Spinnstube

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Spinnstube (Illustration von 1863)

Unter einer Spinnstube oder einem Spinnboden (auch Lichtstube, Lichtkärz, z’Liacht, zu Licht gehen, Lichtabend, Liot-Oobad, Rockenstube, Kunkelkammer oder Brechelstube) versteht man einen Ort, an dem die langen Winterabende gemeinsam vor allem mit geselligen Handarbeiten verbracht wurden.

Spinnstuben waren in den Wintermonaten Treffpunkte der unverheirateten Frauen: Üblicherweise traf sich ein Mädchenjahrgang, um für seine Aussteuer zu spinnen und andere Handarbeiten zu verrichten; dies diente nicht nur der Geselligkeit, sondern hatte auch ökonomische Gründe: Vor Einführung der elektrischen Beleuchtung konnten so Kienspäne, Kerzen, Öllampen sowie Heizmaterial durch die gemeinschaftliche Nutzung effizienter genutzt und damit eingespart werden.[1]

Spinnstube (auch Lichtstube), der ehemals auf dem flachen Land und namentlich in den Gebirgsgegenden weitverbreitete Gebrauch, die langen Winterabende gemeinsam in geselliger Handarbeit hinzubringen. Die S. wird abwechselnd auf dem einen oder andern Hof abgehalten, die Frauen und Mädchen spinnen, die Burschen machen Musik, oder es werden Volkslieder gesungen, Hexen- und Gespenstergeschichten erzählt und allerlei Kurzweil dabei getrieben. Wegen der dabei vorkommenden Ausschreitungen in sittlicher Beziehung mußten in verschiedenen Ländern ‚Spinnstubenordnungen‘, d. h. polizeiliche Regelungen bezüglich der Zeit und Dauer des Beisammenseins, erlassen werden, ja im Bereich des ehemaligen Kurhessen wurden sie bereits 1726 gänzlich verboten. In Nachahmung dieser alten Dorfsitte wurden im Palast Emanuels d. Gr. zu Evora, wo die glänzendste Periode des portugiesischen Hoflebens sich abspielte, die von mehreren Dichtern geschilderten ‚portugiesischen Spinnstuben‘ (Seroëns de Portugal) abgehalten.“

Junge Männer besuchten die Spinnstuben nicht immer. Solange sie noch zu jung waren, um eine Wirtschaft zu besuchen, trafen sie sich in ihren Altersjahrgängen getrennt von den Mädchen. Allerdings war es vielfach üblich, dass die Burschen die Mädchen am Ende des Abends besuchten und nach Hause begleiteten. Das war eine der wenigen Gelegenheiten, wo es möglich war, halbwegs unbeobachtet eine Beziehung anzubahnen.

In der Folge galten Spinnstuben bei weltlicher wie geistlicher Obrigkeit als Orte sexueller Ausschweifung: so gab es ab dem 16. Jahrhundert von katholischer wie evangelischer Seite Bestrebungen, die Lichtstuben zu verbieten; teilweise wurden die dort zum Tanz aufspielenden Musiker verhaftet, da die Zusammenkünfte auch zum unabhängigen Nachrichtenaustausch dienen mochten. Die Kontrolle wurde teilweise durch die Installation eines Lichtherrn gewährleistet, welcher der geistlichen Obrigkeit verantwortlich war.[1]

Die Kirchenkonvente in Württemberg, bestehend aus Vogt, Pfarrer und zwei bis drei Richtern, entwickelten sich zur regelrechten Sittenpolizei. Im 18. Jahrhundert wurden neben Lichtkerzen (Spinnstuben) auch Spielabende, Kegelspiel, außereheliche Schwangerschaften und Fastnachtsbräuche nach kriminalistischen Verhören mit Geld- und Freiheitsstrafen belegt.[2]

Ernest Borneman nennt insbesondere folgende obszöne Begriffe aus dem Spinnstubenjargon:

  • Brechelbraut, Flachskönigin, Handelsbraut, Raufbraut: Das hübscheste Mädchen wurde zur Zeit des Flachsbrechens zur Brechelbraut gewählt.
  • Brechelbusch: Die Brechelbraut besaß als Zepter einen mit Bändern verzierten Tannenwipfel, den sie unter die Burschen warf, damit sie sich darum rauften: Wer ihn eroberte, gewann die Gunst der Brechelbraut.
  • Farkel: An der Rückseite ihres Kittel trug die Brechelbraut einen Flachskranz, den die Burschen mit einem Eimer Wasser zu tränken versuchten, um das Mädchen dazu zu bringen, Röcke und Unterröcke zum Trocknen aufzuhängen.
  • Agenschoppen: Der Flachsabfall (Agen) wurde den Burschen von den Mädchen in die Hosenbünde gestopft, was als spielerischer Vorwand zu einem schnellen Griff an das so genannte beste Stück, das männliche Genital, diente.
  • Fleischhaufen: Nach dem Tanz ließen sich alle Teilnehmer auf den Boden fallen, wobei ein möglichst hoher Menschenhaufen entstehen sollte, in dem Gelegenheit zur gegenseitigen Berührung gegeben war. Besonders diese Sitte erregte Anstoß und wurde in zahlreichen Predigten verurteilt.
  • flachsbrecheln, flachsen: Unsinn erzählen, dumme Scherze machen.
  • haardörren: Flachs trocknen oder koitieren.
  • Brechelkinder: Im Herbst geborene Kinder, die womöglich während des Flachsbrechelns in den vorhergegangenen Wintermonaten in den Spinnstuben gezeugt worden sein konnten.

In Nachahmung dieser alten Dorfsitte wurden im Palast Emanuels des Großen zu Évora die von mehreren Dichtern geschilderten Seroëns de Portugal (portugiesisch, deutsch portugiesischen Spinnstuben) abgehalten. In diesem Palast spielte sich die glänzendste Periode des portugiesischen Hoflebens ab.

Verwendung als Eigenname für Vereine

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Eine wichtige Archivbibliothek und Beratungsstelle für lesbische Frauen und Transpersonen in Berlin trägt den Namen Spinnboden – Lesbenarchiv und Bibliothek e. V.

  • Uwe Henkhaus: Das Treibhaus der Unsittlichkeit. Lieder, Bilder und Geschichte(n) aus der hessischen Spinnstube. Hitzeroth, Marburg 1991, ISBN 3-89398-075-X.
  • Ernst Bornemann: Sex im Volksmund. Der obszöne Wortschatz der Deutschen. Parkland-Verlag, Köln 2003, ISBN 3-89340-036-2, 2. Teil: Wörterbuch nach Sachgruppen. Abschnitt 52: „Sitten und Gebräuche“.
  • Elisabeth Lindner: Laßt uns gutes Garn spinnen! Die Spinnstube. Geschichte und Geschichten aus Nordhessen, Wartberg Verlag 2003, ISBN 3-8313-1384-9.
  • Christine Schlott: Spinnstuben als neues Veranstaltungsformat. Erfahrungen und Tipps zum Selbergestalten, Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V., 2017 Link
  • Udo Jacobs: Beliebt und beargwöhnt – die Lichtstuben, Schleusinger Blätter 5, S. 25–26, 2008.
  • Georg Schwarz: Die Rocken- oder Spinnstube, Bayreuth 1993.
  • Dieter Wagner: Obrigkeitliches Vorgehen gegen den Spinnstuben-Unfug im Untereichsfeld. In: Eichsfelder Heimatzeitschrift, 2010, Heft 5, S. 166–167

Einzelnachweise

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  1. a b badische-zeitung.de, Nachrichten, Kultur, 26. Dezember 2011, Michael J. H. Zimmermann: Munkeln im Dunkeln – Wie Lichtstuben die Obrigkeit in Alarmbereitschaft versetzten (31. Dezember 2011)
  2. Sigrid Hirbodian, Andreas Schmauder, Manfred Waßner (Hrsg.): Eine Stadt im Wandel der Zeit. Die Geschichte von Meßstetten (= Gemeinde im Wandel. Band 19). Stadt Meßstetten, Tübingen 2019, ISBN 978-3-00-064226-5, S. 172.