„Reformation“ – Versionsunterschied

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[[Datei:HolyRomanEmpire 1618.png|miniatur|hochkant=1.5|Die Konfessionen in Zentraleuropa um 1618]]


Etwa um 1533 schloss sich [[Johannes Calvin]] in Paris dem Protestantismus an. Bis zu dieser Zeit wäre auch er eher als katholischer [[Humanist]] denn als Reformierter zu bezeichnen. Nach einer protestantis[[Johannes Calvin]] und [[Ulrich Zwingli]] mit Interesse verfolgt, und es kam vielen von ihnHeiligenverehrung, Wallfahrten und andere „gute Werke“). Die Autorität der Kirchen über die Gläubi
'''Reformation''' ([[latein]]isch ''reformatio'' „Wiederherstellung, Erneuerung“) bezeichnet im engeren Sinn eine kirchliche [[Erneuerungsbewegung]] zwischen 1517 und 1648, die zur Spaltung des westlichen [[Christentum]]s in verschiedene [[Konfession]]en ([[Römisch-katholische Kirche|katholisch]], [[Evangelisch-lutherische Kirchen|lutherisch]], [[Reformierte Kirche|reformiert]]) führte.

Die Reformation wurde in Deutschland überwiegend von [[Martin Luther]], in der Schweiz von [[Huldrych Zwingli]] und [[Johannes Calvin]] angestoßen. Ihr Beginn wird allgemein auf 1517 datiert, als Martin Luther seine [[95 Thesen]] auf die Tür der [[Schloss Wittenberg|Schlosskirche zu Wittenberg]] geschlagen haben soll, aber ihre Ursachen und Vorläufer reichen weiter zurück. Als Abschluss wird allgemein der [[Westfälischer Friede|Westfälische Frieden]] von 1648 betrachtet.<ref name="Simon-120-121">{{Literatur|Autor=Edith Simon|Titel=Great Ages of Man: The Reformation|Seiten=120–121|Verlag=Time-Life Books|Jahr=1966|ISBN=0-662-27820-8|Originalsprache=en}}</ref>

Anfänglich war die [[Gegenbewegung|Bewegung]] ein Versuch, die [[römisch-katholische Kirche]] zu reformieren. Viele Katholiken in West- und Mitteleuropa waren beunruhigt durch das, was sie als falsche Lehren und Missbrauch innerhalb der Kirche ansahen, besonders in Bezug auf die [[Ablassbrief]]e. Ein weiterer Kritikpunkt war die Käuflichkeit kirchlicher Ämter ([[Simonie]]), die den gesamten [[Klerus]] in den Verdacht der Korruption brachte. <!--man müsste hier dann eigentlich etwas sagen, wieso es zur Trennung von Rom kam, und warum es nicht eine innerkirchliche Bewegung blieb--das macht dann auch einen besseren Übergang zum nächsten Absatz über die Konfessionalisierung-->

Die Reformbewegung spaltete sich aufgrund unterschiedlicher Lehren in verschiedene protestantische Kirchen auf. Die wichtigsten Konfessionen, die aus der Reformation hervorgingen, sind die Lutheraner und die Reformierten (darunter [[Calvinismus|Calvinisten]], [[Zwinglianer]] und [[Presbyterianische Kirchen|Presbyterianer]]). Hinzu kommen die radikal-reformatorischen [[Täufer]]. In Ländern außerhalb Deutschlands verlief die Reformation zum Teil ganz anders. So entstand in England der [[Anglikanismus]]. In Ländern, die der römischen Kirche treu blieben, kamen manche Anliegen der Reformation in der [[Gegenreformation]] und der [[Katholische Reform|katholischen Reform]] zum Ausdruck.

== Voraussetzungen ==
Dass die Reformation gerade in [[Deutschland]] begann und einen so durchschlagenden Erfolg hatte, lässt sich durch mehrere Faktoren erklären.

=== Humanismus ===
[[Datei:Desidrius Erasmus by Hans Holbein.jpg|miniatur|hochkant|Erasmus von Rotterdam]]
Der [[Renaissance-Humanismus|Humanismus]] war eine seit dem 14. Jahrhundert aus Italien ausstrahlende Bildungsbewegung, die für eine Wiederbelebung der antiken Gelehrsamkeit eintrat. Gemäß ihrem Prinzip ''[[Ad fontes]]'' („Zu den Quellen“) widmeten sich die Humanisten dem Studium antiker Autoren und entwickelten daraus eine kritische Haltung gegenüber der Gegenwart. Der Humanismus wirkte auf die Universitäten dieser Zeit und prägte viele spätere Reformatoren. Besonders die intensive Lektüre der [[Bibel]] und der [[Kirchenväter]] fand später ihre Entsprechung im reformatorischen [[Schriftprinzip]].

=== Buchdruck ===
Die Erfindung des [[Buchdruck]]s mit beweglichen Lettern (Mitte des 15. Jahrhunderts) löste eine Medienrevolution aus. Die Reformatoren nutzten das neue [[Massenmedium]], um ihre Schriften zu verbreiten.

=== Soziale und wirtschaftliche Faktoren ===
Das 16. Jahrhundert war von tiefen gesellschaftlichen Umwandlungsprozessen geprägt. Ein Grund dafür war die zunehmende Bedeutung der Städte. Durch Handel hatte sich in den Städten eine Bürgerschicht gebildet, die über beträchtliche Finanzkraft verfügte. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom [[Frühkapitalismus]]. Die Patrizier in den Städten, z.&nbsp;B. die [[Fugger]] in [[Augsburg]], übertrafen mit ihrer Wirtschaftskraft oft den landsässigen Adel, der sich in der Landwirtschaft betätigte. Die Landwirtschaft beruhte auf der Arbeit der Bauern, die den Großteil der Bevölkerung bildeten. Sie lebten meistens am Existenzminimum und litten unter [[Steuer]]n, [[Abgabe]]n, [[Frondienst]]en und [[Leibeigenschaft]]. Hinzu kam, dass durch den stetigen Zustrom von Edelmetallen aus den spanischen Kolonien in [[Amerika]] der Geldwert sank ([[Inflation]]). Die Kaufkraft der Bevölkerung sank zum Teil dramatisch, so dass Wirtschaftshistoriker von einer „[[Preisrevolution]]“ sprechen. Darüber hinaus wuchs die Bevölkerung. Man nimmt an, dass zwischen 1500 und 1600 die Bevölkerung des Deutschen Reichs von 12 auf 15 Millionen anstieg. Infolge des Bevölkerungszuwachses verteuerten sich die Nahrungsmittel, während Arbeitskräfte billiger wurden. Diese sozial und wirtschaftlich prekäre Lage führte seit dem Ende des 15. Jahrhunderts immer wieder zu [[Bauernkrieg|Aufständen]], die im [[Deutscher Bauernkrieg|Deutschen Bauernkrieg]] 1525 gipfelten.

=== Politische Faktoren ===

==== Reichsverfassung ====
[[Datei:Tizian 066.jpg|miniatur|hochkant|Kaiser Karl V.]]
Das [[Heiliges Römisches Reich|Heilige Römische Reich Deutscher Nation]] bestand aus vielen Einzelterritorien, war also kein zentralisierter Staat wie England oder Frankreich. Der [[Kaiser]] als höchste Instanz im Reich wurde von den [[Kurfürst]]en gewählt, musste ihnen aber in der sogenannten [[Wahlkapitulation]] die Wahrung ihrer territorialen Rechte zugestehen. Das höchste gesetzgebende Organ des Reiches waren die [[Reichstag (HRR)|Reichstage]], die vom Kaiser, meist wenn dieser Geld brauchte, einberufen wurden. Der Kaiser konnte Gesetze nicht allein verabschieden, sondern benötigte die Zustimmung des Reichstages, auf dem die Kurfürsten, der Hochadel im [[Reichsfürstenrat]] und die [[Reichsstadt|Reichsstädte]] stimmberechtigt waren. Aus diesem Grund spricht man vom Dualismus zwischen Kaiser und Reichsständen. Dies war ein wesentlicher Faktor bei der Ausbreitung der Reformation. Aufgrund der fehlenden Zentralinstanz im Reich entschied sich das Schicksal der Reformation auf territorialer Ebene. Dies führte zu einer konfessionellen Fragmentierung des Reiches, die der Kaiser verhindern wollte, es aber wegen seiner fehlenden Macht nicht konnte. Ein weiterer Grund war, dass sich [[Karl V. (HRR)|Karl V.]] in den ersten Jahren nach Luthers Thesenveröffentlichung selten im Reich aufhielt und mit Kriegen gegen Frankreich und das [[Osmanisches Reich|Osmanische Reich]] beschäftigt war, so dass er sich wenig um die Angelegenheiten im Reich kümmern konnte. Außerdem lag die Einführung der Reformation oft im Interesse der einzelnen Landesfürsten, die sich dadurch von Kaiser und Papst emanzipieren konnten.

==== Politische Situation in Europa ====
Zu den verfassungsmäßigen Problemen im Reich kam die politische Situation in Europa. Diese war in erster Linie geprägt durch den [[Habsburgisch-französischer Gegensatz|Gegensatz von Habsburg und Frankreich]]. Kaiser [[Karl V. (HRR)|Karl V.]] und der französische König [[Franz I. (Frankreich)|Franz I.]] führten zwischen 1521 und 1544 mit nur kurzen Unterbrechungen drei [[Italienische Kriege#Kriege zwischen Karl V. und Franz I.|Italienkriege]] um die Vormachtstellung in Oberitalien und die Herrschaft über die burgundischen Erblande, auf die beide Anspruch erhoben. Das [[Habsburgerreich]] erstreckte sich über das Reich in Zentraleuropa, Spanien (mit Süditalien) und die spanischen Kolonien in der Neuen Welt. Frankreich war von zwei habsburgischen Territorien umklammert. Das Ziel Karls V. war die Verbindung des Reiches mit Spanien durch die Annexion Südfrankreichs. Franz I. wollte dies um jeden Preis verhindern. Auch der Papst fürchtete eine Übermacht der Habsburger und verbündete sich zeitweise mit dem französischen König.

Hinzu kam die dauernde [[Türkengefahr]] im Südosten Europas. 1526 hatten die [[Osmanisches Reich|Osmanen]] in der [[Schlacht bei Mohács (1526)|Schlacht von Mohács]] die Ungarn besiegt und [[Erste Wiener Türkenbelagerung|belagerten 1529 Wien]], das zu den [[Habsburgische Erblande|habsburgischen Erblanden]] gehörte. Der Kaiser war gezwungen, Geld und Truppen aufzubringen, um dieser Gefahr zu begegnen. Dazu benötigte er die Zustimmung der Reichsstände, was seine Position im Reich schwächte.

Aufgrund der zahlreichen Verpflichtungen außerhalb des Reichs befand sich Karl V. 1521–1530 und 1532–1541 im Ausland. In dieser Zeit konnte sich die Reformation im Reich ausbreiten.

=== Religiöse Faktoren ===
==== Mystik und Devotio moderna ====
Im Gegensatz zur [[Scholastik]], welche die Welt zerlegen und rational durchdringen wollte, strebte die [[Christliche Mystik|Mystik]] einen ganzheitlichen Zugang an. Zentrale Vorstellungen der Mystik sind die Leerwerdung, das Loslassen von Begierden und Leidenschaften, damit sich der Geist Gottes im Menschen ausbreiten kann. Nicht die theologische Spekulation, sondern die individuelle praktische Erfahrung war das Ziel der Mystiker. Zum einen gab es die [[Zisterzienser|zisterziensisch]] geprägte „romanische Mystik“, die vor allem von [[Bernhard von Clairvaux]] geprägt wurde und welche eine Einswerdung mit Christus (''unio cum Christo'') sowie eine Hineinversenkung in sein Leiden zum Ziel hatte. Davon unterscheidet man die [[Dominikaner|dominikanisch]] geprägte [[deutsche Mystik]], deren Hauptvertreter [[Meister Eckhart]], [[Johannes Tauler]] und [[Heinrich Seuse]] waren. Taulers Predigten und die ihm fälschlicherweise zugeschriebene Schrift ''[[Theologia deutsch]]'' übten großen Einfluss auf Luther aus.

Die Reformbewegung ''[[Devotio moderna]]'' („moderne Frömmigkeit“) geht auf den niederländischen Theologen und Bußprediger [[Geert Groote]] zurück. Sie war vor allem in den [[Niederlande]]n und im Nordwesten des Reiches verbreitet. Sie verband mystische Einflüsse mit einer stark [[Ethik|ethisch]] und praktisch ausgerichteten Frömmigkeit. Das Idealbild der [[Brüder vom gemeinsamen Leben]], die in [[kloster]]ähnlichen Gemeinschaften ohne [[Ordensgelübde]] zusammenlebten, war die christliche [[Urgemeinde]]. Die ''Devotio moderna'' übte großen Einfluss auf den „Humanistenfürsten“ [[Erasmus von Rotterdam]] aus. Als Hauptwerk der ''Devotio moderna'' gilt ''[[Nachfolge Christi|De imitatione Christi]]'' („Von der Nachfolge Christi“) von [[Thomas von Kempen]], eines der meistgelesenen Bücher des Spätmittelalters. Es betont die unmittelbare Beziehung des Gläubigen mit Gott, ein Gedanke, der später von den Reformatoren stark hervorgehoben wurde.

==== Spätmittelalterliche Frömmigkeit ====
[[Datei:Wolgemut - 1493 - tanz der gerippe.jpg|miniatur|Totentanz (1493)]]
[[Datei:Das Jüngste Gericht (Memling).jpg|miniatur|links|''Das Jüngste Gericht'' von [[Hans Memling]] (um 1470)]]

Durch die großen [[Pest]]-Epidemien im Hoch- und Spätmittelalter, die ganze Landstriche entvölkert hatten, aber auch durch die hohe Säuglingssterblichkeit war der Tod für die Menschen allgegenwärtig. Dieses fand künstlerischen Ausdruck in den „[[Totentanz|Totentänzen]]“. Die Angst vor dem Tod ging einher mit der Angst vor dem individuellen Gericht direkt nach dem Tod ([[Partikulargericht]]) und vor dem [[Jüngstes Gericht|Jüngsten Gericht]] in der Endzeit. Im Bewusstsein ihrer [[Sünde|Sündhaftigkeit]] dürsteten die Menschen nach Dingen, die sie ihres jenseitigen Heils versicherten. Dazu gehörten fromme Stiftungen, [[Seelenmesse]]n, [[Wallfahrt]]en, [[Prozession]]en und der Erwerb von [[Ablassbrief]]en, durch die die Zeit im [[Fegefeuer]] verkürzt werden sollte. All diese Leistungen konnten gegen Geld von der Kirche erworben werden – eine „Fiskalisierung“ der Religion. Die starke Verinnerlichung der Frömmigkeit ging einher mit einer starken Veräußerlichung. Die spätmittelalterliche Frömmigkeit ist im Wesentlichen eine Sakramentsfrömmigkeit mit [[Magie|magischen]] Elementen.

==== Antiklerikalismus ====
Der Durst der Menschen nach Heil kontrastierte scharf mit der kirchlichen Wirklichkeit. Nachdem mehrere Päpste Anspruch auf die Nachfolge Petri erhoben und sich gegenseitig exkommuniziert hatten ([[Abendländisches Schisma]]), war die Bedeutung des Papsttums für die Gläubigen relativiert worden. Dennoch konnte der Papst den innerkirchlichen Streit um die [[Kirchenreform]] gegen die Vertreter der [[Konziliarismus]] für sich entscheiden. Da er den [[Kirchenstaat]] wie ein weltlicher Herrscher regierte, hatte er kein Interesse, seine Macht durch Konzilien einschränken zu lassen. Für seine Hofhaltung, die der italienischer Fürsten glich, benötigte der Papst Geld, welches er durch den [[Zehnt]]en und die oben genannten Dienstleistungen eintreiben ließ. Verantwortlich dafür waren die Pfarrer vor Ort, die meist schlecht ausgebildet und selbst völlig unterbezahlt waren. Da sie selbst von Abgaben befreit waren, sonst aber meist wie Laien lebten, oft auch verheiratet, schürte dies den [[Antiklerikalismus]] im Volk. Der hohe Klerus hingegen bestand meist aus Mitgliedern adliger Familien, die ihre kirchlichem Ämter vor allem wegen der damit verbundenen [[Pfründe]]n innehatten. [[Simonie|Ämterkauf]] war ein gängiges Phänomen, ebenso wie die Vergabe lukrativer Ämter an Verwandte ([[Nepotismus]]). Ihre Ämter übten hohe Kleriker oft nicht selbst aus, sondern gaben die seelsorgerlichen Verpflichtungen an einen weniger gut bezahlten Kleriker ab. So konnten sie sich einem bequemen Leben widmen, oft auch im [[Konkubinat]].

Dieses Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit der „Heilsanstalt“ Kirche sowie die weitgehende Verweltlichung des Klerus förderten die antikirchliche Stimmung im Volk.

==== Reformbewegungen ====
[[Datei:John Wycliffe.jpg|miniatur|hochkant|John Wyclif]]
Schon vor dem eigentlichen Beginn der Reformation gab es innerkirchliche Reformbemühungen. Der Pfarrer [[John Wyclif]], der im 14. Jahrhundert in England wirkte, gilt als „Vorläufer der Reformation“. Zunächst Lehrer in [[Oxford]], übernahm er 1374 eine Pfarrei in [[Lutterworth]]. Zu diesem Zeitpunkt herrschte in England wegen der Steuern, die an Rom abzuführen waren, eine stark antipäpstliche Stimmung. Wyclif vertrat unter Berufung auf die Bibel ein kirchliches Reformprogramm und kritisierte offen die Missstände im Klerus. Er lehnte [[Bilderverehrung|Bilder-]], [[Heiligenverehrung|Heiligen-]] und [[Reliquien#Reliquienverehrung|Reliquienkult]] sowie [[Zölibat]] und [[Transsubstantiationslehre]] ab. Für seine Reformvorschläge erhielt er zunächst Unterstützung vom [[Liste der britischen Monarchen|englischen König]], der um eine größere Autonomie der Kirche in England bemüht war. Nachdem der Papst einen Prozess gegen Wyclif eingeleitet hatte, bezeichnete dieser ihn als „[[Antichrist]]“. Durch den Einfluss der Orden wurden Wyclifs Lehren von der Universität und der [[Konzil|Synode]] als [[Häresie|häretisch]] verurteilt, Wyclif selbst aber aus Angst vor einem Volksaufstand nicht angeklagt. Erst das [[Konstanzer Konzil]] verurteilte ihn 1415 zum Ketzer und ließ seine Gebeine posthum verbrennen. Seine Ideen lebten in der Bewegung der [[Lollarden]] weiter.

[[Datei:BildnisJanHus1562.jpg|miniatur|hochkant|Jan Hus]]
Ausdrücklich auf Wyclif berief sich [[Jan Hus]], der an der Universität in [[Prag]] mit Gedankengut von Wyclif in Berührung kam, das über tschechische Studenten aus Oxford in die Stadt gelangt war. Hus studierte Theologie und wurde Professor an der Universität. Er kritisierte offen die Habsucht und Verweltlichung des Klerus und plädierte für eine grundlegende Reform auf der Grundlage der Bibel. Außerdem erkannte er den Papst nicht als höchste Autorität in Glaubensdingen an. Hus’ Kritik stieß zur Beunruhigung der Kirche in der Bevölkerung auf großen Zuspruch. 1408 wurde er seines Amtes enthoben und 1411 exkommuniziert, woraufhin in Prag Unruhen ausbrachen. Hus wirkte als Wanderprediger weiter und entwarf eine Lehre von der Kirche als hierarchiefreie Gemeinde unter dem Haupt Christus. 1414 wurde Hus vor das [[Konstanzer Konzil]] geladen, wo er seine Aussagen widerrufen sollte. Entgegen der Zusage freien Geleits durch König [[Sigismund (HRR)|Sigismund]] wurde Hus 1415 als [[Ketzer]] verbrannt. In der Folge bildeten sich zahlreiche Strömungen, die sich direkt auf Jan Hus bezogen und daher [[Hussiten]] genannt wurden. Von 1419 bis 1436 kam es in [[Böhmen]] zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen diesen Gruppen und dem böhmischen König ([[Hussitenkriege]]).

Zahlreiche von John Wyclif und Jan Hus formulierte Kritikpunkte und Vorschläge wurden von den Reformatoren aufgenommen und weiterentwickelt.

== Luthertum in Deutschland ==
=== Frühphase (1517–1519) ===
==== Reformatorischer Durchbruch ====
[[Datei:Lucas Cranach (I) workshop - Martin Luther (Uffizi).jpg|miniatur|hochkant|Martin Luther]]
[[Martin Luther]] war 1505 als Mönch in den Orden der [[Augustinerorden|Augustiner-Eremiten]] eingetreten. Seit 1512 arbeitete Luther als Professor an der [[Leucorea|Universität Wittenberg]] und hielt Vorlesungen über die Bücher der Bibel. Die Auslegung des [[Römerbrief]]s und die intensive Beschäftigung mit der [[Paulus von Tarsus|paulinischen]] Theologie beeinflussten sein Denken zutiefst. Luther hatte bis dahin immer am Bewusstsein seiner [[Sünde|Sündhaftigkeit]] und des drohenden Gerichts gelitten. Der Begriff der „[[Gerechtigkeit#Gerechtigkeit in den Religionen|Gerechtigkeit Gottes]]“ war ihm zutiefst verhasst. Seinem damaligen Gerechtigkeitsbegriff lag die Vorstellung der ''iusititia distributiva'' („verteilende Gerechtigkeit“) zugrunde. Nach dieser Gerechtigkeitskonzeption bekommt jeder das, was ihm zusteht (''[[suum cuique]]'' – jedem das Seine). Durch die Beschäftigung mit der paulinischen [[Rechtfertigung (Theologie)|Rechtfertigungslehre]] erschloss sich Luther ein neues Verständnis der Gerechtigkeit Gottes, die er nun als ''iustitia passiva'' verstand: „Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte wird aus Glauben leben.‘“ {{Bibel|Röm|1|17|LUT}}. Gott ist gerecht, indem er gerecht macht. Der Sünder kann seine Rechtfertigung also nicht durch Werke verdienen, sondern nur im Glauben von Gott gerechtfertigt werden.

Der [[Datierung der Reformatorischen Entdeckung|Zeitpunkt des reformatorischen Durchbruchs]] ist in der Forschung umstritten. Im Anschluss an eine Tischrede Luthers wurde die reformatorische Entdeckung oft als plötzliche Erkenntnis („Turmerlebnis“) dargestellt. In der heutigen Forschung geht man eher von einem graduellen Erkenntnisprozess von 1514 bis 1518 aus.

==== Auslöser ====
[[Datei:CranachAlbrechtBrandenburg.jpg|miniatur|hochkant|Albrecht von Brandenburg]]
Ein konkreter politischer Anlass für die Reformation war das Vorgehen von [[Albrecht von Brandenburg]], der bereits [[Bistum Magdeburg|Erzbischof von Magdeburg]] war, auch [[Liste der Bischöfe von Mainz|Erzbischof von Mainz]] und damit Kurfürst zu werden. Da eine solche Ämterhäufung gegen das [[Codex Iuris Canonici|kanonische Recht]] verstieß, musste Albrecht von Papst [[Leo X.]] eine Sondergenehmigung ([[Dispens]]) käuflich erwerben. Darüber hinaus waren vom [[Mainzer Domkapitel]] [[Palliengeld]]er für die Wahl des neuen Bischofs an den Papst zu entrichten. Da die finanziellen Mittel des Domkapitels erschöpft waren, musste Albrecht einen Weg finden, um das erforderliche Geld zu beschaffen.

Im Zuge des Neubaus des [[Petersdom]]s, den Papst [[Julius II.]] angestrengt hatte, waren dessen Nachfolger in ständiger Geldnot. Papst Leo X. hatte aus diesem Grund den sogenannten ''Petersablass'' eingeführt. Die Abmachung des Papstes mit Albrecht von Brandenburg sah vor, dass dieser sich das Geld bei den [[Fugger]]n leihen und an den Papst zahlen sollte. Im Gegenzug erhielt Albrecht von Brandenburg für acht Jahre das Recht, in seinen Territorien den Petersablass einsammeln zu lassen. Die Hälfte des Geldes ging an Rom, die andere Hälfte verblieb bei Albrecht, der damit seine Schulden bei den Fuggern bezahlen konnte.

So kam es, dass seit 1517 der Dominikanermönch [[Johann Tetzel]] durch das [[Bistum Magdeburg]] (das Nachbarterritorium von [[Wittenberg]]) zog und den Ablass predigte. Auch Gemeindeglieder aus [[Wittenberg]], deren Prediger und Seelsorger Luther war, gingen in die benachbarten Städte, um ''Ablassbriefe'' zu erwerben.

==== Luthers Kritik am Ablasswesen ====
[[Datei:95Thesen.jpg|miniatur|Luthers 95 Thesen]]
Luther kritisierte das Ablasswesen, weil die Glaubenden sich dadurch ihres Heils zu Unrecht sicher wähnten. Es komme auf die innere Reue des Christen an, damit ihm Gott die Sünden vergibt. Es bedürfe nicht der sakramentalen Vermittlung, schon gar nicht durch den Verkauf von Ablässen. Aus diesem Grund verfasste Luther auf Latein [[95 Thesen]] gegen den Ablass, welche die Grundlage für eine gelehrte [[Disputation]] sein sollten. Er übersandte sie am 31.&nbsp;Oktober 1517 an den Erzbischof von Mainz, von dem er glaubte, er wisse nichts vom Missbrauch des Ablasses. Dieses Datum wird von evangelischen Christen zum Gedenken an den berühmten Thesenanschlag als [[Reformationstag]] begangen. Ob Luther seine Thesen tatsächlich an die Tür der [[Schloss Wittenberg|Schlosskirche zu Wittenberg]] genagelt hat, ist umstritten. Die Thesen wurden entgegen der ursprünglichen Absicht Luthers ins Deutsche übersetzt und verbreiteten sich schnell. Wenige Monate später veröffentlichte Luther im März 1518 die auf Deutsch verfasste Schrift ''Sermon von dem Ablass und Gnade'', in der er seine Kritik am Ablass erläuterte. Im April 1518 nahm Luther am Ordenskapitel in Heidelberg teil, um seine Thesen zu erklären. An der „[[Heidelberger Disputation]]“ nahmen viele spätere [[Reformator]]en (wie [[Philipp Melanchthon]], [[Martin Bucer]], [[Johannes Brenz]], [[Erhard Schnepf]] und [[Martin Frecht]]) teil, die Luthers Kritik an der [[Werkgerechtigkeit]] begeistert aufnahmen.

Albrecht von Brandenburg erhielt den Brief mit den 95 Thesen in seiner Sommerresidenz in Mainz und leitete sofort ein kirchenamtliches Verfahren gegen Luther ein. Außerdem beauftragte er die [[Johannes Gutenberg-Universität Mainz|Universität Mainz]] mit einem Gutachten. Noch bevor das Gutachten vorlag, sandte Albrecht die Angelegenheit nach Rom, um den aufsässigen Mönch aus Wittenberg ruhigzustellen.

==== Ketzerprozess gegen Luther ====
[[Datei:Leipziger Disputation.jpg|miniatur|Leipziger Disputation 1519]]
Die [[Kurie]] ordnete zunächst eine Voruntersuchung gegen Luther an, in deren Verlauf [[Silvester Mazzolini]] mit seiner Schrift ''De potestate papae dialogus'' zu dem Ergebnis kam, dass bereits die Kritik an der Praxis des Papstes [[Häresie]] sei. Daraufhin wurde Luther im August nach Rom zitiert, was dessen Landesherr [[Friedrich III. (Sachsen)|Friedrich der Weise]] aber zu verhindern wusste. Dieser hatte zu jenem Zeitpunkt in seiner Eigenschaft als Kurfürst großen Einfluss, da er über die Wahl des nächsten Kaisers mitbestimmte und der Papst die Wahl [[Karl V. (HRR)|Karls V.]] verhindern wollte und am liebsten ihn als Kaiser gesehen hätte. Als Kompromiss wurde Luther im Oktober 1518 auf dem [[Reichstage zu Augsburg#1518|Reichstag zu Augsburg]] von Kardinal [[Thomas Cajetan|Cajetan]] verhört. Dieser sollte Luther zum Widerruf bewegen oder ihn andernfalls mit dem [[Anathema|Bann]] belegen. Luther widerrief seine Kritik am Ablasswesen nicht und bekräftigte seine Auffassung, dass nicht das Sakrament, sondern allein der Glaube rechtfertige. Cajetan forderte daraufhin die Auslieferung Luthers, was Friedrich ablehnte. Luther appellierte an den Papst und glaubte nach wie vor, ihn mit den Belegen aus der Schrift von der Richtigkeit seiner Thesen überzeugen zu können.

Im Juni des folgenden Jahres kam es in Leipzig zur [[Leipziger Disputation]]. Die Disputation wurde von der altehrwürdigen Universität Leipzig organisiert, die in der noch jungen, aber durch Luther bereits bekannten Universität Wittenberg eine Konkurrenz sah. Es diskutierten der Theologieprofessor [[Johannes Eck]] (als Vertreter der Papstkirche) zunächst mit dem Wittenberger Dozenten [[Andreas Bodenstein]] (genannt ''Karlstadt'') und dem jungen Griechischprofessor [[Melanchthon]]. Im Verlauf der Disputation übernahm Luther die Wortführung auf der Wittenberger Seite. Eck gelang es, Luther zur Bestreitung der [[Unfehlbarkeit]] des Papstes und der Konzilien zu bewegen. Er brachte ihn sogar zu der Aussage, das [[Konstanzer Konzil]] habe Artikel des Ketzers [[Jan Hus]] verurteilt, obwohl sie gut evangelisch seien. Damit hatte Eck Luther als „den neuen Hus“ entlarvt. Die Leipziger Disputation vergrößerte die Kluft zwischen Luther und der katholischen Kirche. Wer die Disputation nun „gewonnen“ hat, ist unklar. Sowohl Eck als auch Luther sahen sich selbst als Sieger.

=== Entfaltung des reformatorischen Programms (1520) ===
==== Die reformatorischen Hauptschriften ====
[[Datei:Christlicher-Adel-de.jpg|miniatur|''An den christlichen Adel deutscher Nation'']]
Das Jahr 1520 stellt einen Wendepunkt in der reformatorischen Bewegung dar. Mit den drei sogenannten [[Luther#Reformatorische Hauptschriften|reformatorischen Hauptschriften]] entwickelte Luther ein theologisches Programm, das die Grundlage des späteren [[Luthertum]]s bildet. In der ersten Hauptschrift ''An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung'' forderte er die weltliche Obrigkeit auf, angesichts der innerkirchlichen Reformunfähigkeit die Kirchenreform selbst in die Hand zu nehmen. Er unterbreitete ein sozial-politisches Reformprogramm, das ein staatliches [[Bildungswesen]], Armen[[fürsorge]] sowie die Abschaffung von [[Zölibat]] und [[Kirchenstaat]] vorsah. In der Schrift formulierte er außerdem die Lehre vom [[Priestertum aller Gläubigen|Priestertum aller Getauften]], mit der er die traditionelle Hierarchie zwischen [[Kleriker]]n und [[Laie (Religion)|Laien]] abschaffen wollte. Den päpstlichen Anspruch, dass allein das päpstliche Lehramt zur verbindlichen Auslegung der Schrift befugt sei, lehnte Luther ab. Darüber hinaus kritisierte er die Fiskalisierung der Kirche, was ihm gerade im niederen Adel und bei den [[Ritter|Reichsrittern]] große Sympathien einbrachte. Die Schrift wurde ein publizistischer Erfolg.

[[Datei:Luther1.jpg|miniatur|links|''Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche'']]
In der lateinisch verfassten zweiten Hauptschrift ''De captivitate Babylonica ecclesiae'' (Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche), die für ein akademisches Publikum bestimmt war, kritisierte Luther die katholische [[Sakrament]]enlehre. Unter Berufung auf die Schrift reduzierte er die Siebenzahl der Sakramente auf drei ([[Taufe]], [[Eucharistie|Abendmahl]], [[Buße (Religion)|Buße]]). Er kritisierte die katholische [[Konkomitanz]]-Lehre, der zufolge beim Genuss der geweihten [[Hostie]] der Wein „mitgetrunken“ wird, und forderte den [[Laienkelch]]. Er kritisierte außerdem die [[Transsubstantiation]]s- und die [[Messopfer]]-Lehre.

In der dritten reformatorischen Hauptschrift ''[[Von der Freiheit eines Christenmenschen]]'' thematisiert Luther die [[evangelische Freiheit]]. In Anlehnung an die [[Christologie#Die Zwei-Naturen-Lehre|Zwei-Naturen-Lehre]] lebe ein Christ immer in zweifacher Hinsicht: Im Blick auf Gott (''coram Deo'') und im Blick auf die Welt (''coram mundo''). Im Blick auf Gott, der den Sünder allein durch Gnade [[Rechtfertigung (Theologie)|rechtfertigt]], ist der Mensch von Werken frei. Im Blick auf die Welt hingegen muss sich der Glaube bewähren und in [[Gute Werke|guten Werken]] manifestieren. Der Christ ist gleichzeitig gerechtfertigt, nämlich im Hinblick auf Gott, und Sünder, nämlich im Hinblick auf die Welt (''[[simul iustus et peccator]]''). Hier klingt Luthers [[Zwei-Reiche-Lehre]] an. Danach existiert jeder Christ in zwei Bereichen („Regimentern“), dem weltlichen, in dem das „Gesetz des Schwertes“ gilt, und dem geistlichen, in dem das göttliche Wort gilt. Diese Konstruktion diente dazu, trotz des biblischen [[Nächstenliebe|Liebesgebots]] Gewaltanwendung durch die [[Obrigkeit]] zur Wahrung des Friedens und der Ordnung zu legitimieren.

==== Grundlagen reformatorischer Theologie ====
Die wesentlichen Punkte der Reformation, die auch heute noch gemeinsamer Nenner der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen sind, werden oft mit den sogenannten Exklusivpartikeln, den vier ''soli'' (lat. ''solus'' „allein“), zum Ausdruck gebracht:
* [[sola gratia]]: Allein durch die Gnade Gottes wird der glaubende Mensch errettet, nicht durch seine Werke.
* [[sola fide]]: Allein durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt, nicht durch gute Werke.
* [[sola scriptura]]: Allein die Schrift ist die Grundlage des christlichen Glaubens, nicht die kirchliche Tradition.
* [[solus Christus]]: Allein die Person, das Wirken und die Lehre Jesu Christi können Grundlage für den Glauben und die Errettung des Menschen sein.

Die Exklusivpartikel formulieren einprägsam die zentralen reformatorischen Lehren ([[Rechtfertigung (Theologie)|Rechtfertigung]] und [[Schriftprinzip]]), von denen her alle anderen theologischen Lehrstücke bestimmt werden.

=== Bann und Wormser Reichstag ===
[[Datei:Luther-in-Worms-auf-Rt.jpg|miniatur|Luther auf dem Wormser Reichstag 1521]]
Nach der Wahl [[Karl V. (HRR)|Karls V.]] zum Kaiser war der Prozess gegen Luther fortgesetzt worden. Am 15. Juni 1520 drohte der Papst Luther mit der Bulle ''[[Exsurge Domine]]'' den [[Anathema|Kirchenbann]] an. Binnen 60 Tagen sollte Luther zum Widerruf gezwungen werden. Am Tage des Ablaufs der Frist verbrannte Luther öffentlichkeitswirksam die Bannandrohungsbulle und das [[Kanonisches Recht|kanonische Recht]]. Der Papst, den Luther nun als ''[[Antichrist]]'' beschimpfte, reagierte am 3. Januar 1521, indem er Luther mit der Bulle ''[[Decet Romanum Pontificem]]'' exkommunizierte. Nach dem Reichsrecht folgte auf eine Exkommunikation die Verhängung der [[Reichsacht]] über den Gebannten. Durch zähes Verhandeln erreichte Luthers Landesherr Friedrich der Weise, dass dieser trotz des Kirchenbanns auf dem [[Reichstag zu Worms (1521)|Wormser Reichstag]] durch den Kaiser verhört wurde. Gegen den Einspruch des Papstes empfing Karl V. Luther am 17. April 1521 in Worms. Luther wurde gefragt, ob er sich zu seinen Schriften bekenne und ob er zum Widerruf bereit sei. Nach einem Tag Bedenkzeit bekannte er sich zu seinen Schriften, lehnte den Widerruf aber ab, solange er nicht durch die Heilige Schrift widerlegt sei. Gegen die Autorität des Papstes und der Konzilien berief sich Luther, gemäß dem reformatorischen [[Schriftprinzip]], allein auf die Autorität der Schrift. Besonders seine historisch nicht belegten Worte „''Hier stehe ich. Gott helfe mir. Ich kann nicht anders''“ prägten das geschichtswirksame Lutherbild als den Begründer der [[Gewissensfreiheit]]. Im Reichstagsabschied vom 30. April 1521 wurde die Reichsacht über ihn verhängt und Luther für [[Vogelfreiheit|vogelfrei]] erklärt ([[Wormser Edikt]]). Da ihm der Kaiser freies Geleit zugesagt hatte, gewährte man ihm 21 Tage Frist, während der er sich in Sicherheit bringen sollte. Auf dem Rückweg nach Sachsen wurde er im [[Thüringer Wald]] in einem Scheinüberfall von sächsischen Soldaten entführt und auf die [[Wartburg]] gebracht.

=== Aufbau eines evangelischen Gemeindelebens (1522–1524) ===
==== Luther auf der Wartburg ====
[[Datei:Wartburg2004.JPG|miniatur|Die Wartburg bei Eisenach]]
Von Mai 1521 bis März 1522 hielt sich Luther, als „Junker Jörg“ getarnt, auf der Wartburg auf. Er nutzte die Zeit intensiv und schuf die Grundlagen für ein evangelisches Gemeindeleben. In seinen Auslegungen des [[Magnificat]] beschäftigte sich Luther mit der Frage, wie Evangelische mit der [[Marienverehrung|Marienfrömmigkeit]] umgehen sollten. Durch seine [[Predigt]]en, die in gedruckter Form verschickt wurden (Predigtpostillen), schuf er der meist schlechten Ausbildung der Prediger Abhilfe. So entstand allmählich eine evangelische Predigtkultur. In seiner Schrift ''De votis monasticis'' („Von den Mönchsgelübden“) legte er dar, dass die [[Ordensgelübde|Mönchsgelübde]] im Widerspruch zur Heiligen Schrift stehen, da sie auf [[Werkgerechtigkeit]] beruhen. Der Rückzug aus der Welt widerspreche dem Auftrag des Christen, auch im weltlichen Bereich zu leben, dort seinem Beruf nachzukommen und eine Familie zu gründen. Nach der Veröffentlichung dieser Schrift kam es zu Klosteraustritten, die im Reich zunächst noch strafrechtlich verfolgt wurden.

==== Bibelübersetzung ====
[[Datei:Lutherbibel.jpg|miniatur|rechts|Vollständige Lutherbibel von 1534]]
Luthers bedeutendste Leistung war die Übersetzung des [[Neues Testament|Neuen Testaments]] aus dem von Erasmus herausgegebenen [[Koine|griechischen]] [[Urtext]]. Die zeitgenössischen Bibelübersetzungen fußten auf der [[Vulgata]], der [[latein]]ischen Übersetzung des griechischen Urtextes. Bei seiner Übersetzung bediente sich Luther einer volkstümlichen und verständlichen Sprache, die für lange Zeit nicht nur zum Maßstab deutscher Bibelübersetzungen wurde, sondern auch maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung einer [[standarddeutsch]]en Hoch- und Schriftsprache hatte. Zahlreiche Wortschöpfungen Luthers sind bis heute Teil der [[Deutsche Sprache|deutschen Sprache]]: „Blutgeld“, „friedfertig“, „Nächstenliebe“.<ref>[[Heinz Schilling (Historiker)|Heinz Schilling]], ''Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie.'' München 2012</ref> Die erste Ausgabe des Neuen Testaments erschien im September 1522 („Septembertestament“). Das Alte Testament übersetzte Luther, wegen der schwierigen Sprache von anderen Gelehrten unterstützt, schrittweise bis 1534.

==== Unruhen in Wittenberg ====
{{Hauptartikel|Wittenberger Bewegung}}
Während sich Luther auf der Wartburg befand, kam es in Wittenberg zu einer Radikalisierung der Reformation. Vielen gingen die Reformen nicht weit genug. Besonders die Messe, der [[Zölibat]] der Priester und die Mönchsgelübde wurden kritisiert. Im Frühjahr 1521 heiratete der erste Priester, und Mönche traten aus ihren Orden aus. Besonders Luthers Ordensbruder [[Gabriel Zwilling]] tat sich als radikaler Reformer des Mönchtums hervor. Im Herbst 1521 kam es zu Aktionen gegen die Messe. Wendepunkt war der Weihnachtsabend 1521, an dem Andreas Bodenstein demonstrativ einen evangelischen Gottesdienst in weltlicher Kleidung und in deutscher Sprache feierte. Das Abendmahl wurde ohne Opfergebet und vorherige Beichte unter beiderlei Gestalt gereicht. Im Februar 1522 kam es in Wittenberg zum [[Bildersturm]]. Anlass war Bodensteins Schrift ''Von der Abtuung der Bilder'', in der er die Abschaffung der Bilder in den Kirchen forderte. Bestärkt wurde er durch die täuferisch gesinnten [[Zwickauer Propheten]] ([[Nikolaus Storch]], [[Thomas Drechsel]], [[Markus Thomae]]), die im Dezember 1521 nach Wittenberg geflohen waren. Luther verließ im März 1522 auf Bitten des Stadtrats die Wartburg und kehrte nach Wittenberg zurück. Dort hielt er im Mönchsgewand seine berühmten [[Invokavitpredigten]], in denen er die Wiederherstellung des alten Gottesdienstes zur „Schonung der Schwachen“ forderte. Er wollte die Bevölkerung durch zu radikale Reformen nicht verunsichern. Außerdem betonte er, jeglicher Aufruhr sei von Gott verboten. Es kam zum Bruch mit Bodenstein, der daraufhin Wittenberg verließ und Pfarrer in [[Orlamünde]] wurde. Auf Drängen Luthers wurde er 1524 aus Kursachsen ausgewiesen und führte ein unstetes Wanderleben, bis er 1534 eine Anstellung als Prediger und Professor in [[Basel]] fand, die er bis zu seinem Tod 1541 ausübte.

=== Kritik an bestehenden Traditionen ===
Luther unterzog die Traditionen der Kirche einer strengen Überprüfung. Messlatte war der Text der Bibel. Traditionen, die nach seiner Meinung der Schrift zuwiderliefen, wurden abgeschafft. Er trat aber dafür ein, Traditionen beizubehalten, die nicht direkt auf der Bibel fußten, aber hilfreich für das Leben der Gläubigen waren. So sprach sich Luther aus didaktischen Gründen gegen ein [[Ikonoklasmus|Bilderverbot]] in der Kirche aus und behielt die äußeren Formen des Gottesdienstes bei (vgl. [[Deutsche Messe (Gottesdienst)]]).

Die massive Kritik am Papsttum hatte diese lutherische Auffassung mit der Haltung der Reformierten gemeinsam. Zugrunde liegt wieder ein theologisches Problem: Die Sonderstellung des römischen Bischofs wird traditionell begründet mit {{B|Mt|16|18}} („Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“.) Christus bezeichnet Petrus als Fundament der Kirche. Petrus wird später Bischof von Rom. Das wird als Einsetzung des Papstes durch Christus [[Bibelauslegung|ausgelegt]]. Dieser wiederum hat stellvertretend für Christus die Vollmacht, weitere Priester zu ernennen. Dem stellt Luther {{B|Mt|18|19|LUT}} gegenüber, wo die Gemeinde Christi als Versammlung von mindestens zwei Menschen unter dem Namen Christi definiert wird. In Verbindung mit Kapitel 12 des [[1. Korintherbrief]]s wird die Vorstellung vom [[Laienpriester]]tum entwickelt. Der Pfarrer ist dann nicht mehr Nachfolger des von Christus eingesetzten Petrus, sondern das Glied der Gemeinde, das es am besten versteht, die Aufgaben des Pfarrers, wie Predigt und [[Christliche Seelsorge|Seelsorge]], wahrzunehmen. Dieses Gemeindemitglied hat seine Sonderstellung nicht aufgrund seiner [[Priesterweihe|Weihe]], sondern aufgrund seiner Ausbildung.

=== Neue Gottesdienstordnungen ===
{{Hauptartikel|Deutsche Messe (Gottesdienst)}}
Verschiedene Reformatoren ([[Thomas Müntzer]], auch [[Andreas Bodenstein]] und später auch [[Martin Luther|Luther]]) bemühten sich um die Schaffung von Gottesdienstordnungen in der Landessprache. Diese ersetzten in den protestantischen Gebieten rasch die [[Heilige Messe|lateinische Messe]]. Im Zentrum dieser neuen evangelischen Ordnungen standen Schriftlesung und Predigt ([[Wortgottesdienst]]). Die deutsche Bibelübersetzung ermöglichte es jedem Gemeindemitglied, die Auslegung des Pfarrers ([[Predigt]]) mit dem Wort der Bibel zu vergleichen. Luther und Müntzer blieben mit ihren Vorschlägen eng an der inneren Ordnung der Messe, während andere Reformatoren weiterreichende Änderungen durchführten.

== Weitere Entwicklung in Deutschland ==
=== „Linker Flügel der Reformation“ / Radikale Reformation ===
{{Hauptartikel|Radikale Reformation}}
[[Datei:Verbreitung der Täuferbewegung 1525-1550.png|miniatur|hochkant|Ausbreitung der Täuferbewegung]]
[[Datei:Titelseite Schleitheimer Artikel.jpg|miniatur|hochkant|Titelseite der Schleitheimer Artikel: Konvergenzerklärung verschiedener Täufergruppen]]

Die von dem Täuferforscher [[Heinold Fast]] als ''linker Flügel der Reformation'' und von dem Theologen [[George Huntston Williams]] als ''Radikale Reformation'' bezeichnete reformatorische Bewegung bietet kein einheitliches Bild. Zwar war allen (wie übrigens auch anderen Reformatoren) eine apokalyptische Welt- und Zeitsicht eigen, jedoch waren die Konsequenzen, die sie daraus zogen, durchaus unterschiedlich.

Zum einen gehörten zu diesem linken Flügel die radikalen Reformatoren, für die hier stellvertretend [[Thomas Müntzer]], der große Gegenspieler Martin Luthers, genannt werden soll. Ihre zentralen Anliegen waren die radikale Reform der Kirche und im Falle Thomas Müntzers auch die (biblisch begründete) revolutionäre Umwälzung der politischen und sozialen Verhältnisse. Hier lagen auch die Wurzeln des [[Deutscher Bauernkrieg|Deutschen Bauernkriegs]] 1524–1526. Dabei kam es auch in [[Thüringen]] zur Gründung des [[Ewiger Rat|Ewigen Rates]], der die politischen und sozialen Forderungen der Bauern durchsetzen sollte.

Die kurz nach dem Bauernkrieg im Umfeld der Schweizer Reformation entstandene [[Täufer]]&shy;bewegung verfolgte die Wiederherstellung der [[Neues Testament|neutestamentlichen]] Gemeinde Jesu. Die von ihnen ausschließlich praktizierte [[Gläubigentaufe]], die von ihren Gegnern als [[Wiedertaufe]] bezeichnet wurde, war nur ein Teil und – genau genommen – Folge ihrer [[Ekklesiologie]]. Kirche war für sie die Gemeinde der Gläubigen, in der die sozialen Schranken gefallen waren. Sie praktizierten das [[Priestertum aller Gläubigen]] und wählten ihre [[Presbyter|Ältesten]] und [[Diakon]]e auf „demokratische“ Weise. Sie traten für die radikale [[Trennung von Kirche und Staat]] ein, forderten [[Religionsfreiheit]] nicht nur für sich und verweigerten in weiten Teilen ihrer Bewegung den [[Eid]]. Vor allem das machte sie der Obrigkeit verdächtig, die weniger ihre abweichenden theologischen Ansichten als ihre Kritik an der weltlichen Obrigkeit nicht akzeptieren konnte und deshalb zu scharfen Gegenmaßnahmen und Verfolgungen griff. Zu ihnen gehören heute die [[Mennoniten]], die [[Hutterer]] und die [[Amische]]n.

Ganz anders positionierten sich die „[[Täuferreich von Münster|Münsterschen Täufer]]“, deren Wegbereiter – wenn auch ungewollt – [[Melchior Hofmann]] geworden war. Die Münsteraner Täufer zeichneten sich durch einen enthusiastischen und auch gewaltbereiten [[Chiliasmus]] aus, der durch die erlittenen Verfolgungen entfacht worden war. Nachdem die reformatorisch-täuferische Partei 1534 die politische Mehrheit im Münsteraner Rat erlangt hatte, wurde die Stadt unter Bischof [[Franz von Waldeck]] mit einem Belagerungsring größtenteils eingekesselt. In Folge radikalisierten sich die Münsteraner Täufer zunehmend, die Entwicklung gipfelte in der Etablierung eines „Königreichs von Münster“ und schließlich der Stürmung der Stadt im Sommer 1535. Ihre Führer sahen sich als die entscheidenden Werkzeuge und Wegebahner eines hereinbrechenden Reiches Gottes.

Eine vierte Gruppe innerhalb des „linken Flügels der Reformation“ bildeten die [[Spiritualismus (theologisch)|Spiritualisten]], die von ihren Gegnern als Schwärmer bezeichnet wurden. Sie waren mit der Täuferbewegung eng verwandt und gingen zum Teil aus ihr hervor. Sie vertraten einen stark verinnerlichten Glauben. Ihr Ziel war es nicht in erster Linie, eine sichtbare und verfasste Kirche zu bilden. Sie legten auch auf die äußeren Zeichen bzw. Sakramente wie [[Eucharistie|Abendmahl]] und [[Taufe]] keinen großen Wert. Sie verstanden sich als eine Art [[unio mystica]]. Zu ihren bedeutenden Vertretern gehörten [[Sebastian Franck]] und [[Kaspar Schwenckfeld]]. Noch heute gibt es [[Schwenkfelder Church|Schwenkfeldianer]] in Nordamerika.

Eine weitere Gruppe der Radikalen Reformation waren die reformatorischen [[Antitrinitarier]] für die stellvertretend [[Michael Servet]] genannt werden kann. Auch hier gab es teilweise Überschneidungen mit der Täuferbewegung wie im Falle [[Adam Pastor]]s und der [[Polnische Brüder|Polnischen Brüder]] in Polen-Litauen. In Siebenbürgen besteht bis heute die aus der Reformation hervorgegangene [[Unitarische Kirche Siebenbürgen|Unitarische Kirche]].

Sowohl die katholischen als auch die lutherischen und reformierten Obrigkeiten verfolgten die genannten Gruppen mit großer Härte – ohne Ansehen ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen und Lehren. In vielen Ländern mussten die Täufer unter Zurücklassung ihrer Habe das Land verlassen, in anderen Fürstentümern wurden sie wegen ihrer Überzeugungen gefangen gesetzt und gefoltert und im Extremfall sogar als [[Ketzer]] verbrannt oder ertränkt.
{{Hauptartikel|Märtyrer der Täuferbewegung}}

=== Protestation zu Speyer ===
[[Datei:Gedaechtniskirche Speyer Sued.jpg|miniatur|hochkant|Die [[Gedächtniskirche (Speyer)|Gedächtniskirche]] zur Erinnerung an die Protestation zu Speyer]]
Auf dem [[Reichstage zu Speyer|Reichstag zu Speyer]] 1526 (Speyer I) war das Wormser Edikt teilweise revidiert worden, indem die Ausführung den Reichsständen überlassen wurde. Demnach konnte es jeder Fürst mit der Religion so halten, wie er es vor Kaiser und Gott verantworten könne. Kaiser [[Karl V. (HRR)|Karl V.]] hob diesen Beschluss auf und wollte auf dem folgenden Reichstag in Speyer einen neuen Beschluss in seinem Sinne herbeiführen.

Auf dem Reichstag zu Speyer am 19. April 1529 (Speyer II) traten sechs Fürsten und vierzehn [[Freie Reichsstadt|Freie Reichsstädte]] als Vertreter der protestantischen Minderheit gegen die Verhängung der Reichsacht gegen Luther sowie die Ächtung seiner Schriften und Lehre ein und forderten die ungehinderte Ausbreitung des evangelischen Glaubens. Diese Protestation der Fürsten und Städte gilt als Geburtsstunde des [[Protestantismus]].

=== Bekenntnisbildung und Konsolidierung ===
Mit dem Augsburger Reichstag 1530 und dem dort dem Kaiser überreichten [[Augsburger Bekenntnis]] trat die Reformation in eine neue Phase ein. Die beiden Lager innerhalb des Protestantismus – Lutheraner einerseits und der Schweizer Flügel andererseits hatten sich spätestens seit dem [[Marburger Religionsgespräch]] 1529 positioniert – begannen nun, sich bekenntnismäßig und kirchenrechtlich als [[Kirche (Organisation)|Kirchen]] zu verstehen und zu organisieren: Neben den schon erwähnten Gottesdienstordnungen und Bekenntnisschriften (letztere spielten bis zum Ende des Jahrhunderts eine wichtige Rolle und fanden auf lutherischer Seite 1580 ihren Abschluss im [[Konkordienbuch]]) wurden nun neue [[Kirchenordnung]]en mithilfe oder sogar auf Anweisung der Landesfürsten und Stadträte verfasst und in Kraft gesetzt. Sie lösen für die protestantischen Kirchen das jahrhundertealte [[Kanonisches Recht|kanonische Recht]] der mittelalterlichen Kirche ab und sind zugleich sichtbarer Ausdruck des [[Landesherrliches Kirchenregiment|landesherrlichen Kirchenregiments]], das in Deutschland im Prinzip bis 1918 in Kraft blieb.

{{Siehe auch|Reformation in Memmingen}}

=== Politische Auswirkungen ===
Zum theologischen Ringen um die richtige Auslegung der Bibel traten auch bald politische Aspekte hinzu. Die neuen Gedanken gaben den [[Reichsfürst]]en eine theologische Begründung, die von Rom auferlegte Abgabenlast reduzieren zu können. Das Entstehen der protestantischen Landeskirchen stärkte ebenfalls die Autonomie der Fürstentümer. Bedeutende protestantische Territorien im Deutschen Reich waren die [[Landgrafschaft Hessen]], die [[Kurpfalz]], das [[Kurfürstentum Sachsen]] und das [[Herzogtum Württemberg]].

Es kam in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu verschiedenen Kriegen zwischen Katholiken und Protestanten innerhalb des Reiches (→[[Schmalkaldischer Krieg]]) und der Schweiz (→[[Zweiter Kappelerkrieg]]), die in Deutschland 1555 mit dem [[Augsburger Religionsfrieden]] und in der Schweiz 1531 mit dem [[Zweiter Kappeler Landfriede|Zweiten Landfrieden von Kappel]] endeten. Bei beiden lief es auf die Lösung „[[cuius regio, eius religio]]“ („wessen Land, dessen Glaube“) heraus: In Deutschland bestimmte der jeweilige Fürst bzw. in den Reichsstädten der Magistrat die Konfession des Landes, in den Schweizer Kantonen die jeweiligen Regierungen.

== Ausbreitung: Überblick ==
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts kam eine zweite Generation von Reformatoren zum Zug. In Genf [[Johannes Calvin|Calvin]], in Zürich [[Heinrich Bullinger]], der als Nachfolger von [[Ulrich Zwingli]] der Zürcher Kirche vorstand. Deren Beitrag war es, die Reformation theologisch zu konsolidieren – Calvin mit seiner [[Institutio Christianae Religionis]], Bullinger mit dem [[Helvetisches Bekenntnis|Zweiten Helvetischen Bekenntnis]]. Beide übten einen europaweiten Einfluss auf den Protestantismus aus. Aus ihren Lehren gingen die [[Reformierte Kirchen|reformierten Kirchen]] hervor.

Nach dem gewaltsamen Tod [[William Tyndale]]s gewann Calvin mehr und mehr Einfluss auf die Reformation in England. Er korrespondierte mit [[Eduard VI.]] und englischen Theologen. Nach der Gründung englischer Kolonien (ab 1609) in [[Nordamerika]] wurden die reformatorischen Kirchen dort zur beherrschenden Macht, insbesondere [[Kongregationalisten]], [[Baptisten]], [[Presbyterianische Kirchen|Presbyterianer]], [[Anglikanismus|Anglikaner]] (Episkopalisten), [[Quäkertum|Quäker]] und [[Methodistische und Wesleyanische Kirchen|Methodisten]]. Kleinere Gruppen bildeten [[Evangelisch-lutherische Kirchen|Lutheraner]] und [[Mennoniten]].

== Schweiz ==
{{Hauptartikel|Reformation und Gegenreformation in der Schweiz}}

Die Reformation und die katholische Gegenreformation in der Schweiz fanden zeitlich in einem etwas anderen Rahmen statt als in Deutschland. Als Beginn kann das Wirken [[Ulrich Zwingli]]s ab 1519, als Ende der [[Konfessionalisierung]] der [[Zweiter Villmergerkrieg|Zweite Villmergerkrieg]] 1712 gesehen werden. Auch die Reformation selber nahm in der Schweiz einen anderen Verlauf, weil die [[Alte Eidgenossenschaft]] eine andere Sozialstruktur aufwies als das [[Heiliges Römisches Reich|Reich]]. Bis heute unterscheiden sich die aus der schweizerischen Reformation hervorgehenden evangelisch-[[Reformierte Kirchen|reformierten Kirchen]] von den aus der deutschen Reformation hervorgehenden [[Evangelisch-Lutherische Kirchen|evangelisch-lutherischen Kirchen]]. Gemäß dem Charakter der Eidgenossenschaft als [[Staatenbund]] ging die Reformation in der Schweiz von verschiedenen Zentren aus und wurde von verschiedenen Reformatoren angeregt. Weltgeschichtlich am bedeutendsten waren die Persönlichkeiten und die Lehren von [[Johannes Calvin]], dem Begründer des [[Calvinismus]], der ab 1536 [[Genf]] zum „protestantischen Rom“ machte, von Ulrich Zwingli, der ab 1523 in [[Zürich]] wirkte, sowie von [[Heinrich Bullinger]], der 1549 mit Calvin durch den ''[[Consensus Tigurinus]]'' die Einigung der [[Zwinglianer]] und Calvinisten in der Abendmahlsfrage erreichte. Während die lutherische Reformation in ihrem unmittelbaren Wirken auf Deutschland und Nordeuropa beschränkt blieb, wirkte die schweizerische Reformation international über die [[Niederlande]], [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]] bis in die [[Vereinigte Staaten|USA]].

Zwingli und Calvin lehnten konsequent alle Traditionen ab, die nicht in der Bibel begründet sind. Daher haben die reformierten Kirchen nüchterne Gotteshäuser, die höchstens mit Bibelsprüchen dekoriert sind; die Kirchenstruktur ist [[Synode|synodal]], [[Presbyterianismus|presbyterianisch]] oder [[Kongregationalismus|kongregationalistisch]] strukturiert, d.h. ohne Bischofsamt; Zwingli lehnte zeitweilig sogar Instrumentalmusik in der Kirche ab. Das [[Eucharistie|Abendmahl]] ist für beide eher eine Gedenkfeier. Zwingli und später auch Calvin formten daher gänzlich neue [[Liturgie]]n.

Auch die reformatorische [[Täuferbewegung]], aus der letztlich die [[Mennoniten]] hervorgingen, hat ihre Wurzeln in der Schweiz und breitete sich trotz Verfolgungen von hier aus. Die Täuferbewegung wurde in der Schweiz bis ins 17. Jahrhundert grausam verfolgt.

== Frankreich ==
=== Anfänge ===
[[Datei:FrancisIFrance.jpg|miniatur|hochkant|Franz I.]]
Um die Zeit, als in Deutschland durch die Thesen [[Martin Luther|Luthers]] die Reformation begonnen hatte (1517), gab es in Frankreich eine Situation, in der das Luthersche Gedankengut auf fruchtbaren Boden fallen konnte:

[[Franz I. (Frankreich)|Franz I.]], der Frankreich seit 1515 regierte, hatte zu dieser Zeit die katholische Kirche zunehmend zu einem Verwaltungsorgan des Staates aus- und umgebaut: Seit dem [[Konkordat von Bologna]] 1516 hatte er das Recht, die hohen Ämter der französischen Kirche nach eigenem Willen zu besetzen. Er nutzte dies geschickt, um den französischen [[Hochadel]] in den entsprechenden Positionen unterzubringen und ihn sich auf diese Weise zu verpflichten. Die [[Infrastruktur]] der Kirche war für Franz ebenfalls von Bedeutung: Ihre Präsenz in allen Städten und Dörfern, die hohe Reichweite, die die Pfarrer in ihren Gemeinden erzielen konnten, und die Familienregister, die die [[Kirchengemeinde|Pfarreien]] führten, waren Elemente, die er für verwaltungstechnische Aufgaben, zum Beispiel die Veröffentlichung von [[Edikt]]en, einspannen konnte.

Insbesondere in [[Paris]] führte diese Verweltlichung zu Widerspruch von humanistischen Kreisen, insbesondere um [[Erasmus von Rotterdam]] (Didier Érasme) und [[Jacques Lefèvre d’Étaples]] (Jakob Faber). Um 1520 beginnt man, in diesen Zirkeln die Thesen Luthers zu diskutieren, die die heilige Schrift zum Maßstab des Glaubens machen und die Trennung von Staat und Kirche einfordern. Die theologischen Thesen Luthers werden zunächst auch vom Königshaus eher positiv aufgenommen. So waren die Schwester des Königs, [[Margarete von Angoulême]], und der Bischof von [[Bayonne]], [[Jean du Bellay]], sowie dessen Bruder Guillaume Mitglieder der Gruppe um Lefèvre.

Franz I., ohnehin sehr aufgeklärt und aufgeschlossen, zudem wohl noch durch seine Schwester beeinflusst, zeigte sich ebenfalls gegenüber den theologischen Aspekten der beginnenden Reformationsbewegung nicht abgeneigt. So hielt er zum Beispiel über Lefèvre seine schützende Hand, als gegen diesen nach einer Abhandlung über [[Maria Magdalena]] ein Prozess wegen Ketzerei angestrengt worden war. Die Reform einer Kirche von innen heraus war, zumindest was die theologischen Deutungen angeht, nichts, was Franz I. hätte fürchten müssen.

Zunächst einmal durfte also in der Zeit etwa um 1520 der reformatorische Gedanke auch in Frankreich Fuß fassen. Von den Humanisten fand er auch rasch seinen Weg ins gehobene [[Bürgertum]], wo die vorhandenen weitreichenden Handelsbeziehungen nicht nur Waren, sondern auch Ideen schnell verbreiten halfen.

=== Beginnende Verfolgung ===
Sehr schnell setzte jedoch eine katholische Gegenbewegung ein. Die Amtsträger der Kirche sahen ihre Lehren durch die aufkommende Bewegung gefährdet: 1521 wurde Luther vom Papst [[Exkommunikation|exkommuniziert]], die [[Paris]]er [[Universität]] [[Sorbonne]] verdammte seine Lehren. Franz I. geriet dadurch zunehmend unter Druck, und zwar aus zwei Gründen:
* Der erste war innenpolitischer Natur: Nach 1520 wurde schnell deutlich, dass die Reformation eben nicht nur eine theologische Angelegenheit war, die sich in den Studierzimmern der Gelehrten breit machte, sondern dass die Thesen die bestehende [[Klerus|klerikale]] (und eng damit verbunden auch die weltliche) Machtstruktur anzugreifen begannen. Franz konnte kein Interesse daran haben, dass die Reformer jetzt am Stuhl derjenigen Adeligen sägten, denen er gerade kirchliche Ämter, Würden und Einnahmequellen verschafft hatte, und die eine wesentliche Stütze seiner Herrschaft über Frankreich darstellten.
* Zum zweiten befand sich Franz I. zu dieser Zeit mit den [[Habsburg]]ern, genauer gesagt, mit dem deutschen Kaiser [[Karl V. (HRR)|Karl V.]] in einem schweren Konflikt. Frankreich war über die [[Niederlande]], [[Deutschland]] und [[Spanien]] von den [[Habsburg]]ern in die Zange genommen, in Norditalien befand sich Frankreich im offenen Krieg mit den Habsburgern. Hätte Franz der Reformation in Frankreich freien Lauf gelassen, so hätte er auch noch [[Rom]] gegen sich gehabt, und Karl V., der 1521 über Luther die [[Reichsacht]] verhängt hatte, wäre – dann von Rom unterstützt – von einer Invasion Frankreichs nicht mehr abzuhalten gewesen. Auch diese außenpolitische Überlegung zwang Franz dazu, sich mehr und mehr vom Protestantismus zu distanzieren.

So kam es zunehmend zu Repressalien gegen die Protestanten, die sich zu einer Verfolgung zumindest des öffentlichen Protestantismus ausweiteten: Die erste [[Hinrichtung]] eines französischen Protestanten ist für den 8. August 1523 belegt, als der [[Augustinerorden|Augustinermönch]] [[Jean Vallière]] in Paris am Pfahl verbrannt wurde.

=== Untergrundkirche ===
Der Protestantismus wurde bis etwa 1530 zunehmend in den Untergrund gedrängt. Ein Teil der Protestanten floh, unter anderem in die reformierten Orte der [[Schweiz]], wo [[Ulrich Zwingli]] gerade dabei war, die katholische Kirche komplett zu entmachten. Ins politische Aus gedrängt, traten die Protestanten aus dem Untergrund jedoch zunehmend provokativer auf. Zu den ersten größeren Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten kam es 1534 über die [[Affaire des Placards]], bei der in Paris und vier weiteren Städten antikatholische Plakate angeschlagen wurden. Die [[Heilige Messe|Messe]] der Katholiken wurde darauf als [[Götzendienst]] bezeichnet. Verschiedene [[Marienbild|Marienstatuen]] wurden verunstaltet. Nachdem die Verantwortlichen für diese Aktion auf den Scheiterhaufen gebracht worden waren, blieb das Verhältnis zwischen beiden Seiten angespannt.

Etwa um 1533 schloss sich [[Johannes Calvin]] in Paris dem Protestantismus an. Bis zu dieser Zeit wäre auch er eher als katholischer [[Humanist]] denn als Reformierter zu bezeichnen. Nach einer protestantisch gefärbten Rede von [[Nicolas Cop|Nicolaus Cop]], dem Rektor der Universität Paris, die höchstwahrscheinlich unter Beteiligung Calvins entstand, mussten beide aus Paris fliehen.

Doch trotz der Unterdrückung erhielt die Bewegung noch immer Zulauf. Um 1523 bildete sich in [[Meaux]] die erste protestantische Gemeinde in Frankreich, 1546 kam es dort zu den ersten Verbrennungen evangelischer Christen, darunter [[Pierre Leclerc]]. 1559 fand in Paris die erste [[Nationalsynode]] der reformierten Christen Frankreichs statt. Man verabschiedete eine Kirchenordnung und die [[Confessio Gallicana]]. 15 Gemeinden schickten ihre Abgesandten; zu der nächsten, die zwei Jahre später stattfand, waren schon etwa 2.000 Gemeinden vertreten. Zu Beginn der 1560er Jahre hatten die reformierten [[Untergrundkirche]]n etwa zwei Millionen Anhänger, was ungefähr zehn Prozent der französischen Gesamtbevölkerung entsprach.

Diese reformierten Gemeinden waren jedoch nicht mehr lutherisch geprägt: Die Verfolgung hatte enge Bande der französischen Reformierten zu dem in Genf lebenden Calvin entstehen lassen. Zwischen 1535 und 1560 durchdrang zunehmend der [[Calvinismus]] das französische Protestantentum, und der Calvinismus war es, der den Dissidenten Zulauf verschaffte. So kam auch der Name „[[Hugenotten]]“ auf.

=== Hugenottenkriege ===
{{Hauptartikel|Hugenottenkriege}}

1547 starb Franz I., und sein Sohn [[Heinrich II. (Frankreich)|Heinrich II.]] bestieg den Thron Frankreichs. Er setzte die Repression gegenüber den Hugenotten unvermindert fort. Etwa um diese Zeit begann das Habsburgerreich in eine Vielzahl von [[Kleinstaat]]en zu zerfallen: Kaiser [[Karl V. (HRR)|Karl V.]] bekam die Reformation nicht mehr unter Kontrolle, und der Kompromiss des „[[Cuius regio, eius religio]]“ tat ein Übriges zur Spaltung des Kaiserreiches.

Heinrich II. wollte ähnliche Zustände wie in Deutschland in jedem Fall verhindern. Zunehmend hatten sich jetzt auch [[Adliger|Adelige]] den Hugenotten angeschlossen, und eine Übereinkunft nach dem [[Augsburger Reichs- und Religionsfrieden|Augsburger Prinzip]] für Frankreich hätte die unter Franz I. erfolgreich verlaufende Zentralisierung Frankreichs schwer beschädigt. Damit begann endgültig die politische [[Diskriminierung]] des Protestantismus in Frankreich.

Eine neue Einrichtung und drei Edikte reichten, um die Hugenotten mehr und mehr zu unterdrücken: Da war erst einmal die Einrichtung der ''[[Chambre ardente]]'' in Paris, einer Kammer, die die hugenottischen Parlamentsabgeordneten verfolgte. Diese Kammer richtete Heinrich bereits im ersten Jahr seiner Regentschaft ein. Im Juni 1551 wurde dieses Prinzip im [[Edikt von Châteaubriand]] dann auch auf die Provinzparlamente ausgedehnt. Das [[Edikt von Compiègne]] folgte im Juli 1557: „die Ordnung in irgendeiner Weise störende“ Protestanten wurden der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstellt; die Verurteilung wegen [[Häresie]] ließ Heinrich noch in den Händen der Kirche. Den Schlusspunkt setzte er dann am 2. Juni 1559 im [[Edikt von Écouen]]: Von nun an durften die Gerichte für Häresie nur noch die Todesstrafe verhängen. Kurz nach dem Edikt starb Heinrich.

[[Datei:Bartholomaeusnacht.jpg|miniatur|Gaspard Bouttats: Bartholomäusnacht, Kupferstich]]
Unter Heinrichs Sohn [[Franz II. (Frankreich)|Franz II.]] hielt die begonnene Vertreibung an. 1562 überfielen katholische Soldaten bei [[Blutbad von Wassy|Vassy]] Protestanten während eines [[Gottesdienst]]es. Die [[Bartholomäusnacht]] 23./24. August 1572 in Paris löst erneute zahlreiche Flüchtlingsströme aus. Wichtige protestantische Persönlichkeiten wurden ermordet. Die Zahl der Todesopfer betrug in Paris etwa 3.000 und auf dem Lande zwischen 10.000 und 30.000. Schließlich brachte 1598 das [[Edikt von Nantes]] eine zeitweilige Beruhigung der Lage, die jedoch nur bis zur Eroberung von [[La Rochelle]] (1628) anhielt. Nach dem Tod Kardinal [[Jules Mazarin|Mazarins]] übernahm der „Sonnenkönig“ [[Ludwig XIV.]] 1661 die Regierung und leitete eine groß angelegte mit Bekehrungs- und Missionierungsaktionen verbundene systematische Verfolgung der Protestanten ein, die er aufgrund der einsetzenden Flüchtlingswellen 1669 mit einem Emigrationsverbot verband und die schließlich in den berüchtigten [[Dragonaden]] 1681 ihren Höhepunkt fanden. Trotz Verbotes verließen im Laufe von etwa fünfzig Jahren ca. 200.000 [[Flüchtling]]e ihre [[Heimat]].

Im [[Edikt von Fontainebleau]] 1685 widerrief Ludwig XIV. das Edikt von Nantes. Wer nunmehr als Protestant erkennbar war, wurde mit Haft oder [[Galeerenstrafe]] belegt. Daraufhin begaben sich viele in eine [[Untergrundkirche]] und leisteten teilweise in den [[Cevennen]] Widerstand ([[Camisarden]]). Dort kam es in den Jahren 1703 bis 1706 zum Bürgerkrieg, worauf Ludwig XIV. über 400 Dörfer dem Erdboden gleichmachen ließ. Das Psalmensingen und Bibellesen wird mit hohen Strafen belegt. Viele Menschen traten zwangsweise zum Katholizismus über, auch um den gefürchteten Dragonaden zu entgehen. Aber der Protestantismus ließ sich nicht ausrotten, weil die verfolgten und bestraften Protestanten als Märtyrer verehrt wurden.

Da die Angehörigen der protestantischen Oberschicht, darunter die meisten Geistlichen, ins Ausland flohen, wurde die Kirche durch Laienpastoren geleitet, die sich durch eine göttliche Eingebung berufen fühlten. Deshalb kamen prophetische und ekstatische Formen der Religiosität auf. Sie wurden in der Bewegung der [[Inspirierte]]n in ganz Europa wirksam.

In den Nachbarländern fanden die besitzlos gewordenen Hugenotten, die zur leistungsfähigsten Schicht der Gesellschaft zählten, bei den Herrschern bereitwillige Aufnahme, [[Privileg]]ien und [[Kredit]]e, was in der übrigen Bevölkerung wiederum Unverständnis, Neid und Anfeindungen auslöste. Zumal stießen sie als Reformierte auf Lutheraner, so dass sie wiederum eine religiöse [[Minderheit]] verkörperten.

Zu den Ländern, die für etwa 200.000 Hugenotten eine neue Heimat wurden, zählten die Schweiz, die Niederlande, [[England]], Deutschland und [[Vereinigte Staaten|Amerika]]. So wurden mit dem [[Edikt von Potsdam]] vom 29. Oktober 1685 die reformierten Hugenotten im [[lutherisch]]en [[Preußen]] aufgenommen.

Sie sorgten für eine Blüte der Wirtschaft und besonders der [[Landwirtschaft]] und öffneten für das kulturelle und Geistesleben weite Horizonte. Vor allem entwickelten sie maßgeblich Textil- und Seidenmanufakturen und -gewerbe ([[Seidenspinner|Seidenraupenzucht]]), führten den Tabakanbau ein (schwerpunktmäßig in der [[Uckermark]] mit dem Zentrum [[Schwedt/Oder]]) und waren in Schmuckanfertigung und -handel tätig.

In Frankreich dagegen schuf erst unter [[Ludwig XVI.]] das [[Toleranzedikt]] 1787 eine neue Möglichkeit protestantischen Lebens.

== Die Reformation in anderen europäischen Ländern ==
=== England ===
{{Siehe auch|Anglikanische Gemeinschaft}}
Die Reformation in England wurde vor allem aus politischen Gründen ausgelöst. Allerdings hatten Theologen auch aus eigenen Gründen die Schriften und das Wirken von [[Martin Luther]], [[Johannes Calvin]] und [[Ulrich Zwingli]] mit Interesse verfolgt, und es kam vielen von ihnen nicht ungelegen, dass sich nun mehr die Gelegenheit bot, bestimmte Prinzipien, die vormals von [[Römisch-katholische Kirche|Rom]] verboten waren, auch in England anwenden zu dürfen. So hatte es z.&nbsp;B. Versuche gegeben, die [[Bibel]] in [[Englische Sprache|englischer Sprache]] zu verbreiten (siehe [[John Wyclif]], [[William Tyndale]]). Diese endeten auch unter [[Heinrich VIII. (England)|Heinrich VIII.]] mit der Hinrichtung des Übersetzers. Erst unter [[Eduard VI.|Edward VI.]] wurden größere Reformen (z.&nbsp;B. das erste [[Book of Common Prayer]]) eingeführt. Mit seinem Tod wurde England unter [[Maria I. (England)|Maria Tudor]], der „blutigen Maria“, wieder gewaltsam zur [[Römisch-katholische Kirche|römischen Lehre]] zurückgeführt, aber mit der Nachfolge von [[Elisabeth I.]] auf dem Thron wurde die [[Church of England|anglikanische Kirche]] wieder etabliert. Die Bestrebungen [[Karl I. (England)|Karls I.]], [[Karl II. (England)|Karls II]]. und [[Jakob II. (England)|Jakobs II.]], die katholische Kirche wieder zum Status der Staatskirche zu erheben, scheiterten mit der [[Glorious Revolution|Glorreichen Revolution]] (1688). Damit hatte sich die Reformation in England und Schottland endgültig durchgesetzt.

=== Schottland ===
In Schottland wurde insbesondere durch das Wirken von [[John Knox]], einem Schüler Calvins, die presbyterianische Staatskirche ([[Presbyterianer]]) geschaffen. In England kam es zu Abspaltungen von der anglikanischen Kirche. Die [[Puritaner]] hielten zwar die Einheit mit der Staatskirche aufrecht, wollten die Kirche aber von allen „katholischen“ Strukturelementen „reinigen“ (purify). Radikale Independenten ([[Kongregationalisten]]) trennten sich völlig von der Kirche von England (Separatisten). Beide Gruppen lehnten vor allem das Bischofsamt strikt ab. Sie waren stark von Calvins Theologie geprägt.

=== Weitere Länder ===
In den [[Skandinavien|skandinavischen]] Ländern entstanden lutherische Staatskirchen. In den [[Niederlande]]n etablierte sich trotz Calvins starkem Einfluss keine reformierte Staatskirche. In den ost- und südeuropäischen Ländern bildeten sich lutherische oder reformierte Kirchen recht unterschiedlicher Größe. Während der Gegenreformation und später wurde ihr Einfluss zurückgedrängt oder wie in [[Spanien]] und [[Portugal]] ganz ausgeschaltet. In einigen italienischen Alpentälern konnten sich kleine [[Waldenser]]&shy;gemeinden halten, die sich der Schweizer Reformation anschlossen.

== Reaktion der katholischen Kirche ==
{{Hauptartikel|Katholische Reform|Gegenreformation}}
Die katholische Kirche war von der durch Luther ausgelösten Welle zunächst völlig überrascht. Als Luther sich nicht überzeugen ließ, verlegte sie sich auf politischen und kirchlichen Druck. Luther musste fliehen und überlebte nur durch fürstlichen Schutz. Zwingli gelang es, den Rat von Zürich von der Richtigkeit seiner Lehre zu überzeugen. Die Ideen der Reformation breiteten sich wie ein Lauffeuer aus – die Bevölkerung strömte zum neuen Glauben, Reichsstädte und Fürsten gingen auf die Seite der Reformation über.

Der damalige Kaiser [[Karl V. (HRR)|Karl V.]] blieb katholisch, konnte sich jedoch nicht auf die Niederschlagung der Reformation konzentrieren, da ihn die Außenpolitik stark beanspruchte (Türken vor Wien, Krieg mit Frankreich).

Das [[Konzil von Trient]] (1546–1563) versuchte innerhalb der drei Sitzungsperioden, die im 15. Jahrhundert begonnenen Reformen weiter fortzuführen. Die drei Sitzungsperioden stehen jeweils unter anderen Vorzeichen. Eine gesamte Reform der römischen Glaubenslehre hatte zu keiner Zeit zur Debatte gestanden – auch wenn man sicher sagen kann, dass nach dem Konzil die katholische Kirche eine andere geworden war als diejenige, die Luther vorgefunden hatte. Insbesondere die Auswüchse in Klerus und Kurie konnten beseitigt und eine Vereinheitlichung und „Modernisierung“ der römischen Kirche in Europa durchgesetzt werden. In der Folge leitete der von [[Ignatius von Loyola]] gegründete Orden der [[Jesuiten]] die Gegenreformation ein.

== Konfessionalisierung ==
Theologisch wie auch politisch gipfelte die Reformation in den Bekenntnisschriften der protestantischen Kirchen:
* [[Augsburger Bekenntnis]] (lutherisch)
* [[Konkordienformel]] (lutherisch)
* [[Konkordienbuch]] (Sammlung der lutherischen Bekenntnisschriften)
* [[Helvetisches Bekenntnis|Helvetische Bekenntnisse]] (reformiert)
* [[Confessio Gallicana]] (reformiert)
* [[Niederländisches Glaubensbekenntnis]] (reformiert)
* [[Heidelberger Katechismus]] (reformiert)
* [[Schleitheimer Artikel]] (Täufer)

== Bedeutung und Folgen ==
Die Reformation war einer der großen Wendepunkte in der Geschichte des Abendlandes. Für die Geschichte des Christentums bedeutete die Reformation den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, die über die ab dem 13. Jahrhundert verstärkt formulierte Kritik an der römisch-katholischen Kirche ([[Averroismus]], [[Jan Hus]], [[John Wyclif]], [[Wilhelm von Ockham]]) und die Bildung zahlreicher „häretischer“ christlicher Glaubensgruppen bis hin zur erneuten Spaltung der Christenheit führten. Die neu entstandenen Konfessionen konnten sich nach langem Ringen schließlich als staatlich gleichberechtigte Kirchen neben der römisch-katholischen etablieren. Da die neuen Konfessionen zu stark waren, um dauerhaft unterdrückt werden zu können, waren, obwohl es zahlreiche Rückschläge und sogar [[Religionskriege]] gab, beide Seiten auf Dauer zur religiösen [[Toleranz]] gezwungen. Die römisch-katholische Kirche verlor nicht nur in weiten Teilen Europas an Einfluss, sondern insbesondere auch ihr bis dahin beinahe unantastbares Deutungsmonopol für die Auslegung der [[Bibel]]. Die Reformation führte durch den Druck, der durch den schnellen Abfall ganzer Regionen vom [[Katholizismus]] verursacht wurde, auch auf römisch-katholischer Seite zu Reformen. Daher spricht man hierfür auch von [[Katholische Reform|katholischer Reform]]. Außerdem wurde versucht, eine [[Rekatholisierung]] der vom römisch-katholischen Glauben abgefallenen Gebiete zu erreichen, was wiederum eine Seite der [[Gegenreformation]] darstellt.

Zwar wurde die christliche Religion durch die Reformation nicht grundlegend in Frage gestellt, dennoch wurden fundamentale Glaubenssätze und religiöse Praktiken, die jahrhundertelang als unumstößlich galten, von den Reformatoren und ihren Anhängern verworfen (z.&nbsp;B. Marien- und Heiligenverehrung, Wallfahrten und andere „gute Werke“). Die Autorität der Kirchen über die Gläubigen wurde zwar zunächst nur teilweise aufgebrochen, dennoch bereitete die Reformation den Weg zum Zeitalter der [[Aufklärung]], in dem das [[Individuum]] in seiner persönlichen [[Freiheit]] deutlich aufgewertet wurde und in der schließlich selbst [[Atheismus|atheistische]] Weltbilder Anerkennung erfuhren.

Doch die Reformation revolutionierte nicht nur das geistliche Leben, sie setzte auch eine umfassende gesellschaftspolitische Entwicklung in Gang. Vorbereitet durch Luthers prinzipielle Trennung von Geistlichem und Weltlichem ([[Zwei-Reiche-Lehre]]) löste sich der [[Staat]] von der Bevormundung durch die Kirche, um nun seinerseits im Landesherrentum und [[Absolutismus]] die Kirche von sich abhängig zu machen. Doch auch dies stellte nur eine Übergangsphase in einer Entwicklung dar, die in vielen Ländern in die [[Trennung von Kirche und Staat]] mündete, die die Hugenotten und Täufer als verfolgte Minderheitskirchen schon seit ihrer Entstehung im 16. Jahrhundert praktizierten (vgl. Abschnitte 3 und 5). Aus dem englischen Täufertum entstanden Anfang des 17. Jahrhunderts die [[Baptisten]]kirchen. Stärker noch als die General Baptists waren die Particular Baptists von der Theologie [[Johannes Calvin|Calvins]] beeinflusst. Wie die [[Täufer]] forderten die Baptisten vehement [[Glaubensfreiheit]] ([[John Smyth]], [[Thomas Helwys]], [[Roger Williams]] u.&nbsp;a.). Als letzte reformatorische Kirche trennten sich Ende des 18. Jahrhunderts die [[Methodisten]] von der [[Kirche von England]].

Durch das Entstehen protestantischer Territorien und Staaten verschoben sich die Machtverhältnisse in Europa und später in den überseeischen Kolonien grundlegend. Die Reformation hatte tiefgreifende Auswirkungen auf alle Gebiete des Lebens: Ehe und Familie, Staat und Gesellschaft, Schule und Hochschule, Wissenschaft, Wirtschaft und Kunst ((Kirchen-)Musik, Literatur, Malerei). Die Reformatoren wollten, dass jedes Gemeindeglied die Bibel selbst lesen konnte. Deshalb förderten sie das [[Bildungswesen]] auf allen Ebenen, von der [[Volksschule]] über die [[Lateinschule]] bis zur [[Universität]]. Dadurch entstand eine für das Erstarken der Geistes- und [[Naturwissenschaften]] sowie der [[Technik]] günstiges kulturelles Klima. Die Betonung von Fleiß, Sparsamkeit, Genügsamkeit, die Erhöhung der [[Arbeit (Philosophie)|Arbeit]] gleichsam zum Gottesdienst und – vor allem bei Calvin – der Verzicht auf Luxusgüter machte Geld für Investitionen frei, was der kräftigen Entwicklung der [[Wirtschaft]] zugutekam (vgl. [[Max Weber]]: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus).

Somit wirkte die Reformation weit über die eigentliche Reformationszeit hinaus und bildete einen Wendepunkt hin zur Entwicklung der modernen Gesellschaft der [[Neuzeit]].

== Literatur ==
* Simo Heininen, Otfried Czaika: [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0159-2012060637 ''Wittenberger Einflüsse auf die Reformation in Skandinavien''], in: [[Europäische Geschichte Online]], hrsg. vom [[Institut für Europäische Geschichte (Mainz)]], 2010. Zugriff am 14. Juni 2012.
* [[Martin H. Jung]]: ''Reformation und Konfessionelles Zeitalter (1517–1648).'' Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012 (UTB; Nr. 3628), ISBN 978-3-8252-3628-1.
* Peter Kamber: ''Reformation als bäuerliche Revolution. Bildersturm, Klosterbesetzungen und Kampf gegen die Leibeigenschaft in Zürich zur Zeit der Reformation (1522–1525)''. Chronos, Zürich 2009, ISBN 978-3-0340-0808-2
* Thomas Kaufmann: ''Geschichte der Reformation''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-458-71024-0
* Ernst Koch: ''Das konfessionelle Zeitalter – Katholizismus, Luthertum, Calvinismus (1563–1675)''. Leipzig 2000, ISBN 3-374-01719-3 (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen, II/8)
* Carter Lindberg: ''The European Reformations''. Oxford u.a. 1996, ISBN 1-55786-575-2 (sehr umfassende Geschichte der Reformation vom Spätmittelalter bis zur Gegenreformation, die sämtliche europäischen Länder mit reformierter Geschichte einschließt – aus amerikanischer Sicht)
* Diarmaid MacCulloch: ''Die Reformation 1490–1700''. DVA, München 2008, ISBN 978-3-421-05950-5 (Standardwerk, welches einen Überblick über den Reformationsprozess in Gesamteuropa bietet)
* Bernd Moeller: ''Deutschland im Zeitalter der Reformation.'' Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999, ISBN 3-525-33462-1 (= ''Deutsche Geschichte'', Band 4, Kleine Vandenhoeck-Reihe 1432; profanhistorische Reihe mit sozialgeschichtlichem Zugang)
* Horst Rabe: ''Deutsche Geschichte 1500-1600. Das Jahrhundert der Glaubensspaltung.'' Beck, München 1991, ISBN 3-406-35501-3.
* [[Christine Roll]] (Hrsg.): ''Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe''. Lang, Frankfurt am Main u.a. 1996, ISBN 3-631-47923-9
* [[Helga Schnabel-Schüle]]: ''Die Reformation 1495–1555''. Reclam, Ditzingen 2006, ISBN 3-15-017048-6
* Armin Sierszyn: ''2000 Jahre Kirchengeschichte, Reformation und Gegenreformation'' Band 3, Hänssler, Holzgerlingen 2000, ISBN 3-7751-3247-3 (umfassende Darstellung, viele Quellenangaben, aus landeskirchlich-evangelikaler Sicht).
* Anette Völker-Rasor (Hrsg.): ''Oldenbourg Geschichte Lehrbuch. Frühe Neuzeit''. Oldenbourg, München 2000, ISBN 3-486-56426-9
* [[Rainer Wohlfeil]]: ''Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation.'' Beck, München 1982, ISBN 3-406-08675-6.

== Weblinks ==
{{Commonscat}}
{{Wikisource|Reformation|Reformation}}
* {{BAM|Reformation}}
* {{DNB-Portal|4048946-2|TYP=Literatur zum Schlagwort}}
* [http://www.martinluther.de/ Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt]
* Marcel Nieden: [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0159-2012042305 ''Die Wittenberger Reformation als Medienereignis''], in: [[Europäische Geschichte Online]], hrsg. vom [[Institut für Europäische Geschichte (Mainz)]], 2012. Zugriff am 2. Januar 2012.
* [http://www.reformiert-online.net:8080/t/de/bildung/grundkurs/gesch/index.jsp Einführung in die Reformierte Geschichte]
* [http://www.historicum.net/themen/reformation/ Themenportal „Reformation“ auf historicum.net]
* [http://www.luther2017.de/ Zentrale Website Reformationsjubiläum Luther 2017 – 500 Jahre Reformation]

== Anmerkungen ==
<references />

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[[Kategorie:Europäische Geschichte]]
[[Kategorie:Reformation| ]]

Version vom 29. Oktober 2015, 11:17 Uhr

blieb das Verhältnis zwischen beiden Seiten angespannt.

Etwa um 1533 schloss sich Johannes Calvin in Paris dem Protestantismus an. Bis zu dieser Zeit wäre auch er eher als katholischer Humanist denn als Reformierter zu bezeichnen. Nach einer protestantisJohannes Calvin und Ulrich Zwingli mit Interesse verfolgt, und es kam vielen von ihnHeiligenverehrung, Wallfahrten und andere „gute Werke“). Die Autorität der Kirchen über die Gläubi