 2001–2007; III/1–2: ''Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert.'' Band 2, 2007, ISBN 978-3-8062-1478-9, S. 1299, Anm. 21.</ref>
Während ''Verstädterung'' eher für die Ausweitung alter Städte durch Bautätigkeit, Gewerbe- und Industrieflächen steht, bezieht ''Urbanisierung'' Prozesse des sozialen Wandels mit in die Betrachtung ein.<ref>[[Horst-Günter Wagner]]: ''Die Stadtentwicklung Würzburgs 1814–2000.'' In: Ulrich Wagner (Hrsg.): ''Geschichte der Stadt Würzburg.'' 4 Bände, Band I-III/2, Theiss, Stuttgart 2001–2007; III/1–2: ''Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert.'' Band 2, 2007, ISBN 978-3-8062-1478-9, S. 1299, Anm. 21.</ref>

Version vom 1. Oktober 2018, 14:53 Uhr

Die chinesische Stadt Shenzhen am Rande Hongkongs hatte 1979 nur 30.000 Einwohner, im Jahr 2011 etwa 10,5 Millionen.

Unter Urbanisierung (lateinisch urbs „Stadt“) versteht man die Ausbreitung von Nihad städtischer Lebensformen. Diese kann sich einerseits im Wachstum von Städten ausdrücken (physische Urbanisierung oder „Verstädterung“ im engeren Sinne), andererseits durch eine mit städtischen Standards vergleichbare infrastrukturelle Erschließung ländlicher Regionen (funktionale Urbanisierung) und durch verändertes Sozialverhalten der Bewohner von ländlichen Gebieten (soziale Urbanisierung).

Während Verstädterung eher für die Ausweitung alter Städte durch Bautätigkeit, Gewerbe- und Industrieflächen steht, bezieht Urbanisierung Prozesse des sozialen Wandels mit in die Betrachtung ein.[1]

Der Prozess der physischen Urbanisierung ist seit Jahrhunderten zu beobachten. Er erreichte einen Höhepunkt in Europa vor allem im späten 19. Jahrhundert und hat in den letzten Jahrzehnten auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern bisher unbekannte Ausmaße angenommen. In den Industrieländern wurde die physische Urbanisierung weitgehend von der funktionalen Urbanisierung abgelöst, das heißt von der Ausbreitung städtischer Lebensformen in benachbarte, bisher ländliche Räume (Suburbanisierung).

Historisch gesehen ist eine kontinuierliche Zunahme des Anteils der Stadtbevölkerung festzustellen. Im Jahr 2008 lebten weltweit erstmals in der Menschheitsgeschichte mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen rechnet mit 5 Milliarden Städtern im Jahr 2030. In Zukunft wird sich die Urbanisierung am stärksten in Afrika und Asien vollziehen.[2]

Geschichte

Urbanisierung in Europa 2010
Agglomerationen 1950–2050
Karte der Hauptflächennutzungstypen in Nordrhein-Westfalen: Urbanisierung als Folge der Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert

Bereits im Altertum (Rom) und im Mittelalter gab es Millionenstädte (vor allem in Asien),[3] doch erst um 1500 erreichte Köln die Zahl von etwa 40.000 Einwohnern und erst weitere zweihundert Jahre später um 1700 hatte mit Wien die erste deutsche Stadt die Grenze von 100.000 überschritten.

Um 1800 lebten erst etwa 25 % der deutschen Bevölkerung in Städten und rund 75 % auf dem Land,[4] doch dort waren die Lebensbedingungen nicht immer einfach. Durch einen enormen Bevölkerungsanstieg wurde es zunehmend schwerer, sich zu ernähren, weil es nicht genügend Land für alle gab. In der Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse führte dies u. a. dazu, dass die Menschen zu Beginn der Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts vom ländlich geprägten Raum in die umliegenden Kleinstädte zogen, die sich dadurch schnell vergrößerten und zu massenhafter Armut führte („Pauperismus“).[5] Während es im Jahr 1800 nur rund 80.000 Manufaktur­arbeiter gab,[6] stieg diese Zahl bis 1910 auf das 100-fache (8 Millionen). Das Bevölkerungswachstum der Städte des späteren Deutschen Reiches entwickelte sich dabei erst nach 1850 überdurchschnittlich – vorgängig war schon seit den 1740er Jahren die Bevölkerungsvermehrung auf dem Lande gewesen.

Dieser einer Völkerwanderung ähnliche Prozess brachte viele Folgen mit sich. Unter den Menschen, die in den großen Städten ihr Glück suchten, waren viele landlose Arbeiter und verarmte Kleinbauern. Diese beiden Gruppen bildeten zusammen die neue soziale Klasse des Industrieproletariats. Obwohl sie rechtlich frei waren, verfügten sie jedoch nicht über eigene Produktionsmittel (Maschinen, Geräte usw.), daher mussten sie als Lohnarbeiter versuchen, ihre Familie zu ernähren, was jedoch angesichts der niedrigen Löhne schier unmöglich war. Diese schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen führten kurz darauf zur „sozialen Frage“.[7]

In weiten Teilen Südeuropas erreichte die Landbevölkerung erst im ausgehenden 19. oder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Hier waren es vor allem die Reblaus­krise im Weinbau sowie die zunehmende Mechanisierung der Landwirtschaft und der daraus resultierende Verlust an Arbeitsplätzen, welche die Abwanderung der Menschen in die Städte oder die Auswanderung nach Amerika bzw. nach Australien auslösten.

Die Verstädterungswelle des 19. Jahrhunderts in Europa setzte eine Reihe von technischen und infrastrukturellen Innovationen voraus. Zunächst fielen zu Beginn des 19. Jahrhunderts die städtischen Befestigungsanlagen und Wälle, da sie funktionslos wurden, was ein weiteres Wachstum ermöglichte. Mit der Verdichtung und Vergrößerung der Abwassermenge erhöhte sich die Gefahr von Infektionskrankheiten, was wiederum ein Kanalisationsnetz und eine zentrale Wasserversorgung nötig machte. Der Bau großer Mietshäuser setzte die Verfügbarkeit konzentrierter Energiequellen (Kohle, später Gas) voraus. Der Transport dieser Energiequellen erforderte ab einer bestimmten Größe der Stadt einen Eisenbahnanschluss. Dieser schob zwar die Wachstumsgrenzen der Stadt hinaus; das machte aber die Einrichtung von Strukturen des Nahverkehrs notwendig, um die Arbeitskräfte zu den immer größeren, zunehmend aus dem Stadtzentrum ausgelagerten Produktionsstätten zu transportieren. Diese Strukturen bestanden oft in einem radialen Eisenbahnnetz, das später durch Pferdebahnen oder Straßenbahnen ergänzt wurde. Ein weiteres (Höhen-)Wachstum wurde durch die Entwicklung des Stahlskelettbaus nach 1900 möglich.

Urbanisierung ist ein geographisch weiter verbreiteter Prozess als die Industrialisierung. Städte entstanden auch an Orten, an denen die Industrie nicht die primäre Wachstumskraft darstellte. Auch war umgekehrt ein hoher Urbanisierungsgrad keine Voraussetzung für erfolgreiche Industrialisierung.[8] Bereits vor der Industriellen Revolution war London eine Metropole mit mehr als 10 Prozent Bewohnern der englischen Gesamtbevölkerung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchsen in Großbritannien nicht die die Städte mit Industriekonzentrationen wie Manchester, Birmingham und Liverpool am schnellsten, sondern Städte mit hohem Dienstleistungsangebot. Ein Beispiel für ein Stadt ohne nennenswerten Beitrag der Industrie war Brighton, eine der am schnellsten wachsenden Städte in England im 19. Jahrhundert. Auch Budapest gehörte hierzu, das sich auf der Grundlage agrarischer Modernisierung und Zentralfunktionen in Handel und Finanz schnell entwickelte, ebenso St. Petersburg, Riga, St. Louis oder Wien. Im 20. Jahrhundert reihten sich weitere Urbanisierungen ohne Industriebasis ein, darunter Lagos, Bangkok oder Mexiko-Stadt. Urbanisierung ist somit nach Osterhammel "ein globaler Prozess, Industrialisierung ein sporadischer Vorgang".[9]

Gründe

Heute findet der Urbanisierungsprozess vor allem in Staaten mit expandierenden Industrien statt, aber auch in Ländern, deren ländliche Regionen kaum Erwerbsmöglichkeiten bieten oder von Krieg bzw. Bürgerkrieg verwüstet werden. In diesen Ländern entwickeln sich rapide wachsende Millionenstädte mit einer häufig kaum überschaubaren oder gar steuerbaren Bebauung. Beispiele für solche Städte sind Istanbul (mit über 14 Millionen Einwohnern), Lagos (10 Millionen) oder Mexiko-Stadt (20 Millionen). Die Bedingungen in diesen neuen Megastädten sind häufig in vielen Aspekten katastrophal (siehe auch Slums), aber für die Landflüchtenden aus den genannten Gründen immer noch attraktiver als in ihrer Herkunftsregion. Diese Form der Urbanisierung wird auch als Landflucht oder „Land-Stadt-Migration“ bezeichnet. Diese Begriffe beschreiben traditionell die Wanderung innerhalb eines Landes, treffen aber zunehmend auch auf die länderübergreifende Migration zu, also auf die Wanderung von der ländlichen Region eines Landes in die Stadt eines anderen. Diese Form der Migration ist insbesondere in jenen Zielländern von Bedeutung, deren eigene Landbevölkerung sich bereits stabilisiert hat. Der Begriff Kettenwanderung bedeutet, dass ein Pionierwanderer später Ehepartner, Kinder oder Verwandte nachholt.

Aber auch in den Industrienationen gibt es heute nach wie vor Tendenzen zur Landflucht. Einer der Gründe ist die Reduktion des Arbeitskräftebedarfs in der Landwirtschaft. Davon besonders betroffen sind junge Frauen, die deshalb in urbane Agglomerationen migrieren, um Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor anzunehmen. In der ruralen Region entsteht dadurch ein demografisches Ungleichgewicht. Auch die Infrastruktur wird in solchen Regionen aufgrund höherer Kosten und geringerer Rentabilität nicht so schnell zur Verfügung gestellt, wie im städtischen Bereich. Hier ist die Politik gefordert, steuernd über Steuererleichterungen und Subventionierung der Infrastruktur einzugreifen, was aber andererseits einer freien Marktwirtschaft oft widerspricht.

Das Gegenteil der Landflucht ist die Stadtflucht, bei der heute in der Regel gutverdienende Mittelschichtsfamilien die Städte verlassen, um sich in Vororten oder im Umland anzusiedeln.

Folgen

Eine Alternative zum Umzug in die Stadt: Chinesische Landbewohner bilden für den Weg zur Arbeit nach Pingyao eine Fahrgemeinschaft.

Durch den Zuzug in die Städte kommt es zum Bau neuer Häuser, Straßen und Versorgungseinrichtungen. So dehnen sich die Städte immer weiter aus und beanspruchen immer mehr Boden und Ressourcen des Umlandes.

Seit dem Jahr 2008[10] wohnt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, während 1950 noch 70 % auf dem Land lebten. Nach Prognosen der UNO wird der weltweite Anteil der städtischen Bevölkerung bis 2030 auf über 60 % steigen und im Jahr 2050 rund 70 % erreichen. Weltweit gibt es über 63 Städte mit mehr als drei Millionen Einwohnern.

In Deutschland liegt der Verstädterungsgrad wesentlich über dem weltweiten Durchschnitt. Die elf Agglomerationsräume mit mehr als einer Million Einwohnern zählen allein rund 25,6 Millionen Menschen. Der weltweit nicht einheitlich verwendete Begriff der Agglomeration entspricht der Stadt im geographischen Sinn, ohne die Beachtung der Verwaltungsgrenzen. Die nach Verwaltungsgrenzen gerechneten 82 Städte über 100.000 Einwohner in Deutschland im Jahr 2004 besitzen 25,3 Millionen Einwohner, das sind bereits über 30 % der Gesamtbevölkerung von 82 Millionen. Die elf Metropolregionen Deutschlands mit 44,3 Millionen Einwohnern sind räumlich wesentlich weiter gefasst und beinhalten auch große ländliche Gebiete.

Die Folgen der Verstädterung in Entwicklungsländern, verbunden mit einem weiterhin anhaltenden starken Bevölkerungswachstum, sind in ihren ökologischen, ökonomischen und sozialen Tragweiten noch nicht vollständig absehbar. Neben den offensichtlichen Problemen bei der Entstehung von Megastädten richtet sich der Blick der Fachdiskussion in den letzten Jahren verstärkt auch auf die Chancen dieser Entwicklung.

Eine Folge der Urbanisierung ist ein starker Einbruch der Geburtenraten. Vor allem in den Entwicklungsländern ist die Geburtenrate der Städte im Vergleich zu der auf dem Land sehr niedrig, während in den Industriestaaten fast kein Unterschied mehr besteht. Nach verschiedenen Demographic and Health Surveys liegt die Fertilitätsrate in Addis Abeba und den vietnamesischen Städten bei 1,4, was der Rate Deutschlands entspricht. In der iranischen Hauptstadt Teheran bekommen die Frauen durchschnittlich 1,32 Kinder.

Arten der Urbanisierung

Verdichtung des Städtesystems: Stadtneugründung Brasília (Brasilien)

Es wird zwischen verschiedenen Arten der Urbanisierung unterschieden:

Physische Verstädterung

Sie bedeutet eine Ausbreitung städtischer Wohnformen und Flächennutzung.

Funktionale Verstädterung

Es kommt zu einer Verflechtung zwischen Stadt und Land („Stadt-Land-Kontinuum“). Dabei breitet sich die städtische Produktion aus und es entwickeln sich neue Kommunikations- und Informationsnetze.

Soziale Verstädterung

Das Umland nimmt Richtlinien und Wertvorstellungen der städtischen Bevölkerung an, auch das Konsumverhalten gleicht sich an. Gesamtgesellschaftlich stellt sich Urbanität ein.

Demographische Verstädterung

Diese kennzeichnet den (steigenden) Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung eines Gebietes, Landes oder Staates. Unter „Verstädterung“ kann sowohl der Verstädterungsgrad (demographischer Zustand) als auch die Verstädterungsrate (demographischer Prozess) verstanden werden (siehe unten). Was jeweils als Stadt gilt, richtet sich nach der offiziellen Verwaltungseinteilung des jeweiligen Landes.

Verdichtung des Städtesystems

Die Zahl der Städte nimmt zu, dies kann durch Neugründungen oder Verleihung des Stadttitels geschehen. Typische Gründungsphasen sind Hochmittelalter, Barock (Residenz-/Festungsstädte) und das Industriezeitalter (z. B. Wolfsburg, Eisenhüttenstadt).

Messung von Verstädterung und Urbanität

Der Verstädterungsgrad (oder die Verstädterungsquote) ist der Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung. Sie gibt das Ausmaß der Verstädterung in einem Raum an (Zustandsgröße). Der Verstädterungsgrad betrug im Jahr 2007 weltweit 50 %.

Die Verstädterungsrate gibt den Zuwachs des Anteils der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung an, und zwar bezogen auf einen Raum (Prozessgröße). Die durchschnittliche Verstädterungsrate betrug im Jahr 1990 weltweit 4,2 %.

Ein Indikator für Urbanität als soziales Verhalten ist die Offenheit sozialer Netzwerke. Sie kann mit Hilfe des Indikators der Abnahme der Netzwerkdichte gemessen und zeigt an, dass sich die dauernden und festen Kontakte, wie sie typisch für ländliche Regionen sind, zugunsten von häufiger wechselnden und situativen Kontakten abschwächen.

Mit der Urbanisierung verbundene Prozesse

Eng mit der Urbanisierung verbunden sind folgende Prozesse, die nacheinander oder auch gleichzeitig auftreten können:

Typisch für die neueste Zeit ist das Nebeneinander von raschen Auf- und Abwertungsprozessen verschiedener stadträumlicher Lagen.

Unterschiede der Verstädterung in Industrie- und Entwicklungsländern

Finanzzentrum: Downtown Toronto

Mit dem Prozess der Verstädterung war in den Industrieländern die Umgestaltung von einer traditionellen ländlichen Gesellschaft in eine stark arbeitsteilig-urbane Gesellschaft verbunden. Hier ging der Industrialisierung und Verstädterung entweder eine tiefgreifende Agrarreform voraus, oder beide Prozesse erfolgten gleichzeitig.

Die Verstädterung in den heutigen Entwicklungsländern setzte in den 1920er Jahren in Lateinamerika ein und hat seit dem Zweiten Weltkrieg auf alle Länder übergegriffen. Jedoch weist sie gegenüber dem Verstädterungsprozess der Industrieländer grundlegende Unterschiede auf:

  • In den Industrieländern wuchsen die Städte im 19. Jahrhundert hauptsächlich durch Zuwanderung infolge der Industrialisierung, weniger durch natürliches Bevölkerungswachstum, stets begleitet von bereits ausgebauten und nunmehr sich anpassenden Verwaltungs- und Rechtsstrukturen.
  • Die städtische Bevölkerung in den Entwicklungsländern wächst wesentlich stärker als in den meisten europäischen Industrieländern, und ohne die kommunalpolitischen Traditionen der „okzidentalen Stadt“ (nach Max Weber). Mit Ausnahme weniger Newly Industrializing Countries (NIC) und Schwellenländer fehlen in den Entwicklungsländern aufeinander abgestimmte, miteinander verknüpfte Formen des sozialen Wandels. Auf den Megastädten der Entwicklungsländer lastet außerdem ein doppelter Druck: die starke Zuwanderung (40–50 % des jährlichen Wachstums) wird von einem noch höheren, wenn auch sich abschwächenden natürlichen Bevölkerungswachstum begleitet. Hinzu kommt, dass der Infrastrukturausbau mit dem Wachstum immer weniger Schritt hält. So stieg die Bevölkerung von Nouakchott, der Hauptstadt Mauretaniens, von 1958 (500 Einwohner) bis 2013 auf 900.000, möglicherweise sogar auf zwei Millionen Einwohner, also um mindestens 160.000 % (das Tausendsechshundertfache), wobei ein permanent steigender Anteil der Bevölkerung unter Plastikplanen und in ähnlichen Quartieren „wohnt“.[11] Die indische Wirtschaftswissenschaftlerin Yayati Gosh, Trägerin des ILO-Forschungspreises 2010, kritisiert den Zusammenbruch der Stadtplanung unter dem Einfluss neoliberaler Reformen in vielen Ländern und beschreibt ihn als „tendency to create urban monstrosities of congestion, inequality and insecurity“.[12]

Situation in Deutschland

Als um 1845 in Deutschland die Industrialisierung einsetzte, gab es bereits eine Vielzahl von kleinen und mittelgroßen Städten. Die ökonomische Prämie, die in stark zentralisierten Staaten den Bewohnern der Hauptstadt zufällt, weil die Konzentration der Verwaltung eine Vielzahl von Einkommensmöglichkeiten bot, verteilte sich im staatlich zersplitterten Deutschland seit jeher auf eine ganze Reihe von Städten. Auch die verschiedenen Wellen der Industrialisierung waren von Anfang an polyzentrisch.[13] Damit kam es im 19. Jahrhundert in verschiedenen Regionen zur Urbanisierung im Sinne einer demographischen Verstädterung. Im Ergebnis dessen gibt es heute in Deutschland einen sehr hohen Anteil der Bevölkerung, der in Städten lebt – aber keine wirkliche Megastadt. Der Ökonom Hans-Heinrich Bass spricht von einer „polyzentrischen, Regionen in ganz Deutschland flächig umfassenden Verdichtung der Besiedelung“.[13] Damit einher gehe ein relativ gering ausgeprägtes Primat einer ‚First City‘, also der bevölkerungsreichsten Stadt. Urbanität im Sinne einer sozialen Verstädterung sei als Konsequenz aus dieser Entwicklung der dominierende Lebensstil in fast allen Teilen Deutschlands. Es entstanden so zahlreiche Oberzentren und Mittelzentren.

Nach einer Phase der Suburbanisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steigt aufgrund mehrerer Faktoren – vor allem wegen des demographischen Wandels, wegen höherer Energiepreise, wegen steuerlicher Eingriffe (Abschaffung der Eigenheimzulage und Reduzierung der Entfernungspauschale) und wegen zahlreicher Staus auf deutschen Verkehrswegen ziehen mehr Menschen vom Land in eine Stadt als umgekehrt – der Urbanisierungsgrad in den letzten Jahren wieder an (Reurbanisierung). Die Bevölkerungszahl in Deutschland hat insgesamt leicht abgenommen (insbesondere in den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands seit etwa dem Jahr 2000); in mittelgroßen Städten hat sie weiter zugenommen.[14] Im 21. Jahrhundert ist zudem der zuvor unübliche Trend zu beobachten, dass auch Familien mit Kindern vermehrt in die Städte ziehen bzw. in diesen wohnhaft bleiben.[15] Auch für Einwanderer sind die Städte bevorzugte Zielorte.[16]

Situation in den USA

Der Urbanisierungsgrad in den USA ist von 2001 bis 2011 von 79,4 % auf 82,4 % gestiegen.[17] Allerdings vollzieht sich innerhalb der Ballungsräume nach wie vor eine erhebliche Umschichtung der Bevölkerung. Die USA sind das klassische Studienobjekt für die in allen Industrieländern seit 1945 zu beobachtenden Prozesse der Suburbanisierung, d. h. der Abwanderung von Einwohnern und Arbeitsplätzen aus der Kernzone der Städte in die Peripherie. Die Verdichtung auf Basis urbaner Planung galt seit jeher als Problemlöser für viele infrastrukturelle und soziale Probleme des ausgedehnten nordamerikanischen Kontinents; seit den 1950er Jahren mehren sich jedoch kritische Stimmen (so die von Lewis Mumford, William H. Whyte und Jane Jacobs sowie der Chicago School of Urban Sociology), die die Entwicklung der Städte und insbesondere ihre Kehrseite – das Wuchern des Suburbs – als kritische Symptome der Massengesellschaft, der Homogenität und Konformität städtischer Siedlungsräume bewerten.

Robert Beauregard[18] beschreibt den Prozess des Niedergangs der altindustriellen Central Cities, der eng verknüpft ist mit dem Auszug der weißen Mittelschichten ins Umland, als „parasitäre Urbanisierung“[19] Sie ersetzt seit 1945 die „distributive Urbanisierung“, einen Zyklus der Stadtentwicklung in Nordamerika, in dem alle großen Städte vom demographischen und ökonomischen Wachstum des Landes gleichermaßen profitierten und der kurzfristig in den 1980er Jahren wiederkehrte. Die Phase der parasitären Urbanisierung bezeichnet Beauregard auch als short American century, eine historisch einzigartige Formation, geprägt durch den Niedergang der alten Industriezentren, den Aufstieg der Suburbs insbesondere im Sunbelt[20] und eine bis dahin unerreichte wirtschaftliche Prosperität und militärische Hegemonie in der Welt: „Parasitic urbanization […] produced the trauma that devastated older, industrial cities, created a crisis of national consequences, and undermined the way of life that had defined achievement in the United States for hundreds of years. The dominance of the center […] was replaced by a fragmentation of the periphery brought about by suburban development. Urbanization had jumped to the metropolitan scale.“[21] In seiner Betrachtung verknüpft Beauregard den Prozess der Suburbanisierung mit den langen Wellen der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung einerseits und ihrer Interpretation im Kontext der Herausbildung einer nationalen Identität, dem becoming suburban, andererseits.

Situation in China

Die Urbanisierung in China wurde lange Zeit durch das Zuwanderungsverbot gebremst, welches die unkontrollierte Landflucht verhindern sollte. Doch hat in den letzten Jahrzehnten ein rapider Urbanisierungsprozess stattgefunden, der sich fortsetzen und zentral geplant noch beschleunigen soll. 1980 lebten etwa 20 % der Chinesen in Städten, 2001 waren es 37,7 %, 2012 bereits 52,6 %[22] und 2025 sollen es 70 % sein, also mehr als 900 Millionen Menschen. Allein in den nächsten 12 Jahren sollen 250 Millionen Menschen das Land verlassen und gezielt in Städten angesiedelt werden – das ist etwa die zwanzigfache Population des Großraums Los Angeles. Premierminister Li Keqiang verkündete im März 2013, dass die planmäßige Urbanisierung eines der vorrangigen Ziele der Regierung sei, um Wertschöpfung und Wirtschaftswachstum zu beschleunigen. Die Präsentation der Detailplanung wurde allerdings auf den Herbst 2013 verschoben, vermutlich weil auch negative Effekte durch Inflation und die Entstehung einer entwurzelten arbeitslosen Unterschicht befürchtet werden. Man rechnet mit einer Verdoppelung der Zahl von städtischen Wohlfahrtsprogrammen abhängiger Menschen. Auch stellen die Banken weniger Geld für großdimensionierte Infrastrukturprojekte zur Verfügung, so dass die Städte sich dieses durch Landverkäufe oder Ausgabe von Schuldverschreibungen besorgen müssen.[23] Bedingt durch den drohenden Verkehrs- und Umweltkollaps in den großen Agglomerationen sollen bis zu 1000 mittlere Entlastungsstädte im Hinterland der Küstenzone mit jeweils spezialisiertem industriellen Profil oder auch „Themenstädte“ nach dem Vorbild europäischer historischer Stadtanlagen geschaffen werden.[24]

Situation in Indien

In Indien existieren mit Mumbai, Delhi, Kalkutta, Chennai, Bangalore und Hyderabad sechs Megastädte. 2010 lebten jedoch nur 30 % der Inder in Städten (2001: 28 %; 2010 weltweit zum Vergleich: 50 %). Der Zuwachs beträgt jährlich etwa 2,4 % (weltweit zum Vergleich: 4,2 %).[25] Selbst bei dieser vergleichsweise mäßigen Zuwachsrate der städtischen Bevölkerung hält der Ausbau der Infrastruktur, vor allem das Wasser- und Müllmanagement in keiner Weise mit diesem Anstieg mit. Wissenschaftler beschreiben das Wachstum indischer Städte als fragmentiert, ungeplant und ohne Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte. Studien belegen einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem ungesteuerten Städtewachstum Indiens und durch Kontamination von Trink- und Brauchwasser ausgelösten Krankheiten.[26] Die Ausbreitung von Slums schreitet trotz des Baubooms ungebremst voran.[27]

Siehe auch

Literatur

  • Dieter Schott: Europäische Urbanisierung (1000–2000). Eine umwelthistorische Einführung, UTB, Köln 2014.
  • Heinz Heineberg: Stadtgeographie. UTB u. a., Stuttgart u. a. 2000, ISBN 3-8252-2166-0 (Grundriss Allgemeine Geographie – UTB 2166)
  • Jürgen Bähr: Einführung in die Urbanisierung. Kiel 2001 (Elektronische Quelle, Stand 2008: [2])
  • Wolf Gaebe: Urbane Räume. Ulmer, Stuttgart 2004, ISBN 3-8252-2511-9 (UTB – Geographie 2511)
  • Elisabeth Blum, Peter Neitzke (Hrsg.): FavelaMetropolis. Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und São Paulo. Birkhäuser u. a., Basel u. a. 2004, ISBN 3-7643-7063-7 (Bauwelt-Fundamente – Architektur- und Städtebaupolitik 130)
  • Johannes Fiedler: Urbanisierung, globale; Böhlau, Wien u. a. 2004, ISBN 3-205-77247-4
  • Johannes Fiedler: Urbanisation, unlimited; Springer 2014, ISBN 978-3-319-03586-4
  • Jane Jacobs: The Death and Life of Great American Cities. Random House, New York 1961
  • Nicole Huber, Ralph Stern: Urbanizing the Mojave Desert. Las Vegas = Die Urbanisierung der Mojave-Wüste. Las Vegas. Jovis, Berlin 2008, ISBN 978-3-939633-50-1 (Ausstellungskatalog, Frankfurt am Main, Deutsches Architekturmuseum, 24. November 2007 – 25. Januar 2008)
  • Matthew Gandy, Hg.: Urban Constellations. JOVIS Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-86859-118-7
  • Doug Saunders: Arrival City. Karl-Blessing-Verlag, München 2011, ISBN 978-3-89667-392-3
  • Jan Gehl: Städte für Menschen, JOVIS Verlag Berlin 2015, ISBN 978-3-86859-356-3
Wiktionary: Urbanisierung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Horst-Günter Wagner: Die Stadtentwicklung Würzburgs 1814–2000. In: Ulrich Wagner (Hrsg.): Geschichte der Stadt Würzburg. 4 Bände, Band I-III/2, Theiss, Stuttgart 2001–2007; III/1–2: Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert. Band 2, 2007, ISBN 978-3-8062-1478-9, S. 1299, Anm. 21.
  2. Linking Population, Poverty and Development. UNFPA, Mai 2007
  3. Tertius Chandler: Four Thousand Years of Urban Growth. An Historical Census. Lewingston (NY) 1987.
  4. Helmut Rankl: Landvolk und frühmoderner Staat in Bayern 1400–1800. Kommission für Bayerische Landesgeschichte, 1999, ISBN 3-7696-9692-1, S. 8.
  5. H. Häussermann, W. Siebel: Stadtsoziologie. Kommission für Bayerische Landesgeschichte, 2004, ISBN 3-593-37497-8, S. 19.
  6. Der in diesem Zusammenhang oft verwendete Begriff „Fabrikarbeiter“ ist falsch, da zu dieser Zeit in Deutschland noch keine Fabriken existierten.
  7. Hartmut Hirsch-Kreinsen: Wirtschafts- und Industriesoziologie. Juventa Verlag, 2005, ISBN 3-7799-1481-6, S. 12.
  8. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck. 2 Aufl. der Sonderausgabe 2016. ISBN 978 3 406 61481 1. S. 366
  9. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck. 2 Aufl. der Sonderausgabe 2016. ISBN 978 3 406 61481 1. S. 367f
  10. http://www.un.org/en/development/desa/population/publications/pdf/urbanization/population-distribution.pdf
  11. http://www.irinnews.org/report/83724/mauritania-city-versus-slum Zugriff 24. Juni 2013
  12. World Economics Association Newsletter (PDF; 908 kB), June 2013, S. 12
  13. a b Hans-Heinrich Bass: Städtische Personentransportsysteme in Deutschland. In: Hans-Heinrich Bass, Christine Biehler, Ly Huy Tuan (Hg.): Auf dem Weg zu nachhaltigen städtischen Transportsystemen, Rainer-Hampp-Verlag, München und Mering 2011, S. 62–93, hier S. 68
  14. Prognose der regionalen Bevölkerungsentwicklung 2007–2025 aus www.focus.de Abruf 22. Juni 2013. Ausnahmen u. a.: Ruhrgebiet, Saarland, Hamburg (hier wird verstärkt im unmittelbaren Umland gesiedelt), Dresden, Leipzig
  15. Immer mehr Familien in der Stadt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Dezember 2014
  16. Statistik: Migrantenanteil in deutschen Großstädten wächst, Bundeszentrale für politische Bildung, 13. November 2012
  17. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/165800/umfrage/urbanisierung-in-den-usa/ Zugriff 23. Juli 2013
  18. Robert A. Beauregard: When America Became Suburban. Minneapolis, London 2006
  19. Beauregard 2006, S. 40 ff.
  20. Vgl. auch R. E. Lang, J. Le Furgy: Boomburbs. The Rise of America's Accidental Cities. Brookings Institution Press, Washington D.C. 2007
  21. Beauregard 2006, S. 4
  22. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/166163/umfrage/urbanisierung-in-china/ Zugriff 23. Juli 2013
  23. Ian Johnson: China Plans Vast Urbanization, The New York Times International Weekly (in Kooperation mit Süddeutscher Zeitung), 21. Juni 2013
  24. Dieter Hassenpflug: Europäische Stadtfiktionen. In: [www.espacetemps.net/articles], 10. November 2008.
  25. Länderdaten (Quelle: Weltbank) Zugriff 24. Juni 2013
  26. [1] Lehrstuhl für Ingenieurgeologie und Hydrogeologie der RWTH Aachen, Zugriff 24. Juni 2013
  27. Axel Prokof: Mumbai, Delhi und Kolkata – Megastädte Indiens: Ausgewählte Aspekte der Urbanisierung in Indien unter besonderer Berücksichtigung der Elendsviertel. VDM Verlag, 2010, ISBN 978-3-639-26162-2