„Homo ludens“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
[gesichtete Version][ungesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
K →‎Begriffsherkunft: adjektivisch = klein - siehe auch i. Text des verlinkten Lemmas
Zeile 16: Zeile 16:
[[Friedrich Schiller]] hob in seinen Briefen ''[[Über die ästhetische Erziehung des Menschen]]'' die Bedeutung des Spielens hervor und sprach sich gegen die Spezialisierung und [[Mechanisierung]] der Lebensabläufe aus. Nach Schiller ist das Spiel eine menschliche Leistung, die allein in der Lage ist, die Ganzheitlichkeit der menschlichen Fähigkeiten hervorzubringen. Schiller prägte auch die berühmt gewordene [[Sentenz]]: »der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«
[[Friedrich Schiller]] hob in seinen Briefen ''[[Über die ästhetische Erziehung des Menschen]]'' die Bedeutung des Spielens hervor und sprach sich gegen die Spezialisierung und [[Mechanisierung]] der Lebensabläufe aus. Nach Schiller ist das Spiel eine menschliche Leistung, die allein in der Lage ist, die Ganzheitlichkeit der menschlichen Fähigkeiten hervorzubringen. Schiller prägte auch die berühmt gewordene [[Sentenz]]: »der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«


Eine der Schillerschen ähnliche Kritik an der Reduzierung der Lebensweise übte schließlich auch [[Herbert Marcuse]] in seinem 1967 erschienenen Werk ''[[Der eindimensionale Mensch]]'', in dem er die mit der Vorherrschaft der »[[Instrumentelle Vernunft|instrumentellen Vernunft]]« in den [[Industriegesellschaft]]en einhergehende Beschränkung der Lebensweise und Kultur kritisierte, die keinen Platz mehr für Ganzheit, Persönlichkeitsentfaltung und autonome Selbstwerdung lasse. Ähnlich wie Friedrich Schiller hält Herbert Marcuse daher eine Rückbesinnung auf das [[Ästhetik|Ästhetische]] und Spielerische für erstrebenswert, um entgegen den allgegenwärtigen Zwängen einen Freiraum für eine menschliche Betätigung nach selbst gewählten Regeln und um ihrer selbst willen zu schaffen.
Eine der Schillerschen ähnliche Kritik an der Reduzierung der Lebensweise übte schließlich auch [[Herbert Marcuse]] in seinem 1967 erschienenen Werk ''[[Der eindimensionale Mensch]]'', in dem er die mit der Vorherrschaft der »[[Instrumentelle Vernunft|instrumentellen Vernunft]]« in den [[Industriegesellschaft]]en einhergehende Beschränkung der Lebensweise und Kultur kritisierte, die keinen Platz mehr für Ganzheit, Persönlichkeitsentfaltung und autonome Selbstwerdung (kai ist der beste) lasse. Ähnlich wie Friedrich Schiller hält Herbert Marcuse daher eine Rückbesinnung auf das [[Ästhetik|Ästhetische]] und Spielerische für erstrebenswert, um entgegen den allgegenwärtigen Zwängen einen Freiraum für eine menschliche Betätigung nach selbst gewählten Regeln und um ihrer selbst willen zu schaffen.


Auch Künstler wie [[Asger Jorn]] (1914–1973) und die [[situationistische Internationale]] vertraten solche Ansätze.
Auch Künstler wie [[Asger Jorn]] (1914–1973) und die [[situationistische Internationale]] vertraten solche Ansätze.

Version vom 19. Mai 2014, 08:32 Uhr

Der Homo ludens [ˈhɔmoː ˈluːdeːns] (lat. homo ludens, dt. der spielende Mensch) ist ein Erklärungsmodell, wonach der Mensch seine Fähigkeiten vor allem über das Spiel entwickelt:[1] Er entdeckt im Spiel seine individuellen Eigenschaften und wird über die dabei gemachten Erfahrungen zu der in ihm angelegten Persönlichkeit. Spielen wird dabei der Handlungsfreiheit gleichgesetzt und setzt eigenes Denken voraus. Das Modell besagt: Der Mensch braucht das Spiel als elementare Form der Sinn-Findung[2]

Begriffsherkunft

Das Konzept des Homo ludens ist in der Neuzeit vor allem durch den Titel des gleichnamigen Buches von Johan Huizinga (1938/39) bekannt geworden, in dem dieser zu zeigen versucht, dass sich unsere kulturellen Systeme wie Politik, Wissenschaft, Religion, Recht usw. ursprünglich aus spielerischen Verhaltensweisen entwickelt (Selbstorganisation) und über Ritualisierungen im Laufe der Zeit institutionell verfestigt haben. Aus Spiel wird »heiliger Ernst«, und wenn sich die Regeln erst richtig »eingespielt« haben, sind sie nicht mehr ohne weiteres zu ändern und beginnen ihrerseits Zwangscharakter anzunehmen.[3]

Huizinga wählte mit seiner Bezeichnung einen Kontrastbegriff zu der in der philosophischen Anthropologie seit 1928 von Max Scheler verwendeten Typisierung des Homo faber (Anthropologie), die Max Frisch 1957 als Titel für seinen gleichnamigen Erfolgsroman Homo faber (Roman) übernahm. Im Gegensatz zum „Spielenden Menschen“ kennzeichnete diese den „Arbeitenden, handwerklich tätigen Menschen“. Auf dem Sektor der Wirtschaft etablierte sich daneben ein sogenannter Homo oeconomicus.

Homo ludens und Homo faber

Die Spielwissenschaftler Siegbert A. Warwitz und Anita Rudolf charakterisieren den Homo ludens und den Homo faber als zwei unterschiedliche Formen der Weltaneignung im Spiel und ordnen sie anthropologisch der Spezies des Homo sapiens unter:[4] Den Homo ludens beschreiben sie als einen Typus, der im selbstgenügsamen, zweckfreien Spiel über Zufälle und Möglichkeiten Sinn findet und dabei nebenbei Weltkenntnis erwirbt, während der Homo faber das zweckgerichtete, in systematischen Spielfolgen aufgebaute Lernen für den Erfahrungsgewinn nutzt. Während der Homo ludens intrinsisch motiviert spielt, instrumentalisiert der Homo faber das Spiel gezielt als Lernspiel für außerhalb des Spiels liegende Zielsetzungen. Während der Homo ludens eher im ungelenkten freien Spiel der Kinder sichtbar wird, kommt der Homo faber mehr in pädagogischen, psychologischen und therapeutischen Bereichen zum Zuge. (siehe auch Spielwissenschaft, Kinderspiel ).

Weitere Vertreter des Konzepts

Friedrich Schiller hob in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen die Bedeutung des Spielens hervor und sprach sich gegen die Spezialisierung und Mechanisierung der Lebensabläufe aus. Nach Schiller ist das Spiel eine menschliche Leistung, die allein in der Lage ist, die Ganzheitlichkeit der menschlichen Fähigkeiten hervorzubringen. Schiller prägte auch die berühmt gewordene Sentenz: »der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«

Eine der Schillerschen ähnliche Kritik an der Reduzierung der Lebensweise übte schließlich auch Herbert Marcuse in seinem 1967 erschienenen Werk Der eindimensionale Mensch, in dem er die mit der Vorherrschaft der »instrumentellen Vernunft« in den Industriegesellschaften einhergehende Beschränkung der Lebensweise und Kultur kritisierte, die keinen Platz mehr für Ganzheit, Persönlichkeitsentfaltung und autonome Selbstwerdung (kai ist der beste) lasse. Ähnlich wie Friedrich Schiller hält Herbert Marcuse daher eine Rückbesinnung auf das Ästhetische und Spielerische für erstrebenswert, um entgegen den allgegenwärtigen Zwängen einen Freiraum für eine menschliche Betätigung nach selbst gewählten Regeln und um ihrer selbst willen zu schaffen.

Auch Künstler wie Asger Jorn (1914–1973) und die situationistische Internationale vertraten solche Ansätze.

Potenzial des Spiels

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Spiel eine grundlegende menschliche Aktivität ist, die Kreativität, und im Wettkampf Energie und Kraft freisetzt. Damit enthält das Spiel das Potenzial, verfestigte Strukturen zu durchbrechen und Innovation hervorzubringen. Deshalb sind spielerische Elemente auch in vielen Kreativitätstechniken und modernen Managementschulungen enthalten, die darauf zielen, neue, kreative und innovative Ergebnisse zu erzeugen. So spricht man auch von einer ludischen Wende in der Medientheorie, die durch die Dominanz von Spielanwendungen auf dem Computer gekennzeichnet ist, und von ludischem Innovationsverhalten.[5][6] Das Spiel scheint eine menschliche Aktivität zu sein, die in der Lage ist, die Elemente einer Situation so zu verändern, dass Neues und Unbekanntes entsteht und Lösungen für scheinbar nicht mehr lösbare Probleme gefunden werden können. Nach Huizinga dient das Spiel auch zur Abfuhr von Affekten. Damit steht er in der Tradition der Aristotelischen Lehre von der Katharsis.

Siehe auch

Literatur

  • Friedrich Schiller (Autor), Klaus L. Berghahn (Hrsg.): Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-018062-4 (EA Tübingen 1795).
  • Johan Huizinga (Autor), Andreas Flitner (Hrsg.): Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel („Homo ludens“, 1939). Rowohlt Verlag, Reinbek 2009, ISBN 978-3-499-55435-3.
  • Michael Kolb: Spiel als Phänomen - Das Phänomen Spiel. Köln 1990
  • Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft („The one-dimensional man“, 1964). 5. Auflage, dtv, München 2004, ISBN 3-423-34084-3.
  • Volkmar Hansen, Sabine Jung (Hrsg.): Homo Ludens. Der spielende Mensch. AsKI e.V., Bonn 2003, ISBN 3-930370-07-7 (Katalog zur Gemeinschaftsausstellung 2003/2004 des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Institute e.V.).
  • Hugo Rahner: Der spielende Mensch (Christ heute/2; Bd. 8). 11. Auflage, Johannes-Verlag, Einsiedeln 2008, ISBN 3-89411-194-1 (EA Einsiedeln 1952).
  • Robert Pfaller: Die Illusionen der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur. 2. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt/M. 2009, ISBN 978-3-518-12279-2.
  • Horst Bredekamp: Die Immunität des Fußballs. Ein Kunststück. In: Helga Rauff (Hrsg.): Spielen zwischen Rausch und Regeln. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2005, ISBN 3-7757-1565-7, Seiten 44–49 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung, Deutsches Hygiene-Museum, 22. Januar bis 31. Oktober 2005).
  • Hans Scheuerl: Das Spiel, Bd. 1: Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen. 11. Auflage, Beltz Verlag, Weinheim 1990, ISBN 3-407-34045-1 (zugleich Dissertation, Universität Hamburg 1952).
  • Siegbert A. Warwitz, Anita Rudolf: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. 3. Auflage, Schneider, Baltmannsweiler 2014. ISBN 978-3-8340-1291-3

Einzelnachweise

  1. Johan Huizinga (Autor), Andreas Flitner (Hrsg.): Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek 2009
  2. Siegbert A. Warwitz, Anita Rudolf: Der Mensch braucht das Spielen. In: Dies.: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. Baltmannsweiler. 3. Auflage 2014. Seite 36
  3. Ulrich Prill: Mir ward alles Spiel, Verlag Königshausen & Neumann, 2002, ISBN 3-8260-2355-2, Seite 14 [1]
  4. Siegbert A. Warwitz, Anita Rudolf: Was Spielen bedeutet und welche Merkmale es kennzeichnen. In: Dies.: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. 3. Auflage, Schneider, Baltmannsweiler 2014. Seiten 18-22
  5. http://www.wortbedeutung.info/ludisch/
  6. Stefan Derpmann, Ludische Gestaltungs- und Handlungsmuster im Innovationsprozess, Vortrag für Ad-hoc-Gruppe Improvisation und Professionalität: Zwischen Routine- und Experimentalhandeln von Fall zu Fall, 35. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Frankfurt am Main, 11. bis 15. Oktober 2010